Textdaten
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Autor: Karl Wolf
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Titel: Ein Bergler Knecht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 197–199
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Bergler Knecht.

Charakterbild aus Tirol von Carl Wolf-Meran.
Mit Bildern von W. Humer.

Steigt man von Lana hinauf durch die Weinberge, dann durch die Kastanienwaldungen und endlich hinein über den steinigen Weg in das Ultenthal, so bemerkt man hinter Außerhof rechts oben auf dem zerklüfteten Berge den Weiler Pawiegl. Die aus Baumstämmen zusammengezimmerten Häuser mit den Schindel- und Strohdächern sehen aus, als klammerten sie sich ängstlich an, um auf dem stark abschüssigen Boden nicht ins Thal zu rutschen. Es wird vielfach als Witz erzählt, daß auf diesen Berghöfen die kleinen Kinder mit Stricken an die Bäume gehängt werden, damit sie beim Spiel nicht über die abschüssigen Wiesen und Felder hinunter purzeln. Dies ist aber eine Thatsache und der Volksspruch, der da umgeht, „do droben af Pawiegl tragen die Hennen Fußeisen“ ist gar nicht dumm erdacht.

Die Leute, welche da oben leben, müssen in harter und schwerer Arbeit dem mageren Boden das abgewinnen, was sie zum Leben brauchen. Jede Garbe Korn, jede Bürde Heu müssen Männer, Weiber und Kinder auf dem Rücken in die Scheune tragen, und wenn eines jener fürchterlichen Hochgewitter niedergegangen ist, welche dort so fürchterlich toben, als wolle es die Berge niederreißen, so eilt alt und jung, um die vom Regen abgeschwemmte Ackererde wieder hinaufzutragen.

Gar manches Marterl am Wege zeigt, wo ein Holzknecht von einer stürzenden Tanne oder Fichte erschlagen wurde oder von einem niedergehenden Felsen. Oder wo ein lebfrisches Diendl beim Wildheuern abstürzte, oder ein Geißbube, wenn er ein verlorenes Stück seiner Herde aufsuchen sollte in den Abhängen und Schrofen.

Und dennoch leben dort zufriedene und glückliche Menschen.

Wenn der Bauer nach Feierabend so mitten unter seinen Kindern sitzt, alle frisch und rotwangig, einer der Buben vielleicht eine ordentliche Schramme auf dem Kopfe, die Mädchen mit dem grobwollenen Strickzeug, da schmaucht er sein Pfeifchen und schmunzelt: „Vergeltsgott, tüchtig nachwachsn thuan sie, die Jungen, daß d’ Alten a sichers Nestl haben, wenns Krippl (Körper, Körperchen) nimmer recht mitthuan will.“

Wenn dann die Knechte und die Mägde hereinkommen in die kleine, ganz ausgetäfelte Stube und alle setzen sich um den runden Tisch in der Ecke, über welchem der Heilige Geist in Gestalt einer Taube hängt, und an den Wänden herum die Heiligenbilder und das vom Rauch gebräunte Kruzifix, dann sind es nicht Herr und Knecht, sondern eine große Familie, was da zusammen sitzt.

Da scheut sich der Knecht nicht, seine Zweifel über eine getroffene Anordnung des Bauern kundzugeben, ebensowenig wie der Bauer keinen Augenblick zögert, dieselbe zu ändern, wenn er einsieht, daß der Knecht recht hat. Die Bäuerin verkehrt mit den Mägden wie mit den Töchtern des Hauses und wird von denselben wie eine Mutter respektiert. Unter einem Jahre aus einem Dienste auszutreten, gilt als große Schande, und meistens bleiben die Dienstleute bis an ihr Lebensende, denn sie finden ja auch ihre Altersversorgung auf dem Hofe, welche den Bauer wahrlich nicht drückt.

Da fand ich einmal auf einem einsamen Berghofe ein meeraltes Männlein. Das hockte auf einem Stein vor der Hütte, hielt ein vielleicht einjähriges Kind auf dem Schoße und lachte vergnügt, wenn es das Näschen verzog und mit den Aeuglein blinzelte, so oft der Alte ihm einen Mundvoll Tabaksrauch aus seiner kleinen eisernen Pfeife in das Gesichtchen blies.

„Jetztern bin i achtzig,“ erzählte der Alte, „achtzig bin, wenn i mi nit um a nettlene Jahrlen überzählt hab. Und sell kann leicht sein, weil ma in der jungen, überschüssigen Zeit so viel leicht aufs Zähln vergessen thuat.

Alsdann wär i siebenzig Jahr auf’n Höfl. Mit zehn Jahr bin i kummen; da war i Einleger von der Gmein aus.[1] A Heidngeld hab i der Gmein kostet. Sieben Guldn ’s Jahr und alle Winter a Paarl Schua und jedwedn zweitn Winter a lodenes Gwand und a Pfoat (Pfaid = Hemd).

Nachher bin i Goasbua gwordn und zelm bin i a mal drei Tag und zwei Nächt drobmet im Eggstoan verstiegner Weis’ gseßn und hätt’s no a nettlene Stundn dauert, meiner Seel, ’s lederne Hösl hätt i aufgeßn. Mit’n Hosntrager bin i so schon bald ferti gwest. Der Kienklammsepp hat mi ober bracht, vergelt’s ihm Gott im Himml drobmet. ’s Jahr drauf hat er si auf der Gamsjagd ’s Gnagg (Genick) abgsteßn.

Nachher bin i rindviechener Hirt gwordn, schon mit sechzehn Jahr. Gelt, wie a manicher Mensch in d’ Höh’ kummt! Dreihundert fünf und zwanzig Guldn sein mir z’ meist anvertraut gwest; so viel war mein Hüatvieh wert.

Mit neunzehn Jahr ist der große Knecht von einer Feichtn beim Holzmachn erdruckt gwordn. Da ist der zweite Knecht erster, der dritte zweiter und i bin Jungknecht gwordn. Jetztern war i Knecht und da ist’s Herrnleben angangen. A Pfeif hab i mir kauft und an Tabak, a schön’s Stechmesser um fünf und vierzig Kreuzer. Da schau, i hab’s nou. Die Klingen ist freili a bissele zammen gschliff’n.

Und nach’n Messer und ’n Raachzeug hab i miar um a Diendl umgschaut. Hab nit weitum zu suachn gehabt, gar nit. Der zweite Knecht, der Longfaller Luisl, dem hat inser [198] Moidele (Mariele) in die Augn gestochn. Nit grad für’s Leben, lei so zur Kurzweil. Miar hat selb Diendl aber fürs Leben guat gfalln und da hab i den Luisl, wie er ’s Moidele a mal um d’ Mittn gnummen hat, so im Gspaß, angstenkert. Da ist dann Raufets (Rauferei) draus gwordn und schön hab i ihn gschmißn, den Luisl, saggrisch schön. Aftn (nachher) ist’s Moidele mein Schatz gwordn. Dem Bauer und der Bäurin war’s nit zwider und ins zweien war’s schon gar aus recht. I bin auf’n Hof ja kuan fremd’s Leut gwest und allwegs wie’s Kind angsechn.

Nachher ist wieder a Zeit umgangen. Da bringt der Bettlrichter (Polizeidiener) an Zettl, zur Soldatnstellung müß i in die Stadt. Und da hat mir’s Moidele, wia’s der Brauch ist, an schön Nagelestrauß auf’n Huat bundn und dieweil i in die Stadt gangen bin, haben sie, ’s Moidele und die Muater, drei Rosenkränz betet, daß i durchschlüpf. I hab drunt in der Stadt Nummero drei aus ’n Hafn außerzogn und der Soldatndokter hat die Brilln aufgsetzt, hat mi von ob’n bis unt’n angschaut und hat gsagt: a fester Bua ist’s! Taugli!

Lei drei Rosenkränz haben halt nit glangt. A Stuck a drei Meßn hätt’s braucht, wenn nit gar fünf.

Wi i eingruckt bin, sein i und’s Moidele zum letznmal da drent beim Wetterkreuz beinand gstandn. Da hab i’s mit’n rechtn Arm um der Hüftn gfaßt und mit der linkn Hand hab i ihr’s Köpferl in die Höh’ gruckt, daß ihr a Thränentröpfl grad im Grüberl auf der Wangen liegen blieben ist.

‚Wirst mi alleweil lieb habn, Moidele, und wirst miar treu bleiben?‘

Gar gwundrig hat’s aufgschaut. ‚Giebt’s denn etwas anders als Treu, wenn sich zwei lieb habn?‘

Aufs die Red aufi bin i gangen. Was hab i no mehrer braucht?

Und siehst, jetzt kumm i miar selber auf a Lug. Siebenzig Jahr, hab i gsagt, sei i auf’n Hof und sein thuan’s lei acht und fufzig. Zwölf Jahr bin i ja beim Militär Soldat gwest!

In der Welsch drein, tief drein in der Welsch, hab i gfochtu unter’m Vater Radetzki und an Schuß hab i bekummen mittn durchs Fleisch, ’s Bein nit a bissele beleidiget. Dös sag i lei, daß d’ a Idee hast, was i für a guat gstellter Mensch gwest bin. Heut soll’s a mal oaner versuachn lei ’s Fleisch zu treffn bei mir!

Von daheim hab i nie mear was gspürt. Schreiben? Mei, wer soll schreiben? Bis a Tintn kaufst beim Krämer und a Papier und ar Hennen a Feder ausrupfst, nachher ist wieder neamd da, der’s bschneidn kann die Feder. Und bis d’ a Briafwappl hast, dieweil ist ei’m lang schon ausgfalln, was man hat schreiben wölln.

Nach neun Jahr bin i als Patent-Urlauber heimkummen.

Wie i so mit no zwei Kameradn drunt in Lana durchs Dorf einmarschier, kummt von der Pfarrkirchn grad a Hochzeit her.

Und wer ist’s gwest, die Hochzeiterin?

Mein Moidele mit’n Longfaller Luis!

Kreuz sackera, bin i da erschrockn, bin i da so erschrockn!

Aber i hab mi schon auklärn laßn. Vor anderthalb Jahr ist der Baur gstorben gwest und die alte Bäurin hat döcht nit heiratn können und i war ja nit da, und a Bauer muß sein auf an Berghöfl und der Luis weiß da drobmet alles acht und kennt alles, so hat’s freili so sein müßn.

Um a drei Wochn, a viere früher heimkummen hätt i solln!

Bin so sinniger a halbete Stund beim Kirchnegg gestandn und hab der Sach nachdenkt. Nachher hab i mein Stock gnummen und bin wieder durchs Dorf aus. Koan Mensch hat mi kennt und koan Mensch hat nach mir gschaut. Und zwegn warum hätt i den solln mein Moidele im Weg stehn? ’s ist gnuag gwest an meim schwärn Herzn.

Schnüarlgrad bin i af Bozn zua und hab beim Platzkummando a neue Kapitulation für mi angmeldet auf drei weitere Jahr. Hundert Guldn hab i dafür bekummen und de hab i heimschickn laßn, zum Aufheben für mi.

[199] Wie die drei Jahr ummer gwest sein, bin i heim. ’s Moidele, die Bäurin, wär bald erschrockn und der Luis, der Bauer, a. Den Schreckn hab i ihnen aber glei ausgredt und nachher haben ’s mi zum ersten Knecht eingstellt.

Ha, weit hab i’s bracht! Und no weiter hätt i’s bringen können, hätt i lei mögn.

Der Baur ist gstorben und nach einem Jahr meint die Bäurin: ‚Was guat zu machn hätt i an dir,‘ meint sie, die Bäurin.

‚O na, na, sag i, o na, na, Bäurin, ’s ist all’s, wie’s sein soll, sag i, und wie’s hat kummen müaßn. I bleib, wenn’s Dir recht ist, erster Knecht, so lang mi die Haxn tragn, und fürs Alter kauf i mi ein auf Dein Hof, sag i, mit mein Geld.‘

Und so ist’s blieben. Die Kinder sein aufgwachsen, a Diendl und a Bua; meine Knochn sein mürb gwordn und jetzt auf der Letzt bin i gar zur Kindsdiern aufgruckt.

Gelt, Du Fratzl, Du kloans, Du liabs, Du putzigs, Du herzigs!

Und ’s Tabakraachn thu i ihm angwöhnen,“ sagte der Alte und qualmte dem Kleinen lustig ins Gesicht.

„Freili, ’s Raachn muaß ’s gwöhnen, mein Fratzl. ’s Winterl kummt und im Offerl kracht ’s Holz und ’s Katzl schreit miau, miau, laß mi ein, und ’s Hunderl bellt hu, hu, hu, laß, mi ein, und’s Vögerl macht am Fensterl pick, pick, pick, machts auf, ’s Vogerl muaß erfriarn, und ’s Muaterl kocht dem Kinderl a Muaserl und ’s Kinderl macht schnapp, schnapp, weil’s Hungerl hat –“

Da schritt aus dem Hause die junge, lebensfrische Bäuerin. Zwei dicke blonde Zöpfe um den Kopf gewunden; ein eng anliegendes Miederleibchen mit bauschigen, groben, aber sauberen Hemdärmeln, ein faltiger, grober Kittel und eine blaue Schürze. An den Füßen trug sie derbe Bundschuhe. Das Gesicht war jugendlich frisch, mit blauen Augen, Grübchen in den Wangen, und die lebhaft gefärbten, leicht geöffneten Lippen ließen die schneeweißen Zähne hervorgucken, welche die Berglerleute fast immer haben.

„Mei der Saggera,“ schalt sie lachend, „thut er mir schon wieder ’s Kind verzauslen (verwöhnen), daß ’s bei koan Menschn mehr bleiben mag als bei ihm.“

Mit starken Armen schwang sie das Kleine hoch in die Luft.

„Hutschau, Popperl, Hutschau! Mags Mammerl giarn?“ –

„Woher kemt’s denn ös,“ wendete sich die junge Bäuerin an mich.

„Vom Land aufer (aus der Ebene) kimm i, Bäurin, und wenn a Platz war, an Löffl Suppen möcht i mit enk essn.“

„Auf alle Weis’, kemmt’s lei einer, Stadtlinger,“ antwortete sie freundlich und schritt mit dem Kinde ins Haus.

„Schau Dir’s guat an, die Bäurin,“ schmunzelte der Alte, „schau Dir’s guat an, sou, aber glatt a sou hat’s Moidele ausgschaut, jungerweis’! Gelt, i hab mi schun richti auskennt bei die Weiberleut?“

Im kleinen getäfelten Stüberl hockten schon die Ehalten (Dienstleute) am runden Tisch und die Jungdiern rückte auf der Bank und wischte für mich an ihrer Schürze den Löffel ab, den sie bisher selbst benutzt hatte.

Der Alte aber war mit seinem Pfeifchen zur Ofenbank getrippelt. Da hockte ein Mütterchen mit einem großen Spinnrade und spann einen knopfigen, dicken Zwirn; so gut es eben mit den steifen, dürren Fingern ging.

Der Alte aber nahm sein Pfeifchen aus dem Munde und rechnete mir mit wichtigem Gesichte vor: „Alleweil verrechn thu i mi, mit meiner Rechnung heut. A nit achtafufzig Jahr thut’s sein, daß i auf ’n Hof sein thu. Die drei Jahr, de i damals ausgwichn bin und wo i no a mal zrugg eingruckt bin zu die Soldatn, dieselben kann i a mit Recht dem Dienst zuschreiben, ganz mit gütn Gwißn kann i sell.“

Vorsorglich und zärtlich fast rückte er das Spinnrad beiseite schob einen kleinen Tisch an den knisternden Ofen, welchen das alte Mutterle nie mehr verließ, außer sie wurde ins Bett gebracht und holte ein Schüsselchen Milchsuppe aus der Küche.

„Schau,“ lachte er gar freundlich zu mir herüber, „was a Mensch nit all’s werdn kann im Leben! Als Huaterbua hab i mein Dienst angfangt auf dem Hof und als Kindsmadl für alt und jung hör i auf.“

  1. Einleger sind Waisenkinder, welche auf Kosten der Gemeinde bei den Bauern in Pflege gegeben werden.