Drei und dreißig Gedichte von Heinrich Heine
Drei und dreißig Gedichte von H. Heine.
I.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold’nes Haar.
Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer, im kleinen Schiffe,
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.
II.
Im Walde wandl’ ich und weine,
Die Drossel sitzt in der Höh’;
Sie springt und singt gar feine:
Warum ist dir so weh?
Die können’s dir sagen, mein Kind,
Sie wohnten in klugen Nestern,
Wo Liebchens Fenster sind.“
III.
Am fernen Horizonte
Erscheint wie ein Nebelbild,
Die Stadt mit ihren Thürmen,
In Abenddämm’rung gehüllt.
Die graue Wasserbahn;
Mit traurigem Takte rudert
Der Schiffer in meinem Kahn.
Die Sonne hebt sich noch einmal
Und zeigt mir jene Stelle,
Wo ich das Liebste verlor.
IV.
Sey mir gegrüßt, du große,
Geheimnißvolle Stadt,
Die einst in ihrem Schooße
Mein Liebchen umschlossen hat.
Wo ist die Liebste mein?
Euch hab’ ich sie anvertrauet,
Ihr solltet mir Bürge seyn.
Unschuldig sind die Thürme,
Als Sie mit Koffern und Schachteln
Die Stadt verlassen so schnell.
Die Thore jedoch, die ließen
Mein Liebchen entwischen gar still;
Wenn eine Thörinn will.
V.
So wandr’ ich wieder den alten Weg,
Die wohlbekannten Gassen;
Ich komme von meiner Liebsten Haus,
Das steht so leer und verlassen.
Das Pflaster ist unerträglich!
Die Häuser fallen mir auf den Kopf!
Ich eile so viel als möglich!
VI.
Still ist die Nacht, es ruhen die Gassen,
In diesem Hause wohnte mein Schatz;
Sie hat schon längst die Stadt verlassen,
Doch steht noch das Haus auf demselben Platz.
Und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt;
Mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe –
Der Mond zeigt mir meine eig’ne Gestalt.
Du Doppeltgänger! du bleicher Geselle!
Das mich gequält auf dieser Stelle,
So manche Nacht in alter Zeit?
VII.
Wie kannst du ruhig schlafen,
Und weißt, ich lebe noch?
Der alte Zorn kommt wieder,
Und dann zerbrech’ ich mein Joch.
Wie einst ein todter Knab’,
Um Mitternacht, die Geliebte
Zu sich geholt in’s Grab?
Glaub’ mir, du wunderschönes,
Ich lebe und bin noch stärker,
Als alle Todten sind!
VIII.
Die Jungfrau schläft in der Kammer,
Der Mond schaut zitternd hinein;
Da draußen singt es und klingt es
Wie Walzermelodeyn.
Wer drunten stört meine Ruh’;
Da steht ein Todtengerippe,
Und fiedelt und singt dazu:
Hast einst mir den Tanz versprochen,
Und heut ist Ball auf dem Kirchhof,
Komm mit, wir tanzen dort.
Die Jungfrau ergreift es gewaltig,
Es lockt sie hervor aus dem Haus;
Und fiedelnd schreitet voraus.
Es fiedelt und tänzelt und hüpfet,
Und klappert mit seinem Gebein,
Und nickt und nickt mit dem Schädel
IX.
Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;
Ich stehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Bastei.
Stadtgraben in stiller Ruh’;
Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.
Jenseits erheben sich freundlich,
Lusthäuser und Gärten und Menschen,
Und Ochsen und Wiesen und Wald.
Die Mägde bleichen Wäsche,
Und springen im Gras’ herum;
Ich höre sein fernes Gesumm’.
Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen steht;
Ein rothgeröckter Bursche
Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er präsentirt und schultert –
Ich wollt’, er schösse mich todt.
X.
Als ich meines Liebchens Familie
Zufällig im Bade fand,
Schwesterchen, Vater und Mutter,
Sie haben mich freudig erkannt.
Und sagten selber sogleich:
Ich hätte mich gar nicht verändert,
Nur mein Gesicht sey bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Basen,
Und nach dem kleinen Hündchen
Mit seinem sanften Bell’n.
