Ein Kunstprozeß vor dem Breslauer Schöffengericht. Böcklin–Muther
Die Kunst hat, ebenso wie ihre Schwester die Wissenschaft, und ihre Zwillingsschwester die Technik, in den letzten 50 Jahren ganz gewaltige Fortschritte gemacht. Schon im grauen Altertum und im ganzen Mittelalter ist die Kunst bei allen Kulturvölkern das verhätschelte Kind gewesen, zumal sie dem religiösen Kultus aller Konfessionen ganz unschätzbare Dienste leistete. Der Salomonische Prachttempel in Jerusalem, die Pyramiden und Obelisken in Ägypten, die prächtigen Denkmäler im alten Athen, die christlichen Kirchen des Mittelalters waren in der Hauptsache Erzeugnisse der Kunst. Deshalb wurde die Kunst zu allen Zeiten und bei allen Kulturvölkern gefördert, während die Wissenschaft vielfach Anfeindungen zu erdulden hatte. Aber auch die Fortschritte der Kunst und Technik fanden nicht allgemeine Anerkennung. Noch jetzt ist man mittels der sog. Lex Heinze bemüht, der Kunst Schranken zu ziehen. In unserem vom Materialismus beherrschten Zeitalter ist auch der Kunst ein wesentliches Hemmnis in Gestalt der wirtschaftlichen Not entstanden. „Die Kunst geht nach Brot.“ Dieser tatsächliche Zustand ist ein arger Krebsschaden unserer vielgerühmten Kultur. Nicht bloß der Mann der Wissenschaft, auch der Künstler ist vielfach genötigt, der augenblicklichen Zeitrichtung zu entsprechen. Der Künstler ist ebenso wie der Mann der Wissenschaft vielfach Lohnarbeiter der herrschenden Richtung geworden. Nicht gering ist die Zahl der Künstler, die am Hungertuch nagen. Am 4. Juli 1911 wurde der Sohn des berühmten Malers Giovanni Segantini, der Maler Leopoldo Segantini, aus dem Untersuchungsgefängnis auf die Anklagebank der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin II geführt. Der erst 26jährige junge Mann war bereits, wie Sachverständige bekundeten, ein Künstler, er glich aber nicht im entferntesten seinem weltberühmten Vater. Im Januar 1910 war er nach Berlin gekommen. Hier ist er schließlich derartig in Not geraten, daß er tagelang, im buchstäblichen Sinne des Wortes, Hunger litt und obdachlos war. Er mußte im Asyl für Obdachlose oder auf einer Bank des Berliner Tiergartens nächtigen. In dieser großen Not verkaufte er eigene Bilder und Zeichnungen unter der Versicherung, daß sie von seinem verstorbenen Vater herrühren, an Kunsthändler. Der junge Künstler veranschaulichte, als er vor seinen Richtern stand, ein Bild des Jammers und des Elends. Es war für jeden Menschenfreund tief betrübend, als der junge Mann mit tränenerstickter Stimme erzählte, wie er in der Hauptstadt des Deutschen Reiches fast verhungert wäre und froh war, daß er des Abends in den „gastlichen“ Räumen des Asyls für Obdachlose Aufnahme fand und ein Stückchen Brot zu essen bekam. Erbittert und enttäuscht durch Mißerfolge mit eigenen Werken, sei ihm der Gedanke gekommen, die Unwissenheit der Kunsthändler, die die Künstler „aussaugen“, an den Pranger zu stellen und zu zeigen, daß diese nur den Namen bezahlen und die Güte der Bilder gar nicht berücksichtigen. Er habe zeigen wollen, daß er jedem Kunsthändler ohne Mühe Bilder, die jeder Sachverständige sofort als Fälschungen hätte erkennen müssen, anschmieren und sich teuer bezahlen lassen könne. Als er in München bei einem Bilderhändler ein von ihm an einen Frankfurter Kunsthändler verkauftes Bild entdeckte, habe er den Kunsthändler gebeten, das Bild zurückzuziehen, und habe ihm auch gesagt, daß die nach Frankfurt verkauften Bilder Fälschungen seien. Die Kunsthändler seien in ihrem Vermögen überhaupt nicht geschädigt worden, da seine eigenen Bilder den Kaufpreis wert seien. Er habe auch annehmen dürfen, daß er imstande gewesen wäre, seinen Gläubigern das Geld zurückzuzahlen. – Als Sachverständiger bekundete Prof. Justi, Direktor der Nationalgalerie, daß es sich um ziemlich krasse Fälschungen handele, daß aber die Preise, die für