Ein Fürstengrab in Volkes Hut

Textdaten
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Autor: H. v. C.
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Titel: Ein Fürstengrab in Volkes Hut
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 581, 583–584
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über Erzherzog Johann und seine Grabkapelle in Schönna
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Erzherzog Johanns Begräbnißkapelle auf Burg Schönna bei Meran.
Nach einer Originalzeichnung von Ferd. Petzl in München.

[583]
Ein Fürstengrab in Volkes Hut.
Mit Abbildung.

„Hans, es wär’ g’scheidter, Du wärst Kaiser, mit Deinem Bruder ist’s nichts.“ – So hat freilich nur ein einzelner Mann gesprochen, und man weiß nicht einmal, in welchem der österreichischen Alpenländer diese Rede gethan worden ist, sie hat aber den besondern Werth, daß Jeder sie für die seine anerkannte, ob er auf gut Steirisch seinen „Herzog Hannes“ leben ließ, oder „unsern Hansel“ im treuen Tirol.

Erzherzog Johann von Oesterreich behauptete in der vormärzlichen Zeit den Ruf wahrster Volksthümlichkeit, und zwar nicht blos in den Alpen, nicht blos im Kaiserstaate, sondern in ganz Deutschland. Die Stimmen, welche ihm einen Theil der Schuld aufgewälzt hatten, daß im Jahre Neun das durch ihn zum Aufstand aufgestachelte Tirol beim Friedensschluß völlig aufgegeben und die Führer schutzlos verlassen wurden, – diese Stimmen waren allmählich verstummt, man war zu der Einsicht gekommen, daß Johann wie sein Bruder Karl immer nur in Zeiten höchster Staatsgefahr vom Hofe gerufen wurden, daß man sie aber bei Seite schob, sobald sie nur irgend entbehrlich schienen. Man setzte offenbar die Popularität Johann’s gern möglichster Abnutzung aus, indem man ihn nie in die Lage versetzte, Verheißungen, die er auf Betrieb der Regierung hatte ankündigen müssen, nachher auch in Erfüllung zu bringen.

Für das einfache Volksverständniß war es schwer zu fassen, daß Kaiser Franz seine jüngeren Brüder so unwürdig behandeln lassen könne; es mußten viele Jahre bitterer Erfahrung vorüber gehen, um hinter der scheinbaren, nur im Dialect der Umgangssprache bestehenden Gemüthlichkeit dieses Kaisers das Muster despotischer Selbstvergötterung zu erkennen, in dessen Kopf „populär“ und „revolutionär“ ein Begriff, und dem ein Metternich ein Mann ganz nach dem Herzen war. Wie recht hatte das Volksgefühl mit seinem Wunsch: „Hans, es wär’ g’scheidter, Du wärst Kaiser!“ –

Auch wer im Zorn des Jahres Neun es nicht glaubte, daß der Johann heiße Thränen vergossen „als die blutigen Jacken der armen Tiroler Buben und Mannen den Inn hinab in die Donau schwammen“ – wer dem Johann den Handschlag von 1805 mit dem Gruß: „Auf Wiedersehen in besserer Zeit!“ nicht vergaß, den er dem Sandwirth Hofer beim Abschied von Innsbruck gab, als dieses eine bairische Hauptstadt werden sollte, – weil der Erzherzog selbst mit gebundenen Händen die gebundenen Hände Hofer’s nicht befreite, als dieser über das Wintereis von 1810 nach Mantua zum Tode geführt wurde; – wer das Joppen- und Stutzerltragen des Prinzen für eine Komödianterei hielt, um mit dem Volke beliebig zu spielen: – der war curirt von all’ diesem Verdacht, als Franz und Metternich es angezeigt fanden, den Erzherzog ihre Macht und ihren Haß spüren zu lassen.

