Drei Sommer in Tirol/Tirol
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[191] Die gefürstete Grafschaft Tirol war in alten Zeiten ein Theil des Berglandes, das die Römer Rhätia nannten. Dessen erste Bewohner sollen nach längst verklungenen Sagen tuscischen Stammes und vorher in den Ebenen am Padus seßhaft gewesen, von dort aber beim Einbruch der Gallier unter ihrem Führer Rhätus in die Alpen gezogen seyn. Neuere Forscher haben diese uralte Verwandtschaft der Rhätier mit den Etruskern beglaubigt gefunden, aber der Ueberlieferung entgegen angenommen, es seyen in vorgeschichtlichen Zeiten die Etrusker aus den Alpen an die Tiber hinabgezogen, sohin die Rhätier nicht die Enkel, sondern die Ahnherren des mächtigen Volkes, das später fast alle Länder Oberitaliens beherrschte. Was sich als Zeugniß für diesen alten Zusammenhang auf rhätischem Boden noch heutzutage sammeln läßt, soll, wenn Zeit und Raum vorhanden, am Ende dieses Buchs besprochen werden.
Vierzehn Jahre vor Christi Geburt sandte Kaiser Augustus seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius mit Heeresmacht gegen dieses Alpenland und die freien Rhätier erlagen den Römern. Damals sang Horaz jene oft angeführten Verse:
Drusus Genaunos, implacidum genus,
Breunosque veloces et arces
Alpibus impositas tremendis
Dejecit acer plus vice simplici.
Major Neronum mox grave proelium
Commisit, immanesque Raetos
Auspiciis pepulit secundis.
[192] Nach diesem bauten die Römer ihre Straßen durch das Land, schlugen Brücken über die Ströme und besetzten die rhätischen Castelle mit ihren Kriegern. Tridentum und Veldidena, letzteres wo jetzt Kloster Wilten bei Innsbruck liegt, waren die bedeutendsten Städte. Auf dem Schlosse zu Terioli saß wenigstens unter den spätern Kaisern ein römischer Befehlshaber. Die rhätische Jugend kämpfte in den römischen Kriegen und zeigte gegen die Barbaren dieselbe Mannheit, die sie ehemals gegen August’s Stiefsöhne bewiesen. Mittlerweile lernten auch alle die Völkerschaften im Gebirge lateinisch.
Als diese Zeit zu Ende war, beherrschten nach manchem andern germanischen Einfall die Ostgothen das Land im Gebirge und Theodorich setzte an die rhätische Mark einen Herzog. Auch einer gothischen Niederlassung wird erwähnt, die er unter die Breunen sandte. Der Name Dietrichs von Bern war in tirolischen Liedern und Sagen noch ein Jahrtausend später nicht verschollen.
Nach seinem Tode ging Rhätien den Gothen verloren. Im Innthal, im Pusterthal und am Eisack geboten die bojoarischen Herzoge, an der untern Etsch die Könige der Longobarden. An der Drau hatten die erstern blutige Schlachten zu schlagen mit den kärnthnischen Slaven. Diese wurden unterjocht, aber ihre Sprache und Sitte mag sich noch lange erhalten haben.
So ging auch wohl die römische Sprache in Tirol ebenso allmählich unter, wie vor dem Arlberge. Es gibt aber hier keine dem Capitulum Drusianum ähnliche Abtheilung, die mit sicherm Striche die Gränzen bezeichnen ließe, innerhalb welcher sich das Romanenthum noch bis in dieses oder jenes Jahrhundert herein gefristet hat. Die ersten deutschen Sprachgebiete jenseits des Brenners mögen das untere Pusterthal und Passeyer mit der Gegend von Meran gewesen seyn, und durch letztere ging, wie es scheint, der deutsche bojoarische Einschuß, der sich in vielfältigen Niederlassungen bis nach Verona hinab erstreckte und noch zur Zeit in den sieben und dreizehn Gemeinden der Vicentiner und Veroneser Berge zu erkennen ist. Die Glieder dieser Kette verschwinden mehr und mehr unter dem übermächtigen [193] Romanismus, und so hat das deutsche Element von Trient abwärts immerzu verloren, während es oberhalb dieser Stadt im Laufe der Zeit sich das ganze Land am obern Inn, an der obern Etsch und am Eisack unterwarf. Nur die beiden Thäler von Gröden und Enneberg haben sich, obgleich durch ihre Lage dem deutschen Sprachgebiete unterwürfig, noch bis zum heutigen Tage ein romanisches Idiom zu bewahren gewußt.
