Ein General „zu vermiethen“

Textdaten
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Autor: Arthur v. Truhart
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Titel: Ein General „zu vermiethen“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 366–367
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[366] Ein General „zu vermieten“. Den Newski-Prospect in St. Petersburg geht langsam ein feierlicher Beerdigungszug hinunter. Die zahlreichen Spaziergänger auf den beiden Seitentrottoirs der Hauptstraße der Residenz – es ist noch nicht Frühling und die Nachmittagspromenade auf dem Newski-Prospect also noch fashionabel – entblößen das Haupt vor dem Schläfer, der dort den letzten Schlaf thut.

Das ist russische Sitte und eine hübsche Sitte, von der sich Keiner, weder der elegante Flaneur, noch der hochgestellte Würdenträger, selbst nicht der Kaiser ausschließt.

Vorausreitende Gensd’armen und geschäftige Polizeibeamten machen dem langen Zuge in der belebten Straße freie Bahn, bald in mehr, bald in minder höflicher Weise. Aus der goldgestickten Decke über dem Sarge funkelt übermüthig die Sonne, als wollte sie sich über die bleichen Flämmchen in den Laternen der nebenanschreitenden Fackelträger lustig machen. Dichte Weihrauchdämpfe wirbeln aus den Rauchfässern der Chorknaben und ein langer Zug von Priestern aller Grade mit schwarzen, rothen und violetten Mützen und in starren Brocatgewändern folgt dicht hinter dem Sarge. Zahlreiche Leidtragende und eine endlose Reihe von Equipagen machen den Schluß des langsam vorwärtsgehenden Zuges.

Es ist eine Beerdigung erster Classe. Warum sollen wir nicht unsere Todten classificiren, da wir doch selbst für die Lebenden vierzehn Rangclassen haben? Kommt doch bei der Classification der Todten von allen den maßgebenden Nebenumständen, welche die Lebenden nöthig haben, als Glück, Geld und Protection, nur ein Umstand in Betracht, – der Kostenpunct.

Und die Kosten brauchten die Erben des alten Semen Matwejewitsch nicht zu scheuen. Hatte er sich doch vierzig Jahre in der schmutzigen Hökerbude dort in der Erbsenstraße geplagt, selbst am Sonntag da hinten in dem dunklen Verschlage seinen Thee getrunken und seine Grütze gegessen, und jahraus jahrein immer denselben alten Schafspelz getragen, – um erster Classe beerdigt zu werden. Mit dem Rest des Geldes, der da nach Abzug dieser Kosten, nach Auszahlung des bedeutenden Vermächtnisses „zur Verschönerung des Altars“ der Auferstehungskirche nachblieb, konnten die Erben zufrieden sein und brauchten nicht zu knausern. Wer in Rußland seine Todten gut begräbt, verbessert seinen Credit!

Unter den ersten Leidtragenden folgt dem Sarge ein alter General. Welche effectvolle Staffage unter den übrigen Leidtragenden in schwarzer Trauer bildet die hohe stattliche Figur des alten Kriegers mit dem schneeweißen Haar und Backenbart, mit der vollen Uniform, den glänzenden Epaulettes und dem wehenden Federbusch! Wie nachlässig und doch wie elegant ist dieser Handgriff, mit dem er den halboffene Mantel über den Schultern zusammenhält, damit das breite, rothe Ordensband zusehen ist!

Mit eiserner Geduld geht der alte Krieger hinter dem Sarge einher bis zu dem Friedhof, kummervoll beugt er das Haupt an dem offenen Grabe, und wenn sich der Hügel dann über dem müden Schläfer gewölbt hat, richtet er die gebückte Gestalt wieder auf, schüttelt gerührt und schweigend den nächsten Leidtragenden die Hand und seht sich in seine elegante Equipage.

"Wer war der alte General?" fragt dann wohl der Eine oder der Andere von den Anwesenden.

„Das ist ja ‚unsere Excellenz‘,“ antwortet dann ein besser Unterrichteter.

In einem der bekannten Restaurationslocale, welche in dem corrumpirten Petersburger Russisch-Deutsch. „Kuchmeistereien““ genannt werden wird eine Hochzeit gefeiert.