Eine öffentliche Strafe für seine Popularität erhielt Johann schon in dem großen deutschen Erhebungsjahr 1813. Als im ganzen deutschen Norden das Volk sich erhob, wollte Johann auch den Süden in gleicher Weise und namentlich in den Alpen erweckt wissen. „Volk!“ und „Deutsch!“ – die Frechheit, Beides im kaiserlichen Staate zu einer officiellen Bedeutung erheben zu wollen, büßte er schwer und noch schwerer die patriotischen Männer, welche gegen Napoleon den Volkskrieg in den Alpen leiten wollten. Sie Alle wurden des hochverrätherischen Plans angeklagt, für Johann auf Kosten des Kaiserstaats ein souveränes Königreich Rhätien errichten zu wollen. Da füllten sich viele Gefängnisse mit Unschuldigen und Erzherzog Johann durfte für längere Zeit Tirol nicht wieder betreten. So ward „die deutsche Erhebung“ von Franz und Metternich in Oesterreich gefeiert! Die Verfolgungen von dieser Seite waren in jener Zeit allein schon geeignet, den Erzherzog zu einem volksbeliebten Manne zu machen, denn wen Metternich haßte, der konnte kein Feind des Volkes sein.

In der traurigen Zeit zwischen den berüchtigten Congressen von Neunzehn und dem Sturmjahr von Achtundvierzig gab es im Gebiet des deutschen Bundes nur drei populäre Fürsten: Karl August in Weimar, König Max in Baiern und Johann von Oesterreich. Von diesen hatte Johann für seine Volksthümlichkeit den schwersten Stand unter Seinesgleichen und vor Allem am Kaiserhof, in dessen Schutzwall von Exclusivität er bekanntlich drei große Löcher stieß: das erste, als er gegen alle fürstliche Regel eine schöne Bürgerliche nicht zu seiner Maitresse, sondern zu seiner Frau machte; – das zweite, als er bei den Septemberfesten von 1842 mit dem Preußenkönig am Rhein in die alte Demagogie verfiel, den Spruch auszubringen: „Kein Oesterreich, kein Preußen, sondern ein einiges Deutschland!“ – das dritte, als er seine kaiserliche Abstammung soweit vergaß, bei einer Jahresversammlung der deutschen Land- und Forstwirthe den leibhaftigen Präsidenten abzugeben.

Johann’s Gemahlin hat die Wiener Kaiserburg unter Franz [584] und Metternich nicht betreten dürfen. Desto höher stand der Mann angeschrieben beim gesammten deutschen Volk. Es lag daher nahe, daß das deutsche Parlament von 1848, als man sich weder für die Republik noch für das Kaiserthum entscheiden konnte, in der Reichsverweserschaft des volksthümlichen Johann die beste Auskunft zu finden glaubte. Dieser Schritt führte zur Täuschung, und zwar zu gegenseitiger. Johann kam gewiß mit dem redlichen Willen, Völkern und Fürsten zu Einigkeit, Recht und Frieden zu verhelfen. Begrüßungsworte, wie die seinen in Frankfurt: „Wenn das Vaterland ruft, so ist es Pflicht, seine letzte Kraft, seine letzten Jahre demselben zu weihen. Da habt Ihr mich, ich gehöre zu Euch!“ – solche Worte sind keine gemachte Kammerrede, sondern strömen aus dem Herzen. Aber welche Rolle hatte man ihm übergeben! Ohnmächtiger als die letzten deutschen Kaiser stand er den Fürsten ohne Armee, den Völkern ohne Geld, dem Ausland ohne Autorität gegenüber, vor sich einen Reichstag voll endlosen Parteigezänks, hinter sich fahnenweihende Bürgerwehren und ringsum die auf die sichtlich nahende neue Volksohnmacht lauernden Throne. Wenn in dem greisen Mann mitten in diesem Wirrwarr der Fürst und der Oesterreicher über den bloßen und entblößten deutschen Patrioten die Oberhand gewann, so soll wegen der natürlichen Wandelung rein menschlichen Gefühls Niemand Steine auf ihn werfen. Es war sein Loos, stets politisch mißbraucht und abgenutzt zu werden, und mit dem Schmerz über diese letzte bittere Erfahrung ging er von der Bühne, um bei seinen Alpenvölkern, in Steiermark und Tirol, den letzten Trost und die letzte Ruhe zu finden.

