Textdaten
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Autor: Johann Wilhelm Wolf
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Titel: Die getreue Frau
Untertitel:
aus: Deutsche Hausmärchen, S. 98–115
Herausgeber: Johann Wilhelm Wolf
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Dietrich'sche Buchhandlung, Fr. Chr. Wilh. Vogel
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Erscheinungsort: Göttingen und Leipzig
Übersetzer:
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[98]

Die getreue Frau.

Ein König hatte eine Tochter, die war überaus schön und klar und hatte eine gar feine und zarte Haut; wenn sie rothen Wein trank, konnte man sehen, wie er ihr durch den Hals herunter lief. Die Welt war so erfüllt mit dem Ruf von ihrer Schönheit, daß selbst des Sultans Sohn aus der Türkei kam und um ihre Hand anhielt. Sie wollte jedoch nichts von ihm wissen und sprach, sie wolle keinen Heiden heirathen, der sei ihr zu schlecht nur ihre Schuhe zu putzen.

Zu gleicher Zeit lebte in einem andern Königreich ein König, welcher drei Söhne hatte. Da er nicht wußte, welchem von ihnen er nach seinem Tode das Königreich übergeben solle, so sprach er: „Gehet auf Reisen und wer von euch mir das Schönste mitbringt, der wird König.“ Sie zogen sofort aus, doch gereute es sie schon am dritten Tage und die beiden Jüngsten sprachen zum Aeltesten: „Lieber Bruder, gehe du nach Hause zurück und tritt die Regierung an, wir wollen in die Welt hinaus ziehen und sehen, wo unser Glück blüht.“ Sprach der Aeltere: „Ich kann euch nicht ziehen lassen, wenn ihr mir nicht versprechet, treu zusammen zu halten in Freud und Leid und euch nicht von einander zu trennen, auch sobald ihr euer Glück gefunden habet, zurück zu kommen, [99] damit ich mich mit euch darüber freue.“ Darauf gaben sie sich die Hände und schieden von einander.

Nach langem Reisen kamen sie in das Königreich, wo die schöne Prinzessin wohnte. Da gefiel es ihnen so gut, daß sie beschlossen, dort zu bleiben, der eine wollte den Seedienst lernen, der andere unter die Landarmee treten. Da sie so schöne Leute waren, nahm der König sie alsbald an und sie waren so gewandt und geschickt, daß sie in kurzer Zeit der eine Major und der Jüngste Oberst wurden. Sie hatten so viel Geld von Hause mitgenommen, daß sie nicht zu knausern brauchten und ein herrliches Leben führen konnten. Da war kein Mangel an Dienerschaft und Pferden und Wagen; jeden Tag fuhren sie um Mittag aus und jeden Tag der Woche in einem andern Wagen mit sechs andern Pferden und andern Bedienten. Sie kamen dabei stets an dem Schlosse des Königs vorüber, und da wurde die schöne Prinzessin aufmerksam auf sie und kam jedesmal an das Fenster. Das bemerkten die zwei Prinzen bald, aber sie merkten nicht, wie die Liebe nach und nach in dem Herzen der Prinzessin Platz nahm und sie endlich nicht mehr ruhen ließ bei Tag und Nacht. Der Jüngste der beiden Prinzen, welcher auch der schönste war, gefiel ihr nämlich so gut, daß sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können; sie mochte es aber Niemand sagen, denn sie war gar stolz und da sie Alles so in sich verbergen mußte fiel sie zuletzt in eine schwere Krankheit. Alle Aerzte im Lande mußten herbei, doch ihre Arzneien halfen nichts und es wurde von Tag zu Tage schlimmer mit ihr. Da ließ sich endlich ein uralter Mann am [100] Hofe melden, der hatte sein ganzes Leben hindurch die Welt bereist und kannte alle Kräuter; er hatte einen Trank ausgefunden, der jede Krankheit auf der Stelle heilte, wenn sie auch noch so gefährlich war. Der König führte ihn zu der Prinzessin und kaum hatte der Alte sie gesehen, so sprach er: „Ich kann ihr helfen, aber ich muß mit ihr allein sein.“ Als der König fortgegangen war, gab ihr der Alte einen stärkenden Trank, dann sagte er: „Ihr habt kein körperliches Leiden, sondern eine Herzenskrankheit und ich kann euch nur helfen, wenn ihr mir aufrichtig bekennt, was euch drückt.“ Anfangs wollte die Prinzessin nicht mit der Sprache heraus, aber der Alte wußte ihr Vertrauen so zu gewinnen, daß sie ihm endlich Alles bekannte, doch bat sie ihn, er solle sich nur nichts davon merken lassen.

