Eigene Arbeit, Ausstellungen

Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Eigene Arbeit, Ausstellungen
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Entstehungsdatum: 1935 bis 1954
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Eigene Arbeit, Ausstellungen
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Einführung

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Der Artikel Eigene Arbeit, Ausstellungen zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Eigene Arbeit, Ausstellungen“ zusammengestellten Tagebuchauszüge. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

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[101]
Freitag, den 8. März 1935.     

[102] Mittags war Fritz Wegscheider da. Ich gab ihm einige Bilder mit Ahrenshooper Motiven mit, da er heute wieder nach Ahrenshoop zurückgefahren ist. Vielleicht kann man die Bilder dort im Sommer verkaufen.

[103]
Mittwoch, den 13. März 1935.     

[...] [103] als Herr Josef Faensen, – also der Sohn, – kam. Er war noch niemals hier gewesen. Er kam im Auftrage seiner Mutter, um mir zu bestellen, ich möge heute schon um 1 Uhr zum Essen kommen, weil der ebenfalls eingeladene Kaplan schon früh wieder fort müsse. – Ich zeigte Herrn F. meine Bilder, die offensichtlich Eindruck auf ihn machten. Er fand es sehr schade, daß ich nicht mehr male u. er meinte, daß dies doch eine Art von Selbstzerstörung von mir sei u. daß doch dann die Religion die Zerstörerin einer sehr wertvollen Sache sei. Es war zu wenig Zeit, ihm die inneren Gründe auseinanderzusetzen, ich sagte ihm nur, daß es zwar wohl eine Selbstentäußerung sei, aber keine Selbstzerstörung, da durch diese Selbstentäußerung eben nichts zerstört würde, sondern im Gegenteil etwas ganz Neues u. Größeres aufgebaut würde. Das Schaffen von malerischen Bildwerken ist ja an u. für sich eine Selbstentäußerung, indem der Künstler unter oft großen Schmerzen (bei mir wenigstens ist es so) sich seines Ideengutes entäußert u. es in Bildwerke umsetzt, die für ihn dann ganz wertlos sind. Bestenfalls findet er damit Anerkennung, die ihm mit Geld ausgedrückt wird, – aber nicht einmal diesen Vorteil habe ich. Meine Bilder stehen nutzlos u. zwecklos an der Wand u. niemand sieht sie, – was ich auch garnicht so sehr bedaure, denn diese Bilder bleiben doch immer nur ganz trübe Spiegel dessen, was in meinem Inneren vorgeht u. was ich ausdrücken wollte. Es ist also kein so sehr schmerzlicher Verzicht für mich, wenn ich auf diese Art des künstlerischen Schaffens verzichte, denn erstens ist der Schaffensprozeß selbst eine schmerzhafte Qual, die bei meiner Art zu arbeiten meist monatelang anhält u. fast über meine Kraft geht, – u. zweitens ist das Resultat dieser monatelangen Quälerei stets unbefriedigend. – Ich male ja nicht, um irgendetwas Schönes in der Natur schön darzustellen, damit ich selbst oder andere Freude daran haben sollen, sondern ich male um einer Idee willen. Meine Ideen aber sind nun einmal abwegig, sie liegen nicht in der Richtung satter Zufriedenheit, sondern ich will die Mängel u. Fehler unserer Kultur u. unseres zivilisierten Lebens aufweisen, ich will die Lüge u. Unehrlichkeit unseres bürgerlichen Lebens zeigen. Es ist da doch kein Wunder, daß die Menschen solche Bilder ablehnen u. entrüstet zurückweisen, denn sie fühlen sich ja in ihrer Unehrlichkeit sehr wohl u. behaglich.