Ein Tiroler Schriftsteller, der ihm näher stand, theilt uns darüber das Folgende mit: Ein eigenthümlich romantischer Zauber verklärte den „Hansel“, wie der Bauer den Erzherzog meist nannte, in den Augen des Tiroler Volkes. Dieses zeigte sich am mächtigsten, als der Erzherzog wieder zum ersten Mal das Land betrat, denn allüberall ward ihm der treuherzigste und festlichste Empfang bereitet. Ohne officielle Weisung krachten die Böller und spielten die Musikbanden und zogen die festlich geschmückten Schützen mit flatternden Fahnen ihm entgegen. Das schönste Fest spielte aber in Meran, als der Prinz mit seiner Frau und seinem einzigen Sohne das Burggrafenamt besuchte, um Besitz vom jüngst angekauften Schlosse Schönna zu ergreifen. Die schönsten, glänzendsten Tage der alten Landeshauptstadt schienen wiedergekommen zu sein. Seitdem besuchte der Erzherzog oft Tirol und hielt auf seiner Burg Schönna, die er neu herstellen ließ, bescheidenen Hof. Nicht vornehme Herren bildeten dann seine Umgebung, sondern alte Bauern, die Anno Neun mitgefochten hatten, wurden zur Tafelrunde berufen. In der Mitte dieser biedern Landleute fühlte sich der Prinz am wohlsten, und bei Tisch, wo auch Tiroler Landesgerichte, z. B. Nudelsuppe mit Würsten, Speckknödel mit Ragout, eine Hauptrolle spielten, wurde von alter Zeit und der Gegenwart, vom Schützenwesen und von der Hebung des Feldbaues in schlichter Weise gesprochen. Dieses patriarchalische Zusammenleben, dieses liebevolle Entgegenkommen gewann das Volk in unbeschreiblicher Weise. Einen glänzenden Beweis für diese Liebe des Volkes zum Prinzen gab das Pfingstfest 1851 zu Meran, an dem der Erzherzog sein „Hausnudelschießen“ in freigebigster Weise gab. Es war ein Volksfest, wie es Meran nie gesehen hatte, ein Volksfest in der schönsten Bedeutung des Wortes. Der Prinz trug sich fortan mit weitgreifenden Plänen für seine Lieblingsburg Schönna. Sein reiches, auch für die Tiroler Geschichte so werthvolles Archiv sollte dahin übertragen, eine vollständige Bibliothek aller Tirol und die Tiroler Geschichte betreffenden Werke sollte errichtet, ein Tiroler Museum angelegt werden. Im September 1858 stieg der Erzherzog zum letzten Male über den Jaufen nach Passeier hinunter, um dem Kaiserschießen in Meran beizuwohnen und selbst ein Festschießen auf Schönna zu geben. Beides mußte wegen des in Monza plötzlich erfolgten Todes der Erzherzogin Margaretha unterbleiben, wie der projectirte großartige Schützenzug über den Jaufen. Der Prinz verlebte dafür mehrere stille gemüthliche Tage in der Mitte alter Veteranen aus dem Burggrafenamte und Passeier auf seiner Burg, und er sprach damals auch seinen Entschluß aus, seine letzte Ruhestätte in Schönna zu finden.

Dies blieb sein letzter Wunsch, und nachdem er in der schönen Steiermark am 10. Mai 1859 sein Leben beschlossen hatte, wurde auf einem Hügelvorsprung von Schönna nach dem Plan des Professors Moritz Wappler in Wien seine Grabcapelle an einem Punkte erbaut, der die Lieblingsgegenden des Heimgegangenen, Passeier und das Burggrafenthum, weithin überblickt.