Auch nach der vermählten Geliebten
Fragte ich nebenbei;
Daß sie in den Wochen sey.
Und freundlich gratulirt’ ich,
Und lispelte liebevoll:
Daß man sie von mir recht herzlich,
Schwesterchen rief dazwischen:
Das Hündchen, sanft und klein,
Ist groß und toll geworden,
Und ward ertränkt im Rhein.
Besonders wenn sie lacht;
Sie hat dieselben Augen,
Die mich so elend gemacht.
XI.
Wir saßen am Fischerhause,
Und schauten nach der See;
Die Abendnebel kamen,
Und stiegen in die Höh’.
Allmählig angesteckt,
Und in der weiten Ferne
Ward noch ein Schiff entdeckt.
Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch,
Und zwischen Himmel und Wasser,
Und Angst und Freude schwebt.
Wir sprachen von fernen Küsten,
Vom Süden und vom Nord,
Und seltsamen Sitten dort.
Am Ganges duftet’s und leuchtet’s,
Und Riesenbäume blüh’n,
Und schöne, stille Menschen
In Lappland sind schmutzige Leute,
Plattköpfig, breitmäulig und klein;
Sie kauern um’s Feuer, und backen
Sich Fische, und quäken und schrei’n.
Und endlich sprach Niemand mehr;
Der Mast war nicht mehr sichtbar,
Es dunkelte gar zu sehr.
XII.
Du schönes Fischermädchen,
Treibe den Kahn an’s Land;
Komm zu mir und setze dich nieder,
Wir kosen Hand in Hand.
Und fürchte dich nicht zu sehr,
Vertrau’st du dich doch sorglos
Täglich dem wilden Meer.
Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht.
XIII.
Der Mond ist aufgegangen,
Und überstrahlt die Well’n;
Ich halte sie lieb umfangen,
Und unsre Herzen schwell’n.
Ruh’ ich allein am Strand;
Was horch’st du bei’m Rauschen des Windes?
Was zuckt deine weiße Hand?
„Das ist kein Rauschen des Windes,
Und meine Schwestern sind es,
Die einst das Meer verschlang.“
XIV.
Der Sturm spielt auf zum Tanze,
Es pfeift und saust und brüllt,
Heisa, wie springt das Schifflein!
Die Nacht ist lustig und wild.
Bildet die tosende See;
Hier jähnt ein schwarzer Abgrund,
Dort thürmt es sich weiß in die Höh’.
Ein Fluchen, Erbrechen und Beten,
Ich halte mich fester am Mastbaum,
Und wünsche: wär’ ich zu Haus.
XV.
Der Abend kommt gezogen,
Der Nebel bedeckt die See;
Geheimnißvoll rauschen die Wogen,
Da steigt es weiß in die Höh’.
Und setzt sich zu mir, am Strand;
Die weißen Brüste quellen
Hervor aus dem Schleiergewand.
Sie drückt mich und sie preßt mich,
Du drück’st ja viel zu fest mich,
Du schöne Wasserfee.
„Ich presse dich in meinen Armen,
Und drücke dich mit Gewalt,
Der Abend ist gar zu kalt.“
Der Mond schaut immer blasser
Aus dämm’riger Wolkenhöh’;
Dein Auge wird trüber und nasser,
„Es wird nicht trüber und nasser,
Mein Aug’ ist naß und trüb,
Weil, als ich stieg aus dem Wasser,
Ein Tropfen im Auge blieb.“
Es grollt und brandet die See;
Dein Herz pocht wild beweglich,
Du schöne Wasserfee!
„Mein Herz pocht wild beweglich,
Weil ich dich liebe unsäglich,
Du liebes Menschenbild.“
XVI.
Wenn ich an deinem Hause
Des Morgens vorüber geh’,
So freut’s mich, du liebe Kleine,
Wenn ich dich am Fenster seh’.
Siehst du mich forschend an:
Wer bist du, und was fehlt dir,
Du fremder, blasser Mann?