angeblich echte Segantinis gezahlt wurden, nicht gerade hoch seien. Hätten die Kunsthändler gewußt, daß es sich um Bilder Mario Segantinis handelte, so hätten sie sich sicher nicht zum Ankauf verstanden. Dessen Bilder hätten in Deutschland wenig objektiven Wert. – Ähnlich äußerte sich der Sachverständige, Kunstkritiker Fritz Stahl, der der Meinung war, daß die Fälschungen unschwer als solche hätten erkannt werden können. – Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt ein Jahr Gefängnis, unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft. – Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten zu neun Monaten Gefängnis, unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft. Der Angeklagte erklärte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er sich bei dem Urteil beruhigen wolle. – Am 30. April 1901 enthielt die im Scherlschen Verlage in Berlin erscheinende Zeitschrift: „Der Tag“ einen Artikel mit der Überschrift: „Die Venetianische Ausstellung von Richard Muther.“ In diesem hieß es u. a.: „Im deutschen Saal – soweit von einem solchen zu reden ist – weilt man zunächst vor der Wand, die Böcklin die letzten Ehren erweist. Carlo Böcklin hat ein Porträt seines Vaters gemalt, das ihn darstellt als Erdgeist in stilisiertem Mantel vor einer stilisierten Mauer, über der stilisierte Zypressen in den gewitterschwarzen Abendhimmel ragen. Das Bild ist ein Vatermord, eine Schändung des eigenen Namens. Und ich habe den Verdacht, daß Carlo auch die meisten anderen Bilder der venetianischen Ausstellung fabrizierte. Ein sehr wertvolles, gutes Waldbild, ein frühes Selbstporträt, das Porträt Clara Bruckmanns, eine Skizze zum Krieg und eine pompejanische Frauengestalt sind natürlich über jeden Zweifel erhaben. Aber andere Sachen, wie der Polyphem, die Vision und die Meeresidylle, sind so kleinlich und theatermäßig, so sehr mit Hendrich verwandt und an Benlliures „Vision im Kolosseum“ anklingend, daß man die Autorschaft des Meisters nur aus tiefstem Herzen bedauern könnte. Böcklin ist zu Lebzeiten derart von der Menge verhöhnt und von den Kunsthändlern übervorteilt worden, daß es als natürliche Rache erscheint, wenn die Familie nachträglich Gleiches mit Gleichem vergilt. Sie hielt den Nachlaß geheim. Auf allen Ausstellungen der nächsten Jahre werden nachgelassene Böcklins auftauchen. Aber allzu pietätlos sollte Carlo nicht sein. Das strahlende Bild des Großen darf durch die Fabrica nicht getrübt werden.“ Dieses Artikels wegen strengte Carlo Böcklin gegen Professor Dr. Richard Muther, damals Professor für Kunstgeschichte in Breslau, auf Grund der §§ 186 und 200 des Strafgesetzbuchs Privatklage an. Auf Antrag von Carlo Böcklin hatte das Breslauer Schöffengericht beschlossen: den Wahrheitsbeweis auf die venetianischen Bilder zu beschränken und den Antrag des Professors Dr. Muther, ihm den Nachweis zu gestatten, daß Carlo Böcklin noch bezüglich anderer Bilder seine Werke als die seines Vaters ausgegeben habe, abgelehnt. Über einen Fall, der in Frankfurt a. M. passierte, war jedoch Beweis erhoben und festgestellt worden: Carlo Böcklin habe der Kunsthandlung Hermes & Co. ein Gemälde: „Der heilige Hain“ für 15 000 Franks als echten Böcklin verkauft. Dieses Gemälde wurde von dem Frankfurter Bankier Haymann für 39 500 Mark erworben. Hermes & Co. bescheinigten auf der Rechnung: „Wir übernehmen die Garantie für die Authentizität des Bildes, das von der Hand des Professors Dr. Arnold Böcklin stammt.“ Später lieferten Hermes & Co. noch eine Photographie des Bildes, auf deren Rückseite folgender Vermerk stand: „Ich bescheinige hiermit, daß das durch umstehende Photographie wiedergegebene Originalgemälde ausschließlich von der Hand meines Vaters, Prof. Dr. Arnold Böcklin, stammt. Gez.: Carlo Böcklin.