Die mächtigsten Herren des Landes „im Gebirge,“ in montanis, wie man nun das heutige Tirol nannte, waren später die Grafen von Andechs, von der Burg am Ammersee stammend, welche zu Ambras Hof hielten und über das Inn- und Wippthal walteten. Ueber Pusterthal geboten die Grafen von Görz und auf dem alten Schloß Terioli saßen die Enkel Hunfrieds, weiland eines Markgrafen von Istrien und Churrhätien, welche in der Mitte des zwölften Jahrhunderts anfingen sich Grafen von Tirol zu nennen und über Vintschgau bis an die Brücke zu Pontalt im Engadein zu schalten hatten. Die Bischöfe von Trient und von Brixen waren Reichsfürsten und besaßen schon manche schöne Herrschaft. Im Etschlande und den anstoßenden Seitenthälern waren noch andere Geschlechter mächtig geworden, wie die welfischen Grafen von Eppan, Greifenstein, von Ulten, die Herren von Matsch und weiter hinab die von Castelbarco, von Arco und Lodron. Die Menge des minder mächtigen Adels bezeugen die Burgen, die, obwohl zumeist in Trümmern, längs der bewohnteren Thäler von allen Hügeln und Höhen herunter schauen, und überdieß ist ein guter Theil derselben nicht einmal mehr in Trümmern übrig. Die Gewalt der bayerischen Herzoge wurde im Gebirge seit der Aechtung Heinrichs des Löwen (1180) wenig mehr verspürt.
Als der letzte der Andechser in der Abtei zu Langenheim im Vogtlande begraben war (1248), fielen ihre Besitzthümer im Inn- und Wippthal erbschaftsweise an die Grafen von Tirol, so daß deren Herrschaft bis an die bayerischen Marken zu reichen anfing, und als auch Albrecht, der letzte der alten tirolischen Grafen, sechs Jahre darnach gestorben, theilten seine Schwiegersöhne, Graf Meinhard von Görz und Graf Gebhard [194] zu Hirschberg in der Stadt Meran die Erbschaft, so daß jener erhielt was die Grafen von Tirol, dieser was jene von Andechs besessen hatten. Des ersten Görzers Sohn, ein andrer Meinhard, vertrug sich darauf wieder mit seinem Bruder Albrecht, überließ diesem die görzischen Besitzungen mit dem Pusterthale bis zur Haslacher Klause und behielt für sich was sein Vater in Tirol erworben, bis zum Jahre 1284, wo er um 4000 Mark Silber auch das andere Gebiet erkaufte, das der Graf von Hirschberg in der Meraner Theilung erhalten hatte. Dieser Meinhard, muthig und schlau, in allem gewaltig, Kaiser Rudolfs Freund, Kaiser Albrechts Schwiegervater, der verwittweten Mutter des staufischen Conradins Gemahl, setzte die Macht der Grafen von Tirol über alle Herren im Gebirge, schreckte seine Freunde, brach die Burgen seiner Feinde, ängstigte die Stifter, deren Schirmvogt er war, und griff glücklich nach allen Seiten um seine Gewalt zu stärken und zu kräftigen. Der Kaiser, bei dessen Erwählung er viel vermocht, bestätigte ihm auch zur Vergeltung, daß die Grafen von Tirol nie zu eines Herzogs Ambacht gehört haben und gehören sollten. Er starb im Jahre 1295.