Da ging der Alte zum König und sprach: „Ich habe die Krankheit wohl überwunden, aber es bleibt noch eine Schwäche zurück. Wenn die Prinzessin jetzt viel Leute sieht und die rechten Leute, die ihr schön zu erzählen und sie zu unterhalten wissen, dann ist die Schwäche auch bald gehoben, denn dann denkt sie nicht darüber nach.“ „Wen will sie denn sehen?“ frug der König. „Von all meinen Hofherren will sie nichts wissen.“ „Wen, das weiß ich nicht,“ sprach der Alte, „aber es sind zwei vornehme Herren in der Stadt, einer ist Major und der andre Oberst; die könntet ihr einladen.“ Der König freute sich des guten Rathes und sandte sogleich einen Bedienten zu den beiden Prinzen, um sie zum Mittagessen einzuladen. Als der Bediente seinen Auftrag ausrichtete, gaben die Prinzen ihm keine Antwort; sie sagten [101] zu dem Wirth, er solle ihnen das Essen wie jeden Tag bereit halten. Sie aßen wie immer zu Mittag, dann fuhren sie nach Gewohnheit aus und an dem Schlosse des Königs vorbei. Als der König das sah, fuhr er den Bedienten an, er habe wohl die Einladung nicht gehörig ausgerichtet, doch der sagte, das sei geschehen, die Herren hätten ihm aber keine Antwort gegeben. Da setzte sich der König des andern Morgens in seinen Wagen und fuhr selber zu den Prinzen, lud sie zu sich zu Tische und frug auch, warum sie am vorigen Tage nicht gekommen seien. „Man kann auf anderer Leute Reden nicht gehen,“ sprachen sie. „Wenn wir so etwas auszurichten haben, thun wir es selbst.“ Das freute den König, denn er dachte, da sie so stolz seien, müßten sie wohl von vornehmer Herkunft sein und er frug sie, wer sie denn eigentlich seien? Als er nun ihre Abstammung vernahm, da war er gar außer sich vor Freude und sprach, sie dürften nicht mehr in dem Wirthshaus wohnen, sondern müßten in seinen Pallast ziehen. Dieß geschah noch am selben Tage und Niemand war glücklicher darüber, als die schöne Prinzessin. Als der Jüngste sie nun so jeden Tag in ihrer ganzen Holdseeligkeit sah, da erwachte auch in seinem Herzen die Liebe zu ihr und da war es nicht weit mehr bis zur Verlobung und die Vermählung ließ auch nicht lang warten; also wurden die Beiden das glücklichste Paar auf Gottes Erdboden.

