Drei Sommer in Tirol/Selrain — Stubei — Wippthal — Dux — Zillerthal — Ahrenthal — Brunecken

« Gröden und Enneberg Drei Sommer in Tirol Nachtrag 2 »
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Selrain – Stubei – Wippthal – Dux – Zillerthal – Ahrenthal – Brunecken.


Es bleibt uns jetzt noch übrig einen längern Gang durch Nordtirol zu machen, den wir in der Nähe von Innsbruck beginnen und zu Brunecken im Pusterthale beenden.

Aus dem schönen Dorfe Axams ziehen wir bei einbrechender Dämmerung davon, um im Bade zu Selrain über Nacht zu bleiben. So dunkel es wird, so ist gleichwohl zu bemerken, daß die Gegend sehr bevölkert, denn die Häuser am Wege gehen nie aus und unten vom Tobel herauf glänzen viele freundliche Lichter, ebensowohl als von den Halden herab, auf deren Höhe das St. Krein- (St. Quirini-) Kirchlein grau verschleiert winkt. Man konnte sich während des nächtlichen Ganges auf Selrain freuen, auf die Badegäste und die gute Unterhaltung. Allerlei Manns- und Weibsbilder, die unterwegs gefragt wurden, waren der Meinung, es gebe deren noch genug, „wolter viele“ und so schien es ganz billig, sich auf einen vergnügten Abend gefaßt zu machen. Unterdessen ging der Weg in einen Wald und es wurde immer dunkler. Bald erschien ein einsames Capellchen am Pfade, von wo abwärts zu sehen war auf das Bad und seine Lichter. In größerer Nähe zeigte sich freilich, daß dieß die ewige Ampel in der Dorfkirche sey und so mußten denn wohl die erleuchteten Badefenster nach der andern Seite hinausgehen. Ich langte endlich an und war der einzige Fremde im Hause – die Badegäste waren schon alle davon, wie es scheint, ohne daß es die Selrainer bemerkt hatten – und drum waren auch alle die zweiundzwanzig [480] Zimmer unerleuchtet. Die Selrainer Gegend hängt beständig voll Tisch- und Leintücher, Hemden und dergleichen Zierrath, da ein großer Theil der Innsbrucker Haushaltungen seine Wäsche hier besorgen läßt.

Andern Morgens kam ich ins einsame Dörfchen Gries, welches am Ufer der kiesreichen Melach liegt, rings umgeben von Gerstenfeldern und steilen Jöchern, an denen sich grüne Matten hinaufziehen. Gegen Mittag bricht der Fernerkogel in die Höhe, ernsten Anblicks, scharf gespitzt, mit einzelnen Feldern ewigen Schnees bedeckt. Es ist still und klein jenes Dörfchen und macht wieder den Eindruck als wäre man an der Welt Ende, aber doch liegt noch anderthalb Stunden tiefer im Gebirge, im Grieser Thal, ein anderes Kirchdorf, St. Sigmund genannt, von dem ein vielgepriesener Alpenweg auf die Bergwiesen zu Kühetai *)[1] und weiter am Stuibenbache fort über den Ochsengarten nach Au und Sautens am Eingange des Oetzthales führt. Er wird viel begangen, von Landleuten und Gebirgswanderern, ist aber fast eine kleine Tagreise.

Eine seltene Ueberraschung auf diesem Wege bietet oben in der Höhe von Kühetai 6347 Wiener Fuß über dem Meere ein altes landesfürstliches Jagd- und Lusthaus mitten in einem Kranze grüner Bergspitzen und nackter Schrofen. Es ist ein ächt gebirglerischer Gedanke der ehemaligen Herzoge, ihr Sanssouci, Fantaisie, Favorite, Hermitage oder wie man’s nennen will in die sammetnen Triften dieser Hochalpen zu verlegen. Einst, erzählt uns Jemand, einst zogen hier Schaaren von Jägern dahin auf schnaubenden Gäulen. Ihre farbigen Federbüsche wehten damals zwischen dichten Wäldern von Fichten, Tannen und Zirbeln, die jetzt ausgehauen sind, und der muntere Klang der Hörner wiederhallte von den grünen Halden. – In dem Bauhof, der noch erhalten ist, wohnen dermalen schlichte Hirten. Im ersten Stocke sind noch schön getäfelte Prunkzimmer. Jetzt stehen sie jedem Gaste offen, der bei den wirthlichen Aelplern zuspricht. „Das Haus bietet eine [481] angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich.“ Für Bergsteiger ist’s ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen.

Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, – einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale.

Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während [482] im obern einige Zimmer und eine Capelle hergerichtet sind für die Stiftsherren. Jetzt war von mehreren, die in frühern Monaten dagewesen, nur noch einer übergeblieben, Pater Lorenz, ein artiger, alter Priester, der mich gutherzig willkommen hieß und gegen billiges Entgelt an seinem Mittage Theil nehmen ließ.

Laßt uns aber auch etwas sagen von dem Fernerkogel und wie Professor Thurwieser, der Besteiger des Ortles, an ihm hinaufgeklettert ist. *)[2] In früher Jugend schon, als er noch zu Kramsach bei Rattenberg auf den Wiesen spielte, hatte der Knabe eine Freude an dem Kogel, der obwohl so ferne, doch an schönen Sommerabenden noch glühte, während die höchsten Felsenkuppen des untern Innthals bereits in düstere Nacht verschwammen. Als nun Thurwieser groß geworden und schon manchem erhabenen Berghaupte seinen kecken Fuß auf die Scheitel gedrückt hatte, gedachte er wieder seiner Knabensehnsucht nach dem rosig glühenden Kogel und machte sich auf, seine Zinnen zu erklimmen. Am 23 August im Jahre 1836 zog er zu Lisens ein; am andern Morgen um 3 Uhr las er die heilige Messe, und um 4 Uhr bei ziemlich heiterm Himmel brach er auf. Philipp Schöpf, Jäger, und Jacob Kofler, Bauer zu Praxmar oder um es kürzer zu sagen: Lipp und Jackl waren seine Begleiter. Der erstere hatte schon vorher einmal die Spitze erstiegen. Ein Stück weit am Eise hinauf, meinten die Leute zu Lisens, würde der Professor wohl kommen, aber die Höhe des Ferners könne kein Fremder ersteigen und den Kogel schon gar nicht.

In fünf Viertelstunden kamen die Gletscherfahrer zum ersten Schnee; eine halbe Stunde darnach erreichten sie das feste Eis. Im Anfange ging alles recht gut, aber bald traten den Verwegenen die Grausen der Ferner recht abschreckend gegenüber. Da kamen Eisstiegen von mehreren, zwei drei [483] Klafter hohen, durch lange Risse getrennten Staffeln, welche Ungethüme in weitem Kreise umgangen werden mußten, dann steile glatteisige Flächen, daß man einander mit den langen Bergstöcken schieben und ziehen mußte, große, überschneite Eisspalten, Schneeflecke, in die man bis zu den Knien einsank, wilde Durchbrüche, weitklaffende Risse, bis man endlich dem Gletscherkamme nahe gekommen, der aber mit Sprüngen und Runsten, Erkern und Thürmchen einer drohenden halbverfallenen Festung glich. Um diese Zeit war die Gefahr, in die überall aufgähnenden Schlünde und Vertiefungen zu fallen am höchsten. Lippl und Jackl, die kakophonen Begleiter, der eine voran, der andre hinten, stiegen spähend und vorsichtig einher, waren aber erst aufgelegt zu plaudern, als man nach dreieinviertelstündigem Klettern die Kante des Ferners erreicht hatte. Da fand sich’s, daß man 3684 Fuß über Lisens, 8668 über dem Meere stand und neben bei hatte man das Vergnügen, durch die schauerliche Eiswüste einen Schmetterling flattern zu sehen.

Von da an wurde das Weiterkommen durch Schluchten und Brüche so sehr gehindert, daß man in der nächsten halben Stunde nur einige hundert Schritte machen konnte. Bald darauf hörten zwar die Spalten auf, allein dafür kamen andre Plagen, nämlich Hitze und Tiefe des weichen Schnees, in den die Wanderer wieder tief einsanken, bis sie endlich die rothe Wand erreichten, die, rauh und fest wie sie war, zur angenehmen Abwechselung ohne Verzug erklettert wurde. Oben liegt ein kleiner See, zugefroren und leicht überschneit, welchen Jackl zu großer Freude der Gesellschaft entdeckte und sehr labend fand man dessen Wasser. Nicht weit davon begegnete man höchlich überrascht einem andern Thalbewohner, einer Biene nämlich, die aber der nähern Berührung entwich und dem nächsten Kogel zuflog. Bald darauf, was weniger erfreulich war, brach Jackl auf dem obern Ferner, den man jetzt betreten hatte, bis an die Hüften in den Schnee und durch die Oeffnung sah man in finstern Schlund hinab. Jetzt mehrte sich das Gewölk und es fing zu tröpfeln an. Das hätte jedem andern den Spaß verdorben, [484] aber Thurwieser machte sich nichts daraus; gerade jetzt nachdem man so viel von Hitze und Schweiß ausgestanden, that die Kühle wohl. Um 1 Uhr erreichte der verwegene Professor die Spitze, etwas früher als seine Gesellen, da er eine kleine Seitenscharte, in welche diese einlenkten, durch gerades Emporklimmen umgangen hatte. Nun fand sich’s, daß sie alle drei 10,121 Fuß über dem Meere standen. Dort sahen sie auch ungeheuer weit herum auf die silbernen Spitzen der Alpenkrone, vor allem auf die Oetzthaler Häupter, unter denen die Wildspitze und unser alter Freund, Similaun, sich als die stolzesten erhoben. Darüber hinaus ging der Blick tief hinein in die Gletscherwelt der Eidgenossenschaft. Gegen Aufgang zeigte sich auch der Duxerferner und die lange winterliche Bergreihe, die das Ahrenthal vom Zillerthale trennt und der Venediger, der stille Pinzgauer Fürst, leuchtete im weiten Eismantel. Kufstein, Rattenberg und Brixlegg im Unterinnthal sah der Professor in der Ferne schimmern und auch sein Kramsach[WS 1], wo er einst als Knabe so ahnungsvoll den Kogel betrachtete, den er jetzt als berühmter Bergsteiger mit dem messenden Barometer in der Tasche, mit Thermometer und Perspectiv erklommen hatte. Um 2 Uhr 37 Minuten nahm er von der lange schon werthen und jetzt noch theurer gewordenen Spitze Abschied.

Die Abfahrt wurde in anderer Richtung versucht und hatte wieder ihre andern Gefahren wegen der steilen Wände, an denen man sich, Hände und Füße in das Gestein einschlagend, hinunter lassen mußte. Um 7 Uhr kamen die Steiger endlich in der Längenthaler Alpenhütte an. Auf dem Wege von hier findet sich eine vorspringende Berghalde, Oberachsel mit Namen, deren Besuch den Reisenden empfohlen wird, welche den Lisenser Ferner und die argen Wände des ungeheuern Kogels näher betrachten wollen. Kurz vor 9 Uhr Abends erschien der Professor wieder wohlbewillkommt im Stifthause zu Lisens.

Das Lisenser Jöchel, welches nach Stubei hinüberführt, scheint keines von denen zu seyn, die man gerne besteigt. In Innsbruck war nur wenige Kunde darüber einzuziehen, doch [485] lautete diese eher günstig. Ich wollte mir daher den Weg nur beschreiben lassen und keinen Führer mitnehmen, aber Hans Krapf, der Schaffner zu Lisens, hatte die Barmherzigkeit, hievon keine Notiz zu nehmen und mich fast wider meinen Willen zu begleiten, was mir später auch keineswegs leid war.

Der erste Aufweg ging über Wiesengrund. Schön war die Ansicht des Ferners, dessen Auslauf bald zu unsern Füßen lag. Als wir etwa anderthalb Stunden gestiegen waren, wurde die Landschaft öde, hochjochartig, tauernmäßig. Wir sahen auf den fernen Grat und auf die Schneefelder, die darum herlagen. Lange Zeit traten wir auf steilangelagertes rutschendes Gerölle, auf braune Platten, die nach Umständen übereinander fortschossen, unter den Tritten aber zusammen knackten.

Nachdem der lange mühsame Gang über diese knatternden Kacheln zurückgelegt, kamen wir auf körnigen Sand, der sich in jäher Halde zum Joche hinaufzog. Diese letzte Strecke erachtete ich für das unliebste Gehen, das mir bis dahin im Gebirge zur Aufgabe geworden. Der Sand gab bei jedem Schritte nach und wer einmal ins Gleiten kam, dem war wohl schwer zu helfen. Hans Krapf sah auch meine Noth und trat vorausgehend mit Behutsamkeit die Schritte in den Sand; manchmal reichte er mir auch die Hand, und wenn’s ihm dünkte, daß von unten besser zu wirken sey, so kehrte er um und schob mich aufwärts. In dieser Art kamen wir denn doch zuletzt glücklich auf das Joch, einen schmalen, zwischen wilde Höhen eingekerbten Sattel, der so schneidig ist, daß man sich darauf setzen und die Füße beiderseits rittlings zu Thale hängen kann. Die Aussicht ist nicht zu rühmen; sie geht nicht in die Tiefen von Stubei und von der Thalebene von Lisens ist gar nichts mehr sichtbar. Das Horn, das sich in nächster Nähe nördlich erhebt, ist die Villerspitze, die vor Zeiten, als man die Berge noch mit dem Auge und nicht mit dem Barometer maß, für eine der drei höchsten im Lande galt, wie der alte Reim besagt:

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Der Hager in Gschnitz
Und die Villerspitz
Und die Martinswand
Sind die höchsten im Land.

Auf der andern Seite des Joches hinabzugehen ist eine sehr einfache und ungewagte Sache. Es zeigt sich bald ein Bach, der zum Führer wird. Ueber sein Rinnsal fanden sich noch vom letzten Winter her etliche Schneebogen gespannt, blaue gothische Gewölbe, von denen die Tropfen mit hübschem Geläute herunter fielen. Nach einstündigem Gange, immer rasch zu Thale, war ich in Oberisse, einer kleinen Ansiedlung von Sennhütten. Eigentlich hatte ich den Weg verfehlt, da ich nach Alpein gewollt, um den Ferner zu sehen. Um dahin zu gelangen, wäre vom Joche aus rechts zu gehen gewesen; ich war gerade aus gegangen.

Die Sennhütten zu Oberisse sind meist gemauert und gut eingerichtet. Die Wasserkraft wird hier zum Butterrühren benutzt; ein Arm des Baches treibt kleine Räder, an welche das Butterfaß gelegt wird, so daß sich die Butter von selbsten „schlegelt.“ An andern Orten sieht man auch solche Rädchen mittelst einer Schnur die Wiege schaukeln, die drinnen in der Stube steht. Ein Wirthshaus ist nicht auf der Alm, doch findet sich eine Kaser, wo allenfalls Wein und Brod zu haben. In dieser traf ich vier Gäste, drei erwachsene Sennen und einen Knaben, dazu die Sennerin und ihren jüngern Bruder. Die Männer saßen auf der Bank, die sich um die Feuerstelle herzieht, halb im Rauch verhüllt und schmauchten plaudernd, die Sennerin ging ab und zu und redete wenig. Sie war ein sehr schönes Mädchen, fast zu schön für diese Einsamkeit. Um den Alpeiner Ferner zu erreichen und wieder bei Tage zurückzukommen, war’s zu spät, blieb also nichts übrig, als bis zum Morgen zu warten. Ich war etwas besorgt daß das Hirtenmädchen sich die Einlagerung verbitten würde, aber der eine der Gäste sprach mir Muth zu, sagte, das komme öfter vor, und die Sennerin sey überhaupt nicht so „schiech“ als sie thue. Dieß begleitete er mit einem ironischen Lächeln, was die Alpenmaid dadurch bestrafte, daß sie ohne ein Wort [487] zu sagen aufstand und floh. Bald hatten auch die Sennen ihren Branntwein ausgetrunken und gingen fort, so daß ich mit dem Mädchen und ihrem wenig sichtbaren Bruder allein blieb. Ich habe ohne Ruhm zu melden ihrem schönen Mund nicht zwanzig Worte zu entlocken gewußt, von allem andern, was die scherzhaften Reden des Sennen andeuteten, ganz zu geschweigen.

So saß ich also zumeist allein im leichten Rauch des Herdes auf der hohen Bank, trank ein paar Gläser Wein und nährte mich von Brod und Käse. Meine Augen beschäftigten sich mit Kübeln, Pfannen, Milchschüsseln, Butterfässern und einer Menge unbeschreiblichen Plunders, der ringsumher stand, lag und hing. Die Luft war kühl und das Herdfeuer daher sehr erquickend.

Die Nacht war noch nicht ganz hereingebrochen, als das Mädchen kam und mir bemerkte, es sey Zeit zur Ruhe zu gehen; sie seyen schläfrig, die Nacht vorher habe eine Kuh gekälbert und sie um allen Schlaf gebracht. Ich überließ mich ihr mit völliger Hingebung, wohin sie mich auch führen würde. Sie aber leitete mich aus der Hütte und hinten an den Heustadel hin, zu dessen Dachraum eine Leiter emporging. Hier solle ich hinaufsteigen, oben werde ich warmes Heu und eine Decke finden. Gute Nacht!

Oben unterm Dach fand ich wirklich warmes Heu genug und nach einigem Tappen auch eine wollene Decke. Ich grub mir mein Lager in das weiche Bett und nahm die Decke über mich, recht eigentlich bis an die Ohren herauf. Es war nämlich kalt im Speicher, da zwischen Dach und Seitenwand ein handbreiter offener Raum für den nöthigen Luftzug gelassen war. Obgleich es noch früh an der Zeit, so kam doch bald ein süßer Schlummer über den müden Wanderer.

Mitten in der Nacht erwachte ich. Ein langer gleißender Lichtstreif stoß über mich hin und im ersten Taumel glaubte ich, die Decke brenne. Ich fuhr auf und sah durch eine Dachspalte in den lieben Mond, der da herein seinen harmlosen Glanz ergoß. Ich öffnete die Thüre und trat hinaus an die Leiter. Unendliche, tiefe Bergeinsamkeit im verklärenden [488] Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! Nur der Bach, der tosende, sprach sein Wort in dieser Stille und zwar zehnmal wilder, als am hellen Tage.

Als ich in der Frühe die Decke abgeschüttelt und die Thüre geöffnet hatte, war alles neblig, um und um, die Bergspitzen sämmtlich verhüllt, selbst die niedern Weiden nicht frei. Gleichwohl hoffte ich, die Luft würde ihren Trübsinn noch zeitig lassen und machte mich auf, dem Bach entlang gegen Alpein zu gehen, da ich denn, einmal in solcher Nähe, nicht gerne wieder abziehen wollte, ohne den Ferner gesehen zu haben. Ich kam bis an den hohen Bergvorhang, wo der Steig steil aufwärts geht. Dort ist ein brüllender Wasserfall, der stäubend in ein Felsengrab springt, um sich in grauenvollen Wirbeln wieder daraus loszureißen. Als ich mit wonnevollem Grausen das Bild beschaute, begann es zu regnen. So kehrte ich zurück zu meiner lieben Sennerin.

Des Mädchens Trutzlichkeit war noch wie am Abende vorher. Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief.

So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien’s mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich – und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre – bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht [489] waren, bis herab nach Neustift, das in einem milden Thale liegt, im grünen Laub der Bäume, die sich an dem Fernerbach hinziehen, wie die Weiden an den Lechcanälen bei Augsburg.

Da man nicht gerne einen Zug verschweigt, der irgend einen mißfälligen Schatten mildern kann, so erwähne ich auch mit Vergnügen, daß mir der Wirth von Neustift anvertraut, das Mädchen auf der Alm zu Isse sey eine besonders brave und rechtschaffene Person. Aber gar so viel wenig reden thut sie – meinte ich. Ach, sagte der Andre, sie würde schon freundlicher seyn, wenn sie besser mit Ihnen bekannt wäre. Ich dankte ihm herzlich für diese Beruhigung.

Im vorigen Jahrhundert lebte zu Neustift Franz Penz, ein Priester, der aber nicht allein die Seelen auferbaute, sondern auch Kirchen und Pfarrhäuser. Er war ein Bauernsohn aus dem kleinen Thale Navis, das bei Steinach in das Wippthal ausmündet. Kaum hatte ihn der Bischof zum Priester geweiht, als er so verläßliche Zeichen seines inwohnenden Meisterthums an den Tag legte, daß ihn seine geistliche Obrigkeit immer an solche Orte als Seelsorger stellte, wo zugleich auch Bauten zu führen waren. Er löste alle diese Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten wie der betheiligten Gemeinden und erlangte so allmählich große Anerkennung. Man weiß von vierzehn Kirchen und acht Pfarrhäusern, deren Bau er geleitet. Die Kirchen, die ich von ihm gesehen, und so auch die große Kirche zu Neustift, sind helle reinliche Säle in mildem Zopfstyle gehalten, sehr aufgeklärte Räume, ohne alle Mystik der Andacht, ohne alles Helldunkel, das der deutsche Beter braucht, um mit unserm Herrgott reden zu können. Es ist landesüblich sie zu bewundern, sie werden indessen nicht jeden überraschen. Ueberdieß liegt die Vermuthung nahe, der Pfarrer Franz Penz sey auch einer von denen gewesen, welche die alten ehrwürdigen gothischen Kirchlein, statt sie zu stützen und zu erhalten, niedergerissen, um ihre eigenen Kunststücke an die Stelle zu setzen. Ihm, als Mann des vorigen Jahrhunderts, wird man das noch lieber verzeihen, als den traurigen Baumeistern, die zu dieser Zeit in den [490] Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben.

Vulpmes ist das größte Dorf in Stubei und das Herz des Thales. Hier sind nämlich die weltberühmten Eisenschmieden, und die ganze Ortschaft hat ein vulcanisches Gepräge. Ueber diese Industrie der Stubeier hat sich ein Aufsatz im ersten Band der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg sehr belehrend verbreitet. Wir entnehmen daraus vorerst, daß es nicht mehr auszumachen, in welchem Jahrhunderte zu Vulpmes jenes Gewerbe angefangen. Gewiß gaben die Eisengruben, die in der Nähe betrieben wurden, die erste Veranlassung dazu. Jetzt sind diese längst eingegangen, und nur mehr Spuren alter Betriebsgebäude vorhanden, nebst vielen verschollenen Erzanbrüchen in dem Gebirge und etlichen Urkunden aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die sogar von Goldbergwerken in der Vulpmer Alpe sprechen. Aber die hephästische[WS 2] Kunst hat sich bei den Vulpmern erhalten, obgleich sie nunmehr ihr Eisen weit herauf aus Kärnthen und Steiermark beziehen müssen, da das tirolische für sie theils zu theuer, theils zu schlecht ist. Die Handelschaft der Stubeier nahm übrigens ganz denselben Verlauf, wie die der Grödner. Allererst trugen etliche Schmiede, die in der Nähe keinen Absatz fanden, ihr Geschmeide auf dem Rücken von Ort zu Ort in den heimathlichen Bergen und in der benachbarten Fremde. Dieses hausirende Geschlecht ist nach der Volkssage von fabelhafter Leibesstärke gewesen. Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts leuchteten darunter besonders drei Brüder, Thomas, Martin und Georg, die Tanzer von Neustift hervor. Georg Tanzer soll einmal vor dem Mauthhause zu Schaffhausen mit acht Centnern Eisen angekommen seyn, die [491] er so eben allein aus Stubei herausgetragen hatte. Der Rath zu Schaffhausen ehrte seine Tugend durch Verleihung lebenslänglicher Zollfreiheit und ließ ihn auf dem dortigen Mauthhause abmalen. Thomas, der andre Tanzer, trug acht Centner Salz von Hall nach Neustift; Martin, der Dritte, übertraf aber seine beiden Brüder noch an Stärke und konnte einen beladenen Frachtwagen heben und von einer Seite auf die andre schieben. Da er mitunter ein Viehdieb war, so nahm er ein schlechtes Ende, indem er eines Tages auf der Gallwiese bei Innsbruck von vielen Menschen und Hunden gefangen und nach gefälltem Urtheil gehängt wurde. In frühere Zeiten hinauf geht die Sage von dem Unholdshof, der zwischen Greut und Telfes liegt. Dort soll ehemals eine Familie gelebt haben, die wegen ihrer ungeheuern Leibesstärke unter dem Namen der Unholden von Stubei bekannt war.

Anfangs also gingen die Stubeier mit dem Tragkorbe, mit der Krakse, in die Welt. Aus der Krakse entstand mit der Zeit ein Wagen, dessen erste Erscheinung man ins Jahr 1680 setzt. Nach diesem fanden es einige vortheilhafter, das Schmiedehandwerk in der Heimath ganz aufzugeben und sich bloß der Handelschaft zu widmen, was dann wieder zur Errichtung von Handelsgesellschaften führte, die ihre Unternehmungen mit zusammengeschossenen Capitalien betrieben. Man hat Nachrichten, daß diese Gesellschaften in der Zeit des siebenjährigen Kriegs sich besonders vermehrten und hervorthaten.

Endlich im Anfange dieses Jahrhunderts fand man, daß der Aufwand, den die wandernden Bevollmächtigten auf ihren Reisen zu machen hatten, wegen wachsender Theurung der Lebensmittel und abnehmender Sparsamkeit von Jahr zu Jahr steige, und um diesem Nachtheil zu steuern löste man die Gesellschaften auf und errichtete in Vulpmes Waarenlager, aus denen die Abnehmer des In- und Auslandes, zumal die zahlreichen Stubeier Handlungen, die sich in Süddeutschland niedergelassen, ihren Bedarf erheben konnten. Das ganze Eisengewerbe beschäftigte im Jahr 1825 dreiundneunzig Meister mit etwa hundertunddreißig Gesellen und hundert Hülfsarbeitern aus dem Bauernstande; damals wurden jährlich ungefähr 2200 [492] Centner rohes Material verarbeitet; der Ankaufspreis desselben wurde auf 45,000 fl. geschätzt, der Bedarf an Kohlen u. s. w. auf 6000 fl., sohin die Vorauslage auf 51,000 fl., der Erlös auf 115,000 fl. Diese Ziffern sind aber seitdem um ein Gutes herabgegangen, denn der Flor von Stubei war in den letzten zwanzig Jahren in fortwährendem Sinken, wie auch die Volkszahl im ganzen Thale seit dem vorigen Jahrhundert abgenommen hat, so daß sie, die im Jahre 1763 4968 Seelen betragen, im Jahre 1840 nur mehr auf 3800 sich belief. Staffler zählt in Vulpmes noch siebenundsechzig Werkstätten und zweihundert Arbeiter. Die Eisenwaaren, welche jährlich in den Handel kommen, schätzt er dagegen auf 3500 bis 3800 Centner.

So sind denn die Stubeier Schmiede jetzt in denselben Zuständen, wie die Grödner Schnitzler und sind auch von den gleichen Anfängen ausgegangen. Ehemals zogen jährlich bei dritthalbhundert Menschen ins Ausland, die dann nach kurzer Abwesenheit wieder in die Heimath zurückkehrten. Der Gewinn, den der Handel abgeworfen, wurde auf den Ackerbau und auf Erweiterung der angestammten Feldungen verwendet; daher dann im höhern Alter ein otium cum dignitate, Ruhe und Wohlstand, daher übrigens auch wie in Gröden, ein paar Menschenalter lang ungeheuer hoher Preis des Bodens. Heirathen mit Ausländerinnen gestattete die Sitte nicht, gänzliches Aufgeben der Heimath verbot die Sehnsucht nach dem Thale. So kehrten sie von ihren Wanderungen immer sicher wieder, legten das feinere Gewand, das sie im Ausland getragen, wieder ab, und waren Thälerer wie vorher. Daher auch zu jenen Zeiten, wie in Gröden, wie im Lechthale, wie im Engadein Bauersleute genug, die mit französisch und italienisch renommiren konnten und am Sonntag nach dem Essen das Tarockspiel betrieben. Jetzt da sich die auswärtigen Eisenhandlungen alle von dem Mutterländchen abgelöst, sind diese großweltischen Züge in der Physiognomie des kleinen Thales wieder lange verwischt, wie denn auch jene Händler, die sich in der Fremde niedergelassen, alle Spuren ihrer Herkunft abgestreift haben, so daß die „halbbürgerliche [493] Kleidung, die sie im Auslande tragen, bestehend aus langem blauem Rocke, Hosen von schwarzem Manchester, grünem Hosenträger, weißen Strümpfen und grünem Hut“ wenigstens bei den Münchner Stubeiern, bei den HH. Hofer und Triendl, Pittl und Ralling schon vor langen Jahren bei Seite gelegt worden ist. Die jetzigen Verleger sind übrigens feine artige Leute, die Reisen gemacht haben und Sprachen sprechen, aber dafür auch ganz als Städter leben. Im Pfurtscheller’schen Verlage wurde ich mit vieler Freundlichkeit herumgeführt. Er enthält übrigens nur rohere Waare für den Bedarf des Kleinbürgers und des Landmannes, wie sich denn überhaupt die Stubeier auf die feinern Stahlarbeiten nicht verlegen.

Fügen wir hier noch bei, was der Verfasser jenes Aufsatzes über den Bauern in diesem Thale berichtet. Es möchte zwar bedenklich scheinen, daß diese Schilderung des Stubeier Lebens gar zu sichtlich nach dem gearbeitet ist, was Walcher in seinem Büchlein von 1773 über die Oetzthaler Bauern sagt, aber es paßt das Bild auf beide Thäler, die an Bequemlichkeit des Anbaues nichts vor einander voraus haben, ja mehr oder weniger wohl auf alle Hochthäler des Landes. Der Stubeier also ist unermüdlich und seinen Fleiß überwindet weder Schwierigkeit noch Gefahr. Jedes Plätzchen, das eine Pflege zuläßt, ist benützt; um eine Handvoll Heu klettern die Männer den Ziegen nach auf die steilsten Schrofen, nicht abgeschreckt durch Verstümmelung oder Tod, was die Stürzenden so oft erleiden. Die Mähder, die auf den jähen Bergwiesen arbeiten, binden sich mit Stricken zusammen, um sich vor dem Fall zu schützen und die Holzhauer fällen ihre Bäume unbekümmert um den tiefsten Abgrund, von dem ihren Fuß nur unsicheres Gestrüppe trennt. Um eine Spanne Raum zum Ackerbau zu gewinnen, trägt der Bauer die Erde auf dem Rücken an den steilen Anhängen hinauf; spült der Regen die Erde herab oder verführt sie der Wind, so beginnt er im Frühjahre seine Arbeit von neuem, wenn er auch weiß, daß sie der Herbst wieder zerstört. So kämpft er auch ewig mit dem Wildbache. Wenn ihm dieser seine Felder wegreißt, so hat er zwar nur das traurige Nachschauen, wenn er sie aber bloß [494] mit Sand und Felsblöcken überschüttet, so geht er ruhig an die mühevolle Arbeit des Abräumens der Gries- und Schotterlage. Diese schichtet er in Haufen, gräbt dann die darunterliegende gute Erde aus und wirft sie ebenfalls auf Haufen. In das Loch, das so entsteht, wird der Schotter versenkt und dann die Erde darauf gelegt – eine Mühewaltung, die man das Wenden heißt. Selbst Felder, die das Wasser davon getragen, sind zuweilen wieder hergestellt worden. So hatten die Hofbauern zu Auten schon vor vielen Jahren einmal ihre Aecker alle und einen guten Theil ihrer Wiesen durch eine Überschwemmung eingebüßt; nur dürrer Kiesboden war zurückgeblieben. Um diesen wieder ergrünen zu lassen, suchten die Leute an den Bergen herum so viel fruchtbare Erde zusammen, um die öde Fläche zu überdecken. Und wo der Gräuel der Verwüstung Mitleid und Trauer erregt hatte, da sproßten bald nachher wieder schöne Saaten. Die Verheerungen die der Rutzbach anstiftet, sind übrigens erschrecklich. Was er in den Jahren 1772, 1776 und 1789 gethan, steht noch in düsterm Angedenken. Der Schaden wurde damals auf 400,000 fl. berechnet. Im Jahr 1807 brach ein Unglück herein, welches zwar nur Vulpmes bedrohte, aber dieß auch mit völligem Untergang. Ein Ungewitter mit Wolkenbruch, das am 30 August vorüberzog, schmolz nämlich die Schneelawinen, die sich seit mehreren Jahren in der Schlicker Alm ober dem Dorfe angelagert hatten. So wurde das Schlicker Bächlein, sonst ein friedliches Mühlwasser, zum tobenden Strom, wüthete zwölf Tage, zerriß dreizehn Brücken und einundzwanzig Gebäude, beschädigte etliche vierzig durch die Felsenstücke, die er an ihre Mauern schleuderte und ließ einen Schaden zurück, der sich auf mehr als 100,000 fl. belief.