Unter den Gästen finden wir hier wieder unseren alten General. Er sitzt neben dem Vater der Braut, und dieser schenkt ihm fleißig ein und nöthigt ihn – nicht ohne Erfolg – hier und dort zuzulangen. Man kann sich schwerlich einen liebenswürdigere, heiterern Gesellschafter denken, als den alten General. Während er hier dem Diener einen Wink giebt, ihm die allzuentfernte Schüssel mit den „weißen Astrachan’schen Pilzen“ näher heranzurücken, macht er seinen Nachbar auf den „delicaten“ geräucherten Lachs aufmerksam, von dem er doch noch einmal versuchen wolle. Den Schwiegervater ermahnt er nicht allein vor der Suppe, sondern auch nach dem Fisch und Braten einen „Doppelkümmel“ zu trinken, – er halte das so und habe es immer probat gefunden. Er selbst aber gießt sich noch ein Glas Rheinwein ein, um mit der „verehrten“ Braut anzustoßen und zugleich die Hoffnung auszusprechen, daß sie auch noch morgen früh wie eine blühende Rose aussehen werde, – eine so zarte Anspielung, daß die Wangen des jungen Mädchens sich in tiefen Purpur färben. Am Tanz betheiligt er sich zwar nicht, aber er treibt die faulen jungen Leute in’s Gefecht oder er holt den an der Thür lungernden Diener, damit er für Tante Praskowia und für ihn ein Glas Ananaspunsch – „aber nicht zu schwach“ – bringe. Alle Welt ist entzückt von „unserer alten Excellenz“.

Bei Kindtaufen und bei Namenstagen, bei Diners und bei festlichen Einweihungen finden wir unseren alten braven Krieger wieder. Welche vielseitigen Talente entwickelt er bei allen diesen Gelegenheiten! Der allzu ängstlichen Taufmutter spricht er Muth zu und zeigt ihr, wie sie den schreienden Täufling bei der Zeremonie zu halten habe. Wenn zur Feier des Namenstages sich endlich der schüchterne Jüngling mit dem langen Haar und den sehr zweifelhaft weißen Handschuhen an den Flügel setzt, um einen Walzer zu spielen, dann stellt er sich neben ihn und schlägt ermunternd mit dem Champagnerglase den Tact dazu. Am Schluß des feinen Diners steht er schwankend und doch wundervoll auf und bringt dem gastfreien Wirthe Anton Antonowitsch ein letztes, dreifaches Hoch. Wenn der Priester die prachtvollen Säle des neuen Hauses eingeweiht und das Kreuz den Versammelten zum Küssen gereicht hat, dann spricht er ein paar kräftige und herzliche Worte und prophezeit dem alten bewährten Hause „Smirnow und Söhne“ auch das alte Glück in den neuen Räumen.

[367] Allerdings würde die unvorsichtige Taufmutter, wollte sie den Rath „unserer Excellenz“ befolgen, nothwendiger Weise das arme zu taufende Geschöpf auf die Erde fallen lassen. Jedenfalls müßte der bleiche, langhaarige Jüngling an dem Pianoforte bei der klirrenden Begleitung des Champagnerglases aus dem Tact kommen, wenn ihn nicht die allabendliche Uebung seines künstlerischen Daseins im Strauß’schen Walzer tact- und sattelfest gemacht hatte. Wohl befremdet es manchen Gast an der Tafel, daß die Excellenz den gastfreien Hauswirth Anton Antonowitsch nennt, da er doch Maxim Alexandrowitsch heißt. Nur mühsam unterdrückt mancher Eingeweihte ein Lächeln bei dem Speech des Generals auf das alte Glück von „Smirnow und Söhne“, da doch die ehrenwerthe Firma bereits dreimal mit ihren Gläubigern accordirt hat.

Wer aber kann der liebenswürdigen Excellenz mit dem schneeweißen Haar, den funkelnden Epauletten und dem breiten Ordensband, die einem Jeden so freundlich die Hand schüttelt, so brav mittrinkt, so tapfer bis zum letzten Ende aushält, etwas übelnehmen? Was wäre das ganze Fest ohne „unsere charmante Excellenz“ gewesen?

„Unsere Excellenz“, – das ist eine dieser fraglichen Petersburger Existenzen, deren Lösung in dem Titel dieser Skizze liegt. Für ein angemessenes Honorar figurirt der alte, zur Disposition gestellte General als glänzende Staffage der bürgerlichen Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen und sonstigen Feste. Gehört doch ein General zu den unumgänglich nothwendigen Requisiten einer solchen Feier in Petersburg. Und daß dieses angemessene Honorar trotz mancher Concurrenz redlich seinen Mann nährt, beweist uns die elegante Equipage, das behagliche Leben „unserer alten Excellenz“. Arthur v. Truhart.