     Da es mir nun also beim Malen garnicht auf ein schönes Bild [104] ankommt, sondern auf die Aufdeckung von häßlichen Unwahrheiten unseres Lebens so kann ich das Malen ziemlich gleichgültig aufgeben, sobald ich eingesehen habe, daß die Menschen sich von solchen Aufdeckungen ihrer Lügen nicht belehren lassen wollen, sondern mich ganz einfach totschweigen und boykottieren. Ich kann das Malen deshalb gleichgültig aufgeben, weil sich mir im Christentum eine weit schärfere Waffe im Kampf gegen Lüge u. Unwahrhaftigkeit angeboten hat. Ich gebe zu, daß ich diese Waffe noch nicht richtig zu führen verstehe u. daß ich noch lernen muß; aber das ist doch nur eine Frage der Zeit u. ich hoffe doch, daß ich bald so weit sein werde, meinen Kampf neu aufzunehmen. Also ist das Aufgeben des künstlerischen Schaffens zwar wohl eine Selbstentäußerung, indem ich mich von Hoffnungen, Wünschen, Eitelkeiten, Erfolgen usw. kühl abwende, denen ich wohl dreißig Jahre meines Lebens vergeblich nachgelaufen bin, – aber es ist keine Selbstzerstörung. Mein inneres Wollen, das Ziel ist genau dasselbe geblieben, nur das Mittel zur Erreichung des Zieles hat gewechselt u. ist ein besseres geworden. Mir ist das Malen ja niemals Selbstzweck gewesen, sondern nur immer Mittel zum Zweck. Dieses Mittel habe ich gewechselt, es heißt heute Religion. Der Zweck ist stets derselbe geblieben, – dieser Zweck ist die Darstellung des höheren Menschen, wie ich das früher nannte, – ist die Darstellung Christi, wie ich es heute nenne. – [...]

[105]
Dienstag, den 30. April 1935.     

[...] [105] Dann habe ich den größten Teil meiner alten Bilder von den Rahmen abgenommen u. zusammengerollt, meinen Namen überall herausgeschnitten. Ich werde sie meinem Nachbar Gorbatiuk als alte Leinewand schenken, der sie auf der Rückseite noch verwenden kann. Das Bild: „Josef u. Potiphars Weib“ habe ich mit Farbe überschmiert, wie mir P. Momme-Nissen einmal geraten hat. Er würde schmunzeln, wenn er es wüßte. – [...]

[106]
Dienstag, den 17. September 1935.     

[106]      Meine Zeit in Ahrenshoop erfuhr eine plötzliche Unterbrechung. Am Donnerstag Abend meldete sich der älteste Sohn Marias, – Kurt, – der hier in Berlin eine erfolgreiche Versicherungs=Agentur betreibt, nachdem er früher in der Ablegung des juristischen Referendar-Examens [107] weniger erfolgreich gewesen war, – für einen plötzlichen Besuch bei seiner Mutter an. Er wollte am Freitag kommen. Da mir das laute, aufdringliche u. unbescheidene Wesen dieses jungen Mannes einfach unerträglich ist, zog ich es vor, am Freitag Nachmittag die Flucht nach Prerow zu meinem Kollegen Theodor Schulze=Jasmer zu ergreifen, der dort ein hübsches, altes Fischerhaus besitzt u. ein vorzüglicher Graphiker ist. Er wohnt in Prerow mit seiner Frau. Er selbst hat am Strande einen sehr hübschen Laden, in dem er seine Bilder u. fremdes Kunstgewerbe verkauft, seine Frau betreibt derweil im Hause mit viel Geschick eine Pension.

     Ich ließ mich von Fritz hinfahren, Maria begleitete mich. Dieser plötzliche Abbruch meines Aufenthaltes war zwar etwas wehmütig, aber ich verband damit die Ausführung einer Absicht, die ich schon im vorigen Jahre gehabt hatte, aber nicht durchgeführt hatte, – ich wollte mir nämlich von Sch.-J. die Technik des Holzschneidens zeigen lassen. Ich habe oft bedauert, daß ich nicht Holzschnitte machen kann, besonders jetzt in meiner engen Klause, in der ich doch kaum malen kann.