Vieles wird am angeführten Orte auch von der Viehzucht der Stubeier erzählt; weniger vom Ackerbau, der auch hier für den Bedarf des Thales nicht zureicht. Es kommen alle Feldfrüchte vor, wie sie in Nordtirol gebaut werden, außer Mais und Weizen. Aepfel und Birnen gibt’s nur zu Telfes am Eingange des Thales, Kirschen noch zu Neustift. Ein andres Erzeugniß des Thales ist die Stubeier Sulze, [495] welche wenigstens zu des Verfassers Zeit von Joseph Schmied zu Vulpmes aus Bergkräutern verfertiget wurde, die er selbst noch in einem Alter von fünfundachtzig Jahren auf den höchsten Alpen suchte. Sie wurde durch die prüfenden Aerzte als ein treffliches Heilmittel für Brustkrankheiten erkannt. Sonst nennt der Verfasser die Stubeier ehrlich, offen, religiös und folgsam gegen die Befehle der Obrigkeit. Schade, daß er, der so gut mit den Thälerern vertraut war, nicht auch etliche Sagen, etliche weitere Einzelnheiten über ihre Sitten und ihr Leben mitgetheilt hat.

Von Vulpmes steigt man nach Mieders hinauf, das hoch über dem Rutzbache und seinem walddunkeln Rinnsal liegt. Es ist der Sitz des Landgerichts und hat eine Badeanstalt, die von den Innsbruckern etwa eben so für die ihrige angesehen wird, wie die Bozener Ratzes als ihr Leibbad betrachten. Man findet da gemächliche und reinliche Sommerwohnung und im Wirthshaus zur Traube einen guten Tisch. Es ist in den schönen Monaten des Jahres ein sehr heitrer Aufenthalt, denn die Innsbrucker führen keinen Trübsinn aus. „Es findet selbst, sagt der Verfasser der Beschreibung von Stubei, der weichliche Städter Behagen, die Zeit seiner Ergötzung in einem Thale zu verleben, wo ihn gemilderte Sitten umgeben und mäßige Bedürfnisse die zureichende Befriedigung erhalten.“ Am 1 September 1842, als ich in der Traube zu Mieders anlangte, war die Saison freilich schon vorüber. Man wußte indeß viel zu erzählen von dem vergnügten Leben, das die Badgäste geführt, noch mehr aber von dem Feste, das Tags zuvor in der Nähe stattgefunden hatte, als Erzherzog Stephan, damals in Tirol reisend, den Grundstein legte zur Hauptbrücke an der neuen Straße, welche in den letzten Jahren erbaut worden ist, um den schlimmen Steig am Schönberg zu umgehen. Alle Ohren waren noch voll von dem schmetternden Lauffeuer, das die wälschen Arbeiter, die dabei beschäftigt, durch Verbindung einer Unzahl von Böllern zu Stande gebracht hatten.

Zu Mieders in der Kirche steht auch, so zu sagen, im Exil ein Muttergottesbild, das ehedem auf der Waldrast [496] verehrt wurde. Die Waldrast ist am Serles in der Höhe zwischen Mieders und Matrei gelegen, eine prächtige Berggegend. Den Ort hat Balde durch eine Ode gefeiert, welche von Herder übersetzt wurde. Auf dieser Stelle erhob sich vor Jahrhunderten eine Wallfahrt. Es kam nämlich vom „großen Weib im Himmel“ gesandt ein Engel auf die Waldrast, der einen hohlen Lärchenstock im Namen der Muttergottes ansprach: du stockh sollest der frauen im himmel bild fruchten, dan balt wird do ein kirchfart aufkommen. – Das Bild wuchs nun im Stocke und ward zuerst am Ostersamstag 1407 von zwei frommen Hirtenjungen erblickt, und sofort in die Kirche zu Matrei versetzt. Wie nun die Capelle auf der Waldrast gegründet worden, dieß erzählt das gleichzeitige U. L. Frauen- Protokoll in sehr naiver Weise. Der Anfang besagt, daß ainer tzü Matray ist gesessen mit Namen Christan Lusch saliger, tzü dem ist kommen ain stymm an ainer pfintztag nacht, als er an seinem pett lag, dye redt mit ihm tzü dreyn maln und sprach: slaffestu, da antwurt er und fragt: wer pistu oder was wildu? da sprach die stymm: ich bin ein stymm. – In dieser muntern Art geht es fort und wir erfahren weiter, daß dem guten Christian die Aufforderung ward, eine Kirche zu bauen und daß ihm, als er in den Wald gegangen und entschlafen war, eine hohe Frau in weißem Kleide mit einem Kinde im Arme erschien und die Stätte anzeigte, wo das Gotteshaus erbaut werden sollte. Es erschwang sich bald zu ungemeinem Ansehen, denn die Muttergottes bewies sich außerordentlich wunderthätig. Von Herzog Sigmund an begannen auch die Landesfürsten und die Glieder des Kaiserhauses sich mit besonderm Vertrauen der Wallfahrt zuzuwenden und ihr Spenden aller Art zu verehren. Drum entstand auch mit der Zeit ein Servitenkloster dort. Noch Maria Theresia hat das Bild auf der Waldrast mit Geschenken begabt, ihr Sohn dagegen 1785 das Kloster aufgehoben. Im Herbste jenes Jahrs ward das Gnadenbild nach Mieders übersetzt, aber durch seine Entfernung aus dem Orte, wo es fast vier Jahrhunderte gewirkt hatte, ging das Vertrauen des Volkes und so auch viel von dem Rufe seiner Wunderkraft [497] verloren. Fromme Gemüther zogen noch immer lieber der Waldrast zu, und beteten dort vor einer Copie des alten Gnadenbildes, ja die Opfer flossen so reichlich, daß mit Anfang dieses Jahrhunderts schon wieder an die Wiederherstellung der Wallfahrt gedacht wurde. Indessen war aber das Bild zu Absam bei Hall aufgekommen und jenes hielt die Concurrenz nicht aus; auch die Regierung war nicht zu gewinnen. So steht denn die Waldraster Muttergottes nunmehr verlassen und wenig besucht in der Kirche zu Mieders.

Von Mieders aus erreicht man die Brennerstraße bei dem Dorfe Schönberg, wo ein Posthaus ist. Hier geht der böse Weg über den Schönberg hinunter gegen Innsbruck zu, der ehemals so viel Schweiß und Mühe kostete. Hier wurden, wenn es aufwärts ging, an die schweren Frachtwagen acht und zehn Pferde vorgelegt, und wenn sie abwärts fuhren, so war es ein grausliches Ansehen, wie trotz der zwei und drei Radschuhe der Wagen so dämonisch dahinrollte, kaum aufzuhalten durch die stärksten Rosse, die, die Gefahr im Rücken ahnend, mit leuchtenden Augen und schäumendem Rachen zu zögern strebten, so viel sie vermochten, während der beängstigte Fuhrmann sie mit Drohungen und Flüchen unaufhörlich besprach. Jetzt ist die neue Straße fertig und vom 1 October 1844 an steht sie dem Verkehre offen. Sie hat die alte Richtung, die gerade über die Höhe des Schönbergs ging, ganz aufgegeben und läuft nunmehr dicht über der brausenden Sill an einer Böschung hin, in langem Zuge die „Ellenbögen“ abzeichnend, welche die Seitenwand des Berges hier bildet. Sie ist zierlich und fein gearbeitet und von italienischen Werkleuten ausgeführt worden. An der Entfernung hat man nichts gewonnen, vielmehr ist der neue Straßenzug um ein Gutes länger als der alte; doch wird dieß wieder hereingebracht durch die sanfte Senkung, welche abwärts ohne Radschuh im Trabe zu fahren erlaubt. Eine Einbuße für den Reisenden der das Land im Eilwagen durchfliegt, ist es immerhin, daß er die herrliche Schau verloren hat, welche sich von der Schönberger Höhe gegen die Stubeier Ferner öffnet. Sie war für [498] Jeden eine Augenweide und ist eine der schönsten Ferneransichten, die von einer Heerstraße aus offen stehen.

Wir sind nun mittlerweilen ins Wippthal gelangt. Diesen Namen trägt ein Landstrich, der sich von Innsbruck an der Sill aufwärts bis zum Brenner und von da am Eisack abwärts bis zum Brixener Klaesel erstreckt. Was sich nördlich vom Brenner gegen Deutschland senkt, heißt das untere, was sich südlich gegen Italien zieht, das obere Wippthal. Der Name kommt von dem alten Vipitenum, das ungefähr auf der Stelle des heutigen Sterzings lag. Im neunten Jahrhundert kommt ein Quartinus, nationis Noricorum et Pregnariorum vor, der in valle Wibitina lebte. Seit dieser Zeit ist der Name nicht mehr verschollen. Er hat, wie der des Pusterthales das Eigene, daß er über die Wasserscheide hinübergeht und zwei Flußgebiete in sich begreift, nämlich das der Sill und den obern Lauf des Eisacks, während sonst im Allgemeinen die Thalnamen nicht weiter reichen, als ihr Bach. Das Wippthal zwischen Schönberg und Matrei ist nicht sehr dicht bevölkert. Zur Linken jenseits des tiefen Schlundes, in dem die Sill sich fortwälzt, steigen schöne Halden auf. Mitten durch diese zieht für den Nichtkenner kaum bemerkbar die Ellenbögenstraße, ein wohlunterhaltener, und von den Salzfuhren fleißig benützter Verbindungsweg zwischen Matrei und Hall. Diese Straße hat ihren Namen davon, daß sie wie die neue Schönbergstraße an der steilen Absenkung des Gebirges hinzieht, so wie jene, alle vorspringenden Erker und alle eingehenden Tobel, mit Einem Worte die Ellenbögen abläuft. Die jenseitige Halde ist reich geschmückt mit Kornfeldern, Wiesen, Baumreihen, Schluchten, Häusergruppen, zu oberst mit Wald, zu unterst mit der Sill. In der Ferne über den Matreier Wald hin sieht man das Schloß von Matrei aufragen.

Matrei ist die alte Römerstation Matreium, jetzt eine lange Gasse voll Wirthshäuser, alles von ziemlich neuem und reinlichem Ansehen, da der Markt seit Jahrhunderten immer und immer durch Feuersbrünste gelitten hat. Die Stelle des alten Matreium glaubt man jenseits der Sill zu finden, [499] wo jetzt der Häuserhaufen steht, der den Namen Altstadt führt. Man thut nicht Unrecht, auch das Matreier Schloß zu besehen, das auf einem von der Sill umströmten Serpentin- Felsen erbaut ist. Diese Burg besteht aus einer Reihe niederer Gebäude, die sich an einen starken, angeblich römischen Thurm lehnen. In einer Vorstube ist ein älteres Gemälde zu sehen, die Bauernlangweil genannt. Es soll das ausgelassene Leben schildern, wie es die tirolischen Bauern nach dem dreißigjährigen Kriege geführt, und stellt auch in der That Fraß, Völlerei und Unzucht in Menge dar. Im Prunksaale sind ein paar Bildnisse aus der Familie der frühern Schloßherren. In der Burg saßen ehemals die frühverschollenen Herren von Matrei. Von diesen ging sie auf das glänzende Geschlecht der Trautsone über, die vor Zeiten den Thurm in der Pfitsch bei Sterzing inne gehabt. Die Trautsone verwalteten das Erbmarschallamt von Tirol, das auf der Burg zu Sprechenstein bei Sterzing ruht. Im Jahre 1711 wurden sie Reichsfürsten, im Jahre 1775 sind sie ausgestorben. Ihre Erben sind die Fürsten von Auersperg, jetzt die Erblandmarschälle von Tirol.

Zu Steinach an der Brennerstraße, eine Stunde oberhalb Matrei, ist Martin Knoller geboren, welchen Tirol seinen größten Maler nennt. Eine Gedächtnißtafel ziert die Thüre des Hauses wo er das Licht der Welt erblickt. „Es war der achte Tag des Novembers, sagt Herr Heinrich von Glausen, der im sechsten Bande der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg dem Künstler einige Seiten gewidmet hat, es war der achte Tag des Novembers 1725, der dem Dorfe Steinach durch Martin Knollers Geburt eine eigene Berühmtheit verschaffte.“ Sein Vater war ein armer Dorfmaler, der den Sohn allerdings für seine Handthierung erzog, aber auch viel anderes Häusliches, Gemeines von ihm forderte. Martin, der seinen Genius gefesselt fühlte, ging daher eines Tages aus dem Walde, wo er Brennholz holen sollte, nicht mehr zurück, sondern lief nach Innsbruck, und warf sich dort dem Hofkammerrath v. Hormayr zu Füßen, mit der Bitte, ihn die Malerei lernen zu lassen. Sofort lernte er zwei Jahre [500] bei einem Innsbrucker Maler, und kam dann wieder nach Steinach ungefähr in dieselbe peinliche Lage, die er vor zwei Jahren verlassen hatte. Als er nun eines Tages in einem der Dorfwirthshäuser Scheiter zur Küche trug und in einem freien Augenblick mit der Kohle einen Holzträger auf die Mauer zeichnete, stieg ein reisender Herr an der Schenke ab, ging in die Hausflur und fing an den zeichnenden Jüngling zu beobachten. Die Arbeit scheint ihm höchlich zu gefallen und ehe der Andere noch fertig, erklärt er, Paul Troger zu seyn, der berühmte Maler von Wien. Zugleich legt er die Absicht an den Tag, den jungen Martin mit in die Hauptstadt zu nehmen, um ihn dort in seiner Kunst zu unterrichten. Der Vater will dem Glücke des Sohnes nicht im Wege stehen, schlägt ein und Knoller fährt mit Paul Troger davon. Der junge Mann blieb bis in sein achtundzwanzigstes Jahr zu Wien, ging dann nach Rom, nach Neapel, nach Mailand, wurde befreundet mit Winckelmann und Raphael Mengs, malte in Fresco und in Oel, vieles für Italien, noch mehr für Deutschland und starb hochbejahrt 1804 unter der italienischen Republik zu Mailand. In deutschen Landen sind es besonders drei Kirchen, deren Decken er mit seiner Kunst geziert, die des ehemaligen Benedictiner-Klosters zu Ettal im bayerischen Gebirge, die des Reichsstiftes zu Neresheim und die des Chorherrenstiftes zu Gries bei Bozen. Er galt sehr viel zu seiner Zeit, war gut angesehen an den Höfen zu München und Wien, und an letzterm durfte er sogar den Kaiser Leopold malen. Heiter und liebenswürdig, fromm und bescheiden, gutherzig und wohlthätig, immer fleißig und regsam, war er ein schönes Muster tirolischen Naturells. Die Kirche zu Steinach, wo er auch durch einen Denkstein geehrt worden ist, besitzt drei Altarblätter von ihm, den heiligen Erasmus, den Kirchenpatron, die Enthauptung Johannis und St. Sebastian, welchem fromme Frauen die Pfeile aus dem Leibe ziehen. Alle drei verrathen milde, weiche Zeichnung, schwache, harmonische Färbung.

Auf dem Rosenwirthshause zu Steinach, gegenüber der Post, ist ein Zug Landsknechte mit Fahne, Trommel und [501] Pfeife, sieben Mann stark angemalt, lauter schnurrige, seltsam aufgeputzte Gesellen. Dieses Gemälde soll zum Gedächtniß seyn, daß im Jahre 1631 ein Fähnlein Steinacher in die Schweiz gezogen, um dort Krieg zu führen. Von dem ganzen Haufen seyen nur diese sieben zurückgekommen und diese erst nach sieben Jahren. Das hinten dreingehende Weibsbild hat der Mann zunächst vor ihr als sein ehelich Gemahl aus feindlichen Landen mitgebracht, betrogen durch falsche Botschaft, daß seine Frau zu Steinach gestorben. In dem Helden, der die Fahne trägt, will man den damaligen Rosenwirth erkennen. Dasselbe Haus hat im Jahre 1705 auch den Kurfürsten von Bayern beherbergt, als er den erfolglosen Zug an den Brenner unternommen. Deßwegen heißt es auch noch heutzutage beim Bayerwirth.

Dicht bei Steinach geht das Gschnitzthal ein, in dem die Beste Schneeberg steht. Es enthält zwei Gemeinden, Trins und Gschnitz, beide arm. Ich spreche deßwegen von dem Thälchen, weil ich wünschte, daß etwa ein Nachkommender eine Merkwürdigkeit erhöbe, deren ich mich, weil zu spät benachrichtet, nicht bemächtigen konnte. In Gschnitz nämlich, im hintern Dorfe, lebt nach verlässiger Kunde ein alter Jäger, alt aber rüstig, der wie die gesprächigen Greise von ehemals, wie die betagten Kinderfrauen, die jetzt am Aussterben sind, noch an Sagen und Mähren seine Freude hat, und seine Wissenschaft, wenn freundlich angegangen, gerne mittheilt. Er soll unendlich vieles zu erzählen haben von den Geheimnissen der Bergwelt, von dem eigensten Wesen der Gletscher, von den Unthieren, die in ihren Tiefen wohnen und dort unermeßliche Schätze bewachen. Nach allem, was man von ihm hört, dürfte er als einer der letzten Eingeweihten den Liebhabern tirolischer Sagen von größtem Werthe seyn.

Eine Stunde ober Steinach strömt der Bach von Schmirn in die Sill. An seinen Ufern hin führt ein angenehmer Pfad in das Dörfchen St. Jodok oder St. Jos. Ein alter Bauer kam des Weges, begrüßte und tröstete mich wegen des Wetters, das mir etwas bange gemacht hatte. Der Alte stellte sich als [502] Steinklauber vor und bot mir bald auch seine gesammelten „Imeralien“ an, von denen ich aber leider keinen Gebrauch machen konnte. Doch schieden wir im besten Frieden, und zuletzt empfahl er mir auch noch dringend das obere Wirthshaus von wegen des bessern „Gesüffes.“

Von St. Jos an verliert sich der Weg gegen Dux, den wir einschlagen, bald in einen waldigen Tobel, den der Schmirnerbach immer stürzend und tosend durchjagt. Der Pfad ist schmal und oft eingebrochen, die Zusammenwirkung von wilden Wasserstürzen und abgerissenen Tobelwänden im dunkeln Föhrenschatten manchmal schauerlich. In das Düster herein scheint zuweilen von der Höhe herab durch den Wald ein weißes Bauernhaus. Endlich führt der Steig wieder ins Freie, in eine schöne, hellgrüne Fläche, in das Thal von Schmirn, durch welches der Bach ruhig, silberglänzend dahin fließt. Weit zerstreute, steinerne Höfe stehen jenseits des Wassers und diesseits an den waldigen Halden. Die Dächer glänzten im Morgenscheine und ein bläulicher Rauch schwebte um ihre Giebel. Schöne Bergeinsamkeit! Die Aelpler sind mit der Ernte auf den Feldern beschäftigt und beleben das morgenlichte Bild.

Die Kirche steht am Ende der Thalebene, der Widdum daneben. Der Herr Curat, den ich um den Weg befragte, gab mir freundlich Bescheid, und führte mich auch in die Kirche. Dort zeigte er mir den schön gefaßten heiligen Leib, den Stolz des Thales. Er soll einem gebornen Schmirner angehört haben, der Felix geheißen und ein Krieger gewesen. Es ist zu wünschen, daß diesem Felix nichts Aehnliches zustößt, wie dem San Felice in einem Dorf bei Roveredo, der es sich schon vor hundert Jahren gefallen lassen mußte, von dem gelehrten Abbate Tartarotti durch authentische Urkunden für einen einbalsamirten Grafen von Castelbarco erklärt zu werden.

Nachdem wir heiligen Leib und Kirche besehen, begleitete mich der Geistliche noch weiter ins Thälchen hinein zur kalten Herberge, einer Wallfahrt, die sich erst in den neuesten Zeiten aufgethan. Es ist ein reinliches Kirchlein, das eine halbe Stunde vom Dorfgotteshause oben im Walde leuchtet. [503] Die vornehmste Merkwürdigkeit ist ein auf schwarzem Sammet ausgelegtes Crucifix, welches Peter Miller, ein Missionär, auf seinen Fahrten in Amerika gebraucht und in manchen Gefahren als Talisman befunden hat. Namentlich, führt der beigeschriebene Zettel an, sey er einmal im Jahre 1783 von den Wilden eingefangen und sein Tod auf den nächsten Morgen festgesetzt worden. Da habe er nun am Abende noch seine Andacht bei dem Kreuze verrichtet, Gott sein Leben anheimgestellt und nur für den Fall, daß er noch ferners in Ausbreitung seines Wortes thätig seyn könnte, um Erhaltung desselben gebeten, worauf er eingeschlafen und am andern Morgen jenseits des Meeres fern von seinen Widersachern erwacht sey.

Unten am Wege in der Tiefe des Thales erscheint der kleine Tempel als das letzte Heiligthum, von dem ein Glöcklein tönt und zur Messe ladet; weiter drinnen ist nur mehr eine stille Capelle.

Im innersten Winkel des Thalgeländes stehen noch drei steinerne Weiler, von denen der letzte Kasern heißt, zum Andenken, daß hier ursprünglich nur Sennhütten standen. Jetzt waren die Häuser zumeist geschlossen und die Einwohner standen an den Abhängen herum bei der Ernte.

Hinter dem Dorfe springt ein Wasserfall vom Felsen in beträchtlichem Wurfe in die Luft hinaus – eine Erscheinung, die von vielen sehr hoch gehalten wird. Der Weg aufs Joch zieht an zwei Feldkreuzen vorüber, dem Bache entlang, anscheinend auf einen Schneeberg zu, der das Thal in großem rundem Buckel schließt. Bald darauf ändert er aber seine Richtung und kriecht in vielen Windungen einen steilen Abhang hinauf, zur Rechten eines baumlosen Tobels, wo ein Alpenwasser an langer Felswand herabglitscht. Er ist sehr betreten und kaum zu verfehlen. Seine Anmuth auf dieser Seite ist unbedeutend; man sah als Staffage nur etliche von jenen bienenkorbförmigen Heuschobern, die den Sommer über oft auf den gefährlichsten Klippen errichtet und im Winter nach Hause gebracht werden. Höher oben erspähte man an dem steilen Gebirge, das die andre Thalseite bildet, etliche Rinderheerden auf Weiden, [504] die zunächst an der Schneegränze liegen. Ein Wanderer, den ich jetzt erreicht hatte, gab sich als Metzger zu erkennen, und machte auf diese in seine Geschäftssphäre einschlagende Erscheinung besonders aufmerksam. Einer andern schriftlichen Quelle bin ich für die Nachricht verbunden, daß einst bei einer Jagd, die Kaiser Max in diesen Bergen hielt, hundert und dreiundachtzig Gemsen erlegt wurden – eine Beute, die jetzt kaum mehr zu gewinnen wäre, auch wenn wieder ein Kaiser käme. Mein Begleiter war übrigens gebürtig bei Sterzing, in dem Dorfe Gossensaß, dessen Name (urkundlich Gozzinsazze) sein Gefährte nicht unglücklich als Gothensitz erklärt und auf die Zeit zurückgeführt hat, als die Gothen Herren über Rhätien waren. Drum studirte dieser auch lange in den Zügen des andern, ob er nicht eine ethnographische Rune, irgend ein gothisches Wahrzeichen darin entdecken möchte, bis der Metzger, des Spionirens überdrüssig, lächelnd fragte: Haben Sie denn da nichts zu schauen als mein G’fris.

Oben fast am Joche fanden wir eine Galthütte mit dem Stalle für sechs Ochsen, etliche Ziegen und eine Kuh, die hier in der Höhe weiden. Neben an rieselt eine Quelle, die ein treffliches Wasser bietet. Nahe bei der Quelle ist am Felsen ein Denkstein angebracht, zur Erinnerung an die heitre Fußreise, welche den Erzherzog Johann im Jahre 1835 auf diese Höhe geführt. Damals stieg der geliebte Prinz herüber mit den gewappneten Heerhaufen der Gebirgsschützen aus der Nachbarschaft, die ihm fröhlich das Geleit gaben.

Der Ochsenhirt war nicht in der Hütte, doch fanden wir sein Trinkgeschirr, mit dem wir alsbald aus der Quelle schöpften, nach mühsamer Reinigung, denn der einfache Aelpler hatte es augenscheinlich die ganze Saison über noch nicht ausgespült. Die Galthütten fallen überhaupt sehr störend in die gebirglerischen Illusionen der Leute von der Ebene. Dahin verläuft sich keine junge Sennerin, die dem Gast zum Abschied mit rosigen Lippen einen Kuß aufdrückt, da gibt’s keine Zither und keinen Gesang, keine Käskessel und überhaupt keine Alpenwirthschaft, wohl aber einen alten eisbärtigen Ochsner, der in seinem Schmutz erstickt und nur zu oft schlechter [505] Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben.

Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat’s ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht’s, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können – es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat’s übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er’s übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt’ es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er’s noch weiß, wenn ich wieder komme.

Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit – und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung [506] von dem frischen, offenen Wesen der Duxer. Der Mann meinte, ich ginge gewiß auch das schöne Maidele von Lannersbach sehen, die schon in den Büchern gedruckt sey, und von der die Fremden alle zu reden wüßten!

Das Duxer Jöchel ist eines der bequemsten Hochjöcher, zwar etwas steil von beiden Seiten, aber nicht übermäßig hoch und ganz gefahrlos. Es wird viel begangen, weil es die reichbevölkerten Gegenden von Zillerthal und Dux mit dem Wippthal verbindet. Auf dem Joche oben sind Schneestangen eingesteckt, da der Uebergang auch im Winter viel benützt wird. Auch ein Höhenkreuz steht da und ein hölzerner Heiland hängt daran, dem die Regengüsse alle Farbe abgewaschen haben; auch die beiden Arme sind vom Rumpf abgesprungen und hängen nun trostlos neben dem Leibe herunter. Ringsherum ist eine kleine Fläche, von welcher zwei Wege ausgehen – der eine jäh abfallend zieht gerade vorwärts, der andre läuft zur Linken in ein Thal ein, das sich weit hinaus in die Runde zieht. Seine glatten, steilen Seiten sind baum- und buschlos, aber mit schönem Grün bekleidet. Durch dieses Thal geht auch ein Weg nach Hinterdux hinunter und manchem fremden Wanderer, der ohne Führer von dort heraufkam, ist es schon begegnet, daß er den stillen Pfad, der durch diese einsame Weiden hinabführt, für den Weg nach Schmirn hielt, und daher zu einiger Schadenfreude der Duxer wieder ins Thal hinunter fand, aus welchem er heraufgestiegen war.

Etwas unter dem Joche erreichten wir zwei Menschen, einen Passeyrer und ein Duxer Mädchen, welche zur Zeit in ruhiger Rast saßen. Der Passeyrer trug in seiner Krakse Branntwein zu eigenem Gebrauche, wie er sagte, da er mit andern Leuten seiner Heimath auf den Hochweiden von Hinterdux zahlreiche Schafheerden zu hüten hatte. Die Duxer nämlich, deren Viehstand die ganze Ausdehnung ihrer Almen nicht in Beschlag nimmt, verpachten diese an auswärtige Heerdenbesitzer und darunter sind mehrere Passeyrer Bauern. Das Duxer Mädchen hatte Butter nach Schmirn getragen und ging nun leer zurück. Sie rasteten also beide und als [507] wir herankamen, grüßten sie manierlich, die Duxerin nicht ohne einige Freude, daß da, von dem Rufe ihres Thales angezogen, wieder einmal ein Fremder übers Joch gestiegen sey. Der stattliche Passeyrer, ein großgewachsener, schlanker Mann mit braunem, scharfgeprägtem Gesichte, fragte zuvorkommend, ob ich nicht von seinem Schnapse versuchen wolle, und als ich mich bereit erklärt, nahm er unverweilt seine Krakse vom Rücken und schenkte mir aus einem kleinen Fäßchen ein. Vergeltung wollte er nicht haben, denn auf dem Joche müsse ein Mensch dem andern aushelfen.

Sehr artig war auch das Duxer Mädchen, obgleich nicht gar schön. Sie sang ihre Worte so lieblich hinaus und plauderte so uraltes Bayrisch, daß ich ihren Lauten mit immer wachsendem Vergnügen zuhorchte. Insbesondere überraschte die Deutlichkeit ihres Vortrages; ich und mich und sich sprach sie ganz bühnengerecht, und da sonst die bojoarischen Landleute nur i und mi und si sprechen, so klang mir das gar städtisch und vornehm. Auch mit den Vocalen der Vor- und Nachsylben ging sie sehr behutsam um und gönnte ihnen viel mehr Daseyn, als es ihre Landsleute in andern Thälern thun. Sie lud mich schmeichelnd ein, doch auch ihren Ferner zu besehen, den so viele schon mit Freuden beschaut hätten. Sie hatte den gleichen Weg zu machen auf einige Kasern hinunter, die nicht weit außerhalb des Gletschers standen. Ich ging gerne mit und wir kamen also zu den Kasern, etlichen armseligen Hütten in einer kleinen Thalrinne. Hier blieb das Mädchen zurück und ich schritt einwärts zum Ferner, oder vielmehr zum Keese, denn diesseits der Brennerstraße, in Dux, im Zillerthal, im Pusterthal und seinen Seitenthälern werden die Ferner Keese genannt. Nach wenigen Schritten bog ich um eine Ecke und stand da im Amphitheater des Gletschers, der im Sonnenschein prachtvoll aufblitzte. Rechts und links steigen riesige Hörner in die Höhe, zwischen denen sich der Ferner wie eine silberne Schleppe in die Kiesarena heruntersenkt, die seine Bäche durchströmen. Die eine Hälfte seines Eises liegt einer Muschel gleich auf dem Griese; die andre Hälfte sitzt zerbrochen, zerklüftet, in vielen Spitzen [508] aufstarrend, hellgrün und hellblau glänzend auf einem Felsstock, den sie ehedem wohl bedeckt hat, so daß dann der Ferner wie ein ausgebreiteter Fächer in der sandigen Runde lag. Oben verliert er sich in ein schrundiges Schneefeld, die gefrorne Wand, über welche sich bisher noch niemand emporgewagt. Die Scene ist ringsum abgeschlossen; rückwärts ziehen sich niedere Hügel auf, hinter denen sich höhere Berge erheben. Links weit oben glitzern etliche Wasserfälle, welche von höhern Schneefeldern herunterstürzen.

Als ich wieder zu den Kasern kam und mit dem Mädchen weiter ging, zeigte sich’s bald, daß der Ferner so zu sagen hinten in einem hohen Stockwerk liege, aus dessen vordern Stellen man das Thal erschauen kann, das aber noch tief unten liegt. Und so schauten wir denn hinunter in die idyllische Alpenlandschaft, in die grünen Auen von Hinterdux, in denen Hütte an Hütte, braun und niedlich, wie Grillenhäuschen, sich an einander fortreihten, umgeben von gelben Gerstenfeldern, durchzüngelt vom silbernen Bache, eingesäumt mit Anger und Feld von einem bergauf und ab laufenden Zaune, der das sattere Grün der Heimwiesen von dem blasseren der Alpenweiden abschnitt. Zu beiden Seiten thürmte sich mächtiges Gebirge auf, unendliche, steile, breite Halden, hie und da mit Sennhütten besetzt, welche die Warten sind für den einheimischen und auswärtigen Heerdenreichthum. Ist’s nicht fein? fragte das Duxer Mädchen in hellem Vergnügen über meine Bewunderung.

Rechts von da geht es zum Duxer Wasserfall hinunter, der wohl einen Gang verdient, aber besser vom Thale aus besucht wird, als von da hinab über die jähe schlüpfrige Keßler-Rinne, an der sich einer beim ersten Fehltritt zu Tode scheipen[WS 3] kann. Unter heitern Reden erreichten wir die Flur des Dörfchens, wo das Mädchen zurück blieb, wahrscheinlich damit nicht, wie einst Nausicaa[WS 4] befürchtete, die Zungen im Dorfe für ihren Einzug mit dem fremden Wandersmann irgend einen unvernünftigen Grund aussuchen möchten. Dafür fanden sich bald ein Knabe und ein Mädchen, zwei sehr schöne Kinder von acht oder neun Jahren, die plaudernd [509] auf dem Rasen saßen, meine Fragen anmuthig erwiederten und unaufgefordert sich erhoben, um mir den Weg zu den warmen Quellen zu zeigen, die ich wenigstens sehen wollte. Sie stießen kurz vor dem Dorfe jenseits des Baches in zwei Armen von der Halde herab. Sie sind nur wenig lau, noch nicht untersucht, und scheinen in der Gegend keines besondern Rufes zu genießen; wenigstens hörte ich nichts von ihrer Heilkraft. Sicher wohnt ihnen eine solche bei und es wäre vielleicht nicht übel, wenn sich da ein „Badel“ erheben würde. Die Duxer sind indessen zusehends zu gesund dafür und den Zufluß aus der Ferne dürfte die Abgelegenheit des Thales wohl immer sehr beschränkt halten. Später habe ich irgendwo gelesen, daß die Quellen wenigstens in ältern Zeiten mit Erfolg angewendet wurden.

