Die graue Frau von Hohenbaden
Habt ihr gehört von der grauen Frau
Im Bergschloß Hohenbaden?
Bethört von finstrer Macht, dem Gau
War sie zu Schreck und Schaden;
Die Geißel mit Hohn
Aufs Volk, ach! mit Bürden beladen.
Der Herrschaft Zügel hielt sie straff
In frevler Willkür Launen;
Ihr Unrecht zuzuraunen.
Wie wetternder Strahl,
So schmettern ins Thal
Befehle zu Bangen und Staunen.
Wo fanden Schutz Bedrängte?
Der Büttel nur auf Qualen sann,
Der in den Block sie zwängte.
Recht fordert der Knecht?
Vergönnt sie, fürs schmählich gekränkte.
Ihr Herz, so liebeleer und kalt,
Wenn Schmerzensthränen flossen,
Der Mutterliebe Allgewalt
Ihr einziges Kind
Nur liebte sie blind,
Den blühenden, fürstlichen Sprossen
Einstmal, im Abendsonnenglanz
Der Warte höchsten Zinnenkranz
Erstieg sie mit dem Knaben.
Sie zeigt ihm das Land
Im Segensgewand
„Mein Kind, mein adlig Fleisch und Blut,
Herr du von Gottes Gnaden!
In dessen Händen einstens ruht
Mein reiches Wittthum Baden:
Am strahlenden Rhein,
Hier die Quelle mit heilendem Schwaden.
Und Alles ist dir unterthan,
So weit du blickst von dannen;
Vasallen dir und Mannen,
Die niedere Brut
Mit eiserner Ruth’
In scheue Verehrung zu bannen.
Des Volkes zum Entsetzen!
Nie soll sein schnöder Eigennutz
Am Kronengut sich letzen!
Dein göttliches Recht
Das reiße dir Keiner in Fetzen!
Siehst du den Falken siegeskühn?“
– Sie hob empor den Knaben –
„Aus ihren Purpurrändern glühn
Beherrscht er das Blau!
Wie ducken zur Au
Die Schufte, die Häher und Raben!
Die Macht verleiht wohl Kraft und Muth
Wie fühlt er sein altadlig Blut,
Der hohe Schwingenträger!
Ho hussa zur Hetz’!
Ihm gilt nur Gesetz
So herrsch’ auch Du!“ … da fasset jach
Ein Schwindel ihre Sinnen,
Aus ihrem Arm entstürzet, ach!
Das Knäblein von den Zinnen;
Am felsigen Wall. …
Da fühlt sie das Blut sich gerinnen.
O qualenvoller Augenblick,
O grausenhafte Stunde!
Je tiefre Herzenswunde?
Von Schmerzen durchrast,
Die Augen verglast,
So starrt sie zum schaurigen Grunde.
Hinunter auf die Klippen,
Die Finger krampfhaft eingeschraubt,
Verzerrt die fahlen Lippen.
Wie malmendes Erz,
Und hämmert und pocht an die Rippen.
Verzweiflung gibt ihr endlich Kraft
Und Worte ihrem Jammern,
Das bricht in wirrer Leidenschaft
Woran, ach woran
Soll nun sich fortan
Ihr mütterlich Hoffen noch klammern?
Sie rafft sich auf, sie fliegt hinab
Zu spähn nach ihres Lieblings Grab;
Nach eilt das Hofgesinde.
Umsonst sie durchsucht
Die waldige Schlucht,
Noch heut entsteigt, ein Bild von Eis,
Sie Nachts des Schlosses Hallen
Im grauen Kleid, die Haare weiß,
Die Wangen eingefallen.
Ach! wähnt sie das Kind
Zu hören, sein Wimmern und Lallen.
Das ist die Mähr von der grauen Frau
Im Bergschloß Hohenbaden;
Verübt zu Schreck und Schaden.
Nicht findet sie Ruh
In marmorner Truh, –
Gott wolle der Seele genaden!