Ein paar Jahre hatten sie also beisammen gelebt, da sprach der Aeltere: „Lieber Bruder, ich habe den Seedienst nicht umsonst gelernt und kann es auf dem Lande nicht länger aushalten. [102] Zudem finde ich hier mein Glück nicht, darum muß ich es anderswo suchen und will nächstens mit einem Schiffe gegen die Seeräuber ziehen.“ „Thue das nicht,“ sprach der Jüngste, „du weißt doch wohl, daß wir unserm Bruder versprochen haben, nicht von einander zu weichen in Freud und Leid, laß uns darum Wort halten und treu zusammen bleiben. Wenn du dein Glück finden sollst, dann kannst du es hier so gut finden, wie in einem andern Welttheil.“ Der Aeltere bestand aber darauf, er wolle fort, da sprach der Jüngere: „Wenn du gehest, dann kann ich nicht bleiben, denn ich halte mein Versprechen, wie hart es mir auch ankommt.“ Und er ging zu seiner Frau und sprach: „Binnen acht Tagen verreise ich mit meinem Bruder, um ein wenig die Welt zu sehen; in Jahresfrist sind wir aber wieder zurück.“ Ach wie da die arme Prinzessin weinte und jammerte; es brach ihm fast das Herz, doch er ließ sich in seinem Entschluß nicht irre machen, denn sein Wort war ihm allzu heilig. Als nun die Schiffe zur Abfahrt gerüstet da lagen, zog der Prinz sein Schwert und gab es seiner lieben Frau, indem er sprach: „Behalte dieß Schwert als ein Zeichen von mir; so lange es blank bleibt, geht es mir gut, und so lange du keinen Rost oder Flecken darauf siehst, bin ich dir getreu und das bleibe ich bis in den Tod.“ Da gab ihm die Prinzessin ihr schneeweißes Gewand und sprach: „Dafür schenke ich dir diesen Mantel als ein Zeichen von mir; so lange er weiß bleibt, so lange bleibt meine Treue unverletzt.“ Da küßten und umarmten sie sich unter vielen Thränen und die beiden Brüder gingen zu Schiffe. Die Prinzessin aber schaute [103] ihnen noch lange nach, bis die weißen Segel fern auf dem Meer verschwanden.

Als sie etwa acht Wochen auf dem Meere waren, da kamen eines Morgens drei Schiffe mit Seeräubern gefahren, welche für den Sultan Beute machten. Die umzingelten das Schiff, worauf die beiden Brüder sich befanden und machten sie und alle Andere, welche mit ihnen fuhren, zu Gefangenen. Am folgenden Tage wurden sie vor den Sultan geführt. Als der ihre reichen und prächtigen Kleider sah, freute er sich über den Fang und frug sie, woher sie kämen und wer sie seien. Da erzählten sie ihm ihre Geschichte und baten, er möge sie doch wieder frei geben, sie wollten ihm schweres Geld senden, so viel, als er verlange. Jetzt war aber seine Freude erst recht groß, als er hörte, daß einer von ihnen der Gemahl der Prinzessin sei, welche ihn so schimpflich abgewiesen hatte, und er sprach: „Ich gäbe euch nicht um alles Gold auf der ganzen Welt, denn ich will mich an euch dafür rächen, daß die Prinzessin meinen Thron verschmäht hat; jetzt wird sie aber wohl zahm werden. Ihr seit Hunde und sollt bei den andern Hunden sitzen und mit ihnen fressen und schlafen.“ Da ging ein trauriges Leben für die Brüder an und hundertmal beklagte der Aeltere, daß er seinem Bruder nicht gefolgt und ihn auch ins Unglück gestürzt hätte. Jeden Tag mußten sie die schimpflichsten Arbeiten verrichten; dazu bekamen sie kein anderes Essen, als die Brocken, welche vom Tische fielen, denn sobald die Glocke zum Mittagessen läutete, mußten sie mit den Hunden in das Speisezimmer laufen und sich unter den Tisch setzen. Die [104] besten Brocken schnappten die Hunde ihnen dazu noch weg, so daß sie manchmal bittern Hunger litten. Oft mußten sie sich auch vor den Sultan legen, der alsdann seine Füße auf sie setzte und sie trat und schimpfte, wenn sie sich nur rührten. Das Schlimmste war ihr Lager im Hundestall, der sehr unrein war und nie gefegt werden durfte. Darum mußte der ältere Bruder jeden Morgen seine Kleider sämmtlich waschen, der jüngere hatte dieß jedoch nicht nöthig, denn an dem Gewande seiner Frau, welches er beständig trug, blieb kein Stäubchen hängen und es war immer schloßenweiß, wie der frischgefallene Schnee; das war sein einziger und größter Trost in diesen schweren Tagen.