Schönna, Burg, Capelle und Kirchdorf, gehört zu den näheren und lohnendsten Ausflügen von Meran, das als klimatischer Curort europäische Berühmtheit erlangt hat. Ueber die Passerbrücke zum Stifterbauer, dann nördlich etwas ansteigend gelangen wir nach etwa fünf Viertelstunden zu dem von der stattlichen Burg hoch überragten Unter- und Oberdorfe von Schönna. Der Grund und Boden für die Grabcapelle hat mit Mühe erst dem Oekonomiehofe und dem Gottesacker abgewonnen und durch feste Strebemauern gegen die Gefahr der Bergrutschung gesichert werden müssen. Dort erhebt sich nun im reinsten gotischen Styl der kühnaufstrebende Bau. Eine breite umgitterte Granittreppe führt im Doppelaufgange zum Portal, über dessen Spitzbogen zwischen zwei spitzen Thürmchen eine farbige Fensterrosette einen prächtigen Anblick gewährt. Von Strebepfeilern in dreifacher Verjüngung begrenzt steigt dann die Façade, dem sonnigen Süden zugekehrt, zu beiden Seiten von je drei Pfeilerspitzthürmchen (Fialen) begleitet zum Giebel mit dem Mittelthurm und seinem steinernen Kreuz empor. Die beiden Seitenwände sind zwischen den hohen, dreifachgegliederten Fenstern von schlanken Strebepfeilern in ebenfalls dreifacher Verjüngung gestützt, die gleichsam als Fortsetzung über die zierlich durchbrochene Galerie des hohen Dachs hinaus ihre Fialen erheben. Einen besonderen Schmuck verleiht dem Ganzen die verschiedene Farbe des Baumaterials, indem der Grund- und Gruftbau aus hellgrauem Granit, der Oberbau aus blaßrothem Sandstein und die Bedachung aus violettem Schiefer besteht.

Treten wir durch die Flügelthür aus ungarischem Eichenholz in’s Innere, so umfängt uns ein säulenfreier, aber von einem kühnen Gewölbe mit kräftigen Gurten und Rippen überspannter Raum, in welchen das Tageslicht nur durch teppichartig bemalte Fenster dringt; die werthvollste Farbenpracht zeigen die Malereien der drei Fenster des Chors, die sich über dem blüthenweißen Marmor des Altartisches mit seinem goldschimmernden Aufsatze erheben. Der Fußboden besteht aus weißen und dunkelgrauen Marmorquadraten.

Hinter dem Altar schließt ein vergoldetes Bronzegitter einen Raum ab, von welchem aus eine Thür in eine kleine Sacristei, eine andre in die Gruft hinabführt. Diese Krypta ist, wie die Capelle, sechsunddreißig Fuß lang und zweiundzwanzig Fuß breit, ihr Gewölbe wird von vier Granitpfeilern getragen, und achtzehn Fenster mit halbzölligen Glastafeln geben ihr ein feierliches Dämmerlicht. Und hier ruht, in drei Särgen verwahrt, der gute Herzog Hannes des Volks, der Erzherzog Johann des Kaiserhauses. Wer kann vor diesem Sarge stehen, ohne an das seltsame Verhängniß zu denken, das dieses Kaiserhaus sich selbst bereitet dadurch, daß es von jeher seine begabtesten Söhne mit dem widrigsten Schicksal verfolgte und die besten Kräfte am wenigsten zur Geltung kommen, zum Heil des Staates thätig sein ließ. Erzherzog Karl’s Kriegsruhm ist dem Hofkriegsrath erlegen, Erzherzog Stephan ist fern von seinem geliebten Ungarn gestorben, Erzherzog Max hat fern von Pola und Miramare einen tragischen Kaisertod gefunden, Erzherzog Johann hat seine Volksliebe mit kaiserlicher Ungnade gebüßt, und sein ebenbürtiger gleichgesinnter Neffe, Erzherzog Heinrich, lebt in der Verbannung! – Schlaf wohl, Herzog Hannes! Das deutsche Volk wird dir es nie vergessen, daß du in seiner schlimmsten Zeit das Herz hattest, seinen innigsten Wunsch laut und ehrlich auszusprechen.

Hinauf zum Licht! Da vor dem Portal geht dem Auge ein herrliches Stückchen der lieben Welt auf. Zu unseren Füßen braust die Passer mit weit ausgespannten Armen durch ihr berge- und burgengekröntes Thal, das dort, gleichsam Meran zu Liebe, in die blühende Etschebene sich verliert und der Sehnsucht den Weg nach Italien zeigt, den einst Hunderttausende von Deutschen zu ihres und ihres Reiches Unglück gezogen sind. Wie hell glänzen dort die Berge – und wie finster ist’s noch immer in den Thälern, aus welchen, wie unser Dichter so deutungsvoll klagt – „die Nacht nur langsam weicht“! Möge endlich auch über Tirol die Sonne des Geisteslichtes aufgehn, das dem armen Volke sein wahres Glück nicht mehr blos in einer Anweisung auf den Himmel, sondern auch schon in seiner schönen irdischen Heimath zeigt und giebt! H. v. C.