“ Kurze Zeit nach dem Kaufabschluß kamen Herrn Haymann Bedenken bezüglich der Echtheit des Bildes. Professor Dr. Heinrich Wölfflin (Berlin), Maler Sandreuter, ein Schüler Böcklins, Laroche-Ringwald, der Direktor der National-Galerie, Prof. Hermann v. Tschudi (Berlin), der Direktor der „Kunsthalle“, Professor Lichtwark (Hamburg), Professor Dr. Heinrich Alfred Schmidt (Basel) und Professor Henry Thode in Heidelberg begutachteten übereinstimmend, daß das Bild nicht echt sei. Professor Wölfflin begutachtete: Das Bild sei stellenweise roh und dann wieder ängstlich. Professor Lichtwark meinte: Es sei möglich, daß Arnold Böcklin einzelnes gemalt habe, jedenfalls würde er das Gemälde, wenn es dem Museum zum Geschenk gemacht würde, nicht als echten Böcklin aufhängen. Haymann verlangte darauf von Hermes & Co. die Zurücknahme des Bildes. Da diese sich weigerten, drohte ihnen Haymann mit Klage. Hermes & Co. ersuchten um eine vierzehntägige Frist. Sie wollten innerhalb dieser Zeit den Beweis erbringen, daß das Gemälde ein echter Böcklin sei. Carlo Böcklin erklärte sich zunächst bereit, zu beschwören, daß das Bild von seinem Vater gemalt sei. Als er jedoch schwören sollte, lehnte er den Eid ab mit dem Bemerken, er müsse zugeben, daß er an der Herstellung des Bildes mittätig gewesen sei. Darauf nahmen Hermes & Co. das Bild zurück und zahlten an Haymann den Kaufpreis wieder heraus. – Am 26. September 1903 kam nun die Beleidigungsklage vor der fünfunddreißigsten Abteilung des Schöffengerichts am Amtsgericht Breslau zur Verhandlung. Den Gerichtshof bildeten: Amtsgerichtsrat Domanski (Vorsitzender), Kaufmann August Tietze und Architekt Heinrich Benedict (Schöffen), Vertreter des in Florenz lebenden Privatklägers Carlo Böcklin war Rechtsanwalt Dr. Jaffé (Breslau), Verteidiger des Angeklagten, Professors Dr. Muther (Breslau), Justizrat Max Bernstein (München). Von den Parteien war nur der Privatangeklagte, Professor Dr. Muther, erschienen. Vor Beginn der Verhandlung stellte der Vorsitzende an Professor Muther die Frage, ob eine Einigung möglich sei. Prof. Dr. Muther: Es käme auf die Modalitäten an, ich glaube aber nicht an die Möglichkeit einer Einigung, denn ich könnte eine Erklärung, wie sie Carlo Böcklin von mir gefordert hat, niemals abgeben. – Vors.: Sie halten an Ihrer früheren Erklärung fest? – Prof. Dr. Muther: Ich möchte eine solche Erklärung auch heute nicht mehr abgeben. – R.-A. Dr. Jaffé: Ich habe kein Interesse an der Einigung, nach der soeben abgegebenen Erklärung des Herrn Privatangeklagten halte ich aber eine Einigung für aussichtslos. – Es wurde darauf in die Verhandlung eingetreten. – Prof. Dr. Muther äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich habe zurzeit in Gesellschaft mit Dr. Haberfeldt und einigen italienischen Künstlern die Venetianische Kunstausstellung besucht. Am ersten Tage meines Besuches standen die Böcklinschen Bilder noch an der Wand. Am folgenden Tage waren sie aufgehangen. Die Bilder zeigten schon von weitem das Monogramm „A. B.“ mit auffallend großen Lettern. Das Ganze machte einen solch marktschreierischen Eindruck, daß ich sofort sagte: Eine solche marktschreierische Art war niemals eine Gepflogenheit Arnold Böcklins. Ich sah mir die Bilder an und fand sie für so schlecht, daß ich sofort äußerte, es ist unmöglich, daß die Bilder von der Hand Arnold Böcklins seien. Ich habe dieser meiner Überzeugung auch sogleich Ausdruck gegeben und es für meine Pflicht gehalten, dies zu veröffentlichen. – Vors.: Sie hatten einmal die Erklärung abgegeben, daß Sie die Bilder für echt halten, weshalb ist trotzdem die Einigung nicht zustande gekommen? – Prof. Dr. Muther: Nachdem Carlo Böcklin mir auf Ehrenwort versichert hatte, daß die Bilder von der Hand seines Vaters gemalt seien, habe ich erklärt: Da ich Carlo Böcklin für einen Gentleman halte, so will ich ihm das glauben. Carlo Böcklin verlangte aber, ich solle erklären, ich habe mich von der Unrichtigkeit meiner Behauptung überzeugt. Eine solche Erklärung kann ich jedoch nicht abgeben. – Vors.: Sie halten nicht alle Gemälde für unecht? – Prof. Dr. Muther: Nein, ich halte nur fünf, bestimmt aber den „Polyphem“, die „Vision“ und die „Meeresidylle“ für unecht. Ich bin überzeugt, wenn mir diese heute vorgelegt würden, dann müßte ich sie auch jetzt noch für unecht erklären. – R.