Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte: Die Basken

Textdaten
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Autor: Paul Schellhas
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Titel: Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte. Die Basken
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 768–771
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Theorien zum Ursprung der Basken und ihrer Sprache
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Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte.[1]

Von Dr. P. Schellhas.
Die Basken.

Eins der Merkmale, an denen sich die uralten, in unbekannte und vorgeschichtliche Zeiten zurückreichenden Beziehungen zwischen den Völkern der Erde erkennen und erforschen lassen, ist die Sprache. Das gesprochene Wort, so leicht und flüchtig es auch scheint, ist der Zeuge einer fernen Vergangenheit, es ist älter als alle anderen geschichtlichen Denkmäler, die der zerstörenden Zeit entgangen sind, es ist in gewissem Sinne dauerhafter als Marmor und Erz. Wenn es auch im Laufe der Jahrhunderte Wandlungen durchmacht, im Gesamtbilde der Sprache kommt doch die Kunde von Völkerbeziehungen auf uns, die in den Erinnerungen der Völker selbst längst verschollen und vergessen sind. Die Wissenschaft der vergleichenden Sprachforschung sucht diese Beziehungen zu ermitteln, und sie hat fast in allen Teilen der Erde nachgewiesen, wie die einzelnen Völker untereinander verwandt sind, und welche von ihnen zu Gruppen, zu Völkerfamilien zusammengehören, deren Sprachen nur Zweige eines großen gemeinsamen Stammes sind. So gilt das ja auch für Europa, und die Sprachengruppen unseres Erdteils und ihre Verwandtschaftsgrade sind im allgemeinen genau bekannt.

Wenn wir nun eine „Sprachenkarte“ Europas vornehmen, eine Landkarte, auf der die einzelnen zusammengehörigen Sprachengebiete durch verschiedene Farben bezeichnet sind, so finden wir im nordwestlichen Winkel Spaniens und in den nächsten Grenzgebieten Frankreichs, zu beiden Seiten am Fuße der Pyrenäen, einen Fleck, der mit besonderer Farbe bezeichnet ist. Am Rande der Karte sehen wir, daß diese Farbe eine „isolierte“ Sprache bedeutet, eine Sprache, die mit keiner anderen verwandt, in keiner Gruppe unterzubringen ist. Wir haben in der angedeuteten Gegend des südwestlichen Europas einen Volksstamm vor uns, dessen Sprache uns vor ein dunkles Gebiet der Menschheitsgeschichte stellt.

Es ist der Volksstamm der Basken, oder wie sie selbst sich nennen, der „Escualdunac“, der dort wohnt, und ihre Sprache ist das Baskische oder das „Escuara“. Mitten im Gebiete der romanischen [769] Völker sitzt dort ein vereinsamtes Volk, das mit keinem seiner Nachbarn und überhaupt mit keinem Volke der Erde Verwandtschaft zeigt und eine ganz eigene Sprache spricht, ein Glied der Menschheit, das wie ein Fremdling unter den europäischen Völkern erscheint und dessen Herkunft und Abstammung mit einem fast undurchdringlichen Geheimnis umgeben ist.

Das Gebiet dieses merkwürdigen Volkes läßt sich noch näher bezeichnen, indem man den Winkel des Meerbusens von Biscaya, zu beiden Seiten der Pyrenäen, dafür angiebt. Das Hauptgebiet der Basken liegt in Spanien, drei seiner nordwestlichen Provinzen sind ausdrücklich die „baskischen“ Provinzen benannt. In Südfrankreich gehört noch ein Stück des Departements Niederpyrenäen dazu mit der Stadt St. Jean de Luz, die noch vorwiegend baskische Bevölkerung hat. Im ganzen schätzt man die Zahl der Basken auf etwa 400 000, wovon ungefähr ein Viertel auf Frankreich entfällt. Sie nehmen von Jahr zu Jahr ab, wie das bei ihrer vereinzelten Stellung unter den übermächtigen Einflüssen der Nachbarvölker sehr erklärlich ist, und eine lebhafte Auswanderung nach Amerika trägt ebenfalls dazu bei, ihre Zahl zu vermindern. Ihre Stammeseigentümlichkeiten verlieren sich zum Teil auch schon dadurch, daß eine große Anzahl Basken ihren Verdienst in anderen Provinzen Spaniens sucht und infolgedessen fremde Sprache und Sitte annimmt.