Ich bin ein deutscher Dichter,
Nennt man die besten Namen,
So wird auch der mein’ge genannt.
Und was mir fehlt, du Kleine,
Fehlt Manchem im deutschen Land;
So wird auch der mein’ge genannt.
XVII.
Da droben auf jenem Berge,
Da steht ein feines Schloß,
Da wohnen drei schöne Fräulein,
Von denen ich Liebe genoß.
Und Sonntag die Julia,
Und Montag die Kunigunde,
Die hat mich zerküßt beinah.
Doch Dienstag war eine Fete
Die Nachbarschafts-Herren und Damen,
Die kamen zu Wagen und Roß.
Ich aber war nicht geladen,
Und das habt Ihr dumm gemacht!
Die merkten’s und haben gelacht.
XVIII.
Wenn ich auf dem Lager liege,
In Nacht und Kissen gehüllt,
So schwebt mir vor ein süßes,
Anmuthig liebes Bild.
Geschlossen die Augen kaum,
So schleicht das Bild sich leise
Hinein in meinen Traum.
Doch mit dem Traum des Morgens
Dann trag’ ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher.
XIX.
Ich wollte bei dir weilen,
Und an deiner Seite ruh’n,
Du mußtest von mir eilen,
Du hattest viel zu thun.
Dir gänzlich ergeben sey;
Du lachtest aus voller Kehle,
Und machtest ’nen Knix dabei.
Du hast noch mehr gesteigert
Und hast mir sogar verweigert
Am Ende den Abschiedskuß.
Glaub’ nicht, daß ich mich erschieße,
Wie schlimm auch die Sachen steh’n!
Ist mir schon einmal gescheh’n.
XX.
Was will die einsame Thräne?
Sie trübt mir ja den Blick;
Sie blieb aus alten Zeiten
In meinem Auge zurück.
Die alle zerflossen sind,
Mit meinen Qualen und Freuden,
Zerflossen in Nacht und Wind.
Wie Nebel sind auch zerflossen
Die mir jene Freuden und Qualen
Gelächelt in’s Herz hinein.
Ach, meine Liebe selber
Zerfloß wie eitel Hauch!
Zerfließe jetzunder auch.
XXI.
Der bleiche, herbstliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einsam liegt auf dem Kirchhof
Das stille Pfarrerhaus.
Der Sohn der starret in’s Licht,
Schlaftrunken dehnt sich die ält’re,
Die jüngere Tochter spricht:
Ach Gott! wie Einem die Tage
Nur wenn sie Einen begraben,
Bekommen wir etwas zu seh’n.
Die Mutter spricht zwischen dem Lesen:
Du irrst, es starben nur Vier,
Dort an der Kirchhofsthür.
Die ältere Tochter gähnet:
Ich will nicht verhungern bei euch,
Ich gehe morgen zum Grafen,
Der Sohn bricht aus in Lachen:
Drei Jäger zechen im Stern,
Die machen Gold und lehren
Mir das Geheimniß gern.
In’s mag’re Gesicht hinein:
So willst du, Gottverfluchter,
Ein Straßenräuber seyn!
Sie hören pochen an’s Fenster,
Der todte Vater steht draußen
Im schwarzen Pred’gergewand.
XXII.
Im Traum sah ich die Geliebte,
Ein banges, bekümmertes Weib,
Verwelkt und abgefallen
Der sonst so blühende Leib.
Ein andres führt sie an der Hand,
Und sichtbar ist Armuth und Trübsal
Am Gang und Blick und Gewand.
Sie schwankte über den Marktplatz,
Und sieht mich an, und ruhig
Und schmerzlich sag’ ich zu ihr:
Komm mit nach meinem Hause,
Denn du bist blaß und krank;
Dir schaffen Speis und Trank.
Ich will auch pflegen und warten
Die Kinder, die bei dir sind,
Vor Allem aber dich selber,
Ich will dir nie erzählen,
Daß ich dich geliebet hab’,
Und wenn du stirbst, so will ich
Weinen auf deinem Grab.
XXIII.