-A. Dr. Jaffé: Es ist nicht richtig, daß die Einigung gescheitert ist, weil Carlo Böcklin von dem Herrn Privatangeklagten die Erklärung verlangte: Er habe sich von der Echtheit der Bilder überzeugt. – Vors.: Wieviel Böcklinsche Bilder waren auf der Venetianischen Ausstellung aufgehängt? – Prof. Dr. Muther: Ich habe elf gesehen, laut Katalog waren es zwölf. – Es wurden alsdann die Aussagen der kommissarisch vernommenen Zeugen verlesen. Der Direktor der Nationalgalerie, Professor v. Tschudi (Berlin), hatte bekundet: Er habe schon 1894 bei Arnold Böcklin die „Jagd der Diana“ und die drei Supraporten gesehen. Auf der Venetianischen Ausstellung sei er nicht gewesen. – Kunstmaler Röbbecke (Berlin): Er habe 1897 die drei Supraporten bei Arnold Böcklin gesehen und darüber mit dem Meister gesprochen. Die Ausstellung in Venedig habe er nicht gesehen. – Der Redakteur der „Zeit“, Dr. Haberfeldt (Wien), hatte bekundet: Er habe in Gemeinschaft mit Dr. Muther die Venetianische Ausstellung besucht. Ihm seien die riesengroßen Monogramme der Böcklinschen Ausstellung aufgefallen. Die Bilder machten zumeist einen so schlechten Eindruck, daß er sie auch für unecht halte. Er sei der Meinung, Professor Muther habe sich durch seinen Artikel im „Tag“ ein Verdienst um die Kunst erworben. – Kunstmaler Müller-Coburg (Florenz) hatte bekundet: Er habe die „Jagd der Diana“ und den „Polyphem“ zu einer Zeit bei Arnold Böcklin gesehen, als Carlo noch gar nicht Maler war. Diese Bilder können auch nur von der Hand eines Meisters herrühren. – Frau Müller-Coburg hatte sich der Bekundung ihres Gatten angeschlossen. – Kunstmaler Professor Firle (München) hat bekundet: Er habe die Venetianische Ausstellung gesehen. Die Böcklinschen Bilder haben einen solch minderwertigen Eindruck gemacht, daß der Verdacht der Unechtheit sehr begreiflich erscheint. Man müsse um so mehr zu dieser Ansicht kommen, da Carlo Böcklin schließlich zugeben mußte, bei dem „heiligen Hain“ insofern eine Fälschung begangen zu haben, indem er das Bild als echten Böcklin an Hermes & Co. in Frankfurt a. M. verkauft hatte, und schließlich eingestand, das Bild war kein Böcklin, er sei bei der Herstellung mit tätig gewesen. – Maler Landsinger (München) hatte ausgesagt: Er habe die drei Supraporten in der Böcklinschen Villa gesehen, sie waren zweifellos echt, die Venetianische Ausstellung habe er nicht gesehen. – Der Redakteur der „Kunst für Alle“, Kunstmaler Professor Schwartz (München), bekundete: Die drei Supraporten habe er in der Villa des Arnold Böcklin gesehen. Bezüglich des „Schweigens im Walde“, des „heiligen Hain“ und des „Spiels der Wellen“ sei er allerdings stutzig geworden. Carlo Böcklin habe ja auch bezüglich des „heiligen Hain“ zugegeben, daß er dabei mitgearbeitet habe. Daß damit eine Fälschung beabsichtigt war, gehe schon aus dem Umstande hervor, daß das Bild von Carlo Böcklin für 15 000 Franks an Hermes & Co. verkauft und von Hermes & Co. für 39 500 Mark weiter verkauft worden sei. Eine Frau Rieß in München habe dem Carlo Böcklin einen Münchener Kunsthändler als russischen Grafen oder Fürsten vorgestellt. Dieser habe zwei Bilder gekauft, an denen Carlo Böcklin mitgearbeitet habe. Ihm (Zeugen) seien fünf Bilder bekannt, an denen Carlo Böcklin mitgearbeitet habe. – Kunstmaler Knoppf (München) hatte bekundet: Er habe in der Familie des alten Böcklin verkehrt und könne nur sagen, daß die von Professor Muther als unecht bezeichneten Bilder schon 1895 von Arnold Böcklin gemalt worden seien, also zu einer Zeit, als Carlo