[770] Schon körperlich und im Volkscharakter unterscheiden sich die Basken von den umwohnenden Romanen. Leider hat das Baskenvolk im Laufe der Jahrhunderte so zahlreiche fremde Elemente aufgenommen, daß die Feststellung bestimmter körperlicher Merkmale sehr erschwert ist. Die darauf bezüglichen Untersuchungen der französischen Gelehrten, die sich in neuerer Zeit mit den Basken lebhaft beschäftigt haben, widersprechen einander vielfach in der merkwürdigsten Weise. Immerhin zeichnen sich die Basken durch Größe und schönen Wuchs vor den umwohnenden Romanen aus, und auffallend ist ihre helle Hautfarbe und das zahlreiche Vorkommen von blauen Augen und blondem Haar unter ihnen. Sie haben die Charaktereigenschaften eines freien und stolzen Gebirgsvolkes: eine glühende Liebe für ihr Land, einen lebhaften Unabhängigkeitssinn, Kühnheit und Unerschrockenheit, sie sind abgehärtet und von patriarchalischer Einfachheit, an alten Sitten und Gebräuchen halten sie zähe fest. Berufszweige, die Körperkraft, Mut und Gewandtheit erfordern, lieben sie besonders: sie sind tüchtige Seeleute und Fischer und – an der Grenze – gefürchtete Schmuggler. Neigung zu ausgelassener Fröhlichkeit ist ihnen ebenso eigen wie leidenschaftliche Erregbarkeit. Der Baske ist von alters her unabhängig gewesen, eine bäuerliche Unterthänigkeit, eine Feudalherrschaft hat es in seinem Lande nie gegeben. Daher ist der Stolz des armen Mannes nicht geringer als der des Begüterten. Die Frauen sind arbeitsam wie die Männer und – abweichend von den meisten Spanierinnen und Französinnen – tüchtige Hausfrauen. Ackerbau und Industrie blühen im Lande dieses thätigen Volkes wie nirgends in Spanien.

Die seltsamste Eigentümlichkeit des Baskenvolkes ist nun aber seine Sprache, und diese ist es vor allem, die uns zeigt, daß wir es hier mit einem ganz vereinzelten Ueberbleibsel vergangener Abschnitte der Menschheitsgeschichte zu thun haben. Die baskische Sprache weicht von allen europäischen in auffallender Weise ab, sie zeigt das Gepräge hohen Alters und hat noch die Merkmale eines frühen Entwicklungsstandpunktes bewahrt. Um eine Vorstellung von der Eigentümlichkeit der Baskensprache zu geben, wird es genügen, zu sagen, daß sie in ihrem Bau am meisten den Sprachen der – Indianer Nordamerikas ähnlich ist! An Wortstämmen ist sie arm wie die Sprache eines einfachen Urvolkes, das keine Veranlassung hatte, einen reichen Wortschatz zu bilden. Erstaunlich ist dagegen die Fähigkeit, Zusammensetzungen zu bilden, und ganz besonders gruppiert sich das Zeitwort im Satzbau mit einer unendlichen Anzahl von Anhängseln, die alle erdenklichen Beziehungen ausdrücken. Schon die Deklinationsformen sind außerordentlich zahlreich. Zu den vier bis sechs Fällen, mit denen sich die Grammatik der bekannten europäischen Sprachen begnügt, fügt das Baskische noch eine ganze Reihe weiterer, so daß leicht etwa zehn bis fünfzehn Fälle herauskommen. Was würden unsere über das Lateinische und Griechische seufzenden Gymnasiasten sagen, wenn sie sich mit dem Baskischen beschäftigen müßten, angesichts der Thatsache, daß man in dieser merkwürdigen Sprache ohne Schwierigkeiten einige hundert Konjugationen aufstellen kann! Das Zeitwort drückt in seiner Form nicht nur alle erdenklichen Beziehungen des Sprechenden zum Objekt aus, sondern es bildet sogar von jeder Konjugationsart wieder vier verschiedene Formen, je nachdem der Sprechende eine ihm gleichstehende Person anredet, einen Höherstehenden, einen Niedrigerstehenden oder eine Frau! Diese unendliche Fülle von Formen, die ein Ganzes von fast mathematischer Regelmäßigkeit der Kombination bilden, machte den Sprachgelehrten von jeher so große Schwierigkeiten, daß der Jesuit Larramendi, der im Jahre 1729 eine Grammatik des Baskischen herausgab, dieser den Titel vorsetzte: „El imposible vencido“ (Das Unmögliche möglich gemacht). Er meinte damit, daß es ihm gelungen sei, den Weg durch dieses Labyrinth zu finden.

