Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Peter Panter
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Titel: Die neuen Troubadoure
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 17, Nummer 12, Seite 342–343.
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 24. März 1921
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Internet Archive
Kurzbeschreibung:
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[342] Die neuen Troubadoure

Der früher die Frauen durch Saitenspiel und Gesang verführte, war ein braungelockter Italiener mit einem Samtbarett, und die blonden deutschen Hausmütter schwärmten deshalb so für ihn, weil für den Rattenfänger das alles nicht galt, was ihnen das Leben schwer machte: die Überlieferungen und die Gebräuche, die Formeln und der Zwang. Er stand immer in irgendeiner Verbindung mit dem Teufel, und Romantik war – von der Nachtigall über Rossini bis zum Straßensänger – das, was nicht zum Alltag gehörte.

Das hat sich sehr gewandelt. Der Troubadour von heute, der Tenor der Straße, ist der Tenor des Westens. Caruso ist alt und fett, und inzwischen ist den Leuten ins Blut gegangen, was der Nigger sang. (Es ist sehr schwer, heute in Deutschland das Wort Neger in den Mund zu nehmen, ohne dass einem die Leute mit dem Ausruf „Schwarze Schmach“ über den Mund fahren. Aber die schwarze Schmach scheint mir, soweit sie besteht, viel mehr eine französische zu sein, und vergewaltigende Abessinier desavouieren nicht den Rhythmus von Nigger-Songs.)

Der neue Troubadour ist auch gar kein Nigger. Von dem hat er sein ein und sein alles gelernt: den Rhythmus. Der preußische Parademarsch ist dagegen ein primitives Gebilde: Bumm ist links, und über den Paukenschlag hinaus geht es im Takt nicht. Die neuen Troubadoure können etwas andres. Was, das hat Hans Siemsen in Nummer 10 der ‚Weltbühne‘ auseinandergesetzt. Bevor ich seine Schilderung gelesen, hatte ich aufgeschrieben, was sie vorstellen, haben und sind.

Zunächst einmal sind sie ganz unpathetisch. Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn sich die aus- [343] gezeichnete Jazz-band, die grade in Berlin gastiert, in bunte Tünnes-Kostüme hüllt. Die Leute sollten in Zivil arbeiten. Sie arbeiten: es ist das krasseste Gegenteil von Romantik, was sie machen. Sie untermalen den Alltag. Sie wollen den zuhörenden Viehkommissionär, den Postrat, den Blusenhändler – sie wollen sie gar nicht in das lichte Reich der Träume erheben, wo es am blauesten ist, sondern sie haben ein tiefes Verständnis für das Gehalt von Fräulein Piesenwang und für die Konzessionsschwierigkeiten der befreundeten Automobilfirma. Ihre Musik klappert im selben Takt wie die Schreibmaschinen, die das Publikum vor zwei Stunden verlassen hat, ihr Gesang ist rhythmisiertes Prinzipalsgeschrei, und ihr Tanz ist der ums Goldene Kalb. Jazz-band ist eine Fortsetzung des Geschäfts mit andern Mitteln.

Was von der Negerromantik in die Musik dieser Weißen herübergenommen ist, wird abgeblasen, und noch die süßeste amerikanische Liebesprimitivität hat hier einen ironischen Unterton.

Das alles vollzieht sich unter dem größten Spektakel. Einer sitzt vor einem Gestell mit Kasserollen, Sektkühlern und Eisenketten – er würde auch auf andern häuslichen Einrichtungsgegenständen trommeln, wenns gewünscht wird. Sie sind so entzückend unbeteiligt, wenn sie Musik machen. Ein dicker Banjo-Spieler ist da, der kümmert sich um nichts, und wenn der Saal einfiele, dann würde er immer noch melancholisch das Seinige aus dem Instrument herauszupfen. Der dicke Klarinettist wiegt sich entzückt zu den Takten seiner music, der mit der Posaune hat abstehende Ohren, manchmal gehen alle mitten im Stück ein bißchen weg, und nur der Herr mit den Kasserollen hämmert auf seinen Töpfen weiter herum, weil doch die Leute tanzen wollen. Und dann erscheint auf einmal, vielleicht von der Herrentoilette her, der Mann mit der Klarinette, ist sofort im Bilde und bläst munter mit. Auch die übrigen Mitspielenden finden sich so sachteken wieder an, und alles nimmt seinen Fortgang, als ob gar nichts gewesen wäre ...

Zwischendurch tanzt der Mann mit den abstehenden Ohren. Das ist kaum Tanz zu nennen. Er exekutiert einen Shimmy, nein: er tanzt überhaupt nicht – das ist seine Art, sich fortzubewegen, er geht so durch sein Leben hin: die Hände in den Hosen, mit abstehenden Hosen, mit abstehenden Ohren, ganz unbeteiligt und unsäglich vergnügt ...

Jemand riet mir neulich, ich solle hingehen, es sei gradezu höllisch. Ich fand es gar nicht höllisch. Ich weiß schon, warum mein Ratgeber das gesagt hat: diese Musik zersprengt alle alten grazilen Formen, und größere Antagonisten als der junge seidene Marquis mit der Theorbe und diese musizierenden Kaufleute sind gar nicht denkbar.

Der Rhythmus zuckt, der Gegenrhythmus arbeitet wie ein leise klopfender Motor fest und kompliziert dagegen an, eine Melodie spült über alles hinweg, und was man auch gegen diese Bande sagen kann: Sie ist verdammt real.

Peter Panter