Böcklin noch Architekt in Berlin war. Der Meister habe niemals einer Hilfe bedurft, erst in der letzten Zeit seines Lebens habe Arnold Böcklin belanglose Handlangerdienste in Anspruch genommen. Arnold Böcklin habe erst 1896 das Verlangen gestellt, Carlo solle seinen bisherigen Beruf aufgeben und nach Florenz kommen. Carlo sei zunächst Sekretär seines Vaters gewesen und alsdann vom Vater als Maler ausgebildet worden. – Kunstmaler Professor Eduard Grützner (München) hatte bekundet: Er sei in Venedig gewesen. Er halte es für sehr begreiflich, wenn der Verdacht der Unechtheit entstanden sei. Wenn wirklich Arnold Böcklin die Bilder gemalt habe, dann müsse er sich zurzeit schon in einer Art geistigen Niederganges befunden haben. Die ganze Ausstellung machte den Eindruck einer Pietätlosigkeit für den großen Meister. Die riesengroßen Monogramme haben allgemeines Ärgernis erregt. – v. d. Mühl (Basel) hatte vor einigen Jahren die „Jagd der Diana“ von Arnold Böcklin gekauft, an der Echtheit des Bildes habe er niemals gezweifelt. – Die Beweisaufnahme war alsdann beendet. – Der Vertreter des Privatklägers, R.-A. Dr. Jaffé, führte aus: Der Beweis, daß Carlo Böcklin gefälscht und betrogen habe, sei in keiner Weise erbracht worden. Es sei von keinem Zeugen bekundet worden, die Bilder seien gefälscht. Es seien bloß Urteile abgegeben worden. Dagegen sei von einer Anzahl Zeugen ausdrücklich bekundet worden, sie haben als unecht bezeichnete Bilder zu einer Zeit in dem Böcklinschen Atelier gesehen, als Carlo Böcklin noch nicht den Pinsel führen konnte. Daß der inkriminierte Artikel eine schwere Beleidigung für Carlo Böcklin enthalte, bedürfe nicht weiterer Ausführung. Er beantrage, den Privatangeklagten auf Grund der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches zu bestrafen. – Verteidiger Justizrat Bernstein (München): Hoher Gerichtshof! Wie auch Ihr Urteil ausfallen möge, fest steht, daß der moralisch Verurteilte in diesem Prozeß Carlo Böcklin ist. Leider ist der Wahrheitsbeweis auf die Venetianische Ausstellung beschränkt worden. Aber es ist doch über den Fall Hermes Beweis erhoben und festgestellt worden, daß Carlo Böcklin eingestanden hat, er habe eine Fälschung und einen Betrug begangen. Carlo Böcklin verkaufte an Hermes & Co. den „heiligen Hain“ für 15 000 Franks und bescheinigte, das Gemälde sei ein echter Böcklin, es sei ausschließlich von der Hand seines Vaters gemalt. Carlo Böcklin wußte, daß er einen Betrug beging. Er wußte ebensogut, wie die Kunsthändler Hermes & Co. in Frankfurt a. M., daß für 15 000 Franks ein echter Böcklin nicht zu haben sei. Dafür spricht ja schon der Umstand, daß Hermes & Co. das Gemälde für 39 500 Mark weiter verkauft haben. Carlo Böcklin, in die Enge getrieben, wollte zunächst beeiden, daß das Gemälde ausschließlich von der Hand seines Vaters sei. Als er aber den Eid leisten sollte, da lehnte er ihn ab und bequemte sich zu dem Geständnis, er sei allerdings bei der Herstellung des Gemäldes mit tätig gewesen. Hoher Gerichtshof! Ein Mann, der offen zugibt, daß er eine Fälschung und einen Betrug begangen habe, der ist moralisch gerichtet, und von dem kann man auch annehmen, daß er auch noch andere Fälschungen begangen hat. Auf der einen Seite steht ein Mann, der in der Gelehrtenwelt einen großen Namen hat, und der über einen Künstler von Weltruf seine schützende Hand gebreitet hat, damit sein Name nicht weiter geschändet werde, und auf der anderen Seite steht ein Mann, der allerdings den Namen Böcklin trägt, im übrigen aber lediglich imstande ist, mit einem Pinsel irgendeine Sudelei auf die Leinwand zu werfen. Aber abgesehen von dem Fall Hermes, so ist doch die Aussage des Professors Schwartz, dem fünf Bilder bekannt sind, an deren Herstellung Carlo Böcklin mit tätig gewesen ist, geradezu vernichtend. Ich will ohne weiteres zugeben, daß Neunzehntel der Bilder, die in der