Einer seiner Söhne, Heinrich, der König von Böhmen genannt, weil er nach dem Tode König Wenzels als Tochtermann auf die Krone von Böheim, wie wohl vergeblich, Ansprüche machte, sonst ein schwacher Mann und schlechter Wirthschafter, war nach ihm Graf zu Tirol bis zum Jahre 1335. Seine Tochter Margaretha, die Maultasch, berüchtigten Namens, war zuerst mit Johann Heinrich von Böhmen, dem Bruder Kaiser Karls IV, vermählt, ließ sich aber 1341 von ihm scheiden und heirathete Ludwig, den Markgrafen von Brandenburg, Kaiser Ludwig des Bayern Erstgebornen, welcher der Grafschaft Tirol die erste Landesordnung gab. Aus dieser Ehe ging ein Sohn mit Namen Meinhard hervor, der aber in seinen jungen Tagen starb, 1363, zwei Jahre nach des Vaters Tod. Vierzehn Tage darauf, am St. Polycarpentage (26 Jänner) zu Bozen, übergab seine Mutter das Land an die Herzoge von Oesterreich. Herzog Rudolf war in aller Eile über den Krimler Tauern gestiegen und nahm [195] den bayerischen Vettern zum Trotze schnell in seinem und seiner Brüder Namen die Huldigung des Landes ein. Seit dieser Zeit ist es bei Oesterreich geblieben bis zum Frieden zu Preßburg. Margaretha, die Gräfin von Tirol, starb im Wittwenstande zu Wien.
Unter den österreichischen Herzogen, die im Jahre 1379 die Grafschaft Tirol mit den schwäbischen Vorlanden als gesondertes Theilungsland überkamen, ist vor allen Herzog Friedrich hervorzuheben, spottweise von der leeren Tasche zubenannt, obgleich er ein guter Haushälter war und als der reichste Fürst seiner Zeit aus dieser Welt ging. An seine Person hat sich, wie an die Heroen des Alterthums, viel Mythisches gelegt und er blieb lange Zeit hindurch der Lieblingsheld der tirolischen Bauern. Herzog Friedrich demüthigte den stolzen Adel, brach seine Burgen, schlug insbesondere den übermüthigen Rottenburger nieder, den hochmächtigen Landeshofmeister mit seinen neun und neunzig Schlössern, und hielt es weislich mit den Bürgern und mit den Landleuten; der freie, der Leibeigenschaft lose Stand der Tiroler Bauern, die Vollendung der ständischen Verfassung Tirols wird zunächst ihm zugeschrieben. Aufs wenigste hat er viel dafür gethan, wie denn auch manches schöne Privilegium und manche gute Freiheit die er gab, seinen Namen bei dem Volke beliebt gemacht hat. Als er auf dem Concil zu Constanz in Reichsacht und Bann verfallen war, verdankte er es der Treue seiner Bauern, daß er wieder zu seinen Ländern kam. Dieser Fürst war es auch, der das Hoflager der Herzoge vom Schloß Tirol und der Stadt Meran bleibend nach Innsbruck verlegte, wo er „das goldene Dachl“ erbaut hat.
Auf Friedrich mit der leeren Tasche, der nach drei und dreißigjähriger Herrschaft 1439 gestorben war, folgte sein Sohn, Herzog Sigmund, der Münzreiche, welcher nie bei Geld war, während der mit der leeren Tasche dasselbe in der spätern Zeit immer vollauf gehabt. Die tirolischen Berge erschlossen damals ihren Segen und gaben unermeßliche Schätze heraus, der Durchfuhrhandel von Venedig nach Deutschland bereicherte viele Tausende. Der tirolische Wohlstand wuchs in unerhörtem [196] Maße. Der Herzog aber, ein schlechter Rechner, verschwenderisch und üppig, fast immer übel berathen, und in viele böse Händel verwickelt, war stets in Nöthen und in verdrießlichem Hader mit seinen aufrichtigen Ständen, von denen er die härtesten Dinge zu hören bekam. Des eigenen Unwesens müde und mit ehelichen Nachkommen nicht gesegnet, übergab er seine Länder im Jahre 1496 auf dem Landtage zu Meran dem römischen König Maximilian. So wurde die Grafschaft Tirol wieder mit den andern Besitzthümern des österreichischen Hauses vereinigt.