Ehe ich nun die erste Hütte erreichte, kam ich noch an einem Wiesgärtchen vorbei, in dem etliche halberwachsene Jugend Kurzweil trieb. Als die Königin des Festes erschien ein schönes, wohlgekleidetes Mädchen von etwa achtzehn Frühlingen, der man es ansah, daß sie nicht in dem Thal geboren war. Ich schaute dem Spiele einige Augenblicke zu, worauf die Jungfrau das Thürchen öffnete und heraustretend in feinen Worten mich willkommen hieß zu Dux. Dabei gewahrte ich, daß sie einen städtischen Rock anhatte und ein sauberes Halsgekröse, und an den Füßchen trug sie schön lackirte Schuhe, was mir vorkam, wie ein schalkhafter Spott über die ascetische Bedürfnißlosigkeit der Duxer. Ich will’s gleich voraussagen, was ich später erfahren habe, nämlich daß das Mädchen eines reichen Müllers Tochter aus dem Zillerthale war, die ihrer Bildung wegen schon manchen Winter in der Hauptstadt verbracht hatte, nun aber als vornehmer Sommerfrischgast bei armen Verwandten in dem hölzernen Dörfchen wohnte, das neben uns lag. Deßwegen wird sich auch Niemand wundern, daß wir trotz der Ferner, die von oben recht arg herunterglotzten, trotz des Heerdengeläutes und des Bergjauchzens, das jetzt bei kommendem Abend in die Stille froh hereinklang, daß wir trotz alle dem fast eine sehr gebildete Conversation pflogen, beide nicht ohne tiefes Gefühl [510] für die Ironie des Zufalls, der hier dem Mädchen mit den lackirten Schuhen den Gegenpart zugeführt hatte, der ihre exceptionelle Stellung zu würdigen, zu bewundern und zu belächeln wußte. Sie verstand es, in Schilderungen die augenscheinlich nach Salis und Mathisson gebildet waren, die idyllische Einsamkeit ihres Sommeraufenthalts zu zeichnen und ebensowohl in meinem Wesen den schwärmerischen Zug herauszufinden, der mich durch alle Mühsal der Bergwelt hieher in die reine Luft des friedlichen Alpenthals geleitet. Nach manchem guten Gedanken und manchem witzigen Scherze von ihrer Seite, worauf ich, so gut es ging, Bescheid that, beurlaubte ich mich von der städtischen Alpenmaid, die in mir die Bemerkung zuwege brachte, daß ein schönes Mädchen überall am rechten Platze sey und daß man auch in Hinterdux nicht unangenehm berührt werde durch ein anmuthiges, feines Müller-Töchterchen, gesetzt auch sie hätte lackirte Schuhe.

Hinderdux, die Ortschaft, mit ihren hölzernen Hütten, welche neunzig Menschen beherbergen, ist vielleicht das unansehnlichste aller Alpendörfchen. In Damils und Fend sind die Häuser, obgleich von Holz, doch viel größer, in Galthür sind sie von Stein; andere Orte taugen kaum zur Vergleichung. Was aber diesem Dörfchen eigen, das ist eine fast alterthümliche Philoxenie – man kann nicht sagen: Gastfreundschaft, denn das Völkchen hat nichts anzubieten als Milch und Gerstenbrod, was es für die Herren nicht recht passend hält – aber es ist eine recht innige, herzliche Freude an den Fremden, die durch ihre Holzgehäuse durchpilgern. Als ich da den Fuß einsetzte, war es bereits Abend geworden und die Leute saßen auf den Sommerbänken vor den Thüren. Als sie mich ersahen, sprangen sie von allen Seiten auf, eilten herbei, bildeten einen Kreis, und ließen die Augen neugierig auf mir ruhen. Die ältern Männer und Weiber sprachen mich zuvorkommend an und fragten vor allem, wo ich bleibe. Als ich Bayern nannte, erinnerten mehrere, das sey ein feines Land, ganz eben und voll Getraide. Es sey zu verwundern, daß man da fortgehen möge, um ihre „schiechen“ Löcher zu betrachten. Ich hatte Mühe, mich darüber zu rechtfertigen, [511] doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hinterdux recht augenfreundlich finden wollte. Uns däucht es außen fein, enk herinnen, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die jüngern, noch schulpflichtigen aus dem „Umstand“ duzten mich, die ältern sagten Ihr und Sie. In allem was sie sprachen, war ein so freundliches Wohlwollen ausgesprochen, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vorderdux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hinterdux nur ein sehr kümmerliches Wirthshaus zu finden ist. Aehnliche Aeußerungen wie die der Duxer von der schiechen Natur ihres Thales hätten auch an andern Orten wiedergegeben werden können, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel „feiner,“ als das Gebirge und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Thal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten „schiech,“ ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird und umgekehrt, je schiecher desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge auf die Gletscher des Ridnaunthals deutend, lustig hervorbrach: Ei ja, da sollt es hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand’ ist.

Nicht weit von Hinterdux kamen mir zwei Novizen der [512] Liguorianer nach. Der eine war ein Tiroler und schwieg, der andere ein Wiener und plauderte lehrreich über Welt und Leben, insbesondere viel Aprioristisches über die Alpen, die er seit acht Tagen betreten hatte. Auf der Moosseite, wo wir miteinander vorüber kamen, steht ein Wirthshaus, vor dessen Thüre die Tochter erschien, fragend, ob denn heute gar nichts gefällig sey, kein Wein, keine frische Buttr. Während wir uns nun zur Rast anließen, versammelte sich alles Hauswesen, so weit es daheim war, drei Brüder, schöne Jungen, der älteste mit Schnurrbart und gelockten blonden Haaren, wie sie hier die Burschen haben, und die Schwester, die uns so gastfreundlich angerufen hatte. Der älteste Bruder bemerkte, es gehe ein kühler Wind im Freien und lud uns ein hinein zu kommen, da es doch viel schöner sey in dem „Gaden.“[WS 5] Ich freute mich über den lieben Kerl mit seiner Nibelungensprache, ging auch hinein in den Gaden, fand es aber sehr schmutzig darinnen und die Wände neu geweißt. Die Unterredung war recht niedlich, und drehte sich abermals um die sonderbaren Herrenleute, die die schiechen Jöcher absteigen, um sich ein Plaisir zu machen.

Von da nach Lannersbach herunter führt ein anmuthiger Pfad am Bache hin. Aus tiefer Dämmerung schimmerten endlich die spitzthurmige Kirche und die hölzernen Häuser, die zwar etwas ansehnlicher sind, als jene in Hinterdux, aber ebenso schwarzbraun und rußig. Man sollte es nicht denken, daß zwischen hölzernen Häusern ein solcher Abstand seyn könnte, wie zwischen den Hütten in Dux und den Palästen im Bregenzerwald. Uebrigens ging ein sehr kühler Nachtwind, denn das Klima von Dux ist kalt und rauh. Dank der hohen Lage – 4666 Wiener Fuß über dem Meere – und der Nachbarschaft des Ferners.

Im untern Wirthshause zu Lannersbach saßen zwei Landsleute beim Weine, Gymnasiasten von München, deren einer, als leidenschaftlicher Geognost, eine Menge von Zeichnungen und stenographischen Notizen, auch einige gesammelte Felsstücke bei sich trug. Er freute sich, jetzt mehr und mehr in reichhaltige Gegenden vorzudringen, und hatte sich versprochen, den derben Hammer, den er bei sich führte, im Steinreich [513] mächtig walten zu lassen. An einem Stücke gelobten Landes war er freilich schon vorbeigegangen, denn die östlichen Nachbarthäler von Dux, die ihre Wässer in den Zillerbach ergießen, verbergen unendliche Schätze für Mineralogen wie für Botaniker. Für erstere zumal ist der Greinerberg als Fundgrube berühmt. Ich beklagte im Stillen des Scolars jungen Rücken, dem der geognostische Eifer so viel zu tragen gab über Berg und Thal, und seine Stenographie sprach mich in Dux fast ebenso seltsam an, als die lackirten Schuhe der schönen Zillerthalerin. Wir fanden uns bald in lebhaftes Gespräch hinein und es war daher sehr unwillkommen, daß ein betrunkener Hintenbauer, ziemlich jungen Alters, sich zu uns setzte, welcher die Unterhaltung jeden Augenblick durch ungeschickte Reden stören wollte und nach allem tappte, was der Geognost der Belehrung halber auf den Tisch legte, nach all den werthvollen Felsstücken, nach den mineralogischen Zeichnungen und selbst nach den stenographischen Notizen. Als wir ihn baten, er möge das unterlassen, nahm er unaufgefordert den wissenschaftlichen Hammer und hieb damit in den Tisch, daß die Gläser alle klirrend in die Höhe sprangen und selbst die Felsstücke dröhnend aufhüpften. Dabei lachte er gerade wie der Teufel, nämlich ungemein dämonisch. Wir sahen uns bedenklich an, er aber hielt eine Rede, von der wir keine Sylbe verstanden. Ich glaube auch, es ist nur ein Blendwerk des Bösewichts gewesen, lauter mystische Worte, ohne Sinn und Zusammenhang. Gleichwohl verlangte das Ungethüm, wir hätten es verstehen sollen, und als wir nach unsrer Ueberzeugung erklärten, das sey uns unmöglich gewesen, schlug er mit dem Hammer wieder in den Tisch, daß das Haus in seinen Grundfesten erbidmete. Mich nicht verstehen? rief er dann – ja freilich, ein Herr ist ja kaum ein Mensch, höchstens halbwegs. S’ ist dieß schon aller Ehren werth, wenn der Bauer ein ganzes Vieh ist, erwiederte der Geognost in schnellem Gegenschlag. Dadurch fand sich aber der idyllische Zecher übel getroffen und brummte mit steigendem Getöse an einer Antwort, welche jedenfalls sehr herbe zu werden drohet, als Jörgel, der Wirth, herantrat und ihm unter [514] schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen „Schinken“ (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet.

Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der „Thölderer“ von ehemals verehren.

[515] Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt.

Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir’, wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem „epischen“ Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter [516] sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.

Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben [517] Knecht und Dirne seine Liegerstätte an und Einbrennsuppe, Plentenknödel und Türkenribel ißt er Tag für Tag abwechselnd bei den Bauern. Etwas unbequem wird die Stellung, wenn sich etwa ein halbherrischer Junge, allenfalls ein armer Bürgerssohn aus der Stadt in diese Ländlichkeit verirrt hat. Man hört dann manche stille Klage, wie schwer sich mit der Rohheit und den Vorurtheilen der Bauern abzufinden sey, wie der Schulmeister immer die Herren beim Landgericht zu vertheidigen habe, wenn sie etwas verordnen, was den Aelpler ärgert; und über menschliche Kräfte sey es gegangen, den guten Kaiser Franz zu rechtfertigen, wenn einmal die Bauern zu politisiren anhoben.

Jörgel, der Schulmeister, versprach damals auf das Octoberfest nach München zu kommen, hielt es aber nicht. Als ich im zweiten Jahre darauf wieder in Dux war und mit einem Reisegefährten in seiner bescheidenen Wohnung zusprach, erfuhr ich zwar wenig Triftiges zu seiner Entschuldigung, – ich habe stark gezweifelt, sagte er, ob ich wohl den Weg thäte finden – aber dafür erzählte er, daß er jetzt ein Krämer geworden sey. Ja, dem Schuldienst hat er nicht mehr recht vorstehen können, weil er die Orgel nicht zu spielen weiß und so haben die Duxer einen andern erwählt, der auch auf dem Chor ein Meister ist. Jörgel ist jetzt, obgleich er fünfhundert Gulden für die Krämerei ausgegeben, ziemlich wohl auf, verwendet viele Zeit auf die Wissenschaften und wünscht nur auch einen Tabaktrafik zu bekommen. Dieß ist aber trotz der heißesten Wünsche in Innsbruck nicht durchzusetzen gewesen, weil, wie die Herrn sagten, kein Bedürfniß dazu vorhanden, massen in Lannersbach schon ein anderer mit dem Tabakverschleiß betrauter Handelsmann ist. Die Leser wissen ohnedem, daß in Oesterreich der Tabak ein Monopol der Regierung ist, die den Kleinverschleiß an bestimmte Krämer abgibt, welche, glaub’ ich, vom Gulden Erlös einen Groschen Profit haben. Jörgel schlug den Zuwachs an Einkünften, der ihm jährlich dadurch zu Guten kommen würde, auf dreißig, vierzig oder fünfzig Gulden an und dieß ist in Dux allerdings eine Summe, die seine heiße Sehnsucht entschuldigt.

[518] Wie die Gebirgsvölker findig sind, so wußte er auch gleich etliche Fragen zu stellen zur Aufhellung, ob ich nicht etwa in Innsbruck „Connexionen“ hätte, die seine Lieblingsgedanken zur schönen Wirklichkeit werden lassen möchten. Ich hatte viele Noth, ihn genügend zu überzeugen, daß ich nichts für ihn thun könne.

Uebrigens standen wir bei dieser Unterredung um den Herd herum und suchten uns am Küchenfeuer zu wärmen. Die alte Mutter meinte nun nicht anders, als, weil wir Gäste, müßte sie uns auch etwas vorkochen. Die Vorrathskammern in Dux sind aber sehr einfach ausgerüstet und dießmal waren nur Eier vorhanden. Sie wurden indessen mit so freundlicher Aufdringlichkeit geboten und die Mutter wußte den „Koch,“ den sie daraus bereiten wollte, als so schmackhaft zu schildern, daß uns nur die Aussicht auf die nächstbevorstehende Abendtafel im Wirthshause veranlassen konnte, das Ehrengeschenk dankend abzulehnen. Doch wurden wir nicht eher entlassen, als bis wir aus einem hölzernen Weidling frisch gemolkene Milch getrunken hatten.

Als ich nun damals von der Wanderung auf dem Bühel jenseits des Baches und aus der Hütte des Schulmeisters wieder ins Wirthshaus zurückkam, fand ich es gedrängt voll, denn der alte Ruf der Duxer Kirchweih hatte auch dießmal noch gezogen und es waren manche Fremde herzugewandert, die zusammen mit den Duxer Bauern, welche den Vorabend des Festes mit etwas Branntwein begehen wollten, alle Tische füllten. Auch der Rosenwirth von Matrei war mit einem „Collegen“ durch das Thal von Navis, an der Lizumer Alm vorbei, über zwei Jöcher herüber gestiegen, um in seinem Leben auch einmal der Duxer Kirchweih anzuwohnen. Ein Viehhändler, ein weitgereister, von Schlitters im Zillerthale gebürtig, war eine Standesperson mehr. Der alte Metzger von Gossensaß, den ich auf dem Joch verlassen hatte, als ich mit dem Duxer Mädchen „Ferner schauen“ ging, ruhte träumerisch in einer Ecke, fern von mir, und nickte hin und wieder bedeutsam mit dem Haupte, ob im Schlafe oder zur Anfeuerung des Gespräches, das um ihn her zuweilen hell [519] auflärmte, das konnte ich nicht entnehmen. Einige andere außerthalische Gestalten waren da und dort zwischen die Bauern eingestreut.

Die zwei Wirthe, der weitgereiste Viehhändler und der bayerische Herr saßen beisammen und unterhielten sich geschmackvoll über verschiedene Gegenstände, bis auf einem andern Tische das Singen anhob. Dabei nahmen Theil der Wirth, das Duxer Maidele, und Ferdinand Mariacher, der Organist, des Schulmeisters Bruder, der aber erst aus dem Bette hatte geholt werden müssen.

Der Wirth von Lannersbach, Georg Stock, den die Duxer schlecht und recht Jörgel heißen, ist eigentlich ein geborner Zillerthaler und hat aus seinem Mutterländchen eine Statur hereingeheurathet, wie sie von den Duxern so hoch und ansehnlich keiner aufzuweisen hat. Dabei trägt er ein heiteres, väterliches Gesicht von erzgesunder Farbe und bewahrt immer eine ruhige, aber gute Laune. Da er auch sonst ein verständiger Mann, so kann er mit den Thälerern alles ausrichten und ist nicht ohne Grund ihr Hauptmann, der Capitän der Duxer Schützencompagnie. Bei dem Feste, welches 1822 zu Innsbruck gefeiert wurde, marschirte er an der Spitze seiner Mannschaft an den Kaisern von Oesterreich und Rußland vorüber und machte dabei aus dem Stegreife so herrliche Sprünge und ich glaube sogar Buzigagelen (Burzelbäume), daß ihn der gerührte Franz zu Tische zog. Auch dabei verursachte er den beiden Potentaten unendliches Vergnügen, und er erzählt mit Offenheit, wie sie das Lachen gar nicht mehr halten konnten, wenn er bei Tafel hin und wieder eine unhöfische Alpenmanier heraustreten ließ, oder wenn er etwas sagte, was den beiden andern nicht gescheidt genug vorkam. Kaiser Alexander drückte ihm damals den Wunsch aus, er möchte wohl auch ein halbes Tausend solcher Schneebauern haben, worauf ihm Jörgel, ich weiß nicht welches Compliment sagte. Durch seinen eigenen Werth und durch die Auszeichnungen die ihm damals die zwei Monarchen angedeihen ließen, ist Jörgel eine im ganzen Lande bekannte Person geworden und der Wirth von Lannersbach genießt durchweg [520] einer großen Popularität. Er ist gar nicht unzufrieden, daß die Fremden endlich auch einmal den Weg „ins Düx“ gefunden haben und freut sich ihres guten Zuspruchs. Nur zufällig fand ich ihn dazumal etwas gereizt gegen ein paar Reisende aus Berlin, die er nicht recht hatte verstehen können. „Ich weiß nicht, sagte er, warum diese Leute ihre Muttersprache so verläugnen mögen.“ Man ist in Dux nämlich nicht mit Unrecht stolz auf den alten, feinen, unausgeschliffenen Dialekt, der in vielen Stücken dem Schriftdeutsch um ein Gutes näher steht, als die andern Mundarten des Landes. Auch die gebildeten Tiroler erkennen seine Tugend gerne an und man hat zur Erklärung sogar schon die sonderbare Behauptung aufgestellt, der hochdeutsche Anstrich des Duxer Dialekts rühre von einem Geistlichen her, welcher der Gemeinde so viele Bücher zu lesen gegeben, daß sie zuletzt unwillkürlich sich die Büchersprache eigen gemacht.

Maidele, des Wirthes Tochter, war damals einundzwanzig Jahr alt und ein schönes Mädchen mit dunkeln Haaren, schwarzen, feurigen Augen und rosigen Wangen. Es hat der Jungfrau keine Freuden eingetragen, daß die Welt sie für Lewalds „schöne Duxerin,“ für das Mädchen hielt, das der berühmte Tourist auf der Kirchweih zu Zell einst kennen gelernt, dann im Halbdunkel eines engen Gäßchens wieder gefunden und mit ihrem Vater, dem Alten, den Gebirgspfad hinaufgeführt hat, gleich „als hätte er eine Dame von hoher Bedeutung am Arm.“ Er fühlte sich, wie er gesteht, seliger dabei! Wenn man bedenkt, wie viele Maler, Studenten und andre scherzhafte, junge Leute jährlich zu Lannersbach zukehren, so ist es allerdings nicht zu verwundern, daß die Duxer und so auch Jörgel und sein Haus von der Begebenheit in dem Halbdunkel und allem, was darauf folgt, vernommen haben. Wie es nun gekommen, daß man die Geschichte auf dieses Mädchen bezogen, ist mir unbekannt. Maidele konnte indessen auch die leiseste Anspielung darauf nicht ertragen und es war ein Glück, dies zeitig genug zu merken, ehe sie, ihr Vater, der Bruder und das ganze Hauswesen verstimmt waren. Uebrigens hatte sie auch keine Gründe, [521] sich etwas gefallen zu lassen, denn im Jahre 1834, als Lewald die schöne Duxerin kennen lernte, war die Wirthstochter von Lannersbach etwa dreizehn Jahre alt. Die wahre schöne Duxerin aber, wenn sie anders je auf Erden wandelte, soll nach der Aussage unterrichtet seyn wollender Gewährsmänner zur Zeit eine geschickte, etwas ältliche Köchin zu Innsbruck seyn.

Der Wirth also und sein Töchterlein und der Organist setzten sich zusammen und sangen anmuthige Lieder nach Art der Zillerthaler, und eben so schön wie diese konnten sie auch jodeln. Unter den Gesängen gefielen mir am besten ein Zigeunerlied und hie Frau Nachtigall, und endlich ein Alpenlied, das im Thale entstanden und mit einer sehr hübschen Melodie begabt worden ist. Als die längern Stücke vorübergegangen, erholten sich die Sänger an den Schnaderhaggen, den kleinen vierzeiligen Liedchen, die aus dem Zillerthale und dem bayerischen Gebirge allmählich in die gesammte deutsche Welt wandern. Mitunter ließ auch einer der Anwesenden eine Strophe hören. Hin und wieder trällerte Vater Jörgel sogar ein erotisches, mehr oder minder heikles „G’sangel," wobei denn Maidele den Hut etwas tiefer in die Stirne drückte, aber geschämig und folgsam accompagnirte. Es war große Heiterkeit in der Stube und die meisten Gäste gingen erst nach Mitternacht zu Bette.

Den andern Tag, an der Kirchweih, vor dem Gottesdienste kamen die Vorderduxer und die Hinterduxer alle auf dem Platze bei dem Wirthshause zusammen und der fröhliche Lärm schallte als Weckerruf in die hölzerne Prachtkammer, die mir Jörgel zum Schlafen gegeben hatte. Ich stieg also in den untern Raum des Gasthofes hinab, und gewahrte, daß der Wirth zu Lannersbach seine Vorkehrungen gut zu treffen gewußt. Maidele zwar, das Maidele war nur halb dienstfertig, aber dafür war ihr Schwester gekommen, die auf einem Bauernhofe im Thale verheirathet ist und mit ihr der Mann, ein schöner und flinker Bursche, noch jung an Jahren, und mit ihnen dasselbe schöne Mädchen mit den lackirten Schuhen, das noch vorgestern auf der Flur von Hinterdux mit der erwachsenen Jugend Kurzweil getrieben [522] hatte und dem wegemüden Wanderer mit so freundlichem Willkomm entgegengetreten war. Sie hatte sich auch bereden lassen bei der Kirchweih auszuhalten, aber nur, wenn etwa Herrenleute kommen sollten, nicht bei den Bauern. Sie trug natürlich ihren besten Putz und in ihrem fräuleinhaften Feiertagsglanze stand sie wirklich recht fremdartig da unter den Branntweintrinkern von Dux und ihren schmucklosen Töchtern; ihr literarisches Innere mochte freilich noch mehr abstechen von dem analphabeten Bewußtseyn der schlichtesten aller Hirten.

Vor dem Hause waren indessen mehrere Anstalten erstanden, von denen man des Abends zuvor nur erst schwache Andeutungen gewahrt hatte. Zu Gunsten der ständigen Kegelbahn, welche dem Wirth gehört, hingen aus den Fenstern des obern Stockes herunter zwei seidene Halstücher festlich neben einem neuen Hute und auf dem Anger stand an einen Pfahl gebunden ein schöner Widder, alles Preise des Schiebens, welche der Bestgeber, Georg Stock, ausgesetzt hatte. Aus der zierlich gefertigten Ausschreibung, die an Jörgels hölzerne Wand geklebt war, entnahm ich, daß man hier die Preise mit dem alterthümlichen Namen Kleinod benennt, was mich sehr erfreute. Neben der ständigen Bahn hatte aber Ferdinand Mariacher eine fliegende aufgeschlagen, dafür auch Halstücher und einen Hut ausgestellt, welche vom Söller des Nachbarhauses herab den Ehrgeiz der Duxer mächtig anregten. Auch er hatte ein schöngeschriebenes Proclama angeheftet, worin er die verehrlichen Gäste freundlichst zur Theilnahme an seinem Kirchweihschieben einlud. Für schlechte Liebhaber des Kegelspiels wäre hier zu bemerken, daß in Lannersbach der Laden auf beiden Seiten mit Leisten eingefaßt ist, so daß sich die Kugel wenigstens auf dem Wege nicht verirren kann. Ein alter Pfannenflicker hatte ebenfalls ein Kleinod ausgeboten, welches durch Würfel zu gewinnen war. Dann hatten zwei junge Schuster von Zell, schmucke Bursche tänzerhaften Anstandes, die offene Halle eines nahen Hauses eingenommen und dort ihre lederne Waare ausgelegt. Ferner war ein Hutmacher aus dem Zillerthal erschienen, um sein Lager auszubieten. Weiter unten gegen die Kirche zu saßen ein Duzend [523] Weiber, welche Obst und Brod verkauften. Endlich waren auch eine Menge Säue auf die Kirchweih gekommen, welche zeitenweise den Gästen vorgeführt und dann wieder in den Stall getrieben wurden. An ihnen hatte besonders der weitgereiste Viehhändler seine Freude; er ließ sie des Tages über, wenn er Langweile hatte, noch oft vor sein Angesicht kommen, bloß um die Augen an ihnen zu weiden. Zu all dem ist als nothwendiger Rahmen und Einfang immer wieder nicht zu vergessen das hölzerne schwarzbraune Dorf von Lannersbach, das grüne Gebirge zu beiden Seiten und der weiße blinkende Ferner am Ende.

Zwischen jenen Festanstalten standen nun plaudernd die Duxer und Duxerinnen jeglichen Alters und Geschlechts, die Heimer, d. h. jene, welche des Sommers über zu Hause bleiben, und die Melcher oder Senner, die von den Almen herunter gekommen zur Kirchweih. Die Tracht der Männer, die ehemals wohl auch im Zillerthale galt, ist aus den wohlfeilsten Stoffen zusammengesetzt und gewährt ein schlichtes und ernstes Ansehen. Die graue Jacke vom gröbsten Loden erreicht kaum das Knie; sie heißt das Hemd, wogegen das, was andre Leute Hemd heißen, Pfait, Pfoad genannt wird. Das G’saß ist von gleichem Zeuge oder von Leder; die Strümpfe sind blau. Eine Weste wird nicht getragen, um den Leib aber liegt ein breiter, meistens schön gestickter, lederner Gurt, Fatsche, mit dem Namen des Inhabers, oft auch noch mit einer Gemse, einem geistlichen oder weltlichen Spruch verziert. Das Haupt deckt ein rundes Hütchen mit niederm rundem Kopfe. Die Sennen erschienen zumeist in schönen Bärten, da sie sich des Sommers über nicht zu scheeren pflegen. Wegen neuer Wäsche machen sich die biedern Hirten auch wenig Noth; sie bleiben bei der Pfait, mit der sie gen Alm fahren und wechseln nie bis sie herunter kommen. So ist der Schmutz der Wäsche ein Gegenstand des Ehrgeizes geworden, denn wer das unflätigste Hemd nach Hause bringt, glaubt das beste Zeugniß mitzuführen, daß er den Umgang mit dem Vieh und seine Pflege nie vernachlässigt habe. Tabak scheint ihnen allen ein unentbehrliches Bedürfniß. Sie [524] gebrauchen ihn in dreierlei Gestalten, zum Schnupfen, zum Rauchen und zum Kauen. Als Kautabak heißt er Käutel, und ein solches Käutel findet sich fast in jedem Munde. Es ist widerlich, die Gesichter, so frisch und ausdruckvoll, durch den ekligen Knäuel in der Wange verunstaltet zu sehen, noch widerlicher aber ist die gelbe Jauche, die das Käutel im Munde erzeugt. Die Liebhaber scheinen indessen nicht davon zu leiden, denn sie scheuen sich nicht, durch dieß Medium hindurch zu essen und zu trinken. Bei der zarten Jugend ist die Pfeife mehr beliebt; man sieht sechsjährige Knäblein schmauchend mit einander spielen. Das Geld für den Tabak gibt, wie mich so ein Söhnchen unterrichtete, die Mutter her; die kleine eiserne Pfeife, welche sechs Kreuzer kostet, bringt wahrscheinlich der heilige Niklaus. In neuester Zeit ist gegen diesen überfrühen Tabakgenuß von Seite des Guberniums eingeschritten und allen Jungen unter sechzehn Jahren das Rauchen verboten worden; indessen ist der Mißstand um so schwerer zu beseitigen, je abgelegener die Thalgegend ist und je weniger die Eltern etwas Unrechtes in dem Vergnügen ihrer Kindlein zu sehen vermögen. Ehemals waren auch die tirolischen Weiber dem Tabake höchlich zugethan. Auf ältern Trachtenbildern haben die Zeichner nicht ohne Grund mancher Bauersfrau ein Pfeifchen in den Mund gegeben. Es ist aus Lewald bekannt, daß Frau Anna Maria Ladurner, verehelichte Hofer, in ihren höhern Jahren die gramstillendem Düfte der ungarischen Blätter gerne einschlürfte. Auch im Vorarlberg, wo früher auf den Feldern von Frastenz eine Fülle von Tabak gebaut wurde, hatten sich die Weiber an den Genuß gewöhnt. Auf den Wochenmärkten zu Feldkirch sah man die Landmädchen von Frastenz, Nüziders, Sateins gar häufig schmauchend bei ihren Kirschen sitzen.

Die Tracht der Weiberleute ist nicht minder einfach als die der Männer. Sie tragen dieselben grünen Hütchen, führen um den Hals ein seidenes Tuch, das durch einen Ring gezogen wird, gehen in dunkelfarbnem Rocke, einem blauen Fürtuch und grauen lodenen Ueberjacken. Die Taille ist sehr kurz, Mieder sind unbekannt und der Busen steckt in breiter [525] wulstiger Hülle. Diese Tracht der Duxerinnen war ehemals auch bei dem andern Geschlecht im Zillerthale üblich. Seit zehn Jahren ist aber die freilich viel kleidsamere Mode des Innthales, der hohe Spenser, der ragende Hut, bis Zell und Mayrhofen vorgedrungen und den alten Schnitt bewahren daselbst nur ältere Mütterchen und wenige Mädchen des ärmsten Volkes.

Sonst ist der Schlag durchaus germanischen Ansehens, der Wuchs durchschnittlich um ein Gutes niederer, als im Zillerthale, aber stark und stämmig. Die männliche Jugend, wie sie vor dem Wirthshause versammelt war, zeigte viele sehr individualisirte, schöne Köpfe, fast alle mit blonden Locken zierlich bekränzt. Etliche Knaben, gerade auf dem Uebergange ins Jünglingsalter, fielen mir besonders auf durch weiche, ideale Züge. Ein besonders schmucker Bursch ist Seppel, der Sohn des Wirthes. Die Duxer Mädchen gelten am Lande als reizend und schön, und nebenbei weiß man auch, daß sie der harten Arbeit willen sehr früh verblühen. Sie erfreuen sich einer sehr weißen Haut und hochrother Backen, sind aber meiner Beobachtung nach mit ausdruckslosen Zügen begabt und sehr klein gewachsen. So kann ich leider ihren guten Ruf nicht bestätigen, abgesehen von Jörgels Maidele, welche weitaus die schönste war.

Es war schon etlichemale in Predigt und Amt geläutet worden, und die Weibsen hatten sich bereits alle in die Kirche begeben. Auch die Männer zogen sich mehr und mehr gegen den Friedhof hin, doch blieb eine ziemliche Anzahl vor dem Wirthshause stehen und manche setzten sich sogar zusammen aufs Gras. Sie hielten sich wahrscheinlich entschuldigt, weil die kleine Dorfkirche doch nicht alle aufnehmen wollte, so daß viele außerhalb des Gotteshauses im Schatten der Kirchenwand sitzen mußten. Als endlich das feierliche Amt vorüber war, brach der graue Haufe mit vielem Gedränge heraus und strebte den beiden Wirthshäusern zu. Im unsrigen war bald die Zechstube gefüllt und noch ein großer Gaden und der Tanzsaal, den Jörgel in lustigern Zeiten, vielleicht auch für lustigere Zeiten, die wieder kommen sollen, hat erbauen lassen. Die dienenden Leute, der Wirth, die Wirthin, Seppel, Resele, [526] Resele’s Mann, die Dirne liefen geschäftig durch einander, Maidele und des Müllers Töchterlein standen am Herde. Die Bauern gingen ans Mittagessen und erlabten sich an großen Stücken Schweinfleisch und „Gsträunens“ mit weidlichem, von langen Tagen her geschärftem Appetite, denn die Duxer Küche erhebt sich nur fünfmal des Jahres zu dieser Leckerei, an der Kirchweih, an Ostern und an den drei Weihnachtstagen. Heute war sie aber im Ueberflusse vorhanden, doch fanden auch die mit Topfen gefüllten Kirchweihkrapfen günstige Aufnahme. In der Sage lebt es noch fort, daß man ehemals auf der Duxer Kirchweih stets sechs Kreuzer zahlte und dafür auf Mittag so viel essen konnte, als man vertragen mochte. Jetzt richtet sich die Zeche freilich, wie in der äußern Welt, nach der Verzehrung, aber auch so noch liebt es Jörgel, seine Gäste sehr billig zu halten.