Welches ist nun der Ursprung dieses rätselhaften Volkes? Ist es der letzte Überrest eines gänzlich ausgestorbenen Völkergeschlechts, der letzte völlig verwaiste Sproß einer untergegangenen Rasse, oder giebt es heutigestags noch irgendwo auf der Erde Völker, mit denen die Basken näher oder ferner verwandt sind und von denen sie vielleicht in Urzeiten durch Wanderungen oder Völkerumwälzungen Hunderte und Tausende von Meilen getrennt worden sind? Diese und ähnliche Fragen haben die Forschung von jeher lebhaft beschäftigt, die abenteuerlichsten Erklärungsversuche sind aufgestellt und Beziehungen zu den entferntesten und verschiedenartigsten Völkern gemutmaßt worden. Es giebt eine merkwürdige Liste, wenn man alle die Völker zusammenstellt, mit denen die Basken nach den mehr oder minder scharfsinnigen Theorien der verschiedenen Gelehrten verwandt sein sollen. – Da ist zunächst eine halb mythologische Idee zu verzeichnen, die in vergangenen Jahrhunderten ihre Vertreter fand und nach welcher die Basken von dem Patriarchen Thubal abstammen, der einer alten Legende zufolge in Spanien eingewandert war. Man sieht, daß schon in früheren Zeiten, denen eine streng wissenschaftliche Methode noch entbehrlich schien, der Ursprung der Basken bedenkliches Kopfzerbrechen gekostet hat.

Die neuere Wissenschaft hat zunächst ihr Augenmerk auf die Völker an den Küsten des Mittelmeeres gerichtet und hier Anknüpfungspunkte für die Basken gesucht. So haben einige französische Forscher in der Sprache der alten Aegypter gewisse Fingerzeige für eine Verwandtschaft mit den Basken finden wollen; indessen diese angeblichen Aehnlichkeiten sind so schwach, daß man mit einigem Geschick in allen möglichen Sprachen solche Aehnlichkeiten finden kann. Dasselbe gilt von dem Versuche, die alten Etrusker – ein merkwürdiges, jetzt untergegangenes Volk im heutigen Mittel- und Norditalien, das ebenfalls zu mancher ungelösten Frage Anlaß bietet – als Verwandte der Basken auszugeben. Andere stellen allgemeiner die Behauptung auf, daß die Basken aus Italien stammten, wieder andere haben die Phönicier oder die Punier, die Bewohner Karthagos, Völker semitischer Abstammung, zum Vergleich herangezogen, weil in einem Lustspiel des römischen Dichters Plautus sich einige Verse in punischer Sprache finden, die angeblich Uebereinstimmungen mit dem Baskischen zeigen sollen.