Venetianischen Ausstellung aufgehängt waren, von der Hand des Meisters waren. Aber Arnold Böcklin hat, wie jeder Künstler, auch Bilder gemalt, die nicht gelungen und deshalb für die Öffentlichkeit nicht bestimmt waren. Dadurch, daß Carlo Böcklin des Geldes halber diese nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bilder ausgestellt, hat er das Andenken seines Vaters beschmutzt. Arnold Böcklin war eine echte Künstlernatur, der lieber hungerte, als daß er dem Geschmack der Menge Rechnung trug. Dadurch, daß Carlo Böcklin Werke seines Vaters, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, des Gelderwerbes halber ausgestellt, hat er gezeigt, daß er nur physisch mit seinem Vater verwandt war, nicht aber geistig und seelisch. Ja, durch den Umstand, daß Carlo Böcklin die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bilder seines Vaters von Ausstellung zu Ausstellung schickte, hat er bewiesen, daß er kein Böcklin ist, er ist nur ein Carlo. Herr Professor Dr. Muther mußte annehmen, daß auch ein Teil der venetianischen Bilder gefälscht waren. Er hatte daher ein Recht, ja eine Pflicht, seine schützende Hand über das Bild des Strahlenden zu halten. Er wollte, daß das Andenken Böcklins dem deutschen Volke, ja der ganzen Welt unverfälscht erhalten bleibe. Wenn Hunderttausende die Venetianische Ausstellung besuchen, so zahlen sie das Eintrittsgeld, weil sie erhoffen, an den Böcklinschen Bildern einen Kunstgenuß zu erhalten. Dieser Kunstgenuß ist dem Publikum schon durch die großen marktschreierischen Monogramme verleidet worden. Herr Professor Dr. Muther hat einmal im Interesse des die Kunstausstellung besuchenden und kaufenden Publikums gehandelt, in der Hauptsache war es ihm aber darum zu tun, den Namen Böcklin nicht verdunkeln zu lassen. Er hielt sich für verpflichtet, der Welt mitzuteilen, daß von Arnold Böcklin Bilder an die Öffentlichkeit kommen, die entweder nicht von ihm, oder nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Professor Muther hat daher in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Daß der Artikel temperamentvoll geschrieben ist, gebe ich zu. Professor Muther, der vom Staate angestellt ist, um die akademische Jugend Kunstgeschichte zu lehren, hat die Pflicht, darüber zu wachen, daß die Kunstgeschichte nicht gefälscht wird. Wenn ein solcher Mann seine schützende Hand über das Strahlende hält, wie es in dem vorliegenden Falle geschehen ist, dann kann er nicht anders als temperamentvoll schreiben. Professor Muther muß aber auch schon deshalb freigesprochen werden, da er jedenfalls nicht die Absicht der Beleidigung hatte. Carlo Böcklin ist Herrn Professor Muther vollständig gleichgültig, ein Stück Luft. Carlo Böcklin ist ein ganz einfacher Maler, der nichts versteht. Wenn Professor Muther jeden Maler, der nichts kann, beleidigen wollte, dann käme der Herr Angeklagte nicht aus dem Gerichtssaale heraus. Laut Reichsgerichtsentscheidung steht aber dem Angeklagten schon der § 193 des Strafgesetzbuches zur Seite, wenn er nur glaubt, in Wahrnehmung berechtigter Interessen zu handeln. Daß Professor Muther diesen Glauben gehabt hat, muß doch auf alle Fälle angenommen werden. Die Freisprechung des Angeklagten muß daher aus juristischen Gründen erfolgen. Mag aber Ihr Urteil ausfallen, wie es wolle: Herr Professor Muther geht aus dem Prozeß als glänzender Sieger hervor. Er hat jedenfalls das Bewußtsein, der Welt, speziell der Kunst, einen großen Dienst geleistet zu haben. – Vertreter des Privatklägers, R.