Ein Münchener Biergarten

Textdaten
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Titel: Ein Münchener Biergarten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 577, 580
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[577]

Münchener Biergarten-Koncert.
Nach dem Oelgemälde von M. Liebermann.

[580] Ein Münchener Biergarten. (Mit Illustration S. 577.) In der schönen Stadt am Jsarstrande haben schon vor vielen Jahrzehnten die ehrsamen Bierbrauer und Gastwirthe eigene Gärten angelegt, um ihren Gästen einen friedlichen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen und ihnen den langen Weg vor das Weichbild der Stadt zu ersparen. Daß dieser Aufenthalt durch die Gelegenheit, der Sommerschwüle mit einem frischen Trunke entgegenzuarbeiten, noch erheblich angenehmer gestaltet wurde, bedarf keiner näheren Ausführung. Sobald im wunderschönen Monat Mai die ersten Knospen springen, wird der Münchener zwischen den dumpfen Wänden unruhig, wie eine Lerche im Käfig. Die Keller- und Gartensaison ist angebrochen, und wenn die Feierstunde schlägt, gürtet der biedere Hausvater seine Lenden, Mutter sorgt für den entsprechenden Mundvorrath, und die ganze Familie bis zum Kleinsten herab zieht hinaus in irgend einen Garten, nicht etwa dahin, wo die schönsten Blumen blühen, sondern dorthin, wo die berühmteste „Quelle“ sprudelt. Bald ist ein entsprechender Platz für die Niederlassung gefunden; während die sorgsame Hausfrau ihre kalten Platten zurechtstellt, begiebt sich der Patriarch in höchsteigener Person zur Schenke; dort wählt er zuerst einen der in großer Zahl vorhandenen Krüge und begiebt sich an das Brünnlein in der Nähe, um das Gefäß nochmals auszuspülen und ihm durch das sprudelnde Wasser einen gewissen Grad von Kühle zu verleihen; dann tritt er wohlgemuth den Gang zur Stätte an, wo der Schankknecht den Zapfen regiert; es bedarf keiner Erklärung; ohne viel Worte zu gebrauchen, reicht er den Krug und das Geld, er erhält dann sein Gefäß und zieht friedlich von dannen. Dieses wichtige Geschäft überläßt der echte Münchener nicht gern einem Andern oder einem dienstbaren Geiste, denn er muß wissen, daß „nix pantscht werd“, das ist, daß nicht etwa Bierreste (Standerling) in sein Quantum eingetheilt werden oder daß er am Ende das Letzte vom Faß haben müßte.

Die Biergärten gehören ihrer botanischen Klassifikation nach zu den Ziergärten; meist sind es Kastanien- oder Lindenbäume, welche ihre Laubdächer schützend über die glücklichen Zecher breiten; von eigentlichen Gartenerzeugnissen ist nur der „Radi“ zu sehen, welcher schon um deßwillen hoch geschätzt wird, weil er die erschlaffenden Geschmacksnerven anregt und die Trinklust wesentlich fördert. So ganz materiell ist aber der Münchener auch nicht angelegt, daß er in Mitte aller leiblichen Genüsse nicht auch für geistige Erholung empfänglich wäre.

Zu einem richtigen Keller- oder Gartenvergnügen gehört denn auch eine „Musi“, und je nach dem Range der Wirthschaft sorgt eine Regimentskapelle, ein Privatorchester, ein Blechmusikkorps, ein Quintett oder gar ein Terzett mit Flöte, Harfe und Geige für den obligaten Ohrenschmaus. Der Biergarten ist das Erntefeld für den Zeitungscolporteur. „Dö Neuesten – ’s Vaterland – Süddeutsche – Fremdenblatt – Der Freie“ etc. So tönt es den ganzen Abend, und es wird in diesem Artikel ziemlich viel umgesetzt. Sonstige kleinhändlerische Unternehmungen finden hier gleichfalls ein geneigtes Gehör. Blumenmädchen mit „Veigerln“, Cigarrenhändler, die aufdringlichen Italiani mit ihren Mandoli, Mandoletli, Pfefferminz, Orangen u. dergl. zum Bier passenden Leckereien, Galanteriewaarenhändler und ähnliche Ruhestörer machen dem Bierphilister den Aufenthalt stellenweise sehr sauer. Trotzdem bleibt der Biergarten des Müncheners liebster Aufenthalt. Auf diesem Territorium giebt es keinen Unterschied der Stände; die gesellschaftlichen Vorurtheile kommen wenigstens nicht in schroffer Weise zum Ausdrucke; sollte sich Jemand auch separiren wollen, so muß er es sich doch gefallen lassen, wenn irgend ein Ungeladener den etwa noch freistehenden Platz am Tische einnimmt; Herr und Diener, die Köchin mit dem Schatz, das Kindermädchen mit den Pfleglingen, der Bureaukrat und der lustige Bruder – sie Alle sind gleich vor dem Faß, und dieses Bewußtsein trägt bei den Gästen nicht wenig dazu bei, dieses ihr Eldorado werth zu machen und die Gemüthlichkeit und Geselligkeit zu fördern. Das bunte Treiben in einem Biergarten ist auf der Illustration, welche wir nach dem trefflichen Bilde Liebermann’s unseren Lesern mittheilen, in vorzüglicher Weise dargestellt; der Beschauer mag sich damit eine getreue Vorstellung des Biergartenlebens in München bilden; von dem Durste, der dort herrscht, ließe sich jedoch höchstens in Zahlen sprechen; davon hat der Uneingeweihte gar keinen Begriff.