Ein Justinus Kerner-Jubiläum

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Titel: Ein Justinus Kerner-Jubiläum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 683
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[683] Ein Justinus Kerner-Jubiläum soll am 18. September auf der Weibertreu bei Weinsberg gefeiert werden. Justinus Kerner ist zwar keine Großmacht der deutschen Litteratur: aber der liebenswürdige schwäbische Sänger hat doch einige Gedichte hinterlassen, welche zum Hausschatze unserer Poesie gehören und im Gedächtniß der Nation Dauer finden werden – und wie viel bleibt zuletzt auch von den Erzeugnissen berühmterer Poeten übrig, wenn Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte darüber hinweggezogen sind! Ein einziges Gedicht, ein einziges Werk genügt für spätere Zeiten, um den Namen eines Dichters nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Doch Justinus Kerner war außerdem eine Persönlichkeit, mit der sich die Zeitgenossen angelegentlich beschäftigten; er war nicht bloß ein stiller Liedersänger, der mit einzelnen seiner Gedichte ein Echo in weitesten Kreisen erweckte: er war durch die merkwürdige Mischung liebenswürdiger Jovialität und treuherziger Gemüthlichkeit mit einer den Nachtseiten des Seelenlebens zugewendeten Forschung und seinem unerschütterlichen Glauben an die magischen Erscheinungen der Geisterwelt eines jener Originale, wie sie kaum eine andere Litteratur aufzuweisen hat. Varnhagen von Ense und David Strauß, dieser Apostel einer entgegengesetzten Weltanschauung, haben ihm warme Gedenkblätter gewidmet; Karl Immermann dagegen verspottete ihn in seinem „Münchhausen“. Es kam darauf an, in welche Beleuchtung sein Bild gerückt wurde: der Liedersänger Kerner fand warme Sympathie, der Spiritist Justinus Kerner verfiel dem Verdammungsurtheil, welches über die Gesinnungsgenossen gefällt wurde, die freilich zum Theil aus ihrem Spiritismus ein Handwerk gemacht haben.

Justinus Kerner war am 16. September 1786 in Ludwigsburg in Württemberg geboren, studirte Medicin, nachdem er längere Zeit in einer Tuchfabrik als Lehrling beschäftigt gewesen, ohne den Tuchsäcken und Indigofässern Geschmack abgewinnen zu können.

Im Jahre 1804 verließ er die Universität Tübingen, wurde 1811 Badearzt in Wildbad und, nachdem er noch mehrmals den Ort seiner medicinischen Praxis gewechselt, 1819 Oberamtsarzt in Weinsberg. Hier gründete er sich ein dauerndes Heim am Fuße der Weibertreu, deren Trümmer durch ihn vom Schutt gereinigt wurden und für deren Restauration er nach Kräften Sorge trug.

Das Dichterhaus in Weinsberg wurde ein gastliches Asyl für wandernde Schriftsteller jeder Art und besonders für jüngere Talente, die des Weges zogen. Im Jahre 1851 legte Kerner, fast ganz erblindet, sein Amt nieder und lebte dann bis zu seinem Tode am 21. Februar 1862 in Weinsberg.

Justinus Kerner ist mit Ludwig Uhland der älteste Veteran der schwäbischen Dichterschule. In Gemeinschaft mit Uhland und Schwab gab er 1812 den „Poetischen Almanach“ und 1813 den „Deutschen Dichterwald“ heraus. Seine eigenen Gedichte erschienen zuerst gesammelt im Jahre 1826, neuere Sammlungen „Der letzte Blüthenstrauß“ 1858 und „Winterblüthen“ 1859. Seine erste Schrift: „Die Reiseschatten von dem Schattenspieler Lux“ (1811) gehörte ganz der romantischen Schule an; dies gilt auch von mehreren seiner Gedichte, wie „Spindelmann’s Recension einer Gegend“, worin er im Stile Ludwig Tieck’s die nüchterne prosaische Weltauffassung geißelt. Andere Gedichte sind von frischer, jugendlicher Heiterkeit beseelt und mit Recht volksthümlich geworden, wie das Lied: „Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein!“ Einen düsteren gespenstigen Zug tragen oft seine Balladen zur Schau, wie „die vier wahnsinnigen Brüder“ und „Graf Albertus von Kalni“.

Welch ein wunderlicher Heiliger Kerner in der That gewesen, das beweisen seine Schriften über „die Seherin von Prevorst“, der er ja in Weinsberg ein Asyl begründet hatte, um ihre merkwürdigen Enthüllungen registriren zu können. Auch über die dämonischen Erscheinungen, die sich bei einzelnen „Besessenen“ zeigten, machte er Studien und gab Schriften heraus; bisweilen beschäftigte ihn auch eine Spukgeschichte gewöhnlicher Art, wie diejenige, die sich im Amtsgefängniß von Weinsberg abspielte, und von der natürlich „die Glasköpfe“, wie er in seinem jovialen Humor die Männer der nüchternen Aufklärung nannte, nichts wissen wollten.

Wir machen bei diesem Anlaß auf die Schrift: „Justinus Kerner und das Kerner-Haus zu Weinsberg“ von Aimé Reinhard aufmerksam (Tübingen, Osiander), welche einen Lebensabriß des Dichters, mit zahlreichen Anekdoten ausgestattet, enthält und durchweg den Ton warmer Pietät gegen den wackern schwäbischen Sänger athmet, der, trotz seiner Schrullen, sich auf dem deutschen Parnaß behaupten wird. †