Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Giftmordproceß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 423–424
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[423] Ein Giftmordproceß. Dem palmer’schen Giftmordproceß reiht sich neuerdings ein ähnlicher Fall in Frankreich an, welcher vor dem Assisenhofe des Seinedepartements verhandelt wurde und durch die persönliche Lage der beiden Angeklagten, sowie durch die nahe Verwandtschaft derselben mit ihren Opfern großes Interesse erweckte. Wir entnehmen zunächst der Anklageakte Folgendes:

Am 13. Jan. d. J. verspürten der Landmann Belin und dessen Sohn, Darmand Belin, Beide zu Courcelles-sous-Thoix wohnhaft, nach ihrer Mahlzeit alle Spuren einer Vergiftung; doch wurde durch schnelle Hülfe dem Fortschreiten des Uebels gewehrt. Joseph Belin täuschte sich indessen über die Ursachen desselben nicht. Das Stück Schweinefleisch, womit die Suppe, die ihn wie seinen Sohn krank gemacht hatte, gekocht war, hatte ihm einige Tage zuvor seine Schwägerin, Clementine Geoffroy, gegeben. Gegen diese machte er die Anklage anhängig, daß sie ihn und seinen Sohn zu vergiften versucht habe, um ihr Vermögen durch Erbschaft an sich zu bringen und sich so zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse die Mittel zu verschaffen, die ihr bisher gefehlt hatten. Die öffentliche Meinung sprach sich gegen die Angeklagte aus, und die durch die gerichtliche Untersuchung erhobenen Thatsachen gaben bald jenen beschuldigenden Gerüchten den Charakter der Wahrscheinlichkeit. Die Geoffroy räumte ein, ihrem Schwager ein Stück Schweinefleisch gegeben zu haben, und die Experimente, welche man an der mit diesem Fleische gekochten Bouillon vornahm, führten zu dem Resultate, daß dieselbe eine ziemliche Menge Arseniksäure enthielt. Da nichts zu der Annahme berechtigte, daß dieses Gift durch irgend einen Zufall, oder durch eine freiwillige Handlung in das Fleisch gekommrn sei, so ward man in der Ansicht bestärkt, daß es von der Geoffroy hineingethan worden sei. Die Haltung dieser Frau mußte sie vollends compromittiren.

Sie suchte den Verdacht auf Darmand Belin, der doch, wie sein Vater, von der Suppe gegessen und krank davon geworden war, zu lenken, indem sie behauptete, Beide hätten in übelm Einvernehmen mit einander gelebt, weil der Vater in eine Verheirathung des Sohnes nicht habe willigen und demselben keinen Militärvertreter habe verschaffen wollen; eine Behauptung, die nicht blos durch die Proteste der beiden Belin, sondern auch durch die Aussagen von Zeugen, welche die Verhältnisse derselben genau kannten, widerlegt wurde. Auch war die Geoffroy auf die Kunde von dem Erkranken ihrer Verwandten sogleich in deren Haus geeilt, unter dem Vorwande, sie zu pflegen, und hier war eine Nachbarin, die ebenfalls herbeigeeilt war, erstaunt, die Geoffroy einen Schrank öffnen und darin etwas suchen zu sehen. Wie die Nachbarin glaubte, war es der Rest des vergifteten Fleisches, den die Geoffroy beseitigen wollte. Denn auf ihr Fragen schloß die Geoffroy den Schrank zu, ohne eine Antwort zu geben und später stieß sie gegen jene Frau die Drohung aus, daß sie dieselbe beim Gerichte als die Urheberin des Verbrechens anzeigen werde. Endlich sagte der Ehemann der Geoffroy, der als ihr Mitschuldiger angeklagt ist, am Abende vor der Verhaftung seiner Frau zu dieser: „Ich bin ein verlorener Mann; verrathe mich nicht.“

Während so die Voruntersuchung gegen die Eheleute Geoffroy schwere Indicien in Betreff des wider die beiden Belin’s unternommenen Giftmordversuchs [424] herausstellte, enthüllte sie noch eine Reihe anderer Verbrechen, die mit einer Beharrlichkeit und Kaltblütigkeit verübt worden waren, wie sie glücklicherweise nur selten in den Annalen der Kriminaljustiz aufgezeichnet sind. Honoré und Julie Nollent, Vater und Mutter der Geoffroy, und Isalie Belin, geborene Nollent, Schwester der Angeklagten, starben am 4. Jan. 1847, 21. Febr. 1848 und 18. Juli 1851, und zwar, wie die von der Justiz zu Rathe gezogene Wissenschaft bewies, an Gift.