Kaiser Max, der Gemsenjäger, freute sich dieser neuen gebirgigen Erwerbung fast mehr als dessen was er schon hatte, und brachte viele Zeit seines Lebens zu Innsbruck und auf der nahegelegenen Weierburg zu. Auch hat er das Land seinen Erben mit vielem neuen Anwuchse hinterlassen. Als Leonhard, der letzte Graf von Görz 1500 gestorben war, fiel das Pusterthal an Tirol; im Jahre 1504 sprach sich der Kaiser zu Köln die bayerischen Gerichte Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel zu, angeblich für die Kriegsschäden, die er im Landshuter Erbfolgekrieg gehabt. Später nahm er den Venedigern Ampezzo ab, wie auch die Prätur Roveredo, die Städte Arco und Riva und die vier Vicariate Ala, Avio, Mori und Brentonico. Er war der erste, der sich gefürsteter Graf von Tirol nannte, und ging sogar damit um, das Land zu einem Kurfürstenthum zu erheben. Er richtete auch zuerst die tirolischen Landesstellen, Regiment und Kammer ein, und erließ 1511 das erste Landlibell, die Zuzugs- und Wehrordnung, die den tirolischen Landsturm einrichtete, und allen spätern Erlassen dieses Betreffes zu Grunde liegt.
Als Kaiser Karl V und Kaiser Ferdinand I gestorben waren, übernahm des letztern zweiter Sohn Erzherzog Ferdinand, der Gemahl der schönen Augsburgerin Philippine Welser, die Regierung der gefürsteten Grafschaft. Er war der Mediceer Tirols, ein hochgebildeter, prachtliebender, milder, vielgefeierter Fürst, der Gründer der berühmten Ambraser Sammlung, übrigens beständig in große Geldnöthen versunken, deßwegen auch immer in Unterhandlungen und Verträgen [197] mit seinen getreuen Ständen, die für spätere Zeiten maßgebend wurden. Nach dem Tode Erzherzog Ferdinands, der keine andern Erben hinterlassen hatte als die Söhne Philippinens, die beiden zur Erbfolge in Tirol nicht berechtigten Markgrafen von Burgau, fiel das Land abermals an die kaiserliche Linie (1595), erhielt aber im siebenzehnten Jahrhundert wieder seine eigenen Fürsten aus dem steyrischen Aste, deren letzter Franz Sigmund war, welcher 1665 durch seinen von den italienischen Höflingen bestochenen Leibarzt Agricola vergiftet wurde. Abgesehen von manchem beschwerlichen Durchzuge der Truppen der Liga, genoß Tirol in diesen Zeitläuften des großen Glückes von den Verheerungen des dreißigjährigen Krieges verschont zu bleiben; dagegen litt es zumal unter der vormundschaftlichen Regierung der übrigens hochbegabten Erzherzogin Claudia von Medicis (1632–1646) an einer zu glänzenden, die Kräfte des Berglandes übersteigenden Hofwirthschaft, an wälschen Schranzen, Sängern und Tänzern und an mancher Verkümmerung ständischer Rechte.
Nach dem Aussterben dieser letzten Seitenlinie wurde Tirol wieder von Wien aus regiert. Kaiser Leopold stiftete 1673 die Hochschule zu Innsbruck. In seine Zeit, ins Jahr 1703, fällt auch der Einbruch des Kurfürsten Maximilian Emanuel von Bayern, der, anfangs gelingend, bald durch die Tapferkeit des tirolischen Landvolks dem fremden Heere verderblich wurde. Maria Theresia, obwohl keine Freundin der tirolischen Freiheiten, that vieles für die Schulen und die Landstraßen und erließ auch sonst manche gute Verordnung. Joseph II fand in der Ausführung seiner Absichten in Tirol nicht weniger Widerstand als in seinen andern Ländern. Leopold II suchte die Verstimmung wieder zu beschwichtigen. Die Franzosenkriege unter seinem Nachfolger gaben dem Tiroler Landsturm in den Jahren 1797 und 1799 Gelegenheit seine alte Tapferkeit wenigstens versuchsweise wieder zu bethätigen. Im Luneviller Frieden gewann Oesterreich die beiden inliegenden geistlichen Reichsfürstenthümer Trient und Brixen, welche mit dem Land Tirol vereinigt wurden. Sie waren übrigens schon vorher immer in näherm Verbande zu diesem gestanden, da die Grafen von [198] Tirol ihre Schirmherren, sie aber zur tirolischen Landesvertheidigung mit Mannschaft, und Geld verpflichtet, zur tirolischen Landschaft steuerbar und die Fürstbischöfe auf den tirolischen Landtagen mit Sitz und Stimme begabt waren.
Am Ende des Jahres 1805 fiel durch den Frieden von Preßburg Tirol mit Vorarlberg an die Krone Bayern. Im Jahre 1808 hob der König die tirolische Verfassung auf; im Jahre 1809 brach der tirolische Aufstand aus, worauf Wälschtirol und Bozen ans Königreich Italien fielen, Oberpusterthal aber an Illyrien; im Jahre 1814 wurde das Land wieder mit Oesterreich vereinigt.
Der Flächenraum der Grafschaft Tirol beträgt 480 Geviertmeilen, die Bevölkerung etwa 720,000 Einwohner, so daß das ganze tirolische Gubernium, also mit Einschluß Vorarlbergs, einen Flächeninhalt von 526½ Geviertmeilen hat und ungefähr 820,000 Einwohner. Der Sprache nach waren darunter nach der Zählung von 1837, welche eine Volksmenge von 813,000 Menschen ergab, 520,300 Deutsche, 283,100 Italiener und 9600 Ladiner, wovon 2800 im Grödnerthale und 6800 im Enneberg wohnten. Mit Ausnahme der hundert Judenfamilien bekennen sie sich, seitdem die Zillerthaler fortgezogen sind, alle zur katholischen Religion. Nach der erwähnten Volkszählung von 1837 berechnet, leben 1544 Menschen auf der Quadratmeile. Am weitesten über diesen Durchschnitt hinaus gehen die beiden wälschen Kreise von Roveredo und Trient, deren, ersterer 2563, letzterer 2538 Seelen auf jenem Raume zählt; diesen steht am nächsten Vorarlberg mit 2060. Am tiefsten darunter sinkt des vielen unwirthlichen Hochgebirges wegen das Oberinnthal mit 880. So ist also im südlichsten Landestheile, die dichteste Bevölkerung, im Norden aber, wo das Lechthal, Paznaun und das Oetzthal liegen, die dünnste. Obgleich nun das Land Tirol keineswegs zu den starkbevölkerten gehört, so sind der Einwohner doch mehr als es ernähren kann, und daher die Auswanderungen, von denen schon einmal auf dem Gang durch Vorarlberg die Rede gewesen. Die Zahl dieser jährlichen Fortzügler wird von Staffler, die vorarlbergischen dazu gerechnet, auf 33,600 angesetzt und der [199] Erwerb, den sie jedes Jahr als Lohn ihres Fleißes mit nach Hause bringen, soll sich ungefähr auf 1,060,000 Gulden belaufen. Da übrigens die unermeßlichen Hochflächen des Gebirges, so weit sie nicht ewig mit Eis und Schnee bedeckt sind, zunächst nur als Wald und Weide benützt werden können, so stehen alle größeren Ortschaften im Thale und auf den mittleren Höhen. So einsam und öde das Hochgebirge, so belebt und volkreich sind daher die mildern Thäler und etliche Hochebenen, die jenseits des Brenners liegen.