Mit kaum mehr Erfolg hat man versucht, ganz allgemein die Basken in einer der großen Sprachen- und Völkergruppen der Alten Welt unterzubringen. Für das Baskische als eine semitische Sprache sind mehrere Forscher eingetreten, ohne indessen ihre Gegner überzeugen zu können. Wie schwach die Begründung dieser Ansicht sein muß, ergiebt sich schon zur Genüge aus dem Umstande, daß andere Gelehrte die Basken ganz im Gegenteil zur indogermanischen Völkerfamilie, zu der auch wir Germanen gehören, zählen wollen. Und nicht genug damit: wieder andere meinen, daß nur in den Sprachen des uralaltaischen Stammes, zu dem beispielsweise die Türken, die Ungarn, die Finnen gehören, Anklänge an das Baskische zu entdecken seien. Ganz besonders im Finnischen hat ein französischer Forscher dergleichen nachweisen wollen. Endlich hat eine vereinzelte Stimme gar im besonderen uns Deutsche und unsere nächsten Verwandten als Vettern der Basken angesprochen; diese sollten germanischen Ursprungs sein, Abkömmlinge germanischer Söldner, die von den spätrömischen Kaisern zum Schutze der Engpässe in den Pyrenäen nach Spanien geschickt worden seien! Wie man sieht, sind damit die in Europa vorkommenden Völkergruppen beinahe erschöpft, und gäbe es noch mehr, so würden sicher auch noch einige Theorien mehr zu verzeichnen sein. Der Gedanke, in den Basken die Urbewohner Spaniens selber zu sehen, soll noch später nähere Erwähnung finden.

Eines steht fest: keine der europäischen Sprachen, keine lebende und keine tote, hat irgend welche Aehnlichkeit mit dem Baskischen.

Aber die Blicke der Forscher richteten sich weiter hinaus über die Grenzen Europas und der Alten Welt. Wenn die europäischen Sprachen keinen Anhaltspunkt für die Erklärung des Ursprungs der Basken boten, so lag es nahe, anzunehmen, daß sie aus anderen Erdteilen her eingewandert seien. Und warum sollte das nicht möglich gewesen sein in den ungeheuren Zeiträumen der Menschheitsgeschichte? Einige solcher Versuche, die Herkunft der Basken von außereuropäischen Völkern abzuleiten, sind bereits erwähnt, so diejenigen, in den alten Aegyptern oder in den Phöniciern Stammverwandte der Basken nachzuweisen. Auch andere Völker des nördlichen Afrika sind schon zum Vergleich herangezogen worden. Ebenso ist bereits die merkwürdige Thatsache erwähnt, daß der Bau der Escuarasprache mit den Sprachen der nordamerikanischen Indianer einige Aehnlichkeit zeigt. Diese Aehnlichkeit war es, die den Anlaß bot zu einer vielfach erörterten Hypothese, nämlich zu der vom amerikanischen Ursprung der Basken.

In der That, die ferne Neue Welt ist von vielen Seiten als das geheimnisvolle Ursprungsland des seltsamen Volkes an den Pyrenäen bezeichnet worden. Die geographische Lage des Baskengebietes ist ja einer solchen Vermutung insofern günstig, als es sich gerade an einer der westlichsten Küstenstrecken Europas befindet, sozusagen „gegenüber von Amerika“. Eine ganze Reihe von Gelehrten hat Untersuchungen in diesem Sinne angestellt und im Lautsystem, im Bau und in der Grammatik des Baskischen mehr [771] oder weniger auffallende Aehnlichkeiten mit amerikanischen Sprachen zu finden geglaubt, Aehnlichkeiten, auf die näher einzugehen uns hier allzu sehr in das Gebiet der Fachgelehrsamkeit führen würde. Daß solche Aehnlichkeiten in der That vorhanden sind, hat schon Wilhelm von Humboldt in einer im Jahre 1821 veröffentlichten Schrift über die Urbewohner Spaniens anerkannt, ja er hat diese Vergleichung „in sich treffend und in hohem Grade merkwürdig“ genannt. Sein Bedenken, daraus Schlüsse zu ziehen, hat andere Forscher nicht abgehalten, sich mit Entschiedenheit für die Annahme bestimmter Beziehungen des Baskischen zu Amerika auszusprechen. Man hat bald die Sprachen des alten Inkareiches Peru, bald die centralamerikanischen Sprachen (der Azteken in Mexiko u. a.), bald die der nordamerikanischen Indianer, so verschieden alle diese selbst wieder untereinander sind, als verwandt mit dem Baskischen bezeichnet.