-A. Dr. Jaffé: Ich bin selbstverständlich nicht imstande, auf alle Einzelheiten einzugehen, die der Herr Verteidiger vorgebracht hat. Jedenfalls hat der Herr Kollege eine Reihe unerwiesener Behauptungen hier angeführt. Soviel steht fest, die venetianischen Bilder sind echt, zum mindesten ist deren Unechtheit nicht nachgewiesen. Die ausgestellten Bilder sind doch nur als „Böcklinscher Nachlaß“ bezeichnet worden. Daß Carlo Böcklin den Wahrheitsbeweis nur auf die Venetianische Ausstellung beschränkt haben wollte, kann man ihm nicht verdenken. Im übrigen ist von der ganzen Beweisaufnahme nur der Fall Hermes übriggeblieben. In diesem Falle ist aber Carlo Böcklin weder eine Fälschung noch ein Betrug nachgewiesen worden. Auch hat Professor Muther diesen Fall noch nicht gekannt, als er den inkriminierten Artikel schrieb. Im übrigen hat Herr Professor Muther die „Jagd der Diana“ später als echt anerkannt. Ich bestreite, daß Professor Muther sein Temperament zugute kommen kann. Ein Mann mit dem wissenschaftlichen Ruf eines Professors Muther hatte jedenfalls die Verpflichtung, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß seine Behauptungen wahr seien, ehe er einen solchen Artikel schrieb. Aus dem Artikel geht zweifellos hervor, daß der Angeklagte die Absicht der Beleidigung hatte. Ich wiederhole daher meinen vorhin gestellten Antrag. – Verteidiger, Justizrat Bernstein: Der Herr Vertreter des Privatklägers ist doch im Irrtum, wenn er sagt, in dem Hermesschen Falle trifft Carlo Böcklin keine Schuld. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil den unumstößlichen Beweis erbracht, daß Carlo Böcklin sich in diesem Falle in bewußter Weise der Fälschung und des Betruges schuldig gemacht hat. Im übrigen ist doch entscheidend, daß Professor Schwartz, ein Freund der Familie Böcklin, eidlich bekundet hat, es seien ihm fünf Bilder bekannt, an denen Carlo mit tätig gewesen ist. Dies ist doch das tatsächlich Entscheidende für den Prozeß. – Es nahm darauf das Wort der Privatangeklagte, Professor Dr. Muther. Er erklärte mit tiefbewegter Stimme: Ich habe bereits als junger Münchener Student, im Verein mit Gurlitt und Lichtwark, Arnold Böcklin als einen der größten Meister der Malkunst hoch verehrt. Ich wollte, daß ihm der Platz in der Kunstgeschichte angewiesen und erhalten bleibt, der ihm gebührt. Um so mehr betrübte es mich, als die Kunde zu uns drang, der Meister, von dem bekannt war, daß er lieber darbe, als dem Geschmack der Menge Rechnung trage, sei nun plötzlich auch Produzent geworden, um viel verkaufen zu können. Sehr bald verbreitete sich die Kunde, daß der Alte keineswegs alles produziere, sein Sohn Carlo sei nicht mehr Sekretär, sondern sein Mitarbeiter. Als ich am 17. Januar 1901 die Nachricht von dem Tode Böcklins erhielt, geriet ich in tiefste Erregung. Ich habe dieser meiner Seelenstimmung in einer an demselben Abend gehaltenen Gedenkrede Ausdruck verliehen. Um so mehr war ich empört, als ich im März 1901 nach Venedig kam und dort Sudeleien sah, die als echte Böcklins ausgegeben wurden. Eine förmliche Wut überkam mich. Ich hielt es für meine Pflicht, die Schmach, die nach meiner festen Überzeugung dem Altmeister angetan war, zu beseitigen und sein Bild der Kunstgeschichte rein zu erhalten. Deshalb habe ich den inkriminierten Artikel geschrieben. Es ist ja schwer, mit mathematischer Gewißheit den Beweis zu führen, daß ein Bild gefälscht sei. In diesem Falle ist aber mein Verdacht wenigstens bezüglich des „Polyphem“, der „Vision“ und der „Meeresidylle“ vollständig bestätigt worden. Es ist auch nachgewiesen worden, daß man Bilder als von der Hand des Meisters gemalt ausstellte, die von diesem gar nicht mehr hergestellt sein konnten. Ich wollte, daß Arnold als einer der größten Künstler und als hervorragender Mensch für alle Zeiten in der Geschichte fortlebt. Ich sah aber, daß man in der Familie Böcklin daran geht, den Namen des großen Meisters zu verunglimpfen. Deshalb fühlte ich mich genötigt, den Artikel, wie geschehen, zu schreiben. Ich bin kein Jurist. Wenn ich in der Form gefehlt haben sollte, so muß ich die Strafe auf mich nehmen. Wie Ihr Urteil auch ausfallen möge, ich habe jedenfalls das Bewußtsein, der Kunst einen großen Dienst geleistet zu