Das ist ein schlechtes Wetter,
Es regnet und stürmt und schneit;
Ich sitze am Fenster und schaue
Hinaus in die Dunkelheit.
Das wandelt langsam fort;
Ein Mütterchen mit dem Laternchen
Wankt über die Straße dort.
Ich glaube Mehl und Eier
Sie will einen Kuchen backen
Für’s große Töchterlein.
Die liegt zu Haus im Lehnstuhl,
Und blinzelt schläfrig in’s Licht;
Ueber das süße Gesicht.
XXIV.
Deine weichen Liljenfinger,
Könnt’ ich sie noch einmal küssen,
Und sie drücken an mein Herz,
Und vergeh’n in stillem Weinen!
Schweben vor mir Tag und Nacht,
Und mich quält es: was bedeuten
Diese süßen, blauen Räthsel?
XXV.
Mädchen mit dem rothen Mündchen,
Mit den Aeuglein süß und klar,
Du mein liebes, kleines Mädchen,
Deiner denk’ ich immerdar.
Und ich möchte bei dir seyn,
Bei dir sitzen, mit dir schwatzen,
Im vertrauten Kämmerlein.
An die Lippen wollt’ ich pressen
Und mit Thränen sie benetzen,
Deine kleine, weiße Hand.
XXVI.
Wie dunkle Träume stehen
Die Häuser in langer Reih’;
Tief eingehüllt im Mantel
Schreite ich schweigend vorbei.
Verkündet die zwölfte Stund;
Mit ihren Reizen und Küssen
Erwartet mich Liebchen jetzund.
Der Mond ist mein Begleiter,
Da bin ich an ihrem Hause,
Und freudig ruf’ ich empor:
Ich danke dir, alter Vertrauter,
Daß du meinen Weg erhellt;
Jetzt leuchte der übrigen Welt!
Und findest du einen Verliebten,
Der einsam klagt sein Leid,
So tröst’ ihn, wie du mich selber
XXVII.
Hast du die Lippen mir wund geküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig seyn.
XXVIII.
Und bist du erst mein ehliches Weib,
Dann bist du zu beneiden,
Dann lebst du in lauter Zeitvertreib,
In lauter Plaisir und Freuden.
Ich werd’ es geduldig leiden;
Doch wenn du meine Verse nicht lobst,
Laß ich mich von dir scheiden.
XXIX.
Als Sie mich umschlang mit zärtlichem Pressen,
Da ist meine Seele gen Himmel geflogen!
Ich ließ sie fliegen, und hab’ unterdessen
Den Nektar von Ihren Lippen gesogen.
XXX.
Blamir’ mich nicht, mein liebes Kind,
Und grüß’ mich nicht unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hause sind,
Wird sich schon Alles finden.
XXXI.
Selten habt Ihr mich verstanden,
Selten auch verstand ich Euch,
Nur wenn wir im Koth uns fanden,
So verstanden wir uns gleich.
XXXII.
Gaben mir Rath und gute Lehren,
Ueberschütteten mich mit Ehren,
Sagten, daß ich nur warten sollt’,
Haben mich protegiren gewollt.
Hätte ich können vor Hunger krepiren,
Wär’ nicht gekommen ein braver Mann,
Wacker nahm er sich meiner an.
Braver Mann! Er schafft’ mir zu essen!
Schade, daß ich ihn nicht küssen kann!
Denn ich bin selbst dieser brave Mann.
XXXIII.
Wie der Mond sich leuchtend dränget
Durch den dunkeln Wolkenflor,
Also taucht aus dunkeln Zeiten
Mir ein lichtes Bild hervor.
Fuhren stolz hinab den Rhein,
Und die sommergrünen Ufer
Glüh’n im Abendsonnenschein.
Sinnend saß ich zu den Füßen
In ihr liebes, bleiches Antlitz
Spielt das rothe Sonnengold.
Lauten klangen, Buben sangen,
Wunderbare Fröhlichkeit!
Und die Seele wurde weit.
Mährchenhaft vorüber zogen
Berg und Burgen, Wald und Au’;
Und das Alles sah ich glänzen