Von den Gebirgen Tirols im vorhinein viel zu reden, möchte wohl überflüssig seyn, da wir ihnen bald auf jedem Schritt und Tritt begegnen werden. Nur zur Uebersicht sey daher erwähnt, daß drei Züge durch das Land gehen, einmal die Centralkette, welche vom obern Vintschgau herstreicht, die mächtigste von allen, gleichwohl durch den niedersten aller Alpenpässe, den Brenner, durchschnitten, ausgezeichnet durch die großen Gletscherstöcke des Oetzthales und die Stubaier Ferner und in der östlichen Fortsetzung durch den langen Zug der Eisberge, welche Zillerthal von Pusterthal scheiden. Ihr Gestein ist zumeist Granit.
Der andere Bergzug läuft an der nördlichen Gränze hin und scheidet Tirol von Bayern. Es ist ein Uebergangsgebirge und besteht zunächst aus Kalk oder Thonschiefer. Derselben Art sind die südlichen Gebirgsstöcke, welche sich gegen Italien abdachen; darunter finden sich aber auch die großen plutonischen Dolomitenreiche von Enneberg und Fassa, und westlich gegen den Ortles hin im wälschen Val di Sole oder Sulzberg stehen die Sulzbergerferner, ein riesiges, aber wenig bekanntes Gletschergebiet. Die höchsten Spitzen sind im mittleren Zuge; sie steigen bis zu 12,000 Wiener Fuß auf; in der nördlichen Kette sind wenige höher als 9000; dasselbe Maß gilt für die Erhebung der südlichen Gebirge mit Ausnahme der Ferner im Sulzberge. Ebenen sind keine im Lande; selbst die Hauptthäler sind nur an wenigen Stellen eine Stunde breit.
Die Hauptströme des Landes sind der Inn im nördlichen Theile, die Etsch im südlichen. Des ersteren beträchtlichster Nebenfluß ist die Sill, des letztern der Eisack. Beide entspringen [200] wenig von einander entfernt auf dem Brenner. Manche andere Flüsse und Bäche werden wir nennen, wo wir ihnen begegnen.
Der Mangel an großen Seen ist dem Lande Tirol von vielbegehrenden Reisenden schon mehr als einmal vorgeworfen worden. Zwar werden auch der Bodensee und der Gardasee von tirolischen Geographen als vaterländisch aufgeführt, aber sie gehören allerdings zum größten Theil dem Auslande. Sonst sind der Achensee und der Plansee im Nordgebirge zu erwähnen, deren Umgebung es an Schönheit mit mancher viel gepriesenen Seelandschaft aufnehmen kann. Ein halb Duzend kleinerer Seen liegt auch in Wälschtirol.