Die Prinzessin hatte unterdessen fleißig nach dem Schwerte geschaut und war von Herzen froh, daß es stets so hell und blank blieb. Eines Morgens aber, als sie es erfreut darüber in der Hand hielt und betrachtete, lief ein trüber Hauch darüber und wie sie auch putzte und wischte, er wollte nicht weichen. Da ergriff ein schwerer Kummer ihr Herz, denn sie erkannte nun, daß ihrem lieben Gemahl ein Unglück begegnet sein müsse, und sie beschloß ihm nachzureisen, um ihn zu retten, koste es, was es wolle.

Als sie sich eben zur Abfahrt rüstete, kamen Boten in das Schloß, welche ihr meldeten, daß der Sultan aus der Türkei angekommen sei, der wolle zu ihr, da er viel mit ihr zu sprechen habe und wolle gegen Abend kommen. Sie ließ ihm wieder sagen, er könne kommen, jedoch nicht zu einer andern Zeit, als zwei Stunden vor Mittag und sechs Stunden nach Mittag. Es dauerte nicht lange, da war er schon im Schlosse, trat mit heimtückischer [105] Freude in ihr Zimmer und sprach: „Vor Zeiten habet ihr meine Hand verschmäht, um euch mit einem armen Königssohn zu versprechen und den zum Gemahl zu nehmen. Der sitzt jetzt als Hund unter meinem Tische bei den andern Hunden und frißt die Brocken, welche herunter fallen. Ich habe euch aber immer noch lieb und frage euch, ob ihr jetzt meine Frau werden wollt und die mächtigste Fürstin auf der Welt. Bedenket, daß ihr ein solches Glück euer Leben lang nicht wieder findet, denn ihr bekommt die größten Schätze, die je Augen sahen und es ist kein Wunsch, der euch nicht sofort erfüllt würde.“ Die Prinzessin meinte vor Schmerz zu vergehen, als sie hörte, wie der Sultan von ihrem lieben Manne sprach, und welch ein schreckliches Loos demselben zu Theil gefallen war. Sie faßte sich jedoch und sagte: „Eure Gemahlin kann ich nie werden und wäret ihr selbst Kaiser der ganzen Welt,“ und sie ging schnell in ihr Kämmerlein und ließ ihn stehn. Dort weinte sie sich recht aus, dann aber warf sie sich auf ihre Kniee nieder und betete zu Gott, er möge ihr Kraft und Muth in ihren Leiden geben und ihr Vorhaben segnen, damit sie ihren lieben Gemahl aus seiner schmählichen Gefangenschaft befreie. Gott erhörte ihr Gebet und stärkte sie so wunderbar, daß sie sich stark fühlte, Alles zu wagen und zu unternehmen.

Vor der Stadt lag eine Kapelle und ein Häuschen, da kehrten die Pilger ein, welche nach Jerusalem gingen. Dahin schickte sie ihre treueste Dienerin und ließ einem der Pilger seine Kleider abkaufen. Diese zog sie an, nahm ihre Harfe, welche sie meisterlich spielte, und ging Abends an den Strand, wo des [106] Sultans Schiffe lagen. Da setzte sie sich hin, schlug ihre Harfe und sang:

›Was fehlet dir, mein Herz,

Daß du in mir so schlägest?

Wie kommt es, daß du dich

So heftig in mir regest?

Du störst bei finstrer Nacht

Mir alle meine Ruh,

Am Tag, bei finstrer Nacht.‹

Der Sultan, welcher grade auf seinem Schiffe stand, horchte auf und ließ den Harfner zu sich rufen, sprach: „Wie kommst du zu diesen Liedern?“ „Das sind so meine Träume,“ antwortete der Harfner und sang weiter:

›Es schlagen über mich

Die Unglückswellen her,

Ich schweb in Todesangst

Auf einem wilden Meer,

Die stört bei finstrer Nacht

Mir alle meine Ruh,

Am Tag, bei finstrer Nacht.‹

Dann fuhr er fort und sang in schönen Versen Alles, was dem Sultan mit der Prinzessin begegnet war. Da frug der Sultan abermals: „Wie kommst du zu diesen Liedern?“ „Das sind so meine Träume,“ sprach der Harfner. Da rief der Sultan erstaunt: „Du mußt mit mir ziehen, magst du dafür fordern, was du willst.“ „Hier kann ich nichts fordern,“ sprach der Harfner. [107] „Ich will aber mit euch ziehen und ein Jahr bei euch bleiben. Wenn es mir dann bei euch gefällt, bleibe ich, gefällt es mir nicht, so gehe ich, doch müßt ihr mir zuvor schwören, daß ihr mir drei Wünsche erfüllen und mich ziehen lassen wollt.“ Da sprach der Sultan: „Ich gebe dir Alles, was dein Herz begehrt, das schwöre ich dir beim Feuer und meinem Bart,“ und das ist der höchste Schwur, den die Türken thun. So blieb der Harfner auf dem Schiffe und fuhr am folgenden Tage frühmorgens mit dem Sultan ab. Dieser gewann ihn immer lieber wegen seiner wunderschönen Lieder, so daß der Harfner ihn endlich, wie man zu sagen pflegt, um einen Finger wickeln konnte und nichts begehrte, was nicht sogleich erfüllt worden wäre.

Als sie in dem Schlosse des Sultans ankamen, mußte der Harfner gleich am folgenden Tage bei der Tafel spielen und alle Gäste waren darüber außer sich vor Entzücken, nur nicht des Sultans Mutter, ein böses altes Heidenweib, welche stets nur Ränke und Böses sann und spann. Diese zankte fortwährend, wozu das Geleier diene und sie könne den Singsang nicht ausstehen, aber Niemand hörte auf sie und Alle wurden von Stunde zu Stunde lustiger. Als die Tafel fast zu Ende war, öffneten sich die Thüren und da kamen die Hunde und mit ihnen die beiden Prinzen herein, der Jüngere in seinem schneeweißen Gewand und sein armer Bruder. „Das sind Alles meine Hunde“ sprach der Sultan und warf den Prinzen ein paar Brocken zu; doch da sprangen die andern Hunde herbei und schnappten sie ihnen weg. Der Harfner mußte sich sehr Gewalt anthun, als er dieß jammervolle Schauspiel [108] ansah, aber er ließ sich nichts merken und sprach nur: „Mir scheint, ihr füttert eure Hunde schlecht, die beiden großen Menschenhunde sehen gar mager aus.“ Dann warf er ihnen große Brocken hin, welche die beiden Prinzen gierig verschlangen, denn ein so reiches Mahl hatten sie lange nicht bekommen. Das ärgerte die alte Sultanin noch mehr, als sie aber darüber poltern wollte, fing der Harfner an zu singen und da ging sie voller Wuth weg. Aber auch der Sultan ärgerte sich darüber, darum stand er schnell von der Tafel auf, als das Lied zu Ende war. Zugleich kamen die Diener und schwangen ihre langen Peitschen, da wurde das Zimmer bald leer.

Am folgenden Tage sonnte sich der Sultan in seinem Rosengarten, wo die Sklaven arbeiteten, und er ließ den Harfner kommen, daß er vor ihm spiele. Da schlug er die Harfe gar schön und sang dazu:

›Ich kam in kurzer Zeit

In einen schönen Garten,

Da sah ich also schöne stehn

Viel Blumen aller Arten;

Darunter sah ich eine Rose blühn,

Ich wollt, ich könnte sie für mich erziehn. [109]


›Jetzt muß ich ganz betrübt

Aus diesem Garten gehn;

Niemand kommt fragen mich,

Wie es mir wird ergehn.