In der vordern Stube saß indessen ein ausgezeichneter Lump, ehemaliger Jäger, Schreiber und Anderes, der schon in verschiedenen Anstalten seiner Besserung hatte obliegen müssen, eine erbärmliche, schäbige Gestalt. Jörgel hatte ihn schon gestern nur unter der Bedingung aufgenommen, daß er sich heute wieder fortbegebe. Heute aber legte er recht deutlich die Absicht dar, uns den ganzen schönen Tag auch noch zu widmen. Jörgel führte ihn anfangs etwa alle halbe Stunden einmal aus dem Hause, doch wußte er zuletzt auch seinen Eifer abzustumpfen und um Mittag saß er bereits ganz unbehelligt bei seinem Branntwein, hatte auch schon einen Rausch, den er sich kreuzerweise zusammengebettelt. So bescheiden ich auftrat, so hatte er mich doch bald erfragt und plötzlich stand er auf und rief: Vivat der König von Bayern! der hat mich angestellt! Es war Vater Max gemeint, der dem Burschen, eh’ er ein Lump geworden, einmal ein kleines Jägerdienstchen verliehen. Und eh’ ich mich’s versah, fuhr der schieche Mensch wieder in die Höhe, schwang das Glas zum zweitenmale und schrie: die Bayern sollen leben – worauf er dann noch Mehreres zum Lobe dieser Nation hinzufügte, was, wenn es von mehreren unbetrunkenen und sonst biedern Männer wiederholt würde, derselben allerdings sehr zu Ehren kommen [527] möchte. So aber war’s mir zum Ekel; ich ärgerte mich und ging hinaus, schenkte ihm auch keinen Pfennig für seine Sympathien, obgleich er wenigstens einen Groschen erwartet hatte.

Nun kam mir aber ein anderes Mißgeschick entgegen. Im hintern Gaden nämlich saß an einem Tisch voll Duxer Buben, die mir etwas minder fein erschienen als die übrigen, derselbe Bauer, der uns vorgestern durch den geognostischen Hammer so sehr beunruhigt hatte, und gefiel sich einen brüllenden Stier nachzuahmen. Das schien so seine Kirchweihfreude zu seyn und er setzte es mit kurzen Unterbrechungen bis zum Abend fort. Es gelang ihm zwar die Natur täuschend wiederzugeben, aber es war doch nicht schön, obwohl er von seinen Freunden vielen Beifall erntete. Ich ließ mir jetzt den Namen dieses Viehmalers sagen, erfuhr, daß er Brunnhäuser heiße und ging wieder meiner Wege.

Im Tanzsaale war jedoch meines Bleibens auch nicht lange. Die Tische zeigten sich so dicht besetzt, daß für einen beobachtungslustigen Gast kein Plätzchen mehr übrig war. Einige freundliche Hirten „brachten mirs,“ das heißt sie reichten mir ihr Glas um ihnen Bescheid zu thun. So viel konnte ich noch bemerken, daß weniger Wein getrunken wurde, als mir lieb war. Wenn schon im reichern Hauptthale des Inns das natürlichere Getränk dem künstlicheren weichen mußte, weil die erzielte Gemüthsstimmung durch seine Hülfe mit wenigern Kosten zu erreichen ist, so darf man sich in diesem armen Thälchen noch weniger wundern, daß Männer und Weiber dem Branntwein ergeben sind. Zuweilen wagt sich jetzt auch ein Fäßchen Bier herein, aber es ist ebenfalls zu theuer und die Nachfrage gering. Der Wein wird übrigens aller übers Joch getragen, denn es führt kein Fahrweg in das Thal. Die Träger laden eine halbe Ihrn, siebenundzwanzig Maaß, auf und erhalten dafür 1 fl. 15 kr. Traglohn. Bei all dem kostet das Seidel nicht mehr als am Lande, nämlich sechs Kreuzer.

Da also auch auf dem Tanzboden nicht viel auszurichten war, begab ich mich in die Küche und hielt mich an das Maidele und des Müllers Töchterlein. Das war auch das Beste [528] – das waren die gemüthlichsten Gemüther auf der ganzen Kirchweih und bei ihnen drohte keine Gefahr, denn sie hatten weder Lust, den hochseligen König von Bayern leben zu lassen, nach zu brüllen wie ein Stier. Dagegen waren sie bemüht, mir einen Stuhl zu schaffen und stellten ihn neben den Herd, gaben mir auch zu essen und tränkten mich mit dem besten Wein, den sie hatten. Und während ich da am Herde meine Mahlzeit hielt, waren sie freundlich und mild und gesprächig, und hatten einen guten Einfall nach dem andern. Das Sommerfrischmädchen ließ auch auf angenehme Weise seine Bildung glänzen und recitirte mehrere Strophen aus jenem Gedichte, welches da anhebt: In einem Thal bei armen Hirten.

Als wir so eine gute Weile geplaudert hatten, machte ich mich wieder auf und suchte den obern Wirth heim, um auch von diesem reden zu können. Der vielerfahrene Viehhändler von Schlitters, welcher, was ich bisher anzuführen vergessen, eine polnische reich gebänderte Jacke trug und überhaupt ein frischer Gesell war, begleitete mich auf diesem Kneipzug. Das Ergebniß ist indessen unbedeutend. Wir fanden den Wirth und sein Gesinde sehr gefällig, die ganze Anstalt aber, obgleich von Stein erbaut und ansehnlicher als der untere Gasthof, bei weitem nicht so heimlich, als Jörgels hölzerne Herberge. Beim Herausgehen fiel mir ein, dem Organisten einen Freundschaftsdienst zu erweisen und einen Zwölfer auf sein Kleinod zu verschieben. Damit legte ich große Ehre ein, trug aber keinen Gewinn davon. Die Seitenwände führen zwar die Kugel richtig bis an die Kegel, aber dann hängt’s doch wieder von Glück und Uebung ab, ob sie viel oder wenig niederreißt. Die meinigen haben wenig umgerissen. Du wirfest nicht güt, sagte der Duxer Bue, der als Kegelschreiber aufgestellt war.

Allmählich wurde es Abend. Der Tanz ist zwar verboten, jedoch ließ sich in der Dämmerung halblaut eine Fidel hören. Die Klänge hatten bald einen frischen Haufen zusammengelockt und so ging’s denn fröhlich auf den Tanzboden. Ein junger Hirte spielte einen Ländler und Jörgel, der sich seiner Jugendlust erinnerte, fing mit einem andern Landsmann [529] ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich’s Essen hätt’, fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich’s Essen hätt’, ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage.

Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war’s ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben.

Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!

[530] Die Lieder waren meist von der Art, wie sie die Rainer und die Leo durch halb Europa gesungen haben. Das Almenlied, das der Schulmeister von Finkenberg gedichtet, mit seiner schönen Weise, erfreute sich wieder der günstigsten Aufnahme, etwa fünf oder sechs Gesänge mochten gesungen seyn, als Maidele erklärte, sie werde nicht mehr fortsingen; man wisse schon, daß sie das Singen nicht leiden könne. Resele redete ihr zu, doch noch ein bischen auszuhalten; sie wollten ein lustiges singen. Die lustigen mag ich schon gar nicht, versetzte Maidele, ein trauriges muß es seyn. Resele, die schwermüthige, sang lieber die lustigen; Maidele, die lustige, hatte ihre Freude an den traurigen.

Als der Gesang zu Ende war, fielen etliche Burschen darauf, den Badertanz vorzuführen. Dieß ist eine mimische Darstellung eines Patienten, dem von einem Bader und seinem Gesellen verschiedene chirurgische Dienste geleistet werden. Zuerst nehmen sie ihm mit einem großen Küchenmesser den Bart ab, dann lassen sie ihm mit einem Beil zur Ader und so fort. Sämmtliche Operationen gehen in rhythmischen Bewegungen vor sich und richten sich im Tacte nach den Schnaderhaggen, welche die Umstehenden singen. Die improvisirte Komik der Gebärden, die albernen Gesichter des Behandelten und der beiden Andern, die lächerlichen Instrumente, welche diese zu ihrem Gewerbe verwenden, machen den Badertanz für ein bäuerliches Publicum zu einem sehr gerne gesehenen Schauspiel.

Nach dem Badertanz kam wieder ein anderes Kunststück, nämlich das Kaminkehrerlied. Dabei sitzen zwei Sänger auf niedern Schämeln einander gegenüber, jeder mit einem kurzen Besen in der Hand, singen einen Gesang, der sich auf Dichten und Trachten eines Kaminkehrers bezieht, und schlagen nach dem Tacte mit den Besen auf den Boden oder werfen sie in die Höhe, um sie rhythmisch wieder aufzufangen. Das Ding, wenn es gut eingeübt ist, ist anmuthig zu sehen und zu hören.

Somit war’s denn schon ziemlich spät. Der Gerichtsdiener von Zell, der den ganzen Tag über, wenig bemerkt, [531] vorhanden gewesen, wollte um eilf Uhr abbieten, wurde aber verhöhnt. Die ältern Gäste waren schon alle nach Hause und nur die Buben standen noch in ziemlicher Anzahl auf dem Platze. Der Aufführung nach hätte man Jörgeln für den jüngsten halten sollen, denn heute war er in der herrlichsten Laune. Zumal freute es ihn, daß sich seine Gäste so wohlgezogen benahmen und daß kein erheblicher Unfug ausbrach. Einige Ansätze zu Raufereien, die sich mitunter ergaben, wurden immer glücklich im Keime erstickt; aber das konnte nicht verhindert werden, daß der Brunnhäuser dem Metzger von Gossensaß den Hut „antrieb,“ so daß der Cylinder über Ohren und Nase hinunter fuhr, die harte Stirne des alten Gothen den Deckel sprengte und nun sein rothes Gesicht sich aus dem Hute, als aus einer Halsbinde, leuchtend erhob, wie die Herbstsonne über grauem Nebelgewölk. Der Metzger, der in der besten Absicht auf die Kirchweih gekommen, aber jetzt betrunken war, nahm die Sache nicht so gar übel. Er betrachtete wehmüthig den Deckel seines Hutes, den man ihm wieder zugestellt hatte, und legte sich dann mit lächelndem Grolle schlafen unter die Bank. Dort fand ihn noch die Morgenröthe. Die Andern zogen nunmehr still nach Hause, zumeist auf Jörgels Bemerkung, wie fein es wäre, wenn man jetzt auseinanderginge, ehe noch etwas Unfeines vorgefallen. Es war um Mitternacht und das war die Duxer Kirchweih.

Andern Tages brach ich auf nach Zell. Resele, die gute menschenfreundliche Resi, war bis zum letzten Augenblick bemüht, mir Liebes zu erweisen, und da ich gestern schon dem Organisten gesagt hatte, er solle mir das Finkenberger Alpenlied abschreiben lassen, so fragte sie, ob dieß geschehen sey und da es nicht geschehen war, so erbot sie sich selbst, es mir anzugeben, und da sie fand, daß sie keine Zeit finde, so führte sie mich bei Maidele ein, welche ihres Uebels wegen heute im Bette lag und mir willfährig zu dictiren anfing, mit hochdeutschen Anflügen, die sie in der Schule und zu Innsbruck gewonnen haben mochte, denn auch sie war ihrer Bildung willen schon etliche Monate in der Hauptstadt gewesen. Ich habe schon zweimale behauptet, daß das Lied eine schöne [532] Weise habe, Gedanken und Worte aber sind nicht mehr ganz alpenrein, zeigen vielmehr deutliche Spuren von Lectüre. Damit übrigens der Leser selber urtheilen könne, wie die Schullehrer zu Finkenberg dichten, so mögen hier etliche Strophen folgen:

Und am Morgen, wenn der Alpenvogel schreit,
Steh’ ich auf und treib’ die Kühheerd’ auf die Weid’,
Und die Heerdenglocken schallen fort und fort,
Und die Sonne glänzt am kühlen Ferner dort.
     Lustig ists auf dem Hochalmträt *)[3]
     Wenn die Kühe so brüllen und die Sonn’ aufgeht.

Und wenn einmal der Herbst und Sanct Mlcheli kimmt,
Wo der Melcher von der Alm den Abschied nimmt,
Steck’ ich meinen Rautenstrauß auf meinen Hut,
Fahr’ durchs Thal voran, daß ’s Kling, Klang thut.
     Leb’ nun den Winter wohl, Hochalmenträt!
     Ich geh’ jetzt ge schau’n, wie’s den Heimerlen geht.

Wenn ich komme dann in meiner Heimath an,
Begegnen mir die feinen, lieben Heimer schon.
Gott grüß euch all’, ihr guten, lieben Heimer mein!
Auf der Almen oben, da war’s fein.
     Wie geht das Leben euch, seyd ihr wohl g’sund?
     Ich hab’ wohl herunter denkt schier alle Stund.

Nachdem ich das Lied aufgeschrieben hatte, nahm ich bei Maidele Abschied, wobei ich freundlich eingeladen wurde, das nächste Jahr wieder zu kommen. Auf Wiedersehen sagte sie, hat es aber nicht gehalten. Unter dessen war Resele beschäftigt gewesen, mir einen Rautenstrauß auf den Hut zu heften, und der Wirth belehrte mich, das sey das edelste und vornehmste Gewächs, welches nur mit der größten Lebensgefahr von den unersteiglichsten Schrofen könne herunter geholt und seiner besondern Eigenschaften willen müsse aufs höchste geschätzt werden. Allbereits nickte der Rautenstrauß, der sammt der Wurzel angenäht war, hoffnungsgrün vom Strohhut und nun sagte ich mein B’hüt Gott den besten Wirthsleuten schier, die ich in Tirol getroffen, und nahm Abschied von Jörgel, Seppel, Resele, so wie auch von der Mutter [533] und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon.

Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten.

Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: „So viel mängeln thu’ ich das Madel!“ Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt.

Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht [534] auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört.

In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den „Inclinanten“ den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche [535] anderswo vorhandenen anzuschließen. Dieß begehrten aber die wenigsten, die meisten zogen in die Fremde.

Das war das letzte öffentliche Auftreten des Protestantismus, der bei seinem Beginne in Tirol viel Anhänger gezählt und viele Aufregung verursacht hat. Der Ursitz war jeweils zu Schwaz, wo die reichen Silberwerke etliche Tausend Knappen beisammen hielten, während von nah’ und ferne, zumal aus den Erzgebirge, wandernde Bergleute ab- und zugingen. Auf diese Art kam die neue Lehre ins Land und von Schwaz aus verbreitete sie sich über Brixen ins Pusterthal, zumal nach Taufers und Ahren, nach Brunecken und selbst in die wälschen Gebirge von Buchenstein und Fassa. Sie wurde mit den damals gebräuchlichen Mitteln wohl bald glücklich unterdrückt, flackerte aber doch von Zeit zu Zeit wieder bedenklich auf. Ein abgedankter Soldat, Balthasar Dosser, aus dem Thale Lüsen, spann im Jahre 1558 eine wiedertäuferische Verschwörung an, wurde jedoch nach etlichen Jahren zu Brixen hingerichtet, ebenso wie seine Anhänger zu Meran und an andern Orten. — In neuerer Zeit thaten sich im Brixenthale des Unterinnthales die Mannhardtisten auf, welche den öffentlichen Gottesdienst nicht mehr besuchen wollten, weil sie die Weihe ihrer Priester nicht anerkannten. Etliche Abgesandte, die sich nach Rom begaben, wurden aber dort über ihren Irrthum belehrt und belehrten dann nach ihrer Rückkunft auch ihre übrigen Meinungsgenossen. – Ins Zillerthal kam übrigens der Protestantismus aus dem salzburgischen Pinzgau, aus demselben, das in dem letzten Jahrhunderte seinem Erzbischofe schon einmal Veranlassung zur Austreibung seiner Unterthanen gegeben. Dann begünstigten auch die Wanderungen der Handschuhhändler die Einfuhr von Bibeln und protestantischen Erbauungsbüchern. So kam es denn, daß auf die kaiserliche Verordnung vom 12 Jänner 1837 sich 126 Familienväter aus den Gemeinden Zell, Mayrhofen, Brandberg, Finkenberg und Hippach zur Auswanderung bereit erklärten. Im September desselben Jahres sind sie dann mit 288 Angehörigen (darunter 131 unmündige Kinder) nach Preußen ausgezogen, nach Nothdurft unterstützt von Seite der österreichischen [536] Regierung sowohl als der Nachbarschaft. Neun Personen übersiedelten nach Steiermark und Kärnthen. *)[4] Indessen gibt es schon seit mehreren Menschenaltern auch im Vinschgau und in Ahren etliche widerborstige Berghöfe, welche von geistlicher und weltlicher Obrigkeit ungeschoren, sich eines stillen unbekannten Separatismus erfreuen.

Im Wirthshause hatte mich ein Metzger von Hall erreicht, der so eben das Duxerthal durchstrichen hatte, um Einkäufe zu machen. Beide wurden wir aufmerksam gemacht, daß wir nahe vor dem Dorfe ein abseits liegendes Naturwunder übersehen hatten, den Hochsteg nämlich, den jetzt der Wirth den Fremden zuliebe den Teufelssteg heißt. Sein Söhnchen übernahm es, uns dahin zu führen. Der Teufelssteg ist ein Balken, mit einem Dache und einem Geländer bekleidet, der über einer grausigen tiefen Schlucht liegt, in welcher der Duxer Bach sich ruhig fortwälzt in blauen Wirbeln oder auch, wenn er angeschwollen, tobend und schäumend dahinrast. Jenseits des Steges geht es hinauf in die grüne Flur vor Dornau, wo ein kleines Alpendörfchen beisammensteht, in traulicher Abgeschiedenheit von wilden Schrofen umgränzt, aus denen ein schauerlicher Pfad nach Mayrhofen hinunter führt. Dießmal gingen wir aber nicht auf dieser Seite, sondern der Knabe führte uns von dem Teufelssteg wieder etwas abwärts an die Klamm. Die Felsenwand jenseits ist da ganz glatt abgeschnitten, die diesseitige geht sogar einwärts, und wer sich der Länge nach niederlegt und den Kopf hinausstreckt, der hat eine schauerliche Aussicht auf die Wirbel des Baches und den Ueberhang unter sich und auf die glatten Wände gegenüber. Wer gar keinen Schwindel hat, wie der Sohn des Wirthes, der mag sich dem Abgrunde bis auf den letzten Zoll nähern und stehend hinunter schauen; auch allenfalls versuchen, ob er wie der Wirthssohn und Kaiser Max den halben Fuß über den Felsen hinausstrecken und mit dem andern einen Kreis darüber schlagen kann.

[537] Nachdem wir den Berg herabgestiegen, waren wir im Zillerthal und kehrten in Mayrhofen ein, in seinem letzten Dorfe. In der kleinen Ebene, die es umgibt, kommen vier Bäche zusammen, aus den vier innern Thälern, in welche sich hier das Hauptthal verästet. Von Mayrhofen sind zwei Stunden[WS 6] nach Zell, ein lieblicher Weg durch freundliche Dörfer. Zell selbst ist ein stattlicher Ort mit großen steinernen Häusern, einer bedeutsamen Kirche und achthundert Einwohnern.

Es war der Dinzeltag der Schuhmacher, der Handwerksjahrtag dieser Zunft. An solchen Festen ist noch Musik und Tanz gestattet, und so gab sich erwünschte Gelegenheit, die Zillerthaler[WS 7] tanzen zu sehen, was jetzt selbst auf der Zeller Kirchweih nicht mehr möglich ist. Von dem Tanz der Zillerthaler hat Lewald eine sehr lebendige Schilderung gegeben; viele andere thaten auch das Ihrige, um die seltsame, fast außerweltliche Fröhlichkeit, die dabei walten soll, zu zeichnen. Gleichwohl scheint sich nun auch hierin mehr Ruhe und Mäßigung eingestellt zu haben, wenigstens entsprach das Groteske dieser Leibesübung an jenem Tage keineswegs den Schilderungen die davon zu lesen sind. Man spielte beim Neuwirth in zwei Stuben auf; in der untern ein Geiger und ein Zitherer, in der obern eine Geige und ein Contrabaß. Die beiden Tanzböden waren sehr ärmlich ausgestattet – wenige Kerzen mit Kloben in die Wand gesteckt, verbreiteten ein höchst zweifelhaftes Licht. In diesem Halbdunkel glaubte ich gleichwohl einige schöne Umrisse jungfräulicher Gesichter zu erkennen und ich habe kaum zu viel gesehen, denn andern Tages fand ich bei hellem Sonnenscheine alles bestätigt, was man von der Schönheit der weiblichen Thaljugend sagt. Die Balltoilette der Mädchen war ziemlich sorgfältig; die Buben stacken zumeist in schmutzigen Hemden und hatten der Bequemlichkeit wegen die Joppen abgelegt. Der Wirth that sich am meisten hervor, und wagte trotz seines Wänstchens die höchsten Sprünge. Der Neuwirth spielt noch so den alten Zillerthaler fort; nicht ohne heimliches Lächeln seiner einheimischen Vertrauten, jedennoch zum großen Vergnügen fremder Gäste, [538] welche die nur ihnen bestimmten Schnurren für seine alltägliche Laune halten.

Andern Tages auf dem Wege nach Fügen, das fast am Ende des Thales liegt, bekam ich das Gelände von Anfang bis zum Ausgang zu sehen und fand daß es sehr freundlich und mild ist, wohlbebaut und fruchtbar. Mäßig erscheinende Höhen – denn die hohen Jöcher liegen außer dem Gesichte – bis oben hinauf mit Wald bewachsen, der an vielen Stellen gelichtet ist, um Weiden und Ansiedlungen Platz zu machen, unten eine breite grüne Thalflur mit schönen Dörfern, aus denen spitze Thürme ragen, mitten durch der Zillerbach mit reichem Uferschmuck schöner Erlenauen; aber keine Wasserfälle, keine Lahnen, keine Schrofen, keine Schlösser und keine Burgruinen; nur im fernen Hintergrunde als einzige, aber sehr ernste Großartigkeit ein ragendes Gletschergebirge. So ist jeder Punkt für sich sehr schön; der ganze Zug aber von Mayrhofen bis Fügen oder Schlitters sich selbst zu ähnlich, um dem Durchwandernden nicht hin und wieder etwas einförmig vorzukommen.

Fügen ist ein großes, unregelmäßig durcheinandergestelltes Dorf von achthundert Einwohnern, mit einem stattlichen Schlosse, das ehemals den Grafen von Fügen gehörte. Als zweiter Ort im Zillerthale hat es immerhin seine landschaftliche Bedeutung, ist auch der Sitz eines Landgerichtes, doch ärgert es die Fügener, daß man den Spruch: Es gibt nur ein Fügen und ein Wien in der Welt – schon öfter gedruckt hat, und sie behaupten, ihre Eitelkeit sey nie so weit gestiegen, diese Nebeneinanderstellung im Ernste gut zu heißen. Es mag wohl damit dieselbe Bewandtniß haben, wie mit dem andern Gedächtnißverse:

Stuhlfelden ist sich selber gleich,
Mittersill gar ein Königreich –

welchen die Pinzgauer verfertiget haben, aber nur um selbst darüber zu lachen. Berühmt ist die große Aussicht auf dem Kellerjoche, das sich über Fügen erhebt und gewöhnlich von diesem Dorfe aus bestiegen wird.

[539] Zu Fügen im Hacklthurm sitzt zur Zeit Joseph Rainer, einer der berühmten Gesellschaft, die einst mit so ungeheurem Beifall den Zillerthaler Jodler in Großbritannien erschallen ließ. Nach der Zurückkunft von seinen Kunstreisen hat er den Hacklthurm, der ehemals ein adeliger Ansitz der Herren von Hackl war, käuflich an sich gebracht und zum Gasthofe eingerichtet. Es ist ein einstöckiges Gebäude mit einem niedlichen Garten, mit Lauben und einer grünen Veranda vor dem Hause. Englische Kupferstiche, Porträte, Seeschlachten, Fuchsjagden und ähnliche Vorstellungen hängen in allen Zimmern und erinnern an das Land, wo die Rainer groß geworden. Nachdem ich mich etwas in dem gastlichen Herrensitze umgesehen, ging ich, die Kirche zu betrachten. An der Außenseite ist jener vielbeweinte Leichenzug dargestellt, welcher zu Hall am 11 August 1838 gehalten wurde. Es waren nämlich damals die Compagnien des Landsturmes aufgeboten worden, um bei der Huldigung, die der Kaiser Ferdinand von der gefürsteten Grafschaft einnehmen wollte, in Innsbruck zu erscheinen. Die Fügener zogen nach Hall und ihrer dreizehn junge, schöne Bursche fanden eine Unterkunft in dem Hause des Gilgenbräus, das des Nachts einstürzte und sie alle erschlug. Ihre Leichenmäler stehen hier und dort auf dem Kirchhofe.

Nach diesem ging ich einen stillen Pfad dem Zillerbache zu, schritt über einen schmalen Steg und stieg dann die Anhöhe hinan auf den Hartberg. Es ist dieß eine mächtige Halde, vollkommen begrünt von der Wurzel an bis zum Joche, allenthalben mit Gehöften, mit Scheunen und Schoppen übersäet, mit Feld, Wiese und Wald in schöner Abwechslung gezirt. Hart, der Mittelpunkt, ist ein kleines, aus Kirche, Widdum und zwei Wirthshäusern bestehendes Dörfchen, in dessen steilen Fluren der Vicar eben lustwandelte, um der Abendluft sich zu erfreuen. Ich sprach ihn an und fand einen freundlichen Herrn, der mir die kleinen Sehenswürdigkeiten seiner Curatie gerne zeigte. Eine niedliche Einsiedelei, am Hange eines Tobels angelegt, mit Treppchen, Bänkchen und andern kleinen Hermitage-Anhängseln, ist nicht übel zu betrachten. [540] Während wir da so herumkletterten, fielen uns zwei versprengte Fräulein in die Hände. Sie schienen zu der Herrschaft zu gehören, die Nachmittags vor dem Hacklthurm angefahren war, und man kann nicht gut stehen, ob es nicht gar die Kammerjungfern gewesen. Sie waren von Wien und liebenswürdig, machten dem Curaten wenig Mühe und dies Bischen haben sie süß vergolten. Er zeigte ihnen die Kirche und sie ahmten ein Erstaunen nach, als wenn sie zum erstenmale in St. Peters Dom zu Rom einträten. Die eine der Damen stand voll Entzücken vor einem geschundenen Bartholomäus, den ein unbekannter Bauernmaler angefertigt und betheuerte, der Eindruck werde ihr nimmermehr vergehen. Die andere fand den Rococoplafond der schnörkelreichen Dorfkirche völlig unvergleichlich. Ach, diese Verzierung, lispelte sie, ganz im allerneuesten Geschmacke! Und doch, fügte ich hinzu, und doch von einem längst dahingegangenen Künstler geformt, aber in der Ahnung, daß das Ewigschöne immer wieder Anerkennung finde. O ich bitte, entgegnete das Mädchen und schlug erröthend die Augen nieder. Alles was zu sehen war, der Altar, die Leuchter, die Fahnen und eine Menge anderer Dinge wurden für ganz superbe erklärt, und als man hinaus ging, um die Aussicht zu betrachten, brach die „Passion" von neuem aus und riß selbst den Kältern mit ins Gefühl hinein. Ja, sagten sie beim Abschied, dieser Abend und Ihre werthesten Persönlichkeiten werden uns unvergeßlich bleiben. Ich habe mich bedankt dafür, aber der Curat wußte kaum mehr was er sagen sollte, so sehr hatte ihn der Enthusiasmus der beiden Damen alterirt. Er schlug mir darauf vor, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, wo er sich wieder erholen wollte.

Abends erzählte mir Joseph Rainer, der Wirth im Hacklthurm, von seinen und seiner Geschwister kleinen Anfängen und spätern Großthaten; wie er selbst, ein unbekannter Viehhändler, der viel in Mecklenburg und Preußen verkehrt, zu Leipzig eine Ankündigung gelesen, die vier singende Tiroler-Kinder verheißen hatte, während diese doch nur vier tirolisch gebildete Jungen unbekannter Herkunft waren; wie er sich des Beifalls, den sie trotz ihrer schlechten Kunst gefunden, entsetzt [541] und ahnungsvoll seinen Geschwistern geschrieben, jetzt sey die Zeit gekommen, in alle Welt zu gehen und zu jodeln, und sie möchten sich aufmachen und schicklichkeitshalber etwas Leder und Handschuhe mitnehmen, damit man eine Ausrede habe, wenn es mißlinge; wie sie dann, fast beklommen, zu Freisingen an der Isar zusammengekommen und dort vor schmalem Publicum gesungen, worauf es dann immer besser gegangen, bis im Jahre des Heils Eintausend achthundert und achtundzwanzig der Großherzog zu Karlsruhe die Geschwister mit der Aufforderung überraschte im Theater zu singen, damals für sie eine nie gehoffte Auszeichnung, obwohl dann bald auf ihrer zweiten Reise, welche nach England ging, die Zeit kam, wo ihnen die besten Freunde abriethen, sich im Theater hören zu lassen, damit sie nicht die Möglichkeit vernichteten, in Fashion zu kommen. Und richtig fand man sie dieses guten Rathes willen selbst für den Hof von England nicht zu schlecht. Von dem Zuge nach Großbritannien brachten sie 56,000 Gulden nach Hause und was sie später verdienten war auch noch ansehnlich – der geistigen Schätze, darunter vor allem der gründlichen Kenntniß der englischen Sprache, ganz zu geschweigen. So wurde der Wohlstand der Familie geschaffen, die ehedem ein hölzernes Bauernhaus oben im Dorfe zu Fügen inne hatte, während jetzt Joseph Rainer im Ansitz zum Hacklthurm sitzt, Franz Rainer Wirth zur Krone, Felix Bauer in Fügen, Maria daselbst verheirathet, Anton Postmeister in Schwaz ist. Franz Rainer war damals mit jüngern Verwandten in Nordamerika, wohin er als Verstärkung berufen worden, nachdem ein Mädchen, das bei der Gesellschaft gewesen, einen Amerikaner geheirathet hatte. Jetzt sind wieder alle zurück, nur die Verheirathete ist jenseits des Oceans geblieben.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß nach den Rainern noch viele andere Sänger aus dem Zillerthale auf Reisen gegangen sind. Am besten hat es unter den späteren den Geschwistern Leo geglückt; auch sie ersangen sich ein beträchtliches Vermögen. Viele andere, die nachher kamen, fanden kältere Aufnahme und verzehrten unterwegs wieder, was sie [542] erjodelt hatten. Die Zillerthaler reden übrigens gerne von ihren weitgereisten Landsleuten und ihre Bildnisse hängen an vielen Wänden. Man sieht sie mitunter auch dargestellt, wie sie in England vor dem Könige sangen und bemerkt, daß sie dort manches angenommen, was sich zu ihrer heimischen Einfachheit kaum recht zu schicken scheint. Die Männer tragen da einen breiten Hermelinbesatz an den Jacken, und das Mädchen, welches in der Mitte steht und die Guitarre spielt, erscheint gar in einem atlassenen Ballkleid mit nackten Schultern wie die Stadtdamen, statt in dem schönen, kurzen Röckchen der Jungfrauen von Fügen.

Uebrigens ist Herr Rainer zum Hacklthurm ein sehr billiger, freundlicher Wirth, und jetzt seit Jahren mit einer stattlichen Frau verheirathet. Er hat drei seiner Kinder, zwei Mädchen und einen Knaben, das älteste zur Jungfrau erblühend, das jüngste kaum erst schulpflichtig, bereits herangeübt, um die Gesänge zu singen, die sein Glück begründet haben, und als ich Abends allein beim Essen saß, begannen sie alle, der Vater als Bassist auch dabei, unter der Thüre eine schönes Alpenlied. Die wohlklingenden Stimmen und der gutgeübte, tactfeste Vortrag geben ein hübsches Abbild dessen, was einst die Engländer so höchlich entzückt hat.

Als ich ein andermal ins Zillerthal zog, ging ich von Schwaz herab und vorn herein. Es war in der Frühe des 8 Septembers 1844, eines Sonntags. Wir schritten unser zwei durch den Morgennebel, aus welchem Tratzberg leuchtete, am Ufer des schönströmenden Inns hinunter nach Margreten, um die Wirthstöchter zu sehen, deren Schönheit zuliebe jeder sinnige Fußwanderer gerne ein Seidel Wein trinkt. Von da kamen wir nach Rothholz, an dessen ansehnlichem Schlosse, mit Namen Thurnegg, wir vorübergingen, hinaufschauend an den Berg, wo sich eben aus dem Dufte die alten Thürme von Rottenburg losrangen – von Rottenburg, wo einst Notburga, die fromme Magd, gewaltet. Von Rothholz gingen wir nach Straß, über dem die ehemalige Einsiedelei Brettfall auf einer Felsennase sitzt, warfen einen Blick hinüber auf die herrliche Ruine von Kropfsberg und erreichten [543] Schlitters, das erste Dorf im Zillerthale. Dort haben wir etwas gerastet und schuldlosen Sinnes ein schönes Mädchen bewundert, die erste der Zillerthalerinnen, die mein Freund im Leben erschaut. Diese kamen von jetzt an sehr häufig vor, alle in stolzer Sonntagstracht, mit dem breitrandigen, hochspitzigen Hut, an dem die goldene Quaste prangt, mit dem innthalischen Spenser, der zuweilen von Sammet, mit kurzen Röcken und weißen Strümpfen. Sie nicken freundlich grüßend und der Pilger steht gern stille, um den Gestalten nachzusehen.

In Fügen sprachen wir im Hacklthurm zu und gingen dann im Dorfe spazieren. Es war heute sehr viel Leben auf den Gassen, denn man erwartete drei Prinzen, die Söhne des Erzherzogs Franz Karl, die in der Frühe nach Zell gefahren waren und jetzt bald zurückkommen sollten. Deßwegen und weil nach den Söhnen auch der Erzherzog Vater angesagt war, Triumphbogen, Inschriften und allerlei Zierrath an den Häusern. Unter anderm fanden wir auch eine schöne Jungfrau auf einer Sommerbank sitzen und ließen uns mit ihr in eines jener harmlosen Gespräche ein, wie sie zwischen Leuten üblich sind, die sich vorher nie gesehen haben. Es ging sehr leicht, denn die Mädchen sind hier liebenswürdig und fürchten nicht es zu scheinen. Während wir nun da sprachen, kam ein schmucker Zillerthaler des Wegs, im Kriegsgewande, d. h. in der Schlachtenjoppe und dem Schützenbrustfleck, wie das heute die Aufgebotenen alle trugen, auch mit einem breiten Leibgurt, worauf in Silber das großbritannische Wappen zu sehen. Es war Ludwig Rainer, der in Amerika gewesen ist und von seinem Oheim dieses Wappen ererbt hat; dem Oheim aber hatte es Georg IV als Andenken verehrt. Wir sprachen etwas englisch zusammen, was ihm ohne alle Beschwer von der Zunge lief. Später beim Einzuge der jungen Erzherzoge sahen wir ihn wieder als Posaunenbläser unter der Schützenmusik.

Bald knallten nun die Böller und wir zogen hinaus zum grünen Ehrenbogen, wo die Fügener Schützencompagnie aufgestellt war, lauter schlanke, großgewachsene Burschen. Die [544] Schützencompagnien des Landes sind allenthalben in ihre Thaltracht gekleidet, allerdings so, daß dabei noch manches schöne Gewandstück festgehalten wird, welches sonst außer Uebung gekommen ist. Im Zillerthale trägt zum Beispiele jetzt unterm Jahre kein Bursche mehr den rothen, silberbordirten Brustfleck, wie er zur Schützenuniform gehört, sondern die neuere Weste, und in Meran sieht man die grünen Hüte, die beim Ausrücken erscheinen, nur noch an den höchsten Festtagen. Die Fügener führen übrigens zur Zeit grüne spitzige Hüte, graue Lodenjoppen, wie sie im bayerischen Gebirge üblich, jenen silberumränderten Brustfleck, schwarzlederne, weißgestickte Gürtel, schwarzlederne kurze Hosen und weiße Strümpfe.

Aus den Schützenreihen wehten zwei Fahnen, eine weiß und rothe, und eine weiß und grüne. Auch führten sie Musik, völlige Militärmusik, mit Trompeten, Posaunen und vier Clarinetten, welche von Feiertagsschülern geblasen wurden, die in der Blüthe der Jugend strahlten. Neben dieser neuern Einrichtung, die man den Schullehrern verdankt, stand aber noch, als ein Denkmal vergangener Zeiten, die alte Schwegelmusik, zwei betagte Knaben von Anno Neune, die noch die alten Märsche wußten, zu denen zwei junge Knaben aus dem vorigen Jahrzehent die Trommel schlugen. Es ist zu fürchten, die Schwegler wachsen auch nicht mehr nach – sie werden nur so Ehren halber noch mitgelassen und schämen sich fast selber ihrer frohen Wissenschaft neben den sinnbethörenden Fanfaren, welche die andern Burschen zu Tage fördern. Es lohnt sich kaum noch, seine Nebenstunden auf die Querpfeife zu verwenden, und die quickenden, einförmigen Weisen zu erlernen, die ehemals der Schrecken der Feinde waren und jetzt das Gespötte der Kinder sind. Ja, mir ging ein Stich durchs Herz, als die zwei verjährten Gesellen, fromm und pflichtgetreu und voll des besten Willens, ihre Schwegeln an den Mund setzten und sämmtliche Schuljugend wie mit einem Schlag zu kichern begann. So war’s auch bald darauf zu Meran, als der Erzherzog Franz Karl gekommen war und die Partschinser und Algunder neben der Triumphsäule auf dem Sande Parade machten. Da prangten die Schützen in [545] voller Galla und standen in zwei Reihen, mit ihren Fahnen und ihren Spielleuten zumeist Partschinsern, welchen der Herr v. Goldegg die schönen Instrumente angeschafft und so durch seine Opfer eine wohlgeübte Dorfbande hergestellt hat. Etliche „Herrische“ waren auch darunter, die man an den weißen Knien erkannte, denn die Bauern haben braune. Neben allen diesen machten aber drei Männer einen absonderlichen Eindruck, drei alte verwitterte Kriegsmusikanten, zwei Schwegler und ein Trommler. Der eine der Schwegler, so ungefähr der wichtigste von den dreien, hatte die Zeit, wo er eine gute Hose besessen, schon lange hinter sich und mußte daher willkommen seyn, obgleich er eine sehr abgeschabene trug. Der Trommler, der Mayer von Verdigen, spielte auf einer französischen Trommel, die er selbst erbeutet. Wenn er anhob mit seinen zitternden Händen die Schlegel zu rühren, dann ließ er das Haupt fast bis auf das Trommelfell sinken, so daß nur der ungeheure schwarze Hut zu sehen war, unter dem er sich lauschend versteckt hielt, gleichsam abgezogen von der Mitwelt und nur begierig, die alten, seltsamen Töne in nächster Nähe einzuschlürfen. Der Dritte schmächtige stand hinter den beiden und blies verschämt, nur stellenweise sichtbar, auf seiner Schwegel. Es war ein sehr wehmüthiges Schauspiel, wenn die rauschende Blechmusik aufgehört hatte, und der hüpfende Kriegsmarsch von Anno Neune begann. Dann wendete sich der schäbige Vorschwegler aufmunternd der Trommel zu, den Fuß mit schwerem Schuhe zum Tactschlage hoch erhebend und der Andre versank träumerisch in den summenden Wirbel und der Dritte blies in schüchternem Verstecke geschäftig seine Weise. Die leichtfertige Jugend lachte zwar wie sich die drei Musikanten so abmühten und doch nichts Rechtes zu Wege brachten, aber den Alten mag es durch den Kopf gegangen seyn wie ein vergessener Traum von Kriegsgeschrei und Blut und Brand.

Die Oficiere der Schützencompagnien sind größtentheils noch lauter bewährte Männer aus den Kriegszeiten. Sie werden durch eine andre Farbe des Hutes oder durch einen Federbusch kenntlich. Manchmal sieht man sie mit ausländischen [546] Orden geziert, die sie im Krieg erbeutet haben und zur größern Auszeichnung anhängen. Die Befehlshaber der Fügener hatten große winkende Büsche auf den Hüten und bedenkliche Degen an der Seite, welche aussahen als seyen sie ehemals in fremden Diensten gestanden. Der Hauptmann ging an der Fronte auf und ab, und war sehr besorgt, daß alles ordentlich ablaufe. Wir standen gegenüber und schauten seinem Walten mit Theilnahme zu. Endlich kurz vor der Ankunft der Prinzen rief er: Wenn ich Vivat schreie, so schreit es a! Nachdem in dieser Art die kommende Begeisterung geregelt war, rollten die jungen Erzherzoge heran, stiegen aus, wurden von den Beamten empfangen, und gingen sammt ihren Hofherren an der Linie hinab. Die Schützen präsentirten und als der Hauptmann Vivat schrie, schrien sie ohne Zögern alle nach. Darnach zogen sie hinter drein und unermeßliches Volk mit ihnen. Vor dem Landgerichte sangen die Rainer und Alles, was in Fügen die Kunst des Gesanges treibt, ein prächtiges Alpenlied und darauf fuhren die Prinzen davon.

Von Fügen aufwärts, eine gute Stunde zu gehen, liegt das Dorf Ried. Hier ist im vorigen Jahrhundert Peter Prosch geboren worden, ein Bauernsohn, der von Jugend auf im Auslande herumzog, keine großen, aber viele lächerliche Begebenheiten erlebte und sie später beschrieben und herausgegeben hat. Ich wendete einmal viele Mühe daran, das Buch zu erfragen. Eine Frau, die ich auf dem Eisenhammer bei Uderns kennen lernte, wußte mir zum erstenmale etwas davon zu sagen. Sie hatte es gelesen und nach eigenem Geständnisse mehr Vergnügen darin gefunden als an der schönsten italienischen Oper und dem wohlklingendsten Concerte. Sie wies mich an die Töchter des Peter Prosch, zwei alte Weiber von denen ich die eine in Uderns fand – die andre war auf dem Felde – jedoch ohne das Buch erhalten zu können; sie hatte es einer guten Freundin in Hall geliehen. In Ried erfragte ich abermals ein Haus, aber da hatte es der Rothgärber in Fügen zu lesen. Nach Fügen wollte ich nun nicht mehr zurück und so tröstete ich mich mit der Hoffnung, daß es mir ein guter Stern vielleicht noch anderswo [547] im Lande entgegenführen würde. Und so kam mir denn auch, was ich im Zillerthale nicht gefunden, eines Tages zu Meran vor Augen und zwar unter dem Titel: Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tirolers von Ried im Zillerthale – oder das wunderbare Schicksal. Geschrieben in der Zeit der Aufklärung. München 1789. Ich hatte mir eine Art spanischen Schelmenromans vorgestellt, die Abenteuer eines kecken, schlauen, überlegenen Schalks, der seine Talente unter alpenhafter Naivetät zu verbergen gewußt, aber aus der Selbstbiographie geht eher hervor, daß der Held gutmüthig und sehr furchtsam gewesen und dem hingebenden Gleichmuth mit dem er die lustigen Quälereien seiner vornehmen Gönner ertrug, bei weitem mehr zu danken hatte, als der Feinheit seines Verstandes. Er war im Jahre 1745 auf einem Söldenhäuschen zu Ried geboren, als das jüngste von eilf lebendigen Geschwistern. Im neunten Jahre verlor Peter seine Mutter – der Vater war schon lang vorher gestorben – und der älteste Bruder hatte ein böses Weib geheirathet, welches die jüngern Geschwister schnell alle aus dem Hause jagte. An einem schönen Nachmittage, erzählt die Lebensbeschreibung, um die Zeit der Weinlese, wenn die Blätter anfangen gelb zu werden und bei dem geringsten Lüftchen von den Bäumen fallen, wenn alle Getraidefelder leer sind und die Kühe in kleinen Heerden über die Berge und Felder hinweiden, kam der Knabe auf einem einsamen Fußsteige den Berg herab. Er war barfuß, aber seine schwarzbraunen Füße hatten sich ohne Verletzung über spitzige Steine hinzugehen gewöhnt. Seine Haut war durch Sonnenschein, Kälte, Regen und Winde so abgehärtet, daß ihn auch das Ritzen der Disteln und Dörner an den Wegen nicht schmerzte. Er war mit einem zerrissenen, kleinen Hemde und erbettelten alten Kleidern behangen. Den runden, vollwangigen, gelockten Kopf bedeckte ein zerfetzter, alter, grauer, großer Hut, durch dessen Spalten die hellbraunen Haare häufig herausguckten. An seiner Seite hing ein alter Brodsack und in der Hand trug er einen starken, haselnen Stock, um die Hunde damit abzuwehren.

[548] Als er so den Fußsteig am Berge herabkam, sah er vor sich eine schöne Wiese und jenseits der Wiese einen Wald, in welchem oben auf der Höhe ein dicker Rauch empor stieg. Rechter Hand einen Steinwurf von dem Wege lag ein Rübenacker, der rundum mit einem Faden umzogen war, an welchem alte Lumpen hingen, die, vom Winde bewegt, das Wild zu verscheuen bestimmt waren.

Der arme Peter eilte hin in die Wiese an den Bach, trank und setzte sich neben einer Erlenstaude auf den Rasen. Da er hungrig war, machte er seinen Sack auf und als er nur einen schmalen Bissen trockenen Brodes fand, gingen ihm die Augen über und die Thränen begannen zu fließen über die braunen Wangen. Seufzend sagte er zu sich selbst: O meine liebe Mutter! nun hab’ ich dich nicht mehr – du hattest immer Brod und wenn ich hungerte, gabst du mir. Er guckte wieder in den Sack, ließ alle Brodsamen zusammenrieseln und letzte seinen Hunger daran. O liebe Mutter! weinte er wieder, da liegst du hinter der Mauer in dem Kirchhofe und dein armer Peter geht nun allein in der Welt betteln, wie ein armes Küchlein, das seine Gluckhenne verloren hat.

Indem er so vor sich hinjammerte, fiel ihm das Rübenfeld in die Augen, aber seine Mutter hatte ihm oft gesagt, es sey nicht erlaubt, zu stehlen.

Nunmehr kam ein Mädchen, welches eine weiße Ziege an einem Bande leitete, um sie auf der Wiese neben dem Rübenfelde zu weiden. Es war ein bildschönes Mädchen, auch beiläufig zehn Jahre alt. Der Knabe machte sich auf und trat zu ihr. Mädel, sagte er, ich möchte gerne ein paar Rüben essen. Gehören sie dir und deinen Leuten? – Ja, wo bist du her? – Lieber Gott, ich habe keine Heimath; ich bin ein armer Bue und heiße Petrus. – Schau, Petrus, sagte das Mädchen mitleidig, du darfst keine Rüben essen. Wenn dich hungert, will ich die Marende mit dir theilen.

Sie zog sodann ein doppelt geschlagenes Butterbrod aus der Tasche und reichte es dem Knaben. Aber, sagte dieser, so hast ja du nicht genug. – O, ich bin nicht hungrig und esse mich den Abend wieder satt. – Alsbald nahm sie auch [549] ein kleines Messer hervor und theilte das Butterbrod in zwei ungleiche Theile, den größern aber gab sie ihm.

Sie beide saßen beisammen und aßen vergnügt. Während ihrer vertraulichen und kindischen Gespräche begann es Abend und kühl zu werden. Peterl, sagte sie, wo wirst du diese Nacht schlafen? – Darf ich denn nicht mit dir ins Dorf gehen? – Ach nein, wir haben einen bösen Ueberreiter[WS 8], der jagt dich fort. Aber siehst du den dicken Rauch dort oben am Berge aufgehen? – Dort ist ein Kohlbrenner, gar ein guter Mann. Der nimmt alle armen Leute in seine Hütte, wenn sie der Ueberreiter fortjagt; da geh du hin.

Jetzt stand der Knabe auf, nahm seinen Stock und nun faßte ihn das Mädchen um den Hals, küßte ihn und ging mit ihrer Ziege gegen das Dorf. Er aber wanderte fort und dem Kohlbrenner zu.

Als er durch das Laub daherrauschte und auf diesen zukam, fragte er: ob er ihn die Nacht beherbergen wolle. Der Kohlbrenner erkundigte sich zuerst um die Herkunft des Knaben und versprach ihm dann, was er begehrt. Er führte ihn in seine Hütte, gab ihm zu essen und zu trinken und machte ihm ein Lager zurecht, in welchem Peter sehr gut schlief. Am andern Tage bedachte sich der Knabe, und bekam einen Eckel am Bettel, so daß er ihm ganz zuwider wurde. So nahm er seine Sachen zusammen und trollte damit den Berg hinauf, um nach einem Hirtendienst umzusehen. Unterwegs rief ihm aber der alte ehrliche Kohlbrenner von der Hausthüre zu: wo gehst hin, Peterl! dieser antwortete: auf den Berg hinauf, Schafe hüten. Ei, sagte der Andere, ich kenne so viele, die ihr Brod mit einer Handelschaft außer Landes suchen; probier es auch! wer weiß, ob du nicht dein Glück finden kannst. – Wie sollt’ ich es denn machen? ich habe kein Geld; und wer wird mir etwas geben? – Ich will dir Bürge seyn, sagte der Kohlbrenner. Auf seine Worte ging der Knabe zurück und zum Bartlme Hauser, als einem Oel- und Theriakfabricanten. Dieser borgte ihm um drei Gulden neun Kreuzer solcher Waaren.

[550] Peter Prosch ging also im zehnten Jahre seines Alters außer Landes als herumlaufender Oelträger, errang weniger durch seine Handelschaft, als durch zarte Bitten bei den Bäuerinnen in der Küche, und kam ins Schwabenland und bis nach Dischingen. Dort hörte der Fürst Taxis auf der Jagd von dem kleinen weithosigen Tiroler und verlangte ihn zu sehen. Darauf ließ er ihn waschen, in Lauferkleider stecken und nahm ihn unser sein Hofgesinde. Er lernte dem Fürsten und der Fürstin den Rock küssen und bekam viele Teller voll Confect. Der Läufer Augustin hatte ihn in der Lehre und noch drei andre Jungen mit ihm. Sie liefen alle Tage zur Uebung vier Stunden weit spazieren nach Dillingen. Peterl war der begabteste unter den Zöglingen, lief am schnellsten und bekam daher am wenigsten Schläge. Aber in all der neuen Herrlichkeit am Hofe befiel ihn doch das Heimweh und eines schönen Morgens ging er auf die Flucht. Ein schwarzer trotziger Reiter auf einem weißen Rosse holte ihn indessen wieder ein und brachte ihn an den Hof zurück.

Im Herbste zog der Fürst nach Regensburg und Peter sah nun auch diese berühmte Stadt. Der fürstliche Rath Kirchmayr hatte eine besondere Neigung zu dem Knaben gefaßt und die Frau Räthin suchte ihm etwas Bildung beizubringen. Statt: Hoy, was willst? sollte er nunmehr sagen: Was schaffen Euer Gnaden? Dieß war aber noch zu schwer für sein zartes Alter und als er einmal beim schwarzen Elephanten Salzburger Fuhrleute erfragt hatte, ging er mit ihnen davon und kam wohlbehalten nach Hause, wo er keinen Bissen zu essen hatte.

Tausenderlei Gedanken von großen Herren, von Gnaden und Glücksgütern hatte er von der Reise mitgebracht und nun trat dazu noch auf heimischem Boden das Bild der guten Kaiserin Maria Theresia, von welcher seine Landsleute so viel erzählten. Und siehe da! als er eines Abends schlafen gegangen, träumte ihm ganz natürlich, er sey bei der guten Kaiserin mit dem Hut unterm Arm, welchen sie ihm voll Geld geschenkt und sie lasse ihm in seinem Dorfe eine Wohnung und eine Branntweinhütte bauen. Von da an kein andrer [551] Gedanke mehr, als Maria Theresia, Hut voll Geld, Branntweinhütte, Haus bauen. Und nach verschiedenen Begebenheiten und mehreren Wochen stand Peter im Audienzsaale zu Schönbrunn. Maria Theresia kommt herein, der Knabe läuft ihr entgegen, purzelt auf dem glatten Boden rücklings hin, rafft sich wieder auf, kniet nieder und erzählt der Kaiserin, die sich vor Lachen kaum verwußte, seinen Traum. Dieser ging nun nach seinem ganzen Inhalte in Erfüllung und der junge Tiroler kehrte reichbeschenkt in seine Heimath zurück. Es war an einem Sonntage und im nächsten Wirthshaus spielten Musikanten auf. Dahin ging nun Peter zum Tanze unter die Leute, die schon gehört hatten, wie glücklich er gewesen. Er war dreizehn Jahre alt und wurde als ein Wundermensch angesehen, weil noch Niemand aus dem Dorfe nach Wien gekommen war. Buben und Dirnen bewillkommten den Freund ihrer Jugend und schüttelten ihm die Hände. Unter andern war ein hübsches Mädchen da, in seinem Alter, welches ihm die Hand gab und die seinige drückte und sagte: Gehst du nicht einmal mit mir tanzen? O ja, sagte Peter und fing mit ihr den Reigen an. Unterm Tanze aber flüsterte ihm das Mädchen ins Ohr: Peterl, magst du keine Rüben und geschlagenes Butterbrod mehr essen? Es war nämlich dasselbe Dirnchen, das einst neben dem Rübenacker auf der Wiese die Ziege hütete, als der andere von dem Berge mit seinem Brodsack heruntergekommen war. Sie blieben nun beisammen und gingen nach dem Tanze miteinander. Unterwegs umarmten sie sich öfters in unschuldiger Zärtlichkeit, versprachen einander zu lieben und zu heirathen und kamen also nach Hause. Als Peter sein Häuschen ausgebaut und das sechzehnte Jahr erreicht hatte, hielt er Hochzeit und nahm zur Ehewirthin das nämliche Mädchen, welches auch keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, wie er. Sie waren zusammen einunddreißig Jahre, sieben Monate und fünf Tage alt.

So weit diese Dorfgeschichte, ungefähr in derselben Weise wieder gegeben, wie sie Prosch niederschrieb. Vielleicht hat der vierundvierzigjährige Biograph diese Jugenderinnerung mit mancher neuen Blume ausgeschmückt; immerhin bleibt sie [552] wenigstens für sentimentale Leser das Anziehendste in der Lebensbeschreibung. Was weiter folgt, ist als Beitrag zur Memoirenlitteratur des vorigen Jahrhunderts nicht ohne Werth. Es enthält manch anmuthiges Detail aus dem Leben der kleinen Höfe in Bayern, in Franken und am Rhein, so wie des großen Kaiserhofs zu Wien. Peter Prosch setzte nämlich seine Züge fort – er rühmt sich, der erste Handschuhhändler aus dem Zillerthale zu seyn, der nach Deutschland gekommen – und machte sich durch seine heitre Laune und die geduldige Ertragung aller, mitunter sehr boshaften Hofpossen, wie sie ihm neckische Cavaliere spielten, überall sehr beliebt; insbesondre thaten der Fürstbischof von Würzburg und der Markgraf von Anspach ungemein vertraulich mit ihm. Allenthalben fand er adeliche Gönner und Gönnerinnen, die er Vater und Mutter nennen mußte. Vom Kurfürsten Maximilian III von Bayern erhielt er eine Ehrenmedaille, die er als einen Orden tragen konnte und ein Decret, wodurch ihm ein jährlicher Gnadengehalt von sechs Tausend neun Hundert und zwölf Pfennigen zugesichert wurde. In Folge dessen hielt er sich berechtigt, später nach dem Tode seiner Frau auf den Titel eines „kurbayrischen verwittweten Hoftirolers“ Anspruch zu machen. Die meiste Ausbeute für fürstlichen Spaß und cavaliermäßige Ungezogenheit gab sein furchtsames Naturell. Er dutzte zwar die Kaiser, die Kurfürsten, Fürstbischöfe und Markgrafen und hunzte sie wenn’s der Augenblick zu fordern schien, auf gut tirolisch aus, aber es scheint, als habe ihm bei diesen Naivetäten, die mit unauslöschlichem Gelächter hingenommen wurden, selbst das Herz im Leibe heftig gezittert. Es kam auch vor, daß ihn seine Gönner durch einen als Bären vermummten Hofbedienten zur Nachtzeit aus dem Bette und mutternackt über den Hof sprengten, oder daß man ihn auf ein tückisches Pferd band und halbtodt vor Angst wieder herunternahm oder daß man etliche Grenadiere auf ihn zumarschieren, ihn als Recruten aufpacken und dann den tödtlich Erschrockenen wieder frei ließ. Einmal mußte er auf des Prinzen Maximilian von Zweibrücken, des spätern Königs von Bayern, Veranstaltung zu Straßburg in das Schifflein [553] eines aufsteigenden Luftballons sitzen, was ihm auch ungemeine Beschwer verursachte, vieler andern Neckereien nicht zu gedenken. Er selbst beruhigte sich zuletzt über alles, wenn es nur den Herren Spaß gemacht hatte und klebte mit treuer Anhänglichkeit an all den großen und kleinen Potentaten, die sich an seinen Aengsten zu ergötzen liebten und ihm deren Gedächtniß durch zahlreiche Kremnitzer Ducaten zu versüßen wußten. Bei ihren Geburts- und Namenstagen unterließ er dann auch nicht einen gereimten Glückwunsch anzubringen, deren mehrere in dem Buche abgedruckt sind. So viel von Peter Prosch, der im Jahre 1804 gestorben ist. In Ried steht noch das Wirthshaus wo der Ehrsame, als er sich zur Ruhe gesetzt, Wirth gewesen.

Der oben erwähnte Handel mit Medicamenten und Oelen, der früher viele „Mithridatträger“ beschäftigte, ist zum Besten des Wohlseyns der Mitwelt schon im vorigen Jahrhundert ganz abgethan worden. Er ernährte in seiner Blüthezeit bei vierhundert Mannsbilder und zur Erzielung der Waare wurden im Zillerthale eine beträchtliche Anzahl bäuerlicher Laboratorien unterhalten. Die Landleute zogen in ihren Gärten Rosmarin und Lavendel; Salbei, Wachholder, Tannzapfen, Kienholz und derartige Stoffe boten die Wälder und die Felder. Im benachbarten Achenthale fand sich ein Gestein, aus dem sie Steinöl gewannen, welches man in Viehkrankheiten als wohlthätige Arznei befand. Die Wälschtiroler trugen lebendige Scorpionen herzu und die Zillerthaler erquetschten daraus das für den Hundsbiß gerühmte Scorpionenöl. So waren alle drei Reiche der Natur der Oelindustrie des Zillerthales dienstbar.

Nachdem wir damals in Fügen die Erzherzoge gesehen, fuhren wir mit dem Stellwagen gegen Zell herauf und hielten zu Kaltenbach, einem kleinen Weiler nächst Ried. Als wir ausstiegen, stand mit offenen Armen ein bejahrter Bauer an dem Schlage und empfing uns mit dem heitersten Gesichte, wie seine Gastfreunde von Jahrhunderten her. O du mein lieber fremder Herr, sagte er zu mir, grüß di Gott viel tausendmal und wie schien is des, daß du auch ins [554] Zillersthal hast einhi mögen. Darauf wandte er sich einem Andern zu, den er schon früher kennen gelernt, und bewillkommte auch diesen: O du mein lieber Freund von Schwaz, wie freut’s mi, daß i di wieder a mal sehen thue und was macht der alte gute Herr Vater? und endlich redete er uns alle zusammen an, wie wir ausgestiegen waren: O es lieben freundlichen Herrn! bekannt und unbekannt, grüß enk Gott viel tausendmal im Zillersthal. I moan, i soll enk alle kennen. Die Fremden sahen sich sämmtlich verwundert an, worauf denn jener Mitreisende aus Schwaz das Wort ergriff und sagte: Ja, meine Herrn, das ist der Nußbaumseppl, ein besonders guter und freundlicher Mann und es ist so seine Art.

Mir trat das Conterfei vor die Seele, welches neben dem Titelblatte von Peter Proschens Leben zu finden ist und ich meinte, im Nußbaumseppl zu Kaltenbach bei Ried das Abbild jener gutmüthigen freundlichen Züge zu sehen, die einst dem verwittweten bayerischen Hoftiroler angehört; freilich in etwas älterer Erscheinung, denn der Nußbaumseppl ist ein Sechziger und hat schöne weiße Haare, die angenehm um das gutgeröthete Gesicht spielen, welches ruhig auf einem weidlichen Kropfhals sitzt. Auch der milde, süße, singende Ton der Stimme, dachte ich mir, wird derselbe seyn, wie ihn der erste Handschuhhändler von Tirol verwendete, um sich im Auslande seine Bahnen zu brechen und bei Herren und Damen sein Glück zu machen; nur das Herz muß bei seinem zeitgenössischen Doppelgänger um ein Gutes muthiger seyn, sonst hätte er sich nicht solcher Ehren zu erfreuen, wie sie ihm, laut des Folgenden, noch heutzutage zu Theil werden.

Der Nußbaumseppl setzte sich nun aber zu uns – es war wohlgemerkt Sonntag und ihm nicht zu verargen, wenn er nebst seiner Gattin im Wirthshause saß – und erzählte, daß er mit dem rechten Namen Joseph Hellwart heiße und überm Bache drüben Haus und Hof, früher aber in der bayerischen Armee gedient und eine sonderbare Verehrung für seine ehemaligen Landsleute geschöpft habe. Mich hielt der heitere Tischgenosse zuerst für einen Mecklenburger und zwar der Mundart wegen, was nicht auffallen darf, da die Zillerthaler [555] zur selben Zeit auch einen sehr schwäbischen Maler von Constanz für einen Mecklenburger nahmen. Als ich nun meinen neuen Freund nicht ohne Mühe überzeugt hatte, daß ich die angemuthete Landsmannschaft ablehnen müsse, ließ er mir keinen Frieden bis ich ihm sagte, wo ich wirklich geboren, und dieß ist zu Aicha in Oberbayern. Darauf zeigte er, daß er in diesem Städtchen sich ausgedehnte Bekanntschaften erworben und mit Beamten und Bürgersleuten als wandernder Händler viel Verkehr gehabt habe – mich aber hieß er von jetzt an ganz freiwillig den Herrn Assessor von Aicha, womit mir Unwürdigem aber auch wieder zu viele Ehre widerfahren. Nunmehr hob es indessen erst recht an mit den Erzählungen von der Schlacht bei Hanau und der Belagerung von Hüningen und andern Schlachten in Frankreich und von seinem Leben als bayerischer Chevauleger zur schönen Kriegszeit. Und dann begann er fast in rührender Weise seine Dankbarkeit zu äußern gegen den General Hugenpoet, seinen Obersten und gegen den General Von der Mark, seinen ehemaligen Rittmeister, den er lieber habe als alles auf der Erde mit Ausnahme seines neben ihm sitzenden Weibes, der ihm des Jahres einmal und dem er des Jahres zweimal schreibe, weil der Mindere doch immer mehr zu thun habe, als der Höhere und der aus ihm, einem lesensunkundigen, rohen Burschen einen so tüchtigen Mann gemacht. Ja, mein lieber Herr Assessor! sagte der Nußbaumseppl, die Behandlung macht alles, gar alles! und mit seiner Behandlung hat mich mein lieber Herr Rittmeister zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Dann brachte er ein munteres Hoch aus auf seine ehemaligen Vorgesetzten und auf die bayerische Armee in der Kriegszeit. Ich muß gestehen, daß mir bei so viel Aehnlichkeit im Wesen auch die Kremnitzer Ducaten einfielen, die weiland der Hoftiroler für seine süßen Sprüche zu erhalten gewohnt war, aber ich hatte mich dieses Verdachtes nur zu schämen, denn der Nußbaumseppl will sich nichts verdienen mit seinen Reden. Auch erfuhr ich gleich hernach, daß er ein wohlstehender, seiner Ehrlichkeit wegen geachteter Mann sey, dem die Nachbarn nichts zur Last legen, als daß er etwas [556] gerne plaudere. Bei der Abfahrt begleitete er seine lieben, fremden Herrn, den lieben Freund von Schwaz und den lieben Herrn Assessor von Aicha wieder an den Schlag, schüttelte uns herzlich die Hand und lud uns alle ein, andern Tags zu ihm auf seinen Hof zu kommen und seine Butter und den guten Kirschbranntwein, den er habe, zu versuchen.

Die sonntägliche Stellwagengesellschaft wurde durch diese Begegnung sehr heiter gestimmt und die Zillerthaler, die dabei waren, erzählten nun allerlei Geschichten. Ein mitfahrender Bauer, einer von den Jungen, klagte sehr bitter, daß die alte Fröhlichkeit im Zillerthale so unbarmherzig ausgerottet werde. Aehnliches hatten wir schon in Fügen vernommen und hörten es wieder zu Zell. Der Bue meinte, daß das Raufen abgekommen, sey nicht Schade, aber daß auch dem Singen und dem Tanzen nachgestellt werde, das sey zu viel. Jedennoch gehe es noch immer nicht recht mit der Traurigkeit; im Zillerthale, meinte der Kecke, sey keine Lustbarkeit eine Sünde, denn man müsse alles wieder hinausarbeiten. Auch seyen die Mädchen zu schön und zu gut und hätten die Buben zu lieb, als daß man zwischen beiden ewige Feindschaft stiften könne. Eine schöne Au, an der wir vorüber fuhren, gab ihm Anlaß, ein früheres Volksfest in Erinnerung zu bringen. Ehemals wurde da nämlich alle Jahre ein Widderstoßen abgehalten zwischen den Fügenern und den Zellern. Beide Gemeinden zogen dazu einen Widder heran und jene, deren Kämpe den Sieg errungen, hatte auch das Recht, das besiegte Thier an sich zu nehmen. Der Bursche behauptet indessen, man habe sich nicht so sehr auf das Widderstoßen gefreut, als auf das Plaisir welches gewöhnlich darauf folgte. Wenn es nämlich die Widder nicht ausmachen konnten und der Sieg, wie oft geschah, unentschieden blieb, so machte es die männliche Jugend aus und es kam dann auf der grünen Au zu einem unermeßlichen schlachtenartigen Ringkampf. Dabei trugen die Dirnen Steine zu, haranguirten die Kämpfer, brachten die Verwundeten aus dem Gefechte und schmeichelten den Muthigen und Tapfern. Dabei wurden aber auch Augen ausgedrückt, Ohren abgebissen und noch gräulichere [557] Dinge verübt. Ein paar Leichen auf dem Felde war nichts Ungewöhnliches. Das letztemal als die alte Sitte noch zum alten Unfug führte, blieb es unentschieden, wer die Sieger gewesen. Der Bursche behauptete, die Fügener hättens davon getragen, aber kaum hatte ers gesagt, als sich der Kutscher vom Cabriolet herein ins Gespräch mischte und in sehr gereiztem Tone dem Andern zurief: Ist nicht wahr, die Zeller. Die beiden Jungen fuhren hitzig gegen einander; der ehemalige Großkampf der Nachbargemeinden schien sich im Kleinen erneuern zu wollen, und wenn der Stellwagen überhaupt für pugilistische Künste eine bequemere Arena wäre, so hätten wir leicht etwas erleben können. So aber gelang es uns durch beruhigende Worte die Gemüther wieder zu beschwichtigen und der Fügener gab am Ende sogar zu, daß dem Vorkämpfer der Zeller, der die Gegner zuletzt zum Einzelkampfe herausgefordert, allerdings keiner mehr gestanden sey.

Also wieder in Zell, wo am 9 September 1844 der Erzherzog Franz Karl vom Pinzgau her seinen Einzug halten sollte. Im Dorfe war den Tag über große Bewegung; es sammelten sich die Schützen und die Zuschauer und der Braüwirth hatte alles aufgeboten, um die Stirnseite seines Gasthofes, den der hohe Reisende zur Nachtherberge ausersehen hatte, recht festlich herzurichten. Wir gingen einstweilen, da noch einige Stunden übrig waren, zur kleinen Goldhütte am Heinzenberg hinaus und besahen uns die Werke. Es wird da amalgamirt und geschlemmt, und den jährlichen Durchschnittsertrag berechnet man zu 29 Mark 11 Loth gediegenen Goldes. Zur Ansicht für den Erzherzog hatte man eine Goldrose in Bereitschaft, einen runden krausen Fladen des edelsten Metalles, wie er hervorgeht, wenn das Quecksilber wieder vom Golde ausgeschieden wird. Die Gruben, aus denen die Erze kommen, liegen gleich zur Seite.

Allmählich war es Abend geworden und als endlich die Nacht sich auf das Thal gelegt, da krachten die Böller von der Höhe des Heinzenbergs und ringsum erglommen die Bergfeuer, die kunstlosen, welche die Hirten zusammentrugen, und ein anderes mit Scharfsinn angelegtes, das den erzherzoglichen [558] Namensbuchstaben und eine Krone darüber darstellte. Zugleich erschien an der Halde des Heinzenbergs eine lange Reihe von Lichtern, die abwärts stiegen. Sie bezeichneten den Gang der Erwarteten. Nun setzten sich die Zeller in Bewegung und zogen hinaus gegen das Goldbergwerk und empfingen den Erzherzog. Böllerknallen, Musikklang, Trommelwirbel, Vivatruf scholl begeisternd in einander und von oben leuchteten die fernen Bergfeuer herein. Dann zog man fröhlichen Lärmes wieder in das Dorf. Die Schützen bildeten ein Spalier vor dem Braüwirthshause, der Erzherzog und sein Gefolge ging mit freundlichen Grüßen hindurch, die Wirthsleute riefen ein herzliches Willkommen, der kaiserliche Herr trat ein und das anhängliche Volk drängte nach, so viel es vermochte. Bei den Vorbereitungen für das Fest hatte man auch der Alpenlieder nicht vergessen und die Leo, drei Sänger und eine Sängerin, warteten oben schon im schönsten Putze, um den Erzherzog durch ihre Jodler zu vergnügen. Dieses gelang auch sehr gut und der hohe Gast sprach ihnen, nachdem der Gesang zu Ende war, in sehr freundlicher Weise seinen Dank aus, gab ihnen auch sonst noch Gelegenheit, Verschiedenes mit ihm zu reden, ja sogar etwas Weniges von ihren Reisen zu erzählen. Nachdem dieses Gespräch beendet war, begab sich der Erzherzog zu Bette und wir andern sammelten uns in den untern Stuben. Es war ein schöner Zug des edeln Reisenden, daß er uns so lustig seyn ließ, als wir wollten, und seinem Schlafe zu Liebe unsrer Unterhaltung keinen Abbruch zufügte, obgleich das Jauchzen und das Jodeln manchmal wohl sehr störend in sein Gemach hinaufhallten.

Wir suchten in die Nähe der Leonen zu kommen, da wir gehört hatten, sie würden unten noch etwas singen. Ich erhielt einen Platz neben dem Schullehrer, einem muntern Herrn, der heute die Joppe anhatte als Vorsteher der Schützenmusik, zu welcher auch Ferdinand Mariacher, der Organist aus Dux, gekommen war. Nach einiger Erquickung ließen die Sänger ihre schönen Lieder beginnen, womit sie bei allen Hörern große Ehre einlegten. Die Geschwister Leo haben freilich als Epigonen nicht jene Berühmtheit erlangt, die den [559] bahnbrechenden Rainern zufiel, sind aber doch auch weit herumgekommen in der Welt. Sie sprechen zwar nicht englisch, aber dänisch und schwedisch. In Scandinavien hat es ihnen vor allen andern Ländern am besten gefallen, in Dänemark und Schweden behaupten sie die menschenfreundlichsten Leute gefunden zu haben; aber in Belgien unter den Wallonen sey ihnen viel Unangenehmes begegnet und sie hätten Manches zu erleiden gehabt von dem Eigennutz und der Geldgier selbigen Volkes.

Andern Tages endeten die Festlichkeiten mit einer Heerschau der Zeller Schützen, welche auf dem Platze vor dem Braüwirthshause aufmarschirt waren. Darauf fuhr der Erzherzog mit seinem kleinen Gefolge davon und Zell kehrte wieder zur alltäglichen Ordnung zurück.

Ein Spaziergang in den ebenen Fluren dieses Dorfes ist zumal an einem Sonn- oder Feiertage eine angenehme Unterhaltung. Die Einwohner der zerstreuten Höfe sitzen dann auf ihren Sommerbänken vor den Thüren und plaudern – aus dem Stübchen tönt oft Zitherklang – im nächsten Hause wird gesungen, vom Berg herab erschallt das Jauchzen fröhlicher Buben. Da die Zillerthaler gar nicht schüchtern, sondern eher etwas dreist sind, so ist gut mit ihnen reden; man geräth leicht ins Gespräch, das sich in heiterm Scherze fortspinnt und endet. Als ich eines Tages nach einer solchen Wanderung wieder dem Flecken zuging, saß vor einem kleinen Hause ein Mädchen, das mich grüßend ansprach. Während wir redeten, kamen mehrere Buben des Weges, welche sich mit Freundlichkeit meinen Tabakbeutel ausbaten um ihre Pfeifen zu stopfen. Endlich erschien noch ein Mädchen, ein schönes Wesen, und nun meinten die Jungen, wäre etwa ein Gesang zu versuchen. Man unterließ nicht zu fragen, wie viel ich dafür hergeben würde, und so machte ich mich anheischig, eine Halbe Wein zu setzen. Nachdem diese Vorfrage erledigt war, sangen sie also, die beiden Mädchen und ein junger Bergknappe, nicht ohne Kunstfertigkeit. Zuerst stimmten sie das schöne Lied an: Es wohnt ein Müller an jenem Teich – dessen Fortsetzung ich mir aber aus Schamhaftigkeit verbat. Dann fielen [560] sie auf das Lied vom schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen, den eine schneeweiße Markgräfin liebt, ein Lied, das zwar mit dem Augenmaß der Schicklichkeit betrachtet, auch nicht ganz tadelfrei, aber sonst sehr lobenswerth ist. Es erfreut sich einer weiten Verbreitung in Tirol, denn die Bauern um Meran kennen es eben so wohl, als die Bergknappen am Heinzenberg. In des Knaben Wunderhorn ist dasselbe auch aufgenommen,*)[5] doch erscheint dort ein Zimmergesell statt des schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen und außerdem fehlt es auch nicht an Verschiedenheiten im Texte.

Nach diesem wurden noch einige andere Gesänge vorgetragen, zumeist erotischen Inhalts, mitunter auch ziemlich schlüpfrig, was aber kaum geahnt zu werden schien, denn die Mädchen sangen sie so unbefangen heraus, wie eine tugendhafte Gnome, während mir nichts überblieb, als den Hut tiefer ins Gesicht zu drücken, wie das Maidele in Dux. Nachdem es der Lieder genug waren, fingen die Dirnen mit einander zu tanzen an, wozu der Bergknappe begleitende Schnaderhüpfel sang, und nach diesem ging ich mit leerem Tabaksbeutel, den die Jungen ausgeraucht, wieder nach Zell zurück.

Im Auslande ist man gewohnt, den Zillerthaler, den allbekannten Handschuhhändler, für den Typus des Tirolers zu nehmen, und da derselbe, wie die Rainer dargethan, liederkundig und gesanglustig ist, so gilt wohl auch ganz Tirol als ein Land wo alle Bergwände von Singen und Jodeln wiederhallen. Gleichwohl sind die meisten Thäler der Grafschaft so liederlos und gesangarm, als irgend eine Gegend in Deutschland. Gewiß war es einmal anders; zur Zeit aber findet das kecke Schnaderhüpfel nur noch im Zillerthal, im Unterinn- und Pusterthal sein ehrliches Fortkommen. Vielleicht ist ihm auch da keine Zukunft gegönnt und dann mag es nur etwa im bayerischen Gebirge, bei den Jachenauern, bei den Lenggrießern und den Schlierseeern noch fortleben. Diese kleinen Völkerschaften in den bayerischen Vorbergen haben ohnedem um die Pflege und Fortbildung des Alpengesanges [561] Verdienste, die der gerechte Mann, der einmal das zum dringenden Bedürfniß gewordene Buch über die Volkspoesie in den Alpen schreiben wird, jedenfalls zu der ihnen gebührenden Anerkennung bringen muß.

Die Zillerthaler also sangen schon lange Zeit, ehe Joseph Rainer zu Leipzig auf den Gedanken verfiel, ihre Alpenlieder in die große Welt zu tragen. Diese unermeßliche Erweiterung des Publicums blieb aber nicht ohne Rückwirkung auf den Gesang selbst. Zu der Zeit nämlich, als die Geschwister Rainer auf Reisen gingen, war der Schnaderhaggen fast die einzige Form, in welcher sich die Volkspoesie erging. Jetzt aber fand man, daß im jodelnden Kunstgesang der vierzeilige Satz nicht ausreichte – er war schlechterdings zu kurz und die Verbindung unzusammenhängender Strophen schien aus ästhetischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Man bemühte sich nun längere Lieder zu finden, von der Art, daß sich am Schlusse jedes „Gesatzels“ ein Jodler anhängen ließ. So sind eine Anzahl Lieder in den Bereich des Alpengesanges gezogen worden, die ursprünglich kaum dafür berechnet waren oder die von studirten Volksfreunden verfaßt wurden. Hie und da versuchte auch ein Aelpler seine Gefühle in längern Gedichten auszuhauchen und den Landsleuten zu brauchbaren Texten zu verhelfen, wie wir das von dem Schullehrer zu Finkenberg wissen. So ergibt sich denn, daß das Meiste, was jetzt im Auslande gesungen wird, eigens, für diesen Zweck gemacht wurde. Das alte, einheimische Volkslied von der Bürgal, welches im zweiten Bande des Sammlers mitgetheilt ist, dasselbe, welches sich Lewald angeblich wieder von Maria, der schönen Duxerin, vorsingen ließ, ist schon längst vergessen.

Ueber die Schnaderhaggen oder Schnaderhüpfel die man im Zillerthale und in Dux schlechtweg Liedeln und G’sangeln nennt, enthält derselbe Band des Sammlers einen gutgeschriebenen Aufsatz, dessen ausgiebige Benützung wir uns wenig zu Gewissen nehmen, weil der Verfasser J. Strolz noch ein andres Zillerthal vor Augen hatte, als wir es kennen. Er erzählt uns wie diese G’sangeln zuvörderst beim öffentlichen Tanze erklangen, und um dieß recht aufzufassen, müssen wir uns [562] in eine große Wirthshausstube denken, an einem Kirchtage oder bei einer Hochzeit, wo alles wimmelt von starken Buben und blühenden Mädchen, wo die Tische voll Gläser sind und die Köpfe voll Wein. In einer Ecke steht eine große Kornkiste und auf dieser bemerken wir im Geiste Zither, Hackbrett, Schwegel, ein paar Geigen, den großen Baß, Maultrommeln u. s. w. sammt den dazu gehörigen Spielleuten, was alles zusammen die Spielleuttruhe genannt wird. Wenn’s nun von neuem angehen soll, so tritt einer der Tänzer mit seinem Mädchen zur Spielleuttruhe vor und wirft dieser sein schnödes Silber zu, bald mehr bald weniger, je nach Stand und Vermögen, oder auch nach Eitelkeit und Ehrgeiz. Dieß heißt einen Tanz anfrümen (bestellen) und im Unterinnthale wurden dazumal für einen einzigen Ländler oft mehrere Kronthaler auf die Truhe geworfen. Dafür durfte nun jenes Paar für sich allein tanzen, und die andern mußten zusehen, bis der angefrümte Ländler vorüber war. Wer sich indessen nicht so viel herausnahm, sondern sein Geschäftchen still und anspruchlos mit den andern fortmachte, der zahlte einen Groschen für den Tag und nochmal einen nach dem Ave Maria Läuten. Aus einer schätzbaren Notiz bei Peter Prosch ist zu entnehmen, daß man zu der Zeit, als dieser jung war, wenn man sich sehen lassen wollte, vier Kreuzer gab. Nachdem also ausgezahlt war, stimmte der Tänzer in einer selbstgewählten Melodie sein Schnaderhüpfel an, und die Musik fiel alsogleich begleitend ein – woraus sich denn deutlich ergibt, daß das Schnaderhüpfel der bojoarische Vertreter der romanischen Ballade ist.

„Eine andere Gelegenheit, die erwähnten Liedchen zu singen, bietet den Buben das Gasselgehen oder Anfensterln, dasselbe, was man im Bregenzerwalde die Stubet nennt. Wenn nämlich der theure Junge von einem solchen Liebesabentheuer zurückkehrt, stimmt er auf dem Heimwege sein Gassellied an und begleitet es mit einem Jauchzen, wovon die Gebirge wiederhallen. Vor dem Besuche hütet er sich gerne seine Gefühle laut werden zu lassen, besonders auf dem Gang in entferntere Orte, da die Bursch (so heißt die Gesammtheit [563] des ledigen Mannsvolkes einer Gemeinde) mit eifersüchtigen Augen die Schönen ihres Dorfes bewacht, er also Gefahr läuft, im Falle der Entdeckung von derselben geästet, gescheitert oder gewasent, d. i. mit Baumästen, Scheitern oder Wasen (Rasenstücken) geworfen zu werden.

Alte Mütterchen haben schon lange durch schreckbare Spukgeschichten, die Geistlichen durch Kanzelreden, die Beamten durch Arrest- und Geldstrafen dem Gasselgehen entgegen zu wirken gesucht, aber umsonst. Von letztern zumal wurde mancher, der anfangs als Eiferer auftrat, durch unangenehme Erfahrungen dahin gebracht, die Sache bald leichter zu nehmen. Noch jetzt ist die Sitte nicht abgekommen.

Der dritte Ort diese Gedichte zu singen und sie zu verfassen, sind die Alpen. Von aller Gesellschaft durch mehrere Monden getrennt, suchen natürlich die einzelnen Viehhirten ihre Nebenstunden so gut als möglich zu verkürzen. Sie verfertigen aus Farchen- oder Kieferholz eine Menge jener Späne, deren man sich auf dem Lande statt der Kerzen bedient, oder sie flechten aus Latschen- oder Zundelstauden eine Art Holzschuhe, Knospen, für Stall- und Bergleute überhaupt ein nothwendiges Bedürfniß. Viele wissen auch allerlei Hausgeräth, Löffel, Teller, Milchgefäße zu schnitzen. Unter diesen Handarbeiten finden sie nun Muße genug, sich ihrer daheim gelassenen Mädchen zu erinnern und auf sie, oder auch auf ihre Nebenbuhler mancherlei Liebes- und Spottgedichte zu verfassen. In jeder Alpenhütte findet sich überdieß eine Maultrommel, eine Waldflöte, eine Schwegel, eine Zither und dergleichen, so daß diese Sennen auch Gelegenheit haben, eine passende Arie auszusinnen und sich in mannichfaltiger Begleitung zu üben.

Auch auf dem Felde, in den beschwerlichen Bergmahden und bei häuslichen Beschäftigungen werden diese Liedchen, meistens von Mädchen gesungen; sie dienen ihnen zur Ermunterung und lassen sie wenigstens auf eine Zeit die Schwüle des Tages vergessen.“

Die Schnaderhüpfel sind der überwiegenden Mehrzahl nach erotisch oder satirisch; Liebesfreude oder Spott ist der Hauptinhalt; [564] erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen – über diese freilich lieber, als über jene – über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist – andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter ἀδέσποτα; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G’sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den [565] rechten Ton zu treffen. Der Bereich der poetischen Anschauung, Styl und Worte der Darstellung sind so genau abgegränzt, daß es für den Sachverständigen leicht ist, ein herrisches Schnaderhüpfel von einem bäurischen zu unterscheiden. Jedennoch mag allen bojoarischen Herren und Frauen wenigstens der Versuch gestattet seyn, sich in der Dichtweise ihrer Hirten und Bauern zu ergehen, und unser trefflicher Landsmann Franz von Kobell hat darin einen Preis verdient; andersstammigen deutschen Poeten aber möchten wir dringend rathen, sich nie in dieses heikle Gebiet zu verlieren. Es kann nichts ärmlicher klingen, als ein in der Anschauung und im Ausdrucke gleich verfehltes Schnaderhüpfel, wie wir deren schon hie und da bei solchen gefunden haben.

Eine längere Reihe ächter Schnaderhüpfel zu geben ist nun nicht unsere Absicht – wir fürchten das Achselzucken süddeutscher Leser, die nicht hundertmal Gehörtes hier als Neuigkeit wieder zu finden begehren. Doch wollen wir wagen, aus den Anmerkungen welche J. Strolz seiner Sammlung beigefügt hat, einiges herauszuheben, was den Leser allenfalls anziehen könnte, wenn auch vieles davon Antiquität ist. Zu dem bekannten G’sangel:

A Büchsel zun Schießen
Und an Stoßring zun Schlagn
Und a Dienal zun Liebn
Muß a frischa Bue habn!

zu diesem auch von Immermann aufgenommenen Liedchen, welches obgleich schon 1807 gewiß nicht mehr ganz neu, noch immer gehört wird, sagt der Verfasser Folgendes:

Stoßringe oder Schlagringe sind die gewöhnlichen Waffen der Raufer, dienen aber auch dem ländlichen Mannsvolke zur Zierde. Sie bestehen aus eisernen, messingnen oder silbernen Reifen mit einem großen darauf gelötheten Knopfe von gleichem Metalle. Geprüfte Robler bedienen sich dieser Ringe höchst selten, da ihnen die geballte Faust die nämlichen Dienste leistet. – Dieses Liedchen gibt übrigens die Hauptzüge des Volkscharakters im Unterinnthale sehr deutlich zu erkennen. Ein leidenschaftlicher und gleichsam angeborner Hang zur Jagd [566] und zum Scheibenschießen ist zwar dem größten Theile der Tiroler gemein, indessen räumt man doch dem Unterinnthale allgemein ein, die meisten guten Schützen zu zählen. An jedem Sonn- oder Feiertage üben sich die jungen Leute den Sommer und Herbst hindurch sehr emsig in dieser Kunst und bringen es darin zu einer unglaublich hohen Fertigkeit. Eben so groß, als der Hang zur Jagd, ist die Raufluft der Tiroler, oder die Sitte, sich bei Beleidigungen durch einen Faustkampf auf dem Platze Genugthuung zu verschaffen. Diese Kämpfe vertreten gleichsam die Stelle der alten Ordalien und haben, wenn sie im Angesichte des versammelten Volkes geschehen, ihre eigenen Regeln und Gesetze. Werden diese von einem der Kämpfer durch Beißen, Kneipen, Augenstechen und derlei verbotene Kunstgriffe übertreten, so werfen sich alsbald einige aus der Versammlung zu Kampfrichtern auf und stehen dem Uebervortheilten bei. Solche unzulässige Hülfsmittel anwenden, heißt mit dem Kunstausdrucke schelmen. Jedes Landesviertel, jedes besondere Thal beinahe jedes einzelne Dorf nährt gegen die Nachbarschaft eine Art forterbender Antipathie, so daß ein Fest, bei welchem Leute aus verschiedenen Bezirken erscheinen, selten ohne Rauferei endet. Und doch verbindet alle bei öffentlichen Landesangelegenheiten der vollkommenste Gemeingeist. (Für Anno Sieben klingt das sehr prophetisch). Uebrigens ist das Raufen den jungen Burschen oft auch nur eine gymnastische Uebung. – Merkwürdig ist, daß die vornehmsten Raufer, die sogenannten Hagmaier, gewöhnlich die gutherzigsten Leute sind. Sie können vielen Spott mit kaltem Blut ertragen und zeigen ihre Ueberlegenheit lieber, wenn sie bei entstandenen Raufereien aufgefordert werden, die Kämpfenden auseinander zu bringen, als durch Auftreten in eigenem Namen. Reizbar sind sie nur gegen die Nebenbuhler ihres Ruhms, und wenn solche gegenwärtig sind, so unterlassen sie nie, diese durch Stichelreden und Trutzliedeln herauszufordern. Auch schicken sie an weit entfernte berüchtigte Raufbolde eigene Boten mit förmlichen Absagebriefen oder lassen sie auf einen bestimmten Platz, am liebsten einen besuchten Wallfahrtsort zum Zweikampf laden, z. B. nach [567] St. Nothburg zu Eben, auf den Hainzenberg im Zillerthale oder auf die hohe Salve im Brixenthale. Beide Streiter erscheinen unfehlbar und wenn sie sich gegenseitig geprüft haben, schließen sie meistens bei eine Kanne Branntwein ein lebenslängliches Schutz- und Trutzbündniß. – Eine mildere Art, seine Kraft zu versuchen, ist das Hackeln, was darin besteht, daß sich zwei Mannsbilder mittelst der gekrümmten Mittelfinger der rechten Hand fassen und aus der gegenseitigen Stellung zu ziehen suchen. Es ist keine kleine Ehre für den besten Hackler der Gegend erachtet zu werden und manchmal trägt’s auch etwas ein, denn es wird nicht selten um Kühe und Kälber und um beträchtliches Geld gewettet. – So lange übrigens im Gebirge gerauft wurde, und da, wo sich der Gebrauch erhalten hat, noch zur Zeit, galt und gilt die Hutzierde als das Symbol der Ansprüche, welche der Träger auf Muth, Tapferkeit und Leibesstärke macht. Ist einer zur Hand, der den Schmuck außer Verhältniß zur Mannheit des Helden findet, so fordert er ihn zum Kampfe. Unterliegt der Geforderte, so nimmt ihm der Sieger „Feder und Gamsbart“ und pflanzt sie, als Helmdecke, auf den eigenen Filz. Daher die erste Strophe, die der bayerische Hiesel singt:

I bin der bayrisch’ Hiesel
Und kein Jager hat kein Schneid,
Daß er mir Feder und Gamsbart
Vom Hütel abitheit.

„Die wachsende Schärfe der Polizeigesetze in den letztern Zeiten, sagt Strolz, und insbesondre die Verordnung, daß notorisch bekannte Raufer zum Militärdienst abgegeben werden sollen, hatte immerhin die Folge, daß Raufereien in unsern Tagen nicht mehr so häufig vorfallen, als ehedem, während in den achtziger Jahren die Robler noch häufig selbst in der Hauptstadt erschienen, um dort vor den Herrischen ihre Mannskraft zu zeigen – Auch auf die Kunst zu lieben (es spricht noch immer J. Strolz) versteht sich der Unterinnthaler und überhaupt der Tiroler so gut, als jeder andere Bewohner der Erde; nur unterliegt der erstere gewöhnlich mehr als seine übrigen Landsleute dem Fehler, dem priesterlichen Segen [568] vorzugreifen, hält aber dagegen als Ehemann unverbrüchliche Treue. Alte Jungferschaft ist hier zu Lande übrigens so wenig beneidenswerth als anderswo; alte Jungfern gehören, so will es das Sprüchwort, auf das Sterzinger Moos. Dort sieht man zur Nachtzeit die Geister dieser Unglücklichen in irrenden Flämmlein über dem Moor tanzen.“

Jenes Sprüchwort hat in den letzten neununddreißig Jahren an seiner Geltung nichts verloren. Noch heutzutage mag man Jungfrauen, die ihre Hoffnungen auf eine anständige Versorgung allmählich zerrinnen sehen, in die elegische Weissagung ausbrechen hören: I g’hear a schon bald aufs Sterzinger Moos! Der gleichen Anschauung ist gedacht in einem hübschen Liede neuern Ursprungs, das also lautet:

Schön blau is der See
Und’s Herz thut mir weh,
Und wird nimmermehr g’sund.
Bis mei Diendl nit kummt.

Und Diendl, was thätst du
Wenn treffet’ mi’s Loos?*)[6]
Du müßtest halt wandern
Auf’s Sterzinger Moos.

Und wenn i amal g’storbn bin,
Brauch i Weichbrunn koan’n;
Mein Grab’l wird naß
Von mein Diendl sein Woan’n.

Zu einem andern Schnaderhüpfel gibt unser Gewährsmann folgende Erläuterung:

„Da die deutschen Tiroler, besonders die Zillerthaler und alle Bewohner des Unterinnthales, große Liebhaber gebrannter Getränke sind, der eigentliche Branntwein aber doch vielen zu kostbar ist, so suchen sie ihn durch Brennung beinahe aller Obstgattungen und Feldfrüchte, verschiedener Beeren und Wurzeln zu ersetzen. Es gibt Branntwein von Aepfeln, Kirschen, Birnen, Zwetschgen, Weichseln, Roggen, Erdäpfeln, Schlehen, Kranwet (Wachholder), Moosbeeren (vaccinium oxycoccus), Meisterwurzen (imperatoria ostrutium), Enzian und [569] manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen.“

An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken, [570] Blumensträußen und gestickten Schellriemen versehen. Sie verkünden daher durch das lärmende Getöse schon weit vorher ihre Ankunft. An den Zug der Kühe schließt sich der Galterer, mit seiner Galtheerde, Kälbern und Stieren, welche statt eines Halsgeschmeides alle Ketten des Alpenviehes zu tragen haben. Dann kömmt der Gaiser mit den Ziegen, der Schafer mit den Schafen, endlich die Saudirn, welche mit ihren grunzenden Zöglingen den feierlichen Zug schließt. Bei ihrer Nachhausekunft pflegen sie an einigen Orten unter ihre Bekannten kleine, eckige, in verschiedene Figuren gemodelte und von innen ein Kügelchen süßer Butter enthaltende Käse (Alm- oder Butterkasel), auch eine Art Gebackenes (Almnüßel) auszutheilen.

Ueber die Jagd in Tirol erheben wir nachstehende, Mittheilung: „Daß es früher eine sehr große Menge Gewildes und reißender Thiere, vorzüglich Bären, Wölfe, Luchse, Gemsen und Steinböcke, Wildschweine, Hirschen, Rehe und verschiedene Arten von Federspiel, besonders Schild- und Auerhähne, Birk-, Stein- und Schneehühner gegeben, davon muß den geübten Jäger schon der bloße Anblick der verschiedenen Landesgegenden überzeugen. Die mit mannichfaltigen Holzarten, mit dem fettesten Grase und mit wohlschmeckenden Beeren und Kräutern bedeckten Gebirge, aus deren zahlreichen Quellen sich so viele Bäche, Teiche und Seen bilden, reichen dem Gewilde überflüssige Nahrung und die nackten Felsen gewähren ihm auf ihren beschneiten, von Wolken verhüllten Gipfeln sichern Schutz. Die gebirgige Lage des Landes, macht dem Tiroler die Jagd, vorzüglich jene der Gemsen, äußerst beschwerlich und gefahrvoll; viele müssen sich bequemen, im heißen Sommer bei versiegten Quellen den brennenden Durst mit dem Regenwasser zu löschen, das in den Höhlungen verdorrter Kuhfladen zurückgeblieben; andre müssen die Fußsohlen aufritzen, um sich durch das hervorsickernde, kleberichte Blut auf den schroffen Felsplatten und Eisschollen einen sichern Tritt zu verschaffen. (Diese auch in Schillers Tell berührte vielbezweifelte Uebung soll übrigens sehr selten oder gar nie vorkommen.) Hunderte fanden bei dieser Gelegenheit in den [571] Schneelawinen, in einem Waldstrome, oder im Abgrunde eines Bergschlundes ihr Grab. Es ist unnöthig, hier der Jagdgefahren des unvergeßlichen tirolischen Gemsenjägers Maximilian zu erwähnen, da Melchior Pfinzings Theuerdank ohnehin Jedermann bekannt ist. Einen weitern Beweis von der in Tirol vorhanden gewesenen Menge des Wildes geben die Jagdgesetze der alten Landesfürsten und ihr ausschließlicher Vorbehalt einiger Thiere z. B. der Wildschweine im Etschlande und Unterinnthale, von deren Daseyn in diesen Gegenden keine Spur mehr erscheint; ferners die vielen, in den Schlössern und selbst in Bauernhäusern aufgesteckten Hörner, Geweihe und Waffen von Raubthieren. Die Lichtung der Wälder und Auen, die Beurbarung der öden Plätze, die Austrocknung der Sümpfe, vorzüglich aber die allgemeine Bewaffnung des Landvolkes und die von diesem vernachlässigte Befolgung der Waidmannsregeln durften wohl die Ursachen des sehr verminderten Wildstandes in Tirol seyn.“

Diese Verminderung hat in den letzten dreißig Jahren lediglich zugenommen und das edle Waidwerk belohnt sich wenigstens in den bewohnten Gegenden nur mit sehr dürftiger Beute. Manches wunderliche Gethier, das ehemals die Jagd im Hochgebirge gefährlich und reizend machte, ist entweder ganz von der Erde weggeschossen, oder lebt nur mehr in seinen letzten Sprossen. Wir wollen an diesem wohlgelegenen Orte über den ungefähren Bestand der Gegenwart kurz zusammenstellen, was Staffler darüber mittheilt:

Die Steinböcke und die wilden Schweine sind schon seit langer Zeit vertilgt. Der letzte Eber wurde 1700 in den Reisäckern bei Kaltern erlegt. Erstere hielten sich ehedem sehr zahlreich in der Floite auf, einem Hochthal hinter Mayrhofen, das sammt dem größten Theile des Zillerthales vor der Säcularisirung dem Erzstifte Salzburg gehörte. Sie wurden dort von einigen jagdliebenden Erzbischöfen mit besondrer Sorgfalt gehegt. Man besoldete Wächter und baute ihnen Hütten auf den höchsten Bergen, man verbot sogar Ziegen und Schafe auf die hohen Weidgänge zu treiben. Auch die Kühe, die auf den niedern Alpen weideten, durften keine Glocke tragen und [572] den Melcherleuten war jeder Gesang und alles Jauchzen verboten. Diese Sorgfalt für die Thiere erbitterte aber die Menschen; im Jahre 1694 hatten die Wächter in der Floite noch einhundertneunundsiebenzig Steinböcke gezählt; im Jahre 1706 wurden die letzten zwölf getödtet. Die Hirsche zeigen sich sparsam im Vorarlberg, in einigen Gegenden des Unterinnthals, im obern Vintschgau. Die Gemse kommt in den nördlichen Gebirgen häufiger vor, als in den südlichen. Es ist dort nichts seltenes, Rudeln von achtzehn bis vierundzwanzig Stücken zu gewahren. In Südtirol nährt das Gebirge von Ampezzo die meisten. Rehe und Hasen sind selten; auf hohen Alpen kommt der kleine weiße Schneehase (Lepus variabilis) vor, der wegen des Genusses der edlern Kräuter ein sehr schmackhaftes Fleisch bietet. Außer Tirol und der Schweiz kennen ihn wenige Länder. Das Murmelthier (Marmota alpina) in gewöhnlicher Sprechweise Murmentel, hat nur in einigen Hochgebirgen des Nordens, z. B. im Kaunserthale, im Pitz- und Oetzthale, in der obern Gegend des Paznauns, in den Seitenthälern des Wippthales seinen Aufenthalt. Es hat wenig Werth und das Fleisch ist nicht allgemein beliebt.

An Federwild hegt das Land die edelsten Gattungen, als den Auerhahn (Tetrao urogallus), den Birk- oder Spielhahn (Tetrao tetrix), das Schneehuhn (Tetrao Lagopus), das Haselhuhn (Tetrao bonasia), das Steinhuhn (Tetrao sonatilis) und das Repphuhn (Tetrao perdix). Auerhahn, Spielhahn und Schneehuhn lieben das Hochgebirge, Haselhuhn, Stein- und Repphuhn wärmere Lagen. Das seltenste ist das Haselhuhn, wegen seines zarten Fleisches am höchsten geschätzt. (Für Freunde gebratenen Federwildes kein besserer Ort als das Wirthshaus zu Salrain auf dem Ritten; dort wird der Wißbegierige, der das Hochland auch von dieser schmackhaften Seite kennen lernen will, binnen acht Tagen gründlichere Studien durchmachen, als anderswo vielleicht in Monaten.)

Unter den reißenden Thieren steht obenan der Bär. Er ist in Vorarlberg ganz ausgerottet – den letzten hat ja der Stier bei Sibratsgfäll erstochen – aber in Tirol noch [573] hin und wieder zu treffen, zumeist in den Seitenthälern des Wippthales, im obern Vintschgau, ja im Hochgebirge bis Schlanders herab, im Ultenthale und seiner Umgebung, an der Mendel bei Kaltern, auf dem Nonsberg, in Fleims, selbst bei Vezzano und bei Ala. Auch im Pusterthale bei Sillian läßt er sich zuweilen sehen. Die Bären thun großen Schaden an den Feldfrüchten, vorzüglich in den Weingütern, da sie die Trauben ganz besonders lieben. Vor zwei Jahren ließ sich ein solches Unthier selbst in den Weingärten von Löwenberg spüren. In der That stieg auch ein Jagdliebhaber von Meran zum gastlichen Schlosse hinauf und kam zwar nicht mit dem Bären nach Hause, aber doch mit einem Affen. – Der Wolf ist vorzüglich im Matscher Thale, auch auf dem Nonsberge und in der Valsugana zu treffen. Die wälschen Bezirke sind überhaupt reicher an Bären und Wölfen, als die deutschen. Seltener als beide ist der Luchs; er findet sich nicht ungerne in den Gebirgen, die gegen Bayern abfallen, im Vintschgau und bei Feldkirch. Die kleinern Raubthiere, als Dachs, Fuchs, Marder, Iltiß und Wildkatze, sind allenthalben im Lande verbreitet. Unter den geflügelten Raubthieren sind der Lämmergeier und der Uhu, in Tirol Buhin genannt, hervorzuheben. Ersterer nistet in unzugänglichen Felsgebirgen, letzterer in altem Gemäuer, in den verfallenden Burgen des Tiroler Adels. – Der Wildbann ist theils landesfürstlich, theils im Besitze des Adels, der Stifte und Klöster, der Gerichtsgemeinden und Privatpersonen. Die landesfürstlichen Jagden werden in der Regel verpachtet. Die Erleger der Raubthiere erfreuen sich bestimmter Belohnungen. Für einen Bären werden 30, für eine Bärin 40 Gulden, für Wolf und Wölfin 25 und 30, für Luchs und Luchsin 20 und 25 Gulden bezahlt. Da im Durchschnitte jährlich 20 Bären, 12 Wölfe und 2 Luchse getödtet werden, so hat die Regierung ungefähr 1000 Gulden an Belohnungen (Taglien) zu entrichten. Der leidenschaftlich betriebene Vogelfang der Wälschtiroler ließe sich hier auch hereinziehen und in seinen vielen Reizen schildern; indessen sind wir schon zu lange auf einem [574] Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren.

Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:

     Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo.

Die Heiterkeit thut’s dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische „Wüten,“ jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der „eitlen Weltlust“ soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert.

Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste [575] Theil seines Capitals. Indessen wird selbst diese Anlage den Abnehmern zu Liebe kunstmäßig ausgebildet und mit dieser Ausbildung sind denn auch schrittweise die Anforderungen gestiegen, die man im deutschen Reiche, zumal in seinen nördlichen Gegenden an einen ächten Tiroler macht. Bis aber die zwanzig Tausend Duzend Handschuhe, welche diese Bursche jährlich verschleppen, in schwatzhaftem Kaufe an Mann und Frau gebracht sind, ist auch leicht zu lernen was das Ausland eigentlich prätendirt. Der Zillerthaler gibt sich daher draußen ganz anders als zu Hause, wo er sich zwar frisch, lebendig und nicht schüchtern zeigt, aber höflich, gescheid und schicklich; während er dort den naiven, den quecksilberigen Schalksnarren, den alpenhaft derben Rüpel spielt und zur Beglaubigung seiner Aechtheit auch Jedermann dutzt, was so zu sagen eine Hauptsache ist. Liebhabern solch anmuthiger Vertraulichkeit können wir die Versicherung geben, daß diese improvisirte Bruderschaft nur ein Opfer ist, welches der Handschuhhändler seinem Gewerbe bringt, und daß der Gedutzte allen Grund hat sich zugleich auch für den Gefoppten zu halten. Es ist in ganz Tirol kein Ort mehr, wo nicht schon die reifere Jugend recht gut und fertig mit dem Sie oder doch mit dem Ihr (Es) umzugehen vermöchte. Es wills weder der Curat noch der Schullehrer leiden, daß man sie unehrerbietig dutze, und die Tiroler kehren daher zu diesem primitiven Zustand nur zurück, wenn sie einmal über der Gränze sind. Jeder, der die interessante Bekanntschaft des drolligen Handschuhhändlers auf einem deutschen Markte gemacht, wird sich verwundern, wenn er ihn in seiner Heimath wieder findet, wie er da ohne Aufhebens seinen häuslichen Arbeiten nachgeht. Indessen sind die Erfahrungen, welche in der Fremde gewonnen werden, nicht für alle ganz verloren; es gibt immerhin solche gereiste Schelme, welche beim Erscheinen eines fremden Alpenfreundes sich von freien Stücken in die Airs versetzen, die, wie sie wissen, jener für national hält. Sie beginnen also im tiefsten Frieden mit den Füßen zu stampfen, mit den Fingern zu schnalzen, in die Höhe zu hüpfen, Schnaderhaggen zu singen und idyllische Albernheiten [576] zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne „die Augen auswischt,“ wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei [577] der Hand und geleitet dich lächelnd zu einer lächelnden Höckerin, wo du ihm Zibebenbrod kaufen sollst; ein anderer bittet sich Birnen aus und andre, die theilnehmend herbeigesprungen, zeigen schmeichelnd auf die schönen Aepfel oder die süßen Zwetschgen, die daneben stehen. Ueberdieß findet sich vielleicht auch ein Mädchen, das sich beim Einblick in die offene Börse erinnert, wie gut ihr eine neue Hutschnur stehen würde, oder eine andre, die ein seidenes Halstuch wünscht. Du wirst allmählich etwas vorsichtiger, und so kann es kommen, daß du einem gebückten Greise, der dich mit dringender Herzlichkeit um ein Frackele Branntwein bittet, deine Hülfe aus dem billigen Grunde versagen mußt, weil du dasselbe Begehren in der letzten Viertelstunde schon einem halben Duzend andrer abgeschlagen hast. – Man sieht indessen, daß man da mit wenig Münze viel Gutes ausrichten kann, und so wird diese zillerthalerische Beutelust allerwärts einer wohlwollenden Beurtheilung um so eher entgegensehen dürfen, als es lediglich der gutmüthige Unverstand der Reisenden ist, was sie herbeigeführt hat.

Endlich wollen wir den Wanderstab wieder weiter setzen, hinüber ins Pinzgau, in die Krimmel, um von dort über den Tauern ins Pusterthal hinabzusteigen.

Eigentlich standen noch zwei nähere Wege offen, um nach Brunecken zu kommen, entweder über die Hundskehl oder das Hörnle, Hochjöcher am Ende einsamer, zuletzt wüster Thäler. Beide zogen weniger an, als der Krimmler Wasserfall und der Tauern mit seinem mystischen, vorzeitlichen Namen, der sich zu allen Zeiten so majestätisch in mein Ohr senkte. Beim Licht betrachtet bedeutet er freilich auch nicht mehr, als ein anderes Joch, nur daß dieß Wort erst da beginnt, wo das Pinzgau anfängt.

Es hatte sich eine gute Gesellschaft zusammengefunden, die desselben Weges war, nämlich zwei sächsische Studenten und ein bayerischer. Alle vier zusammen verließen wir an einem schönen Herbstmorgen das Hauptdorf des Zillerthales und gingen der Gerlos entgegen. Die Gerlos heißt das ganze Hochthal, welches die Verbindung zwischen den Gebieten des [578] Zillers und der Salzach bildet, und hat dasselbe seinen Namen von einem Bache, der aus dem Wildgerlosthale hervorströmt, an dem Dorfe, das nach ihm benannt worden, vorüber läuft, und unter Zell in den Ziller fällt. Auch der siebenthalbtausend Fuß hohe Bergkamm, der über Zell in die Höhe steigt, heißt die Gerloswand. Sie ist berühmt wegen der Mannichfaltigkeit ihres Kräutersegens und daher viel besucht von den Freunden gebirgischer Flora.

So stiegen wir also den Heinzenberg hinan, in dessen Fersen die Goldschachte getrieben sind. Oben, wo die Wallfahrtscapelle steht, genossen wir einer lieblichen Aussicht ins Zillerthal hinunter, die noch eine Zeitlang mit uns ging. Darnach führt ein Bergsteig am Wildbache fort, an vielen einzelnen Häusern und Ställen vorbei, zuweilen in offener Gegend, mehrentheils in enger Schlucht, hinein in die Gerlos, zu dem kleinen Dorfe dieses Namens das wir etwa in der vierten Stunde erreichten. Es liegt in einer zierlichen Hochebene, wo die Wässer ruhig durch die herrlich grünen Wiesen fließen. Von der Gerlos gings durch waldige Wege in den Durlaßboden, gegen die Platte, über welche man in die Krimmel geht. Hier nicht weit von der Höhe steht auf einsamem Grunde eine Sennhütte, aus welcher uns ein fünfter Reisegefährte erwuchs, abermals ein Studiosus, der unter den vorbeischlendernden Wanderern einen Jugendfreund erkannt hatte und nun gleich mit uns ging. So setzten wir zu fünfen unsre Reise fort. Rechter Hand hatten wir jetzt die Einsicht in das öde Wildgerlosthal, aus dessen Schneefeldern die stolze Reichenspitze emporsteigt, in drei Gipfel gespalten. Diese und der Olperer Fußstein zwischen Innerschmirn und dem Zamsthal sind nach des Bergpracticanten M. V. Lipold Angabe die beiden höchsten Spitzen in der östlichen Fernerkette. Staffler legt der erstern 9340 Fuß bei; nach Lipold aber müßte sie gegen 11,000 hoch seyn.

Die Aussicht von der Platte ins Pinzgau hinunter wird viel gepriesen, wir hatten aber wenig Genuß davon, da auf den schönen Morgen ein düstrer Abend gefolgt war und der Himmel sich mit schweren Wolken überzogen hatte. Diese lagen [579] uns allen zum herben Verdruß über den Tauern, ihren Gletschern und ihrer Pracht, zogen sich weit herunter ins Thal und trübten auch seine Schönheit. Etliche Dörfer sahen wir wohl und einen schlängelnden Fluß, etliche Wäldchen und weite Auen, aber alles grau gefärbt und kümmerlich beleuchtet. Bald darnach hörten wir auch das Rauschen der Krimmler Ache und sahen eine halbe Stunde weit zur Rechten auch die drei berühmten Fälle dieses Baches; denn die Nebel hatten sich eben etwas davon zurückgezogen und Spalier gebildet, um uns zwischen durch auf die Cascade sehen zu lassen. Es war auch gut, denn wie sich später zeigen wird, so durften wir froh seyn, den Fall wenigstens von Ferne in unbewölkter Größe gesehen zu haben.

Weniger trübselig als die Gegend an diesem Abende war die Aufnahme im Wirthshause, wo wir gleich das Vergnügen hatten die liebenswürdige Traudl kennen zu lernen, ein höchst achtbares Mädchen von einem besonders glücklichen Aussehen und einer Laune so frisch und heiter, wie wir sie selbst im Zillerthale nicht gefunden. Sie ist des Wirthes Tochter und hat recht brave Eltern, welche das Kind in der Familie Gertl nennen, denn Traudl, behaupten sie, sey eigentlich zu vornehm für eine schlichte Pinzgauerin und das Töchterlein bekenne sich zu diesem Namen nur gegen gebildete Fremde. Auch eine sehr hübsche Aushelferin war zur Hand mit Namen Rosi, die diesen Abend in den fremden Ankömmlingen noch viele Rosen der Sehnsucht erblühen ließ. Aber Annel, die Dritte, legte sich wohl auch in jedem Herzen ihr eigenes Gärtchen an, denn sie war so lieblich und so fein, und wenn alle drei beisammen standen, wußten überhaupt die vier oder fünf Parise nicht, welcher sie den Apfel reichen sollten. Gertl war die geistreichste, aber die sprödeste und glich in vielen Stücken der Göttin der Weisheit, die andern beiden dagegen waren ohne Widerrede zwei Venusinnen auf einmal.

Wenn nun vier Studenten ins Pinzgau kommen und gleich im ersten Wirthshause eine Tochter und zwei Schenkmädchen kennen lernen, welche schon im ersten Augenblicke den glücklichsten Eindruck machen, so läßt sich denken, daß die [580] Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte – und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie’s schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie – aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen.

[581] Abgesehen von dieser letzten Figur, welche zu viele Uebung erfordert, als daß man sie an diesem Abende noch hätte einlernen können, wurden die übrigen Beiwerke des Bäurischen mit Fleiß und Eifer einstudirt, und es war schwer zu beurtheilen, wer am meisten Hingebung für die Aufgabe zeigte, die beiden Mädchen, die jeweils in unendlicher Zierlichkeit und voll holder Scham sich um die Burschen herumdrehten, oder die beiden bayerischen Studenten, welche den beiden sächsischen in diesen Stunden noch alle geheimen Vortheile alpenhafter Tanzkunst beibringen wollten, oder die sächsischen Musensöhne, welche sich vor Freude an diesen nationalen Eigenthümlichkeiten kaum mehr wußten, und die schwierigsten Probleme, die ihnen Lehrer und Lehrerinnen stellten, mit so viel Kühnheit und solchem Glücke durchführten, daß es mich jetzt dennoch wundert, warum man damals die letzte und heikelste Figur nicht wenigstens versuchte. Ueber alle diese Studien aber breitete die Freude ihre Segnungen aus, und ich glaube nicht, daß Unterricht je heiterer ertheilt worden ist, als damals in der Krimmel, so heiter war er und so national in allen Aeußerungen, denn auch die kleinen Küßchen, die man zuweilen zwischen den Tanzenden hin und her flattern sah, sind nicht gerade unvolksthümlich. Selbst meine eigene Melancholie, angeblich von altem Herzweh rührend, ging damals in die Brüche oder zog wenigstens die graue Lodenjoppe umgekehrt an, so daß das rosenrothe Seidenfutter, mit dem sie wirklich innerhalb besetzt ist, recht artig hervortrat, obgleich ich mich mehr peripherisch als Tanzwart und Spielmann um die Fröhlichkeit herumbewegte, zuweilen einen Stuhl zur Seite schiebend, zuweilen etliche ganz falsche Schläge auf der Guitarre verübend, oder ein entfallenes Halstuch auflesend, immer der Absicht, mich auch der kleineren Werke der Liebe gänzlich zu enthalten und namentlich jener verstohlenen Küsse im Halbdunkel, damit nichts einen Schein auf mich werfe, als sey ich solchen Dingen zugethan; sintemalen ich schon damals mit Lord Byron zu sprechen pflegte:


Yet to the beauteous form I am not blind,
Though now it moves me as it moves the wise.

[582] Und so setzte ich mich denn in den Ofenwinkel, allererst aufmerksam der fremden Freude zugewandt, aber allmählich in mich hineinträumend vom Tanz im Pinzgau und mit geschlossenen Augen die Zither und die weichen Mädchenstimmen in mich schlürfend und die starken Tactschläge gemildert aufnehmend und das leise Flüstern und das laute Gelächter fast auch als Musik zulassend in meine innere Welt, die immer schöner wurde, auch immer träumerischer und jedenfalls immer schläfriger, bis ich wie nach langen Zeiten und wie aus weiter Ferne das Pinzgauer Wallfahrtslied vernahm und die Wallfahrtsglocken hörte und mehr und mehr wieder zum wachen Leben zurückkehrend auch im schlaftrunkenen Blinzeln die Lichter der Wallfahrt zu sehen glaubte, und mich immer mehr überzeugte, daß es meine Freunde und Freundinnen selber waren, die unter Vortritt eines Fahnenträgers mit angezündeten Spänen durch die Stube wallten, und mit sehr ernsthaften und frommen Gesichtern Glocken von der Weide trugen und mit leiser verschwimmender Stimme sangen:

Die Pinzgauer gingen in den Dom hinein,
Die Heiligen thun schlafen, sie konnten s’ nicht derschrein –

und den Refrain gestalteten sie parodirend:

Jetzt schaut fein daß ein jeder, jeder, jeder, jeder, jeder, jeder
 sein Madel bei sich hat, sein Madel bei sich hat –

Das hatt’ ich freilich nicht, dafür aber ein reines Bewußtseyn und den Stolz der Tugend. Darum sank ich mit einem leisen Seufzer wieder zurück in den Schlaf des Gerechten – es war ohnedem nicht mehr zu früh – und träumte fort und nahm nun auch noch das Wallfahrer Lied dazu, und wehende Fahnen und läutende Glocken die mich durch die ganze Christenheit über Land und See dahin begleiteten über der Runzeval – schiens mir – bis nach Compostella und zum Berge Sinai im steinigen Arabien, von wo es sehr weit ist ins Pinzgau und wo keine weise Gertl mehr die fremden Studenten durch ihre Sprödigkeit zu reizen weiß und keine Leipziger Musensöhne mehr ländlerisch tanzen und keine bayerischen mehr jodeln. Und in der Frühe mischte sich in den leisen Alpengesang der in das Morgenland mit mir gezogen war, auch der trillernde Baryton [583] des Regens, der von den Dächern lief und aus den Rinnen schoß und in breiten Bächen ins Pinzgau hinunter strömte. Ich hatte es schon ziemlich früh gemerkt, schon früh hatte ich auf meiner Pilgerfahrt im Traume immer den Regenschirm ausgespannt und allen Pinzgauern, die paarweise hinter mir drein wallten, zugerufen, sie sollten auch ihre Parapluies auseinanderthun, damit man trocken in den Orient käme und nicht die Kleider zu wechseln brauche, wo wegen des herrschenden Wassermangels die Wäsche so theuer sey. So rückte ich mit meiner Caravane immer tiefer gegen Aufgang und immer tiefer in den Tag hinein, der mir endlich auch noch die letzte Traumbinde von den Augen nahm und mir dafür eine andere vorlegte, nämlich graue, dicke Nebel, die sich dicht um uns herum gelagert hatten und so weich und wässrig anzusehen waren, wie unausgewundene Strümpfe. Ach, das plätscherte so sicher und so ruhig fort, fort und fort bis zum Mittag und wieder weiter bis zum Abend, daß wir den ganzen Tag keinen Schritt aus dem Hause thun konnten.

Ins Pinzgau verlegen nun sorgfältige Touristen gar gerne eine Liebschaft, und ein Regentag wie jener reicht wohl auch zuweilen hin um zu kommen, zu sehen und zu siegen, so daß es am Abende überflüssig ist, ein Trutzlied zu singen, wie:

Wenn d’ mi nit magst, geh’ i übern Tauern;
Hab’n a’ schöne Madeln die Kärthner Bauern.

Aber ich bin den ganzen Tag büßend auf meiner Stube gesessen und habe die Regentropfen gezählt, wie sie vom Hausdache fielen, während die Gefährten ihrer Laune nachgingen, und wenn wieder eine von den drei Huldinnen frischen Wein zutrug und frische Liebesworte sprach und das blöde Herz zu klopfen begann, wie Yoricks Staar, der in die Freiheit will, so sprach ich ihm Beschwörungen zu und bat es mit aufgehobenen Händen sich ruhig zu verhalten. Mit was wäre da nun viel zu prahlen, als mit einer milden Rede oder freundlichem Augenwinken, oder einem feinen Handschlag und dergleichen harmlosen Beigaben des menschlichen Verkehrs? Und wenn sich nun einer damit zierte und aus dem poetischen Farbenkasten [584] die ultramarinen Pinzgauer Augen und die rosenrothen Mündelein lebhaft malen und mit geringer Zuthat überhaupt etwas daraus machen wollte, so würde es Gertl, Rosi oder Annel im Boten von und für Pinzgau „berichtigen,“ wie man seit 1815 im Boten von und für Tirol alles berichtiget hat, was schwärmende Alpenfreunde von der Liebe in den Bergen erzählt, da es nicht erlaubt ist, die Herzen junger Hirtinnen anders zu nehmen, denn als ausgemordete Taubenkobel. Aber wenns nach dieser Seite fast schon zu viel wäre von Worten, Blicken und Handschlägen zu sprechen, so wäre es nach der andern wieder zu wenig. Da käme jener heißblutige Tiroler Erotiker daher voll aphrodisischen Jähzorns und würde wieder mit mänadischer Eloquenz uns anschreien: „Wir haben nichts gemein mit euch da draußen! Für uns gibt es keine Liebe ohne Genuß. Statt auf Flammentriebe und Sehnsuchtsgluthen, auf Kussesneigen, Brautgeflüster, Liebesfreuden weist ihr auf seichte Blicke und kaltes Händedrücken, statt auf die liebeskühnen Theotimen weist ihr auf die unentschiedenen Pinzgauerinnen, auf Traudel, Rosi, Annel – ja ihr wollt uns die Liebe lehren im nüchternsten, treulosesten Zuschnitt! Das charakterisirt euch hinlänglich, das scheidet uns von euch – wir wollen unsre Mädchen ungetheilt besitzen und können eurer Dienste leicht entbehren. Solche Art von Corruption ist uns noch ein Gräuel!“*)[7] So würde dieser alpenhafte Anakreon schreien und eine Denunciation daraus machen, daß man sich zu ordentlich aufgeführt.

Endlich am zweiten Tage nach unsrer Ankunft war das Wetter so beschaffen, daß wir wieder aus unsrer Arche unter den offenen Baldachin des Himmels treten durften, obgleich die Gardinen noch an manchem Tragbalken schwer und grau herunterhingen und die ganze Landschaft noch aussah wie eine zerschossene Fahne. Also an einem kühlen, von schüchternen Sonnenstrahlen nur versuchsweise beleckten Morgen, [585] traten wir ins Freie und gingen auf den Wasserfall zu. Wenig Gunst in der Beleuchtung und daher meinerseits große Beruhigung, daß die berühmte Cascade schon von andern, farbenreichern Beschauern ihren Theil erhalten hat und bereits zu verschiedenenmalen beschrieben und gemalt worden ist. Der Fall hat drei Absätze; davon ist der unterste der regelmäßigste, der mittlere in wilder Kluft gelegene, der kleinste, der oberste, weithinstäubende, der großartigste. Vom untern war uns am wenigsten vergönnt; das Titanische, das Elementare fühlten wir wohl in seiner Nähe, den eigens geschaffenen Wind, den Gußregen von Wasserperlen, die das wilde Wehen verträgt, und den betäubenden Donner des Sturzes; aber das Malerische wurde uns nicht ganz klar, denn da lag gerade oben, wo er aus dem bebuschten Felsenbette herauskam, eine dicke Wulst zusammengeschichteter Nebelwolken, so daß die Wassersäule unten nur herausfiel wie aus einem Mühlbeutel. Zur rechten Seite oben steht auch schon ein Pavillon, über dessen innere Geschichte uns das Mädchen, welches uns führte, manches Memoirenartige erzählte. Als wir davon wieder zurückgekommen waren, trennten wir uns, wir fünf Gesellen nämlich, die vorgestern zusammen in Zell aufgestanden und über die Gerlos gegangen waren und Abends in der Krimmel jene denkwürdige Abendunterhaltung veranstaltet hatten – da trennten wir uns, wie solche die sich schwerlich je wieder im Pinzgau zusammen finden werden, herzlich und mit wackerm Händeschütteln und die einen, die zwei Leipziger, zogen sachsenwärts und die zwei andern, die Bayern gingen mit mir auf das Pusterthal los, vielmehr auf sein hinterstes Winkelthal in Ahren, von dem uns jetzt nur noch der Krimmler Tauern schied, ein einziger Berg, aber ein Berg, dessen Jochhöhe fast 9000 Fuß über dem Meere liegt.

Wir stiegen also an dem donnernden Bache aufwärts, in einem engen Thale, über Felsbrocken und Gestrüppe. Dunkelgrüner Tannenwald stand zu beiden Seiten und nickte immer heiterer, denn seine Wipfel fingen an sich stätiger zu vergolden und durch seine Düfte schien immer gleißender das Sonnenlicht, je mehr wir von der Cascade uns entfernten [586] und je weniger Lust dahin zurückzukehren bei uns vorausgesetzt werden konnte. Und als wir oben standen und Wasserfall sammt Tannenwald hinter uns lag, und alle Mühseligkeiten eines steil aufsteigenden Felsenwegs überwunden waren, als sich die Landschaft in eine spiegelebene Au öffnete, da war auch an sämmtlichem Himmel alles Gewölk und aller Nebel verschwunden – alles rings herum, der Krimmelbach, der so ruhig durch das stille Hochthal floß, die thauigen Wiesen, die fernen Sennhütten mit den kleinen Fensterlein, die nebelfeuchten Schrofen und weit vor uns die weißen Tauern, all das schimmerte voll unbeschreiblicher Zierlichkeit im Licht der Morgensonne, das war alles so heiter und hell und nur wir selbst fühlten im Busen einige Reue und Trübsal, daß wir unten im Pinzgau nicht eine Stunde länger geschlafen oder bis in den entschiedenen Sonnenschein hinein gefrühstückt hatten. Nun war’s aber zu spät; wenigstens wollte keiner der Wanderer sich aus der friedlichen Idylle wieder in die geräuschvolle Aufregung unterhalb des Wasserfalls zurück begeben.

Also setzten wir unser Lustwandeln ruhig fort, nur mit der Unterbrechung, daß einer von uns an einer sanften Biegung des Krimmelbaches, wo sich eine Tiefe gebildet hatte, schnell seine Kleider abwarf und in den Bach sprang. Ich war’s gewiß nicht – denn seit ich in den lauen Gewässern der ruhmreichen Salamis geschwommen, schaudert mir vor der Kälte unberühmter Gletscherbäche. Desto mehr konnte ich aber den Heroismus des Gefährten bewundern, der um der Erinnerung willen, die eisige Kälte der Krimmlerache ruhig hinnahm. Die Folgen waren indessen nicht einladend für die Nachgänger. Zwar wendete ein guter Gott es ab, daß der Bach für den erhitzten Tauernfahrer zum Saleph wurde, aber ein fieberhaftes Zittern blieb noch mehrere Stunden lang zurück und verlor sich erst im Schweiße, den uns die letzte Jochhöhe auftrieb.

Nach diesem gingen wir wieder rüstig weiter, das liebliche Hochthal entlang, in dem sich die Ache herunterschlängelte, während von den Seiten Wasserfälle in Unzahl zu Thale [587] stürzten. Manche Sennhütten blieben unbesucht, weil sie nicht am Wege standen, aber im vordern Tauernhause wurde eingekehrt. Dieß ist eine jener Herbergen, welche für die Pilger, die über die Tauernpässe ziehen, Unterkunft und schmale Vorräthe wenig leckerer Nahrungsmittel bereit halten. Es waltete in dieser Stiftung eine schöne Tauernhäuserin, die uns mit jener lächelnden Güte aufnahm, mit welcher die Mädchen in solcher Meereshöhe frischen Bergsteigern entgegenzukommen pflegen, zumal wenn sie, die Mädchen, nicht aus dem Stubei, sondern aus dem Pinzgau sind. In der getäfelten Stube ward Wein, Brod und Käse aufgesetzt und um die Wanderer ihrer wegemüden Füße vergessen zu machen, sang das Tauernmädchen mit ihrem jüngern Bruder, den sie herbeigerufen, auch etliche Lieder, die nur zu gut klangen. Wir hätten uns eigentlich in dem Tauernhause alle drei recht wohl gefallen und die Einladungen dazubleiben, den Nachmittag, den Abend, die Nacht, waren fast schwer von der Hand zu weisen; aber wenn wir zu dem kleinen Schubfensterchen hinaussahen und bemerkten, wie des Tages Helle allmählich wieder in den Nebeln unterzugehen drohte, die da und dort an den Halden aufstiegen, aus andern Revieren herüberstrichen, an den Hörnern im Hintergrunde sich sammelten; wenn wir bedachten, wie es denn doch nicht mit Ehren angehe, den ganzen Tag bei der schönen Tauernhäuserin zu versitzen, wie es endlich, so der Tauern heute noch überschritten werden sollte, die höchste Zeit sey, um das Joch zu erreichen, ehe das Unwetter, dessen erste Vorboten sich in den Lüften ergingen, das Fortschreiten unmöglich mache – wenn wir allen diesen Wahrnehmungen und Vernunftgründen ihr gebührendes Gewicht belassen wollten, so mußten wir uns entschließen, mit kurzem Händedruck die kurze Bekanntschaft wieder abzubrechen und unsrer Mission zu folgen. So griffen wir also wieder nach den langen Bergstöcken und schritten über die Wiesen weiter dem zweiten Tauernhause zu.

Hier drohten aber dieselben höchstbedenklichen blauen Augen und rothen Lippen, nur daß sie der innern Tauernhäuserin angehörten, welche von der äußern eine gute Stunde entfernt [588] war, und daß jetzt, da wir eine Sirene schon glücklich umschifft, Widerstandskraft und Selbstvertrauen gewachsen waren. So gewappnet standen wir unter dem bescheidenen Dache der Herberge. Unser Benehmen war voll sinnigen Ernstes – die feurigen Augen, der verwegene Blick, die leichten, scherzenden Reden, die volle Brust und die schwellenden Hüften – sie bethörten uns nicht. – Wir wollten nur fragen, ob es leicht sey, irre zu gehen, und ob es nothwendig, einen Führer mitzunehmen, und als wir gehört, daß ersteres nicht leicht und letzteres nicht nöthig sey, lösten wir uns wieder selbdritt nach einem Bhü’ Gott voll Entsagung aus dem Bann dieser tauriscischen Augen.

Das innere Tauernhaus ist eines der letzten Gebäude in dem schmalen Langthale, das man von der Höhe des Achenfalles bis in die Wildniß kahlen Hochgebirges hinein in drei Stunden durchziehen kann. In seinen hintersten Gründen geht es noch einmal gabelförmig aus einander; die eine Zinke läßt sich auf ebenen Pfaden verfolgen bis auf den nahe liegenden Ferner, rechter Hand dagegen steht eine waldige Halde auf, über welche ein Wasserfall herunter stürzt. Diesem zur Seite klimmt man mühselig empor und nachdem man um ein paar Kirchthürme höher hinaufgekommen, öffnet sich ein unbedeutendes Zuthälchen, von einem lauten Bächlein durchströmt, mit abgefallenen Blöcken reichlich durchsäet. Zu beiden Seiten ziehen kahle Höhen hin – hinten thürmt sich der Tauern auf, aber über diesem lagen die Nebel. So lieb es uns war, dem Bereiche jener Augen entrückt zu seyn, so fanden wir’s doch hier oben sehr öde, sehr trübe und eben deßwegen fast unheimlich, zumal da sich jetzt in kurzer Zeit die Nebel weit herabgelassen hatten, den Eingang des Thales schlossen und uns selbst mitunter fast auf die Hüte drückten. Einen Schweinetreiber, der über dem Bache seine Heerde vom Tauern herabführte und den wir um sein Befinden fragen wollten, konnten wir nicht erschreien, weil das Wasser zu laut dazwischen sprach und durch das wilde Wirrsal von Felsblöcken so leicht nicht hinüber zu klettern war. Was wir auch thaten, wir konnten uns nicht bemerklich machen. [589] Er zog ruhig fort und kümmerte sich um nichts – nicht um uns und nicht um seine Schweine, welche in wunderlicher, seltsamer Anordnung und Regelmäßigkeit über den schmalen Steg dahin trollten. Dieser Umstand vermehrte unser Grauen, das auch nicht kleiner wurde, als er sammt seinen Angehörigen so plötzlich im Nebel verschwand, daß wir ihn auf übernatürliche Weise hinweggenommen glaubten.

Um uns zu zerstreuen, fingen wir an von Alpenrosen zu sprechen. Die beiden Gefährten, das erstemal im Hochgebirge, hatten diese gefeierte Blume noch nie erblickt, denn in den tiefern Gegenden ist sie um diese Zeit schon verblüht. Wir sahen zwar ihre Hecken zwischen Legföhren aufsprießend, aber überall schon die Samenkapseln ausgebildet. Die krüppelhaften, Legföhren, wie sie so demüthig auf dem Boden herumkrochen, gaben uns unterdessen Anlaß zu einstweiligen Betrachtungen – zum Beispiel wie an den Thronstufen dieser Tauern, dieser wilden Despoten, kein charaktervoller Baum mehr aufkommen könne, während unten in dem Waldvolk der mittelständigen Thäler sich die trefflichsten und brauchbarsten Individualitäten ausbilden, wie selbst noch unter dem Janhagel der Ebene die stolze Agitatorengestalt der Eiche sich erhebe – oder – wem dieß nicht gefällt – wie ein anständiger Druck der Verhältnisse dem Menschen wie dem Baume so viel nicht schade, sintemal die starken Fichten oft auf sausenden Bergecken, in schlechtem Grunde gewurzelt und selten mit Veilchenduft umräuchert, daferne nur auch die liebe Wärme des Sommers zu ihnen durchdringt, am schönsten, kräftigsten und höchsten erwachsen – wie dagegen, wenn Sturm und Schnee und Eis den Menschen von Geburt an beständig bedrängen und nie der beseligende Hauch einer linden Maienzeit dazutritt, nothwendig eine Art von Legföhre daraus werden müsse – oder – wer noch etwas harmloseres will – wie die Rose der Schönheit eigentlich doch die Tugend und Würdigkeit in andern so selten zu schätzen wisse, und nun auch diese Alpenrosen sich geduldig von den verächtlichen, aber verliebten Knorrenarmen der Legföhren umhalsen lassen, statt sich um den edlen obwohl weniger sentimentalen Stamm der Eiche zu [590] legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden – denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb’ ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte – eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet:

Warum so spät erst, Georgine?
Das Rosenmärchen ist erzählt
Und honigsatt hat sich die Biene
Das Bett zum Schlummer schon gewählt.

Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte?
Wie lebst Du diese Tage hin?
Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte,
Du feuergelbe Träumerin!

Wenn ich mit Maithau dich benetzte!
Gar mild ist Julis-Sonnenlicht;
Doch ach, dann warst Du nicht die letzte,
Die stolze Einzige auch nicht!

[591]

Wie Träumerin! lock ich vergebens?
So reich’ mir schwesterlich die Hand;
Ich hab’ den Frühling dieses Lebens
Wie du den Maitag, nicht gekannt.

Und spät wie Dir, Du Feuergelbe!
Stahl sich die Liebe mir ins Herz;
Ob spät, ob früh, es ist dasselbe
Entzücken und derselbe Schmerz.

Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste – die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause! [592] und dann eine andre erläuternde: Und bei der Tauernhäuserin! und eine dritte, welche aposiopetisch sagte: Ja, wäre ich nur allein gewesen! – da kam uns dreien bei allem Elend ein Lachen an.

Um indessen den Leib nicht sinken zu lassen, da der Geist immerhin Mühe hatte, sich aufrecht zu erhalten, so wurden die Reisetaschen geöffnet und verschiedene Nahrungsmittel herausgezogen, nämlich Brod und Käse, Schweinsrippchen, Kalbsbraten, was wir alles in der gastlichen Herberge auf der Krimmel mitgenommen hatten. Diese Stärkungen zogen unsre Augen wieder etwas ab von dem grausen Wetterwirbel um uns her, und als wir alles verzehrt hatten, hatte auch der Hagel nachgelassen und die Nebel zogen wieder ruhiger ihre Wege. So brachten wir also, um unsern unerschütterten Muth zu bezeigen, ein lautes Hurrah aus und stiegen in die Höhe.

Vor uns lag ein steiler Bergabhang, ohne Gras und Kraut, grau und öde, mit Felsgerölle und großen Blöcken bedeckt, zwischen denen der Pfad nur selten kennbar ausgetreten war. Im Anfange gingen wir der Richtung des Armes nach und bemerkten mit Freuden, wie sich aus dem Nebel allmählich das zweite Wahrzeichen herausklärte. Bis zu diesem hatten wir fünf Minuten gebraucht; auch die übrigen, deren es etwa ein Duzend sind, standen ungefähr gleich weit auseinander. Manchmal verzogen sich die Nebel so, daß wir von der einen Etappe gleich auf die andere sehen konnten; manchmal blieben wir im Zweifel, bis wir dicht vor ihr standen. Endlich als wir etwa eine Stunde rastlos gestiegen waren und alle eine Ahnung befiel, daß das Joch nicht mehr ferne seyn könne, zeigte sich noch ein Schneefeld zwischen finstere Wände eng eingeklemmt, steil aussteigend, allerwege etwas bedenklich. Die Luft war wieder ganz trübe geworden, die Nebel senkten sich in den schwarzen Krater, den wir jetzt betreten hatten, so dick und nächtlich herein, daß wir auch das Ende der weißen, gespenstigen Fläche nicht absehen konnten. Das Gestein ringsherum war auch so schrecklich, so wild und zackig, und wenn einer auf dem Schneefelde ausglitschte und [593] herunterrutschte, so schien er todt seyn zu müssen. Nun fing’s auch in dicken Flocken zu schneien an.

Wir stärkten uns wieder durch lauten Zuruf, stießen die Bergstöcke ein, schoben uns guten Muthes über die ganze Bedenklichkeit hinauf und freuten uns, als sie überwunden war. Hagel und Schnee hatten indessen die unbequemste Nässe herbeigeführt; alle Felsplatten tropften, in allen Rinnen floß es, jeder Tritt auf dem schlüpfrigen Boden wurde unsicher, die Schuhe füllten sich mit Wasser. Endlich noch eine neue Beschwerde: das Schneien hörte nämlich um diese Zeit auf und es trat dafür ein tüchtiger Regen ein, dergestalt, daß es im ganzen Gebirge zu patschen anhob. Solch’ ein Gießen hätte den ruhigsten Zeitungsleser, der tief unten in den deutschen Städten am Kaffeehausofen sitzt, verdrießlich angeregt – wie mußt’ es erst uns zu Herzen gehen, die wir fast 9000 Fuß über dem Meere kletterten, fern von allen Dächern, fern von allen Oefen und, was wir dazumal am leichtesten vermißten, noch ferner von allen Zeitungen!

Als wir von dem Schneefelde noch etwas aufwärts gekommen, tauchten aus Nebelgewölke Jesus, Maria und der heilige Johannes auf; Jesus am Kreuze hängend, Maria und Johannes ihm zur Seiten, alle drei aus Holz geschnitten und dorthin gestellt als Wahrzeichen des Joches. So waren wir also auf der Wasserscheide, auf der Höhe des Krimlertauern, hinter uns Salzburg, das Erzstift, vor uns Tirol, die Grafschaft, um uns das scheußlichste Wetter. Wie an dem Posthause auf dem Brenner die eine Dachrinne ihr Wasser ins schwarze, die andre das ihrige ins adriatische Meer versendet, so war’s jetzt auch mit der Traufe von unsern Hüten – schüttelten wir den Kopf südwärts, so rann das Gewässer in den Ahrenbach und mit diesem in die Rienz und mit dieser in die Etsch und kam dann in die Lagunen von Venedig, neigten wir aber das Haupt gegen Norden, so floß das Bächlein, das aus der Hutkrempe herabstürzte, in die Krimlerache und mit dieser in die Salzach und dann in die Donau und vereinigte sich zuletzt mit dem Pontus Euxinus. Dieses Gedankenspiel gewährte indessen wenig Trost in unsern [594] Nöthen. Mehr Herzensstärkung hätten wir vielleicht davon gehabt, wenn uns eingefallen wäre, wie einst Herzog Rudolph von Oesterreich, jünger als wir alle, kaum von einer Krankheit genesen, mitten im Winter über den Krimlertauern gestiegen, immer in rüstiger Eile, damit nicht die Vettern aus Bayern ihm zuvorkämen. Mit Händen und Füßen kletternd soll er auf dem Joch des Berges angekommen seyn. Wohl mag es ihn auch mitten im Winter erfreut haben, den Blick in die Grafschaft hinunter zu werfen, die ein halbes Jahrtausend bei seinem Hause geblieben ist. An Sanct Polycarpen Tag, am 26 Jänner 1363, war er in Bozen, wo Margaretha „mit fürsichtigem Rathe“ der Landesherren die Grafschaften Tirol und Görz den Herzogen von Oesterreich feierlich verschrieb.

Also in den Fußstapfen des ritterlichen Habsburgers stiegen wir von der Höhe hinab, so schnell als der rauhe Weg es erlaubte. Daß wir nun über den Tauern gekommen, ohne seiner recht ansichtig zu werden, daß wir noch immer in den Wolken dahin steigen mußten, kränkte uns weniger, als daß der Nebel alle Aussicht gegenüber benahm und daß wir die prächtige Fernerwelt um die ungeheure Dreiherrnspitze, die dort liegen mußte, nur ahnen konnten, aber nicht erschauen. Zuweilen ging allerdings ein Riß durch die nächsten Nebelschichten und man sah dann auf entferntere, durch welche ein weißes Gleißen, ein silbernes Leuchten der Gletscher schimmerte – aber das war auch alles. Selbst an dem Herzogsbrunnen, der zwischen der Taucrnhöhe und der ersten Alpenhütte liegt, kamen wir vorbei, ohne ihn zu gewahren, also auch ohne sein köstliches Wasser zu versuchen. Er hat den Namen noch von jenem Winter her, wo Herzog Rudolph seinen Durst allhier gelöscht.

Lange Zeit sprangen wir nun durch eitel Wildniß, über wüste Berghänge, über graue, nasse Felsblöcke, zuweilen auch an einem Wegweiser vorbei, welche indeß auf dieser Seite weniger nothwendig, da der Pfad zumeist eingefriedigt und gebahnt ist. Endlich sahen wir ein paar Sennhütten im Gewölke dämmern, hofften uns bald rings um den Käsekessel [595] am prasselnden Herde niederlassen zu können, fanden da jedoch kein Feuer, wohl aber zwei Sennen, die sich durch unsern höchst erbärmlichen Zustand keineswegs rühren ließen, sondern vielmehr deutlich zu erkennen gaben, daß ihnen nasse Tauernfahrer etwas ganz Alltägliches geworden. Von den Sennhütten setzten wir noch über ein paar steile, aber grüne, umbuschte Abhänge, und gelangten zu einem größern Haufen von Hütten, wo wir ein Wirthshaus zu treffen vermeinten. Daß auch dieses eine Täuschung, betrübte uns etwas, denn die Knie drohten einzubrechen. Nichtsdestoweniger rafften wir noch die letzte Kraft zusammen und schleppten uns vom stattlichsten Regen begleitet zu einer andern kleinen Sammlung von Bauernhäusern. Unter diesen stand eine Herberge, auf deren Schwelle wir den Fuß mit jenem Gefühle setzten, welches den beseelt, der nach einer Sturmnacht auf hohem Meere den Tritt aus dem Nachen ans Land setzt.

Was wir nun alles thaten, um uns trocken und reinlich zu machen, sey dem Leser verschwiegen, nicht aber daß die Wirthsleute liebreich beisprangen, um unsere Leiden zu beendigen. Das Feuer, welches im großen Stubenofen angezündet wurde, gab allerdings noch lange keine Wärme, aber dafür prasselte es bald lichterloh in der Küche. Um diese beseligenden Flammen uns zu setzen, holten wir Stühle herbei und stellten sie auf den Herd. Darnach ließen wir uns nieder, griffen nach den Humpen und tranken auf die Tauernfahrt und unsere Gesundheit.

Erinnert ihr euch, so ihr einmal einen oder zwei Romane gelesen, an die schreckhaften Bravos, die dem unglücklichen Opfer überall nachschleichen, ihm auf dem Rialto zu Venedig, auf dem Strande zu Neapel, auf den Wällen von Rhodos bei Tag oder Nacht begegnen und ihm zuraunen: Kennst du mich, Antonio? Der Vergleich mag nicht sehr zart seyn, aber mir kam es gleichwohl so vor – mir kam es vor wie eine hartnäckige Nachstellung, wie ein neues Stück einer alten höchst gefährlichen Intrigue, als ich plötzlich mein Auge auf unsern Jüngsten richtete und wahrnahm, daß eine blühende Pinzgauerin, von hinten hergeschlichen, den einen Arm auf [596] seine Knie legte und mit der andern Hand langsam durch seine Locken fahrend in süßem Klang die Worte lispelte: Ach, wie seyd ihr so naß geworden, lieber Herr! dazu drehte sie ihr Gesicht, das erröthende, vom Feuerschein geröthete, gegen das seinige, das tiefgefärbte, und ihre funkelnden Augen versenkten sich in die seinigen, die blitzenden. Unmächtig der schmeichelnden Gewalt zu wehren, schlang er seinen Arm um ihren Hals und küßte sie. Wir beiden Alten lächelten, wohl wissend, daß seine Kraft nicht erliegen würde. Aber diese Pinzgauerinnen! Zu was könnten sie den harmlosen, vertrauenden Pilger nicht verleiten, die nordisch frischen Gestalten mit dem südlich heißen Blut! Und wie unschuldig gab sie sich, die schmiegsame Maid, die gar nichts wollte und begehrte, als den andern „gern haben.“ Wir warteten die Ereignisse neidlos ab und als nun unser Jüngster die prüfende Hand an den vollen Arm des Mädchens legte, waren wir Zeugen ihrer ruhig ergebenen Anstelligkeit zu jenen minniglichen Zärtlichkeiten, welche die Jugend sich so gerne gestattet, und aus den lachenden Augen schien’s zu leuchten, wie ein Freibrief für alles, was da noch kommen könnte. Es war sehr störend, daß die Wirthin auf einmal in die Küche fiel und diese anziehenden Beobachtungen mit der Bitte unterbrach, wir möchten essen gehen – der Braten, für dessen schnelle Bereitung wir so sehr geeifert, stehe auf dem Tische.

Da war das Liebesspiel zu Ende – wir saßen in der Zechstube zur Tafel und erquickten uns an dem besten Gstraünenen, das die Prettau zu bieten hatte. Für ein Dörflein, das eine Tagreise von der Heerstraße, am Fuß der Tauern liegt, war die Bewirthung nur zu loben. Als wir fertig waren, fragte unser Jüngster leise nach seinem Mädchen und erfuhr, daß sie die Wirthin unterdessen zu Bette gebracht; „sie müsse früh aufstehen, um über den Tauern heimzugehen.“ Das schien uns ebenso abgeschmackt als weise. Nach einigen Reden Für und Wider gingen wir zur Ruhe, um den Tauern auszuschlafen.

Andern Tages in der Morgendämmerung beriethen wir uns über die Fortsetzung der Reise. Die beiden Gefährten, [597] von der Zeit gedrängt, bestanden darauf, am Abende in Brunecken einzuziehen, wohin wir etwa zwölf Stunden zu gehen hatten. Wir mußten also wirthschaften mit der Zeit und durften weder das nicht sehr entfernte alte Heiliggeist-Kirchlein besuchen, um dort den gothischen Flügelaltar mit noch lebhaften Gemälden zu besehen, noch konnten wir in die berühmten Kupfergruben am nahe gelegenen Rettenbach einfahren. Diese sind nach denen zu Kitzbühel, welche dem Aerar zustehen, die bedeutendsten ihrer Art in Tirol und gehören den Grafen von Tannenberg und den Freiherren von Sternbach.

Wir zogen also, ohne uns um all dieß zu kümmern, bei trübem Wetter aus dem Dorfe, und gingen immer rüstigen Schrittes mit sparsamen Unterbrechungen durch die Prettau, durch Ahren und durch Taufers – drei Bezeichnungen für verschiedene aufeinander folgende Reviere ein und desselben Thalgeländes – an vielen Häusern, Kirchen, Dörfern, an vieler Landschaft vorbei und kamen bei Sonnenuntergang in Brunecken an.

Bei solcher Schnelligkeit des Marsches wäre es unanständig, von der durchwanderten Gegend viel wissen zu wollen. Wir fassen uns daher kurz und bemerken zuvörderst, daß das Ahrenthal, obgleich 3–4000 Fuß über dem Meere, bis in seinen hintersten Winkel, bis in die Prettau und bis Kasern fleißig bebaut ist, wie denn am letztgenannten Orte noch geräumige Krautfelder stehen und luftige Mohnfeldchen für die Krapfen. Uebrigens zeigt sich die Thalsohle überall sehr schmal und an manchen Stellen schrumpft sie sogar zu einer waldigen Kluft zusammen. Abgesehen von diesen Schluchten ist das Thal sehr gut bewohnt und es steht fast ein Haus am andern. Die Gebäude sind mehrentheils von Holz, aber im Kern der größern Dörfer finden sich auch achtbare, steinerne Wohnsitze. Die Gotteshäuser stehen zumeist noch in jungem Alter, doch ist die betagte Kirche bei St. Martin ein niedliches Stückchen gothischer Arbeit. Eine besondere Schönheit des Thales ist es, daß sich zur rechten Hand fast jede [598] halbe Stunde ein neues Seitenthälchen öffnet, aus dem die Gletscher des Zillerthales ungeheuer groß hereinlugen.

Bei Arzbach, unterhalb St. Johann, steht die zum Bergwerk in der Prettau gehörige Kupferschmelze, ein Haufen von schwarzbraunen Scheunen, in denen sich viele rußige Menschen herumtreiben. Wir vertieften uns einigermaßen in die höllischen Räume, die den Hochofen umgeben, und warteten zu, bis ein Anstich erfolgen würde. Unterdessen führte uns ein Arbeiter in die Höhe vor die Mündung des Ofens, wo die Kohlen eingeworfen werden. Dort schlägt das rothe Feuer in fürchterlichen Zungen gegen den Rauchfang auf, eben so grauenvoll schön anzuschauen, als schwer zu betrachten, wegen der übertriebenen Hitze. Wieder hinuntergeführt stellten wir uns vor den Ofen, und alsbald näherte sich ein andrer schwarzer Kobold, that mit einer eisernen Stange etliche kräftige Stöße an den Spund des Ofens und unverzüglich quoll ein feuriges Brünnlein heraus, das seine kupferigen Fluten in die kleinen Rinnen ergoß, welche ihm gegraben waren. Diese führten in größere Gruben, wo sich der glühende Strom zur Ruhe setzte.

Das Schloß zu Taufers ist eine herrliche Ruine, liegt zwischen hohen Bergen auf einem jähen Bühel und blickt gebieterisch herunter in das Thal. Weitläufiges Gemäuer kriecht an dem Felsen auf und ab; daraus ragt ein mächtiger Hauptthurm, unter dem das Schloßthor sich aufthut. Mehrere andere runde Thürme stehen an den Ecken umher. Aus ein paar Fenstern winkten Blumen – immer ein freundlicher Anblick, weil ein Zeichen, daß in den schauerlichen Räumen neben den Eulen auch noch Menschen sich aufzuhalten wagen. Als Alterthum wird die kleine Schloßcapelle gerühmt.

Die Herren von Tuvers, die im zwölften Jahrhundert zum erstenmale genannt werden, sind zu großer Macht und hohem Ansehen gekommen, aber schon 1340 ausgestorben. Darnach fiel die Herrschaft an die Grafen von Tirol, die sie im Laufe der Jahrhunderte bald zu Lehen bald als Pfand in verschiedene Hände gaben. Zuletzt sind die Güter den Grafen [599] von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich.

Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt:

Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen!
Neugierig streckt die Föhre sich empor,
Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen –
O sag mir auch ein Märchen in das Ohr.

Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten
Auf deinen grasbewachs’nen Boden hier
Gefallen seyn! – Wie deine Männer fochten,
Wie deine Frauen liebten, sage mir.

Du schweigst? – So träume fort, wir gehen weiter –
Von deinen Mauern pflück’ ich mir den Strauß;
Denn die Natur ist ewig jung und heiter
Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus.

Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen.

Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte. [600] Namentlich scheinen die Kirche zu Gais und das Schloß zu Kehlburg recht sehenswerth zu seyn.

Brunecken ist ganz und gar, was man in Tirol ein feines Oertl nennt, eine nette, reinliche, obwohl kleine Stadt, bewohnt von liebenswürdigen, frohen Leuten, gelegen in einer schönen Landschaft, die zwar nicht den mannichfaltigen Reichthum etschländischer Südfrüchte, aber doch alles hervorbringt und billig liefert, was ein unverzogenes deutsches Menschenkind zu anständigem Leben bedarf. Die pusterthalische Landstraße, welche von Brixen nach Klagenfurt führt, zieht außen um die Stadt herum, eingefaßt von hübschen Häusern, die ihr zu Liebe die Rückseite zur Vorderseite gemacht und auf das Manierlichste herausgeziert haben. Eine Pappelallee, die hier auf der Stelle des ehemaligen Stadtgrabens gepflanzt worden ist, ladet die Bewohner des Abends zu angenehmem Lustwandeln ein. Ein großes Verdienst um die Reinlichkeit und die Eleganz, die jetzt den Reisenden an dem Städtchen so gefällt, ist der regsamen Verwaltung des Herrn Gubernialraths von Kern beizulegen, der eine lange Reihe von Jahren hindurch in dieser Capitale des Pusterthales als Kreishauptmann seinen Sitz hatte. Freilich ist das, was die Hauptstadt an Bequemlichkeit und feinerem Aussehen durch seine Anregung gewonnen hat, nicht in Vergleich zu stellen gegen die vielen weisen Anordnungen und Einrichtungen, die der ganze Kreis dem edlen Eifer des geistvollen Mannes verdankt. – Seit vier Jahren ist an seine Stelle der Gubernialrath Dr. Staffler getreten, derselbe fleißige Sammler und Schilderer, welcher seit dem Jahre 1839 jenes statistisch-topographische Werk über Tirol und Vorarlberg herausgibt, das wir so oft Veranlassung gefunden als unsre Quelle aufzuführen, und noch öfter benützt als genannt haben. Herr Gubernialrath Staffler ist ein freundlicher, milder Mann, umgänglich und offen, wie es tirolische Geschäftsmänner meistens sind. Obgleich stark beschäftigt in seinem Amte weiß er doch mit unermüdeter Ausdauer den Fortgang seines Werkes zu sichern und hat bisher ungefähr alle zwei Jahre einen nicht sehr schmächtigen Band erscheinen lassen. [601] Freilich wird sich nach diesem Maßstabe seine Arbeit wohl erst im nächsten Decennium als geschlossen darstellen, indessen wer die Mühsal bedenkt, der kann auch die Zeit nicht zu weit gemessen finden.

Von den Merkwürdigkeiten dieser Stadt wollen wir keine nennen als die Bildersammlung des Herrn Johann von Vintler, der einem der ältesten Geschlechter des Landes entsprossen ist und die Fremden mit tirolischer Zuvorkommenheit aufnimmt. Man sieht bei ihm manches gute altdeutsche Stück, und zumal wird jeder mit Freuden das Conterfei Herrn Georgen von Frundsberg betrachten, des tapfern Feldobristen, der mit seinen tirolischen Landsknechten so viel auf Schlachtfeldern zu thun gehabt und seinem Vaterlande wie sich selbst nur Ruhm und Ehre gemacht. Auch besitzt Herr von Vintler eine alte Reimchronik, die mit Erschaffung der Welt beginnt und bis auf Kaiser Friedrich den Zweiten fortläuft. Sie ist laut der Nachschrift gefertigt von Heinz Sentlinger von München, an der Etsch auf dem Rungelstein bei seinem Herrn, Niclas dem Vintler, und vollendet in dem Monat Junius am dreizehnten Tag des Jahres 1394. Es ist ein sehr gut erhaltener, sehr lesbarer, schön geschriebener pergamentner Codex in Großfolio. Anfangs wird gesagt, daß Landgraf Heinrich von Thüringen den Dichter aufgefordert habe, dieses Werk aus Latein ins Deutsche zu dichten, und ebenda findet sich die Erwähnung Gottfrieds von Viterbo als des ersten Verfassers. Darnach wäre der deutsche Bearbeiter jener Doppelgänger des Herrn Rudolf von Ems, von welchem Franz Pfeiffer in der Vorrede zu Barlaam und Josaphat handelt,*)[8] ein unbekannter Dichter, der gleich diesem Ritter eine Weltchronik verfaßt. Jedenfalls ist Heinz Sentlinger nur ein Fortsetzer. Die Handschrift blieb seit Herrn Niclas des Vintlers Zeiten immer in den Händen seiner Familie. Dieser Herr Nicolaus aber ist derselbe, welchem die Anschaffung der Malereien in dem Schlosse zu Rungelstein bei Bozen zugeschrieben wird, ein kunstsinniger und mit den Wissenschaften vertrauter [602] Edelmann. Ueberdieß war er reich an Vesten und Besitzthümern, die aber in den Händeln, welche Herzog Friedrich und der Tiroler Adel mit einander auszumachen hatten, zum größten Theil verloren gingen. Diese Einbuße konnten weder er noch seine Nachkommen wieder hereinbringen.

Das Brunecker Schloß, mit gelblichen Mauern, rothen Dächern und ragendem Thurme sitzt wie ein zierliches Krönlein auf dem Hügel, der gleich hinter der Stadt ersteht. Der Gang hinauf ist ein angenehmer Lustpfad und oben überrascht eine prachtvolle Aussicht auf eine Gegend, die zu den schönsten des Landes zählt. Wenn man den Schloßthurm besteigt, so kann man unterwegs in der Wohnung des Gerichtsdieners das lebensgroße Oelbild einer Bauersfrau betrachten, die zu ihrer Zeit im Pusterthale einen großen Namen hatte. Es ist ein rüstiges, tiefgebräuntes, kerlhaftes Weibsbild mit der Büchse auf der Schulter und dem Bandelier, an welchem die Pulverfläschchen hängen von der Achsel zur Hüfte, also eine Kriegerin. Nach Aussage der Umstehenden soll dieselbe in den neunziger Jahren mit dem Tauferer Landsturm gegen die Franzosen ausgezogen seyn. Zuerst von den Auszügern zurückgewiesen, sey sie endlich als Waffenbruder nur aufgenommen worden, nachdem sie den stärksten Mann der Fahne niedergerungen. Kleidung, Bewaffnung und Malerei sind indessen ein gutes Jahrhundert alt und lassen wenigstens die Zeitangabe als Anachronismus erscheinen. Es ist daher wahrscheinlicher, daß die wilde Männin ihren Kriegszug im „bayerischen Rummel" (1703) unternommen hat. Wie dem auch sey, ihr Bildniß scheint dafür zu bürgen, daß sie einmal lebte, und so ist ihr Gedächtniß wohl fester gesichert, als das ihrer jüngern Landsmännin, des heldenmüthigen Mädchens von Spinges über Mühlbach, das im Jahre 1797, als die Franzosen dieses Bergdorf stürmten, mitten unter den kämpfenden Landleuten auf der Kirchhofmauer gestanden und mit einer Heugabel Wunder der Tapferkeit verübt haben soll. So ist wenigstens lange Zeit hindurch erzählt und geschrieben worden, jetzt aber, da gar keine Nachforschungen herausbrachten, wer das Mädchen gewesen, wie sie geheißen, wo sie her, wo sie hin gekommen, [603] jetzt sind die Meisten der Ansicht, daß die ganze Geschichte lediglich eine im Pulverdampf entstandene Mähr, das Madel von Spinges ein schöner Mythus sey. – Ferner hängen in derselben Stube etliche Tafeln, welche die europäischen Trachten in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts darstellen. Sie sind aus der Versteigerung eines Herrn von Söll auf Teißegg erworben worden und geben, obwohl die Malerei sehr kunstlos, als Modejournal der damaligen Zeit viel anschauliche Belehrung.

Die Gegend von Brunecken bewahrt noch manches Andenken an die alten bojoarischen Herzoge. Es ist wenigstens mehr als wahrscheinlich, daß die Namen Dietenheim, Tesselberg, Uttenheim (villa Uttonis) mit den agilolfingischen Namen Theodo, Thassilo, Utto zusammenhängen. Auch in dem Namen Pfalzen, welcher einem auf naher Berghöhe gelegenen Dörfchen angehört, sieht man die Erinnerung an eine uralte Hofburg festgehalten. Pusterthal, das einen so gemächlichen Uebergang aus Noricum ins Herz der rhätischen Alpen darbot, war übrigens schon von den Römern mit einer Straße bedacht worden, und von ihren Niederlassungen geben die zahlreichen Alterthümer Zeugniß, die man hier aufgefunden. Denselben Weg, den die Römer gebahnt, verfolgten am Ende des sechsten Jahrhundert die Slaven und fielen verwüstend über das Thal Pustrissa her. In einer großen Schlacht auf dem Toblacher Felde (609) besiegte ein Bojoarenherzog die Andränger, und seitdem scheint für lange Zeit der Anraserbach, vier Stunden oberhalb Lienz, die Gränze der slavischen Bevölkerung gewesen zu seyn. Die Nähe des Feindes mag die bedrohten Fürsten oft in diese Gegend gezogen haben, und die freundliche, offene Gegend von Brunecken lud vielleicht zu längerem Verweilen ein – daher jene monumentalen Namen. Später, im Mittelalter, zeigt sich die Umgebung mit zahlreichem Adel besetzt und noch zur Zeit prangen alle die Dörfer der Nachbarschaft mit Schlössern und Edelsitzen. Außerdem steht noch eine Anzahl älterer Burgen auf einsamen Hügeln da und dort im Gau.

Lange nachdem Kehlburg, Lamprechtsburg, Michaelsburg [604] und Sonnenburg gegründet waren, erbaute Bischof Bruno von Brixen um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts das Schloß und die Stadt Brunecken. Die Bischöfe besaßen im Umkreise viele Güter und mochten daher gerne eine verlässige Veste haben zu eigenem Aufenthalte. Den Cardinal von Cusa konnten ihre Mauern aber gleichwohl nicht schützen, sondern als das Kriegsvolk Herzog Sigmunds, mit dem er zerfallen war, am Morgen des Ostertages 1460 das Schloß erstürmt hatte, mußte er als Gefangener einen Vergleich eingehen, was der Anfang neuer Zwiste war. Ein andrer Kirchenfürst von Brixen flüchtete sich 1525 hieher, als das Bisthum durch den Bauernaufstand in die ärgste Verwirrung gestürzt war; auch Kaiser Karl dem Fünften bot das Schloß die erste sichere Ruhestätte, als er, von Herzog Moriz von Sachsen aus Innsbruck vertrieben, gichtkrank in einer Sänfte über den Brenner hatte flüchten müssen. In demselben Jahrhundert verbreiteten sich lutherische Meinungen auch nach Brunecken, wie sie denn dazumal ebenso im Taufererthale Anhänger fanden. Erst mit dem Ende dieses Zeitraums gelang es den Bischöfen der religiösen Bewegung wieder Herr zu werden. Was die neuere Zeit betrifft, so ist die Stadt Brunecken im Jahre 1809 von vielen Nöthen bedrängt worden, deren ausführliche Erzählung wir aber Dr. Staffler nicht entnehmen wollen.

Brunecken, das heitere Städtchen, zählt als Sitz des Kreisamtes, des Landgerichtes und eines Rentamtes einen bedeutenden Beamtenstand, viele gebildete Herren, Frauen und Fräulein. Man lebt sehr gefällig zusammen und es fehlt nicht an gemeinschaftlichen Spaziergängen, an Abendunterhaltungen mit Gesang, Declamation und Tanz. Hermann von Gilm, der begabteste unter den jungen Dichtern von Tirol, jetzt nach Roveredo versetzt, wird von den Bruneckern ungern vermißt, als einer der so viel gethan, die Geselligkeit in ihrem Weichbilde zu verschönern. Ferner hat man ein wohlversehenes Lesecabinet – ein Vorzug, den ich sehr gerne hervorhebe. Man fühlt sich hier in Sitte, Lebensart und Manier dem Treiben der fröhlichen Städte von Nordtirol viel näher, als dem schwülen Wesen im Etschlande.


  1. *) Taia, Tai heißt im Oberinnthal eine Alpenhütte.
  2. *) Siehe in der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, sechtes Bändchen 1840, Seite 44 u. ff. die Ersteigung und Messung des Fernerkogels und der Habichtspitze im Jahre 1836. Von Professor Pater Karl Thurwieser.
  3. *) Trät ist der freie Platz vor der Sennhütte.
  4. *) Staffler 1, 13t.
  5. *) 2. Theil S. 236.
  6. *) Bei der Conscription.
  7. *) Wer mehreres von diesem Genre genießen will, dem ist dringend anzurathen der Artikel: Bozen in der Augsburger Postzeitung 1844. Nr. 249.
  8. *) Dichtungen des deutschen Mittelalters. Dritter Band. Leipzig 1843.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kramsach, Ort in Tirol
  2. von Hephaistos, in der griechischen Mythologie der Gott des Feuers und der Schmiede
  3. stürzen, fallen
  4. Nausikaa, in der griechischen Mythologie die Tochter des Königs Alkinoos
  5. Gaden, einräumiges Haus oder einzelne Räumlichkeit
  6. Vorlage: Stunund
  7. Vorlage: Zillerhaler
  8. Aufseher
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