Ein Bahnbrecher der Pädagogik
[226] Ein Bahnbrecher der Pädagogik. Erst die geistige Bewegung der Reformation zusammen mit den Antrieben, welche eine freudige Versenkung in die innere Welt des Alterthums seit dem 15. Jahrhundert brachte, half einen Gedanken durchsetzen, der schon dem weitblickenden Geiste Karls des Großen vorgeschwebt hatte, den aber das Mittelalter nicht zu verwirklichen vermochte, den Gedanken einer allgemeinen Volksbildung. Unter den Männern, die sich um das Gedeihen dieses Werkes verdient gemacht haben, steht Amos Comenius in erster Linie, der dreihundertjährige Gedenktag seiner Geburt am 29. März dieses Jahres – Comenius wurde in dem mährischen Städtchen Nivnitz geboren – lenkt von neuem die Aufmerksamkeit auf seine Bedeutung, nachdem man schon zur Feier seines zweihundertjährigen Todestages unter dem Namen einer Comenius-Stiftung in Leipzig eine pädagogische Centralbibliothek geschaffen und ihm 1874 an dem Orte seiner ersten Wirksamkeit, zu Prerau in Mähren, ein Denkmal errichtet hat.
Das Leben des Comenius war ein wechselvolles; die Noth des Dreißigjährigen Krieges vor allem mußte ihn, der nach Beendigung seiner theologischen Studien in Heidelberg Lehrer und Prediger der Brüdergemeinde an verschiedenen Orten Mährens geworden war, mit besonderer Schwere treffen: 1624 wurde er aus seinem Beruf und Hause, vier Jahre später aus Mähren überhaupt vertrieben. Lissa in Polen bot ihm eine neue Heimath und in der Leitung des dortigen Gymnasiums eine ausgedehnte Wirksamkeit. Reisen nach England und Schweden folgten. Man war dort auf seine Werke aufmerksam geworden und beschäftigte sich mit dem Plane, die Schule nach seinen Ideen zu reformieren.
Was diesen Ideen solches Aufsehen verschaffte, das war die Forderung, daß sich alle Erziehung und aller Unterricht anzuschließen habe an die natürliche Entwicklung des Geistes, daß alle Belehrung sich stützen müsse auf die Anschauung lebendiger Wirklichkeit. Demgemäß stellte Comenius den Unterricht in der zu gunsten des Lateinischen bisher vernachlässigten Muttersprache voran und verlangte, daß man den Sprachunterricht nicht auf die Schriften der Gelehrten, sondern auf Beispiele aus der wirklichen Welt gründe. Darin liegt das Moderne seiner Gedanken. Es war ihm vergönnt, diesen nicht nur durch seine Schriften Geltung zu verschaffen, sondern sie auch ins Leben umzusetzen. Im Jahre 1650, nachdem er inzwischen nach Lissa zurückgekehrt war, wurde er nach Siebenbürgen berufen, um dort ganz seinen Plänen gemäß eine höhere Lehranstalt einzurichten und zu leiten. Allein diese Zeit ungestörten freudigen Wirkens sollte nicht lange dauern; der Tod des Fürsten Rakoczy, der ihn herbeigezogen hatte, setzte seiner Thätigkeit ein frühes Ziel. Kriegsunruhen vertrieben ihn auch aus Lissa, wohin er sich wieder wandte, und so war der 64jährige Gelehrte gezwungen, bei einem reichen Gönner in Amsterdam Zuflucht zu suchen. Hier starb er im November 1670. Unter seinen Schriften ist besonders hervorzuheben sein Orbis pictus, der erste seiner Art, welcher zahlreiche Nachahmungen hervorrief; sein Gedanke dabei war, in dieser „gemalten Welt“ die Wortbenennungen der Dinge durch die entsprechenden Abbildungen sinnfällig zu machen und so gemäß seiner pädagogischen Theorie Begriff und Anschauung zu verbinden. In der geplanten Gesamtausgabe seiner Werke wird gerade dieses Buch von besonderem Interesse sein.