Die Unglückswellen fallen

Zu schwer über mich herein.‹

„Welche Unglückswellen meinst du denn?“ frug der Sultan und der Harfner antwortete: „Ach das sind meine Lieder so.“ Da sprach der Sultan und wies dabei auf die beiden Prinzen hin, welche im Schweiß ihres Angesichtes graben mußten: „Kennst du die Hunde dort? die sind aus deinem Lande, gehe und sprich mit ihnen.“ „Ich kenne sie nicht“ erwiederte der Harfner, „aber ich bin auch nicht aus dem Lande, wo du mich gefunden hast, ich bin viel weiter her, will aber doch mit ihnen sprechen, ob sie meine Muttersprache verstehn.“ Da ging er zu ihnen und machte allerlei Wischi waschi durcheinander daher, als ob er eine ganz fremde Sprache rede, doch die Prinzen sprachen: „Wir verstehen dich nicht“ und das war ihnen nicht zu verdenken, denn das hätte kein Heidenkind verstanden. Der Harfner kam zum Sultan zurück und sprach: „Sie verstehen meine Sprache nicht, aber aus welchem Lande sind sie denn?“ „Diese Hunde sind zwei Prinzen, welche ich gefangen halte, weil die Frau des einen meine Liebe verschmäht hat.“ „Da geschieht ihnen recht“ sprach der Harfner, „wenn sie aber mein wären, ließe ich sie feine Arbeiten machen, welches die andern Sklaven nicht können. Sie müßten mir schöne Körbe flechten, Käfige schnitzen und olche Dinge, womit ich mein [110] Haus und meinen Garten verzierte.“ Das sagte er aber, weil er wußte, daß die Prinzen solches in ihrer Jugend gelernt hatten und damit sie nicht mehr so harte Arbeit thun müßten. „Das ist ein guter Gedanke,“ sprach der Sultan, „aber sie können es schwerlich.“ „Es kommt auf eine Probe an,“ erwiederte der Harfner. Da wurden ihnen Weiden und Messer und Holz gegeben und sie flochten und schnitzten so schön, daß der Sultan außer sich vor Freude war.

Mittags mußte der Harfner wieder bei Tische spielen und man setzte ihm ein reiches, kostbares Mahl vor, doch aß er nur sehr wenig davon. Als die Hunde aber herein gelassen wurden, da lockte er die zwei Prinzen zu sich und warf ihnen große Bissen zu. Das ärgerte die alte Sultanin und sie hetzte an dem Sultan und sprach: „Sieh doch, wie das gute Essen verschwendet wird. Es ist eine Schande, daß die Hunde es bekommen. Mach dem doch ein Ende.“ Anfangs sprach der Sultan wohl, man solle den Harfner gewähren lassen, aber sie hörte nicht auf zu hetzen bis er ärgerlich rief: „Ich will nicht haben, daß du den Hunden dein Mahl gibst.“ „Verzeiht, Herr Sultan,“ sprach der Harfner, „die Hunde können nichts fordern, darum muß man ihnen geben. Wenn ihr aber nicht haben wollt, daß ich den armen Hunden eine gute Mahlzeit gebe, dann lasset mich in mein Vaterland zurück gehn.“ Da schwieg der Sultan und ließ ihn gewähren.

Als aber jeden Mittag dieselbe Geschichte war, wurde der Sultan dessen endlich müde, denn die Alte sprach stets: „Laß ihn nur laufen, er verdirbt dir die Hunde durch Leckerbissen und wer [111] weiß, was er noch im Schilde führt. Den Christen ist nicht zu trauen.“ Er sprach eines Tages: „Ich kann dem nicht länger zusehn, gehe sobald es dir geliebt.“ „Dann will ich gleich morgen gehen,“ sprach der Harfner und freute sich und lobte Gott in seinem Herzen. „Vorher aber müsset ihr mir euer Versprechen lösen und mir meine drei Wünsche gewähren.“ „Thue das nur nicht,“ raunte die Alte dem Sultan ins Ohr, aber der sprach: „Ich muß es thun, denn ich habe es geschworen beim Feuer und meinem Bart. Sage mir, was du dir für drei Dinge wünschest und ich will sie dir gewähren.“ Da that der Harfner, als ob er sich besänne und sprach alsdann: „Fürs erste wünsche ich mir den weißen Hund, (das war nämlich der Prinz, welcher das weiße Gewand trug) für's zweite den andern Hund, welcher immer bei ihm ist und für's dritte ein Schiff mit Geld und Mannschaft, um in mein Vