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Titel: Die neue Weltsprache
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 612
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[612] Die neue Weltsprache. In der ersten Hälfte des August hat eine Versammlung in München stattgefunden, deren Name und Tendenz für Viele zumeist den Reiz der Neuheit hat: es war der zweite internationale Kongreß der „Volapükisten“, der Anhänger der von Pastor Schleyer erfundenen neuen Weltsprache. Eine „erfundene“ Sprache – das klingt auf den ersten Blick seltsam genug; denn man ist ja gewöhnt, die Sprache als etwas aus dem Volksleben selbst Erwachsenes und mit ihm sich Fortbildendes zu betrachten. Gleichwohl ist schon oft der Versuch aufgetaucht, eine Weltsprache zu erfinden, welche wie früher das Latein als Gelehrtensprache eine Brücke für das Verständniß bei den verschiedenartigsten Nationen bildet. Eine solche Sprache kann natürlich nie die Volkssprache im täglichen Lebensverkehr, bei Reisen, beim Aufenthalt in fremden Ländern ersetzen; aber für den wissenschaftlichen und den Handelsverkehr bietet sie eine Erleichterung, indem die Gelehrten und Kaufleute statt einer großen Zahl von Sprachen nur diese einzige zu erlernen brauchen, um sich auf der ganzen Erde mit ihren Fachgenossen zu verständigen.

Eine solche Sprache, das Volapük, hat der Pfarrer Schleyer zu Lizzelstetten bei Konstanz erfunden, und diese Sprache hat eine sehr große Zahl von Anhängern gewonnen. Auf dem Gebiete der Erfindung ist indeß die Konkurrenz nicht ausgeschlossen und Niemand kann Bürgschaft dafür leisten, daß nicht eine zweite und dritte Weltsprache auftauchen wird, welche vor dem Volapük irgend welche Vorzüge voraus hat, sowohl betreffs der sprachlichen Logik und Konsequenz als auch der leichten Erlernbarkeit, denn dieser letztere Vorzug ist für eine erfundene Sprache unerläßlich. Auch Schleyer hat große Rücksicht darauf genommen und sich aller „mnemotechnischen“, das heißt dem Gedächtniß zu Gute kommenden Hilfsmittel bedient. – Um unseren Lesern davon eine kleine Probe zu geben, erwähnen wir, daß durch die Vorsilbe „lu“ eine Verringerung oder Verschlechterung des Begriffs bezeichnet wird, zum Beispiel:

bük, Buchdruck, lubük, Makulatur,
lit, das Licht, lulit, Dämmerung,
man, Mann, luman, Kerl, Strolch,
kanitön, singen, lukanitön, heulen,
begön, bitten, lubegön, betteln.

Umgekehrt wird mit der Vorsilbe „le“ eine Erhöhung des Begriffs, eine Verstärkung des Ausdrucks bei Haupt-, Zeit- und Eigenschaftswörtern gegeben:

läb, das Glück, leläb, Glückseligkeit,
balib, der Bart, lebalib, der Vollbart,
jek, der Schrecken, lejek, Graus, Schauder,
galön, freuen, legalön, entzücken,
löflek, lieblich, lelöflek, wunderlieblich.

Die reichliche Anwendung dieser und ähnlicher Vor- und Nachsilben kommt dem Gedächtniß außerordentlich zu Hilfe und bedeutet außerdem eine Ersparniß für den aufzunehmenden Wortschatz.

Bei dem Münchener Kongreß waren Abgesandte der Weltsprachvereine aus Deutschland und Oesterreich, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, England und Nordamerika eingetroffen, aus den anderen europäischen Landen Briefe und Telegramme.

Der erste Weltsprachverein ist am 11. Mai 1882 in Württemberg begründet worden; gegenwärtig besitzt er 350 Mitglieder; ähnliche Vereine bestehen in den andern deutschen Staaten. Volapük findet auch eifrige Pflege in Asien (besonders Syrien und Palästina), in Afrika (Aegypten und am Kap der guten Hoffnung), in Nordamerika (New-York, San Francisko), auf Martinique und Portoriko.

Es ist begreiflich, daß vielsprachige Staaten, wie Oesterreich und auch Rußland, ein besonderes Interesse an der Pflege der neuen Weltsprache nehmen. Dr. Obhlidal in Wien hat im Laufe des letzten Winters nicht weniger als 2000 Personen in Volapük unterrichtet; an der Universität, den Handelsschulen etc. finden Kurse in dieser Sprache statt. Die Zahl sämmtlicher Anhänger des Volapük wird auf mindestens eine Million geschätzt; 450 Volapükisten sind vom Erfinder zu Lehrern der Weltsprache ernannt. Elf selbständige Zeitungen wirken für „Volapük“, drei in Deutschland, von denen eine ganz, die andern theilweise in Volapük geschrieben sind. Prof. Kerkhoffs in Paris hat ebenfalls ein eigenes Blatt für Volapük gegründet: „Le Volapük“; seine französisch-volapükische Grammatik hat bereits die zehnte Auflage erlebt.

Bei dem Münchener Kongreß wurde eifrig „Volapük“ gesprochen; Toaste, Scherze und Lieder erklangen in der neuen Weltsprache, die sehr wohllautend und kräftig tönt und zwischen Latein und Italienisch die Mitte hält.

Welche Zukunft die neue Erfindung haben wird, ist schwer vorauszusagen, da es sich um etwas Künstliches, nicht Naturwüchsiges handelt und eine erfundene Sprache immerhin einem in der Flasche erzeugten Homunculus gleicht. Jedenfalls wird der praktische Nutzen den Ausschlag geben und es wird darauf ankommen, ob die Regierungen selbst in irgend einer Weise dieser Weltsprache, z. B. für den diplomatischen Verkehr, die officielle Weihe geben und ob die großen Mittelpunkte des Welthandels eine der neuen Allsprache günstige Losung ausgeben.