Naturgemäß entsteht bei allen diesen Versuchen nebenher die Frage: wie sollen amerikanische Völker nach Europa gelangt sein? Indessen solche Fragen haben die Vertreter gewagter Hypothesen entweder einfach dahingestellt sein lassen oder durch weitere noch mehr gewagte Hypothesen beantwortet. Wir besitzen keinen zuverlässigen Anhaltspunkt dafür, daß jemals vorgeschichtliche Völker die großen Oceane überschritten haben, welche die Erdteile trennen, und es ist undenkbar, daß amerikanische Völker in früher Zeit auf Schiffen den gewaltigen Atlantischen Ocean durchquert haben sollten. Der amerikanische Mensch ist dem ganzen Altertum fremd gewesen, und wenn auch jüngst ein Forscher in einem Bildwerk aus der Römerzeit, welches einen Barbaren darstellt, die Merkmale des amerikanischen Typus hat finden wollen, so ist das lediglich eine Hypothese auf zufällige Aehnlichkeiten hin. Keine Spur deutet auf die Anwesenheit des amerikanischen Menschen im damaligen Europa hin. Aber man hat versucht, diese Bedenken mittels einer anderen, noch unsichereren Annahme zu entkräften.

Es ist bekannt, daß nach sagenhaften Ueberlieferungen im fernen westlichen Ocean eine große, von gesitteten Völkern bewohnte Insel Namens „Atlantis“ gelegen haben soll, die von den Wogen des Meeres verschlungen wurde. Man hat darin die Reste der Erinnerung an das thatsächliche Vorhandensein eines untergegangenen Erdteils im Atlantischen Ocean vermutet. Diese Annahme mußte die Brücke bilden, auf der sich Amerika mit Europa in frühen Zeiten verbinden ließ, und zwar wurde diese Verbindung des näheren in der Weise bewerkstelligt, daß man lehrte, die Bewohner jenes untergegangenen Landes hätten Amerika bevölkert, und ein kleiner Teil von ihnen wäre nach Europa ausgewandert, ein Teil, von dem uns Reste eben in den Basken erhalten seien.

Der Gedanke, daß einst ein Erdteil im Atlantischen Ocean die Beziehungen zwischen Europa und Amerika vermittelt habe, ist von vielen Gelehrten als eine Grundlage für kühne Vermutungen benutzt worden. Karl Vogt, der den Lesern der „Gartenlaube“ wohlbekannte Genfer Naturforscher, einer der ersten, der die Theorie von dem amerikanischen Ursprung der Basken zu begründen suchte, hat sich bemüht, auch noch andere als sprachliche Gründe dafür beizubringen, er hat einzelne Uebereinstimmungen in körperlichen Eigentümlichkeiten und in Gebräuchen betont. Nach seiner Meinung bestand in der Tertiärzeit eine Landverbindung zwischen der Halbinsel Florida und Europa, auf welchem Wege eine Einwandernng amerikanischer Völker in Europa stattgefunden habe.

Allein schon früher war, wie gesagt, Wilhelm von Humboldt der Theorie von dem amerikanischen Ursprung der Basken entgegengetreten, er meinte, daß die Uebereinstimmungen zwischen dem Escuara und den amerikanischen Sprachen zu gering seien, um eine Verwandtschaft darauf begründen zu können. Er hat eine andere Lehre aufgestellt, von der man sagen kann, daß sie die einfachste und natürlichste ist, sie wird denn auch heutzutage als die herrschende angesehen.