Die große Centralkette bildet auch die große Scheidung des Klimas; auf der einen Seite der Norden, lange Winter, kühler Sommer; auf der andern der Süden und mit Ausnahme der Hochthäler milde Winter, heiße Sommer und daher auch alle Gewächse des obern Italiens. Ende des Hornungs, wo diesseits des Brenners noch alles unter tiefem Schnee liegt, blühen jenseits in dem grünen Gelände schon die Mandeln, die Pfirsiche und die Aprikosen. Gletschereis und die Goldorange im dunkeln Laub stehen da oft auf sehr engem Raume beisammen. Aus den Gärten von Partschins in der hesperischen Meranergegend kann man in wenigen Stunden zum Zielferner emporklettern. Je weiter aufwärts an der Etsch und ihren Seitenflüssen, desto mehr verliert sich allerdings diese südliche Pracht. Der Weinbau geht im Vintschgau bis Schlanders, am Eisack bis etwas über Brixen hinauf. Obgleich im Mittag der großen Wasserscheide gelegen, hat das Pusterthal der hohen Lage wegen doch sehr rauhe Lüfte und ein nördliches Klima, so zwar, daß die mittlere Temperatur der Hauptstadt Brunecken (6°) in jährlichem Durchschnitte um einen Grad unter der von Innsbruck steht. Der wärmste Ort Tirols ist Riva am Gardasee, welches nur 245 Fuß über dem Meere liegt. In seiner Umgegend bringt selbst der Oelbaum werthvolle Früchte; dort kommt auch die immergrüne Steineiche vor, die weit hinunter nach dem Süden weist.
[201] Das Land Tirol mit Vorarlberg bildet ein Gubernium, welches zu Innsbruck seinen Sitz hat. Der Präsident dieser Stelle ist der Landesgouverneur. Unter dem Gouverneur stehen in Tirol sechs Kreisämter und das siebente ist in Vorarlberg. Jene, sechs heißen: Oberinnthal und Vintschgau mit dem Sitze zu Imst; Unterinn- und Wippthal zu Schwaz; Pusterthal und am Eisack zu Brunecken; an der Etsch zu Bozen; Trient und das Kreisamt an den italienischen Gränzen zu Roveredo. Diese Benennungen fallen zum Theil auch mit den volksthümlichen zusammen. Ober- und Unterinnthal, Wippthal, Pusterthal, Vintschgau sind allbekannte Landschaften. Die Gegenden an der Etsch von Meran an bis zum Ende der deutschen Sprache bei Salurn heißen das Etschland (Etschthal ist nicht gebräuchlich). Die beiden Kreise von Trient und Roveredo werden bei den Deutschtirolern unter dem Namen Wälschtirol verstanden. Sonst macht sich jetzt auch unter dem gebildeten Publicum die Abtheilung in Nord- und Südtirol geltend und es wird dabei der Brennerpaß als Trennungszeichen angenommen. Jeder Kreis ist übrigens wieder in kleinere Gerichtsbezirke getheilt, welche Landgerichte heißen, und es sind deren fünf und siebenzig. Die Landleute bezeichnen indessen ihre Heimath lieber nach den Thälern. Unter diesen haben die meisten ihren Namen von dem Bache, der sie durchströmt, wie z. B. das Oetzthal, Zillerthal, Lechthal; in andern hat der Bach den Namen von dem Thale, wie in Pfitsch, Gschnitz u. s. w. Die kleinern Seitenthäler werden oft nach dem Hauptort benannt; in einigen der größern hat Thal, Bach und Hauptort seine eigene Benennung, wie dieß z. B. in Ulten, Stubai und andern der Fall ist.
Sonst mag noch vorausgeschickt werden daß in Tirol neunzehn Städte gezählt werden, unter denen Trient mit 12,200 und Innsbruck mit 10,900 Einwohnern die größten, Vils und Glurns mit etwas über einem halben Tausend Seelen die kleinsten sind. Von den Städten fallen vierzehn auf den deutschen Theil, fünf auf Wälschtirol. Der Märkte sind es fünf und zwanzig, wovon der bedeutendste Schwaz im Unterinnthale mit 4500 Einwohnern. Eine besondre Zierde sind [202] dem Lande die schönen großen gutgebauten Dörfer an den Heerstraßen und in den volkreicheren Seitenthälern, welche nicht selten mehr als ein Tausend Einwohner zählen.
Nachdem dieß vorausgeschickt, können wir getrost wieder auf die Wanderschaft gehen. Wir beginnen[WS 1] bei Landeck im Oberinnthale, wohin der Leser schon von Paznaun aus geführt worden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: beginnnen
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