haben. Eine beleidigende Absicht hat mir fern gelegen. Allein ich mußte Carlo beleidigen, um Arnold zu schützen. – Nach etwa halbstündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Amtsgerichtsrat Domanski, folgendes Urteil: Der Privatangeklagte, Professor Dr. Muther, hat zugegeben, den inkriminierten Artikel in der illustrierten Zeitschrift „Der Tag“ verfaßt und seine Veröffentlichung bewirkt zu haben. In diesem Artikel wird dem Privatkläger, Carlo Böcklin, der Vorwurf der Fälschung und des Betrugs gemacht. Er wird beschuldigt, Bilder als von der Hand seines Vaters gemalt, ausgestellt und verkauft zu haben, obwohl sein Vater entweder gar nicht oder nur durch Anfertigung einer Skizze an der Herstellung dieser Bilder beteiligt war. Es ist weiter behauptet worden: der Privatkläger betreibe des Geldes halber Massenproduktion und gebe diese Bilder als Werke seines Vaters aus. Es ist dem Privatkläger ferner Vatermord vorgeworfen und gesagt worden, daß er den Namen seines Vaters schände. Daß dies schwere Beleidigungen sind, kann keinem Zweifel unterliegen. Die bona fides (gute Glaube) soll dem Angeklagten von vornherein zugestanden werden. Allein, da die Anklage nicht auf Grund des § 187, sondern des § 186 des Strafgesetzbuches erhoben ist, so kommt dies hierbei nicht in Betracht. Der Gerichtshof hat den Wahrheitsbeweis auf die Behauptungen des Angeklagten, d. h. auf die Venetianische Ausstellung beschränkt. Der Gerichtshof ist nun auf Grund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis vollständig mißglückt ist. Die Zeugen von Tschudi, Röbbecke, Landsinger, Knoppf und Müller-Coburg haben die fünf bis sechs Bilder, deren Echtheit angezweifelt war, im Atelier des Arnold Böcklin gesehen zu einer Zeit, als Carlo noch gar nicht Maler war. Diese Bekundungen sind von den anderen Zeugen, die sich im übrigen nur gutachtlich geäußert haben, nicht widerlegt worden. Von dem Falle Hermes hat der Privatangeklagte erst Kenntnis erhalten, nachdem er seinen Artikel veröffentlicht hatte. Dieser Vorgang, der sich der Prüfung des Gerichts entzieht, kann daher dem Angeklagten nicht zugute kommen. Der Gerichtshof gesteht dem Angeklagten rückhaltlos das Recht zu, das Andenken des großen Künstlers Arnold Böcklin nicht beflecken zu lassen. Wenn der Angeklagte dies tun wollte, dann durfte er sich aber nicht auf bloße Behauptungen beschränken, sondern mußte sie wissenschaftlich begründen. Der Angeklagte hat jedoch auch leichtfertig gehandelt, indem er einen so schwerwiegenden Verdacht aussprach, ohne ihn beweisen zu können. Der Angeklagte wäre verpflichtet gewesen, sich, ehe er den Artikel schrieb, volle Gewißheit von der Richtigkeit seiner Behauptungen zu verschaffen. Wollte er sich nicht an Carlo Böcklin wenden, dann hätte er bei den Freunden des Arnold Böcklin sich erkundigen können. Da dies der Angeklagte unterlassen hat, so steht ihm der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches nicht zur Seite. Aus der Form des Artikels geht auch die Absicht der Beleidigung hervor. Der Angeklagte ist daher im Sinne der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches zu bestrafen. Mit Rücksicht auf die Persönlichkeit und die Stellung des Angeklagten ist von einer Freiheitsstrafe Abstand genommen worden. Allein angesichts der Schwere der Beleidigung, sowie in Berücksichtigung der günstigen Vermögenslage des Angeklagten konnte die Geldstrafe keine geringe sein. In Berücksichtigung aller dieser Umstände hat der Gerichtshof auf eine Geldstrafe von 300 Mark, eventuell 30 Tagen Gefängnis, sowie auf Unbrauchbarmachung des inkriminierten Artikels und auf Publikationsbefugnis für den Privatkläger auf Kosten des Angeklagten im „Tag“, der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ und in der in Wien erscheinenden „Zeit“ erkannt. Dem Angeklagten sind außerdem die Kosten des Verfahrens auferlegt worden.