Danach sind die Basken die Reste eines europäischen Urvolkes, derjenigen Bevölkerung Europas, die in grauer Vorzeit in unserem Erdteil ansässig war, bevor noch die Indogermanen und die übrigen europäischen Völker einwanderten, lange vor dem Beginn unserer geschichtlichen Ueberlieferungen. Sie sind danach die ältesten Bewohner Europas, die letzten Trümmer der unbekannten Rasse, die bei der Einwanderung verdrängt und vernichtet wurde, und stehen demnach zu den europäischen Völkern etwa in dem Verhältnis wie der aussterbende Indianer Amerikas zu den weißen Eindringlingen.

Nach den Berichten antiker Schriftsteller haben zur Römerzeit in Spanien die „Iberer“ gesessen, ein Volk, welches ehemals das Land vollständig beherrschte. In diesen hat man die Urbevölkerung Spaniens vermutet. Als ein Stamm von ihnen werden die „Vasconen“ genannt, in denen man danach die unmittelbaren Vorfahren der Basken zu sehen hätte. Sie tauchen in der Geschichte zum erstenmal auf zur Zeit des zweiten Punischen Krieges, wo Vasconen in den Heeren des Hannibal dienten. Daß ganz Spanien einstmals baskische Bevölkerung hatte, dafür spricht schon die bedeutsame Thatsache, daß der Name des Landes selbst, „Hispania“, spanisch „España“, aus dem Baskischen stammt. Die Iberer wurden von den einwandernden Kelten verdrängt und vermischten sich zum Teil mit diesen, ihre Volksstämme verschwanden schließlich gänzlich bis auf den kleinen Rest, der noch heute in den Basken erhalten ist.

Gegen diese an sich gewiß unbedenkliche Lösung der Frage haben freilich wieder andere Gelehrte nicht ohne Grund eingewendet, daß die alten Schriftsteller, wenn sie von Iberern sprechen, nur rein geographisch die vielleicht sehr verschiedenartigen Bewohner Spaniens meinen, ohne damit bestimmte ethnographische Begriffe zu verbinden. In der That war man ja im Altertum bei der Unterscheidung von Völkerschaften weit entfernt von der heutigen wissenschaftlichen Gründlichkeit; ist doch die Ethnologie eine der jüngsten Wissenschaften.

So bleibt denn auch die befriedigendste und wahrscheinlichste Lösung des Rätsels nicht ohne Bedenken. Und selbst wenn man diese Lösung annimmt, so setzt sie auch nur ein Unbekanntes an Stelle eines anderen. Denn es bleibt immer noch die Frage übrig: welcher Völkergruppe gehörten die Iberer an? Waren sie ein isoliertes Volk wie die heutigen Basken, oder besaßen sie Verwandte, und wenn dies der Fall ist, giebt es heute noch Nachkommen dieser Verwandten und wo sitzen sie?

Wie dem nun auch sei, wenn man nicht ganz in das Gebiet unsicherer Hypothesen geraten will, so befriedigt doch nur die eine Annahme: die Basken sind der letzte Rest eines europäischen Urvolks, ganz abgesehen davon, ob man sie mit den alten Iberern in Verbindung bringen will oder nicht.

Endgültig gelöst ist also die Frage noch nicht. Das Baskenvolk aber schwindet unaufhaltsam dahin, seine Sprache ist amtlich und in Schule und Kirche verboten, seine so lange zäh festgehaltenen Eigentümlichkeiten verwischen sich, und das merkwürdige Volk wird in nicht allzu ferner Zeit von der Erde verschwunden sein, ohne daß das Rätsel seiner Herkunft seine Deutung gefunden haben wird.

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  1. Vergl. Nr. 24 des laufenden Jahrgangs.