Man erinnerte sich nun im Laufe der Untersuchung, daß Honoré Nollent nach einer nur dreitägigen Krankheit, welche mit Kolik und Erbrechen begonnen, unter den heftigsten Schmerzen verschieden sei. Seine Leiche ward daher ausgegraben und die chemische Analyse des Rumpfs und des Gehirns führte zur Entdeckung von Arseniksäure. Die Angst des damals noch nicht verhafteten Geoffroy, als er vernahm, daß die Leiche seines Schwiegervaters untersucht werden solle, ließ dies Resultat vorhersehen. Er sagte u. A. dem Todtengräber, daß er ihm 50 Francs geben wolle, wenn er den Grund und Boden so umwühlen würde, daß das Gericht das Grab des Nollent nicht finden könne. Auch gestand Geoffroy in der Trunkenheit seiner Mutter sein Verbrechen und behauptete, von seiner Frau dazu veranlaßt worden zu sein.

In der gleichfalls wieder ausgegrabenen Leiche der Ehefrau Nollent fand sich ebenfalls Arsenik vor. Diese war an demselben Tage, wo ihr Mann erkrankte, unwohl geworden, doch hatte ihr Leiden nicht sofort den Tod zur Folge, welcher vielmehr erst, wie oben bemerkt, im Februar des folgenden Jahres stattfand. Die Geoffroy besuchte während der letzten Monate der Krankheit ihrer Mutter diese häufig und reichte ihr mehrmals, wie eine zärtliche Tochter, Arznei, welche von der Frau Nollent indeß stets nur mit Widerstreben genommen wurde. Geoffroy, welcher verpflichtet war, seine Schwiegermutter mit Essen und Trinken zu versehen, schickte ihr ein Faß Obstwein, dessen Geschmack so abscheulich war, daß man nichts davon genießen konnte. Die Symptome, welche die Krankheit der Frau den Joseph Belin zeigte, sind die einer allmäligen Vergiftung, und die chemische Analyse fand in den Ueberresten dieser Frau die augenscheinlichsten Spuren von Arsenik.

Diese verschiedenen Verbrechen konnten kaum jemand Anderem zugeschrieben werden, als den beiden Geoffroy’s. Der Vater Nollent hatte seinen beiden Töchtern, der Geoffroy und der Belin, noch bei seinem Lebzeiten sein Besitzthum abgetreten: jede hatte ein Haus nebst Länderei bekommen; dabei war aber die Geoffroy verpflichtet, ihre Eltern in ihr Haus aufzunehmen und zu verpflegen, und es war zugleich ausgemacht worden, daß, wenn zwischen den Eltern und den Eheleuten Geoffroy Streit entstehen sollte, Letztere auf Verlangen der Erstern das Haus verlassen sollten. Die Eltern waren den Eheleuten Geoffroy zur Last geworden und daher entstand der verbrecherische Vorsatz, sich ihrer durch Gift zu entledigen und in den an keine Bedingung mehr geknüpften Besitz ihres Hauses und ihrer Ländereien sich zu setzen. Nachdem dieser Vorsatz ausgeführt und der gewünschte Vortheil erreicht war, ohne daß Strafe dem Verbrechen gefolgt war, warf die Geoffroy die habgierigen Blicke auch auf die Schwester, welche die Eltern zu gleichen Theilen mitbeerbt hatte. Ein neues Opfer fiel. Aber auch dieses genügte noch nicht: das Erbtheil der Schwester ging auf deren Mann und Sohn über und deshalb wurde der Versuch gemacht, auch diese mit Arsenik aus dem Wege zu schaffen. Die Dosis Gift, welche diesen Beiden beigebracht wurde, war nach Aussage Derer, welche die Sache untersucht hatten, so groß, daß 50 Personen damit hätten umgebracht werden können, und daß die Rettung der Unglücklichen nur als eine Art Wunder betrachtet werden muß.

Vier Monate läugneten die Angeklagten hartnäckig alle Schuld der ihnen zur Last gelegten Verbrechen; endlich aber gestanden sie, der Gewalt der sich häufenden Indicien weichend, ein, die Eheleute Nollent vergiftet und den Versuch gemacht zu haben, die beiden Belin auf gleiche Weise aus dem Wege zu räumen. Die Vergiftung der Ehefrau Belin einzugestehen weigerten sie sich hartnäckig. Aus ihren Aussagen ging hervor, daß zwischen Beiden das Verbrechen verabredet, von Geoffroy der Arsenik – „das weiße Pulver, womit man reich wird“, wie der Angeklagte zu seiner Frau sagte, – gekauft und von der Geoffroy den Opfern beigebracht worden war.

Die Beschuldigten nahmen nun zwar vor den Geschworenen diese ihre früheren Geständnisse zurück, wurden aber gleichwohl „schuldig“ befunden, ihre Eltern vergiftet und den Versuch, die beiden Belin zu tödten, gemacht zu haben. Hinsichtlich der Ehefrau Belin lautete der Spruch auf „nichtschuldig“. Der Gerichtshof verurtheilte die Angeklagten zur Todesstrafe und zwar die Geoffroy, welche ihre eigenen Eltern umgebracht, zu geschärfter Todesstrafe.

Dieser Tage sind die beiden entsetzlichen Giftmischer in Amiens hingerichtet worden, die Geoffroy wurde mit gebundenen entblößten Füßen und mit dem ihr Haupt verhüllenden Schleier der Vatermörder zum Schaffot gebracht.