     Das Ehepaar Sch.-J. ist ausnehmend nett. Mein Kollege ist kein bedeutender, aber ein guter Maler, aber wesentlich ist, daß er wie seine Frau Menschen sind ohne jeden Falsch, ohne jeden Hinterhalt. Es sind einfach unkomplizierte, grade Menschen die garnicht anders als freundlich sein können. So wurde ich herzlich aufgenommen u. gleich am nächsten Morgen ging Sch.-J. daran, mich in die Geheimnisse der Holzschnitt-Technik einzuweihen. Ich habe den ganzen Sonnabend fleißig gearbeitet, sodaß ich nun alles weiß, was dazu notwendig ist. Nun ist es an mir, das nötige Handwerkszeug zu besorgen u. mich zu üben, bis ich die Geschicklichkeit der Hand erlangt habe, die eben nur durch Übung erreichbar ist. – [...]

[201]
Sonnabend, den 16. Oktober 1943.     

[201]      In dieser Woche habe ich seit vielen Jahren wieder einmal zu malen versucht. Durch Hülsmann habe ich gutes Aquarellpapier bekommen und auch Aquarellfarben. Der erste Versuch mißlang vollständig, einen zweiten Versuch habe ich gleichfalls aufgeben müssen. Die Technik ist schwierig – aber vor allem schlage ich mich noch mit Kompositionsproblemen herum. Wenn man in Oel malt, kann man das während dem Malen tun, beim Aquarell soll aber alles gleich sitzen. Gestern betrachtete ich Reproduktionen nach Picasso u. es wurde mir einigermaßen klar, woran ich gescheitert bin, nämlich an den Formen, die in's Bild hineingehen, also hier hauptsächlich am Vorder= u. Mittelgrund. Es handelte sich um einen Weg u. eine Wiese, die vom Vordergrund in den Mittelgrund reichen. Dergleichen kann Picasso offenbar auch nicht lösen. [...]

[301]
Sonnabend, 19. Januar 1946.     

[...] [301]      Die Komposition eines solchen Bildes ist sehr geheimnisvoll u. erscheint mir stets wie ein Wunder. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte u. keine errechenbaren Gesetze, nach denen die Linien grade so sein müssen, u. doch gibt es immer nur diese eine einzige Lösung, die man eben finden muß. Alle anderen Lösungen sind falsch oder mindestens unvollkommen, aber weshalb sie das sind, kann ich nie sagen, es gibt keine Gründe dafür. – Das Suchen nach der richtigen Lösung hat Ähnlichkeit mit dem Zustande, den Johannes vom Kreuz „Die Nacht des Glaubens“ nennt. Auch im Glauben gibt es keinerlei Beweismittel, man muß sich dem Glauben bedingungslos hingeben, ohne sich am sicheren Geländer des Verstandes festzuhalten. Es ist das ein beängstigender Zustand, den Joh. v. Kr. eben „Nacht“ nennt, was überaus treffend ist. Auch beim Komponieren eines Bildes tappt man völlig im Dunkel u. das Schlimme ist, daß sich das jedesmal wiederholt. Man sollte meinen, daß sich die Sache lernen ließe, sodaß man es mit zunehmender Erfahrung dann [302] leichter hätte; aber davon ist keine Rede. Der einziger Vorteil, den ich mit zunehmendem Alter habe, ist der, daß ich mißtrauischer gegen meine eigene Arbeit bin u. daß ich heute leichter u. rascher erkenne, was falsch ist. Früher gefiel mir immer das, was ich da entwarf, ausnehmend gut u. ich fing dann gleich mit Malen an, weil ich glaubte, alle Schwierigkeiten gelöst zu haben. Aber beim Malen traten dann langsam die Schwierigkeiten hervor, die ich vorher nicht gesehen hatte, u. nun war es immer eine furchtbar anstrengende Arbeit, die Komposition umzuändern. Meist war es garnicht möglich u. so blieben die Bilder unbefriedigend u. nur halb gelöst. Auch jetzt gefällt mir das, was ich mache, in der ersten Fassung meist sehr gut, denn es entspricht ja dem, was ich wollte; aber ich weiß heute, daß es deshalb noch längst nicht dem entsprechen muß, was das Bild will, ja, daß es dem sogar zumeist direkt widerspricht. Es kommt aber darauf an, was das Bild will, wenn man das nicht herausbringt, kann nichts daraus werden. Ich habe also die Erfahrung, daß man die erste Fassung erst stehen lassen muß, bis die eitle Freude am eignen Werk verklungen ist, erst dann beginnt die Stimme des Bildes hörbar zu werden, – u. diese Stimme protestiert meistens. Es kommt darauf an, diese Stimme zu verstehen, u. das ist eben das Allerschwerste beim künstlerischen Schaffen. [...]

[303]
Dienstag, 9. Juli 1946.     

[...] [304] Dabei zeigte Fritz ganz alte Fotos nach früheren Bildern von mir, die längst nicht mehr existieren. Ich war gerührt über die Treue, mit der Fritz diese Sachen aufgehoben hat. Einige dieses Bilder waren mir sehr interessant. Es sind das alles Bilder, deren ich mich nicht zu schämen brauche. Zwar sind sie nicht völlig gelöst, aber das Wollen ist sehr erkennbar. Es sind ernste Arbeiten mit viel innerer Leidenschaft gemalt. Ich habe davon einige ausgewählt u. werde sie nun noch einmal malen nach mehr als zwanzig Jahren u. denke, daß ich nun die damals noch ungelösten Probleme besser lösen werde. [...]

 
Kleine Stadt
 
Sehr erstaunte Kobolde
 
Sonnenblume
 
Am Bahnhof Friedrichstraße
[501]
Aschermittwoch, 7. Febr. 51.     

[...] [501]      An dem Bilde, an dem ich male –, nach dem Birkenwerder Motiv, gibt es viele Schwierigkeiten. Jetzt habe ich alles endlich so weit hin, aber der Vordergrund ist noch nicht gelöst. Ich hoffe, daß ich heute endlich die Lösung gefunden habe. Dr. R. sah das Bild u. wußte damit nichts anzufangen. Er meinte: „wer kauft sowas?” – Ich fragte zurück, was ihm daran nicht gefiele. Er sagte, es mache auf ihn den Eindruck eines Kinderspielzeugs. Ich sage: „Nun ja, das will ich wohl auch“. Ich setzte ihm auseinander, daß ich beim Malen ganz genau dasselbe Vergnügen hätte wie ein Kind, welches mit seinem Baukasten eine Stadt zusammenbaut. Das Kind tut das, weil ihm das Bauen eines Raumes Vergnügen macht, u. ich tue genau dasselbe. Ich führte ihn in den von mir gemalten Raum hinein, wobei mich Elisab. in einer sehr ausgezeichneten Weise unterstützte. Sie sprach nicht von Ästhetik oder sonst gelerntem Kram, sondern sie sprach aus einem echten Erlebnis heraus, sodaß man unmittelbar fühlte, daß sie wirklich in diesem Bilde drin ist u. den [502] gemalten Raum erlebt u. mit ihrer Fantasie erfüllt. Ich war ordentlich überrascht davon u. war ungemein erfreut. [...]

[502] Ich kann in der DDR nirgends ausstellen, weil es mich anwidert, Kumpels, Mauer u. Eisengießer zu malen. Heute kann bei uns ein Maler nur dann Anspruch auf Interesse haben, wenn er Arbeiter malt. Wir andern malen ein Bild nach dem anderen u. stellen es gegen die Wand, u. daß ist bestimmt nicht das, was ich mir einst unter meinem Künstler=Beruf vorgestellt habe. Es gehört schon recht viel zähe Energie dazu, trotzdem weiter zu malen u. wenn nicht von Zeit zu Zeit mal ein paar Leute herkämen, um sich die Bilder anzusehen, würde es ganz schlimm sein.

     Nachdem Elisab. in so verständnisvoller u. sehr überzeugender Weise von meinem Bilde gesprochen hatte, sagte Dr. R., daß er nun das Bild mit ganz anderen Augen ansähe, daß es ihm jetzt sogar sehr gefiele. – Ich freute mich sehr.! Solche Besuche von Interessenten regen mich doch sehr an, man hat das unbedingt nötig.

[503]
Mittwoch, 18. Juli 51.     

[...] [504] Gott will durch mich die Materie erfahren, ich bin Organ Gottes u. dazu bestimmt, an der Erlösung und Vergöttlichung der Materie mitzuarbeiten. Und ich tue das mit meiner Malerei so gut ich eben kann. Ich male nicht, um die äußere Schönheit der Natur wiederzugeben, wie die abendländischen Künstler das seit der Renaissance bis zum Impressionismus getan haben, sondern ich versuche, das innere Wesen u. die Gesetzmäßigkeit der Erscheinung klar hinzustellen. Wieweit mir das gelingt, ist eine müßige Frage, es kommt nur auf die Absicht an. Meine Malerei ist der Versuch der Erlösung der Materie aus ihrer Stofflichkeit –, u. so fühle ich mich als Mitarbeiter Gottes am Erlösungswerk. – [...]

[505]
Donnerstag, 18. Okt. 51.     

[...] [505] Gestern legte ich das neue Bild an: „Erstaunte Kobolde“ – Dieses Bild verspricht außerordentlich gut zu werden, es ist sehr frisch u. stark in den Farben, blau, gelb, grün u. rot u. dabei sehr lustig u. amüsant. Obwohl dieses Bild ganz aus abstrakten Formen entstanden ist, die sich rein zufällig aus Flecken auf der Rückseite einer alten Leinewand ergaben, auf die ich den Bahnhof Friedrichstraße malte, spricht es doch gerade durch seinen fantastisch=koboldhaften Inhalt an. – Das ist nun sehr interessant. – Eines meiner besten Bilder, die jetzt in meinem Atelier an der Wand hängen, [506] ist das kleine Sonnenblumenbild, das ich erst kürzlich malte u. das mir immer besser gefällt, je länger ich es ansehe. Aber dieses Bild läßt den Beschauer dennoch kalt, wie ich neulich sah, als Dr. Richter mit Herrn Nagel u. den Damen hier waren. Das Bild ist zu abstrakt u. hat weiter keinen Inhalt. Das neue Koboltbild ist an sich noch abstrakter, aber dadurch, daß ich in die Formen Augen u. Nasen u. Münder hineingemalt habe, bekommt es etwas Gegenständliches oder Begriffliches u. dadurch wird es sofort interessant. Vom Standpunkt der absoluten Malerei aus gesehen sind diese Gesichtsandeutungen völlig überflüssig, sie haben mit der eigentlichen Bildgestaltung nichts zu tun u. könnten ebensogut nicht vorhanden sein die Formgestalt des Bildes würde dadurch nicht berührt; aber das Bild würde dann uninteressant sein. Es ist das ebenso wie bei dem Hofer'schen Karnevalsabend in der Ausstellung des Künstlerbundes. Die Figuren in diesem Bilde haben mit der Bildgestaltung selbst nichts zu tun, sie sind eine Zugabe, aber durch diese wird das Bild erst interessant. Ohne sie würde das Bild zwar seinen formal=künstlerischen Wert ungeschmälert behalten, aber es würde nicht so interessant sein, es würde den Beschauer nicht so ansprechen.

     Andererseits darf ein solch gegenständlicher Bildinhalt nicht so stark sein, daß er das Bild beherrscht oder gar zur Hauptsache wird. Dann kommt man unweigerlich zu dieser albernen Inhaltsmalerei, wie sie hier im Osten von den Banausen verlangt wird u. wo der Inhalt die Hauptsache u. die künstlerische Bildgestaltung ganz unwichtig wird. Bei meinem Bilde „Bahnhof Friedrichstraße“ z.B. ist es auch so Ich hätte dieses Bild vielleicht besser völlig abstrakt malen sollen, aber es wäre dann so geworden, daß garkeine Beziehung zum gegenständlichen Inhalt mehr vorhanden gewesen wäre. Formal wäre es dann vielleicht besser geworden, aber der Beschauer hätte keine Beziehung mehr dazu gefunden, das Bild hätte nicht angesprochen, – so wie das Sonnenblumenbild. – Es ist eben sehr schwer, die richtige Grenze zu finden zwischen der Abstraktion u. der erkennbaren Gegenständlichkeit. [...]

 
Lupinen
 
Verkündigung
 
Fischernetze
[601]
Donnerstag, 29. Mai 52.     

[601]      Der gestrige Besuch von Frau Dr. Daehne war recht interessant. [...]

[601]      Wir tranken dann eine Tasse Kaffee u. meine Bilder waren der Mittelpunkt des Gespräches. Frau Dr. D. hat bislang noch niemals irgend eine nähere Beziehung zur bildenden Kunst gehabt, sie u. ihr Mann leben in einer Wohnung mit völlig leeren Wänden. Es fiel dieser Frau also nicht leicht, eine Beziehung zu meinen Bildern zu bekommen, aber andererseits waren auch keine Vorurteile vorhanden, die erst beseitigt werden mußten. – Von den Bildern gefiel ihr –, wie allen Menschen –, am meisten das Lupinenbild, sodann auch die Kleine Gasse u. schließlich, aber nicht zuletzt ein Bild, welches ich selten zeige u. das Elisabeth hervorholte: „Verkündigung“. – Im großen Ganzen war es so, daß ihr meine Bilder zu vollkommen sind. Es kam das bei dem Mondbild mit den Fischernetzen sehr zum Ausdruck. Sie fand dieses Bild wohl sehr [602] schön, aber sie fand es krystallisch u. kalt, während sie zu der viel schlechteren Zeichnung sofort eine sehr starke Beziehung fand. Diese Zeichnung fand sie warm u. menschlich, sie war von ihr sehr berührt, grade weil die Zeichnung weniger vollendet ist als das Bild. In der Zeichnung sind Zufälligkeiten, die auch anders sein könnten, u. grade das spricht sie an, während ihr die krystallische Vollkommenheit des Bildes unheimlich ist.

     Damit drückte sie ihre Grundhaltung gegenüber meinen Bildern aus u. diese ist durchaus berechtigt. Meine Bilder sind tatsächlich krystallene Kugeln, es kann an ihnen nichts geändert werden u. dadurch wirken sie im Verhältnis zu anderen Bildern, sagen wir Rembrandt, kalt, starr, unheimlich, unmenschlich. Dies aber ist etwas, was mir von größter Wichtigkeit ist. Es ist darin die entschiedenste Ablehnung unserer chaotischen Zeit u. auch einer Kunst, die dieses Chaotische zum Inhalt hat wie z.B. Max Beckmann. Diesen Künstler lehne ich vollkommen ab, er ist für mich einfach zuchtlos, lasterhaft u. –, was das Schlimmste ist –, schamlos. Dagegen empfinde ich z.B. Carl Hofer als zuchtvoll, wenn er auch einige sehr wüste Bilder gemalt hat; aber bei ihm ist alle Leidenschaft zuchtvoll u. discipliniert. Erst wenn das der Fall ist, empfinde ich ein Bild wirklich als Kunst. – Es ist klar, daß in unserer Zeit, deren Merkmal der Kampf der chaotischen Unordnung gegen die ordnenden Kräfte ist, meine Kunst wenig Anklang findet. [...]

[701]
Donnerstag, 31. Dez. 53.     

[...] [702] Sehr viele meiner Kollegen aus der Novembergruppe sind heute irgend etwas. Sie sind zwar größtenteils viel weniger künstlerisch begabt wie ich selbst u. was sie leisten, ist meist nichts Besonderes, aber sie haben sich doch wenigstens eine gesicherte, soziale Position errungen. Ich dagegen bin der Ehemann einer jungen Frau, Vater eines reizenden Kindes, aber künstlerisch bin ich so gut wie eine Null. Wenn ich die Bilder an den Wänden meines Ateliers betrachte, so finde ich nicht, daß sie eine epochemachende große Sensation sind. Ich mache nichts wirklich Neues, Originelles im Sinne wie die Großen, etwa Picasso oder andere; aber was ich mache ist gut, meine Bilder haben künstlerische Kultur, sie sind ernsthaft u. verantwortungsvoll u. sind besser als manche anderen derer, die heute einen großen Namen haben u. sich breit spreizen. Und doch bin ich eine Null, denn niemand kennt u. sieht diese Bilder, es ist so als ob sie garnicht existierten. [...]

[703] Seit 1944, als ich wieder anfing, zu malen, also vor zehn Jahren, habe ich bis heute insgesamt 134 Bilder gemalt von denen ich allerdings einige übermalt habe, sodaß sie doppelt gezählt sind, es mögen aber doch rund 130 Bilder sein, welche tatsächlich existieren. Von diesen habe ich drei Stück an Else verkauft, eins wurde an einen Herrn Zieger u. eins an Herrn Dr. Krohn in Meißen verkauft, eins an die Bundesregierung, eins an Charlotte Sinn u. eins an Frau Dr. Falke verkauft, eins an Dr. Richter so gut wie verschenkt. Ich habe also in zehn Jahren ganze neun Bilder verkauft von 130 Stück! – Fünf weitere Bilder habe ich in dieser Zeit verschenkt u. zwei sind verliehen, also so gut wie verschenkt. Es sind also gerade sechzehn Bilder aus meinem Atelier hinausgegangen, das ist alles. Eine wahrhaft prächtige Bilanz von zehn Jahren Arbeit. Ich meine, ich hätte allen Grund, über diesen Mißerfolg sehr betrübt zu sein, aber noch betrübter bin ich, daß ich bei E. so gut wie garkein Verständnis für diese meine Betrübnis finde. Es ist eine sehr naive Vorstellung vieler Laien, die meinen, es müßte uns Künstlern völlig genügen, Werke zu schaffen, Anerkennung zu suchen finden sie geradezu minderwertig als Eitelkeit u. Materialismus. [...]

[801]
Sonntag, 20. Juni 54.     

[...] [802]      Mich interessiert sehr der Vergleich meiner Aquarelle mit meinen Bildern. Jene sind Naturstudien, die zwar sehr individuell sind, aber sich doch prinzipiell an die Natur halten, dabei ist ihnen das unmittelbare Erlebnis vor der Natur eigen. Dieses macht die Aquarelle sehr frisch u. lebendig, meine Oelbilder haben das nicht; aber dafür sind diese eben viel klarer u. abgewogener u. über dies in den Farben viel reiner u. leuchtender. [...]

[803]
Dienstag, 13. Juli 54.     

[...] [803] fuhr ich zum Oranienburger Tor in die Dt. Bücherstube u. sah mir die Aquarelle von einem Kollegen Wagner an, die dort noch bis zum 15. Juli ausgestellt sind. Ich dachte, etwas lernen zu können, aber damit war's nichts. Die Aquarelle waren sehr sorgfältig u. akkurat gemalt, auch sind sie in der Farbe nicht schlecht, wirken aber doch trocken u. ziemlich pedantisch, obgleich sie ganz flott gemacht sind. Ich fand sie jedenfalls reichlich langweilig. Wagner setzt sehr sorgfältig die Farben trocken übereinander, ohne die Ränder zu verwaschen, waschen tut er überhaupt nicht. Bei mir fängt das Aquarellieren erst mit dem Waschen an. Meine Zeichnung kann dabei natürlich nicht so akkurat bleiben, aber dafür haben [804] meine Aquarelle viel mehr Schwung. Ich könnte mir aber denken, daß man gerade deshalb jenen Aquarellen den Vorzug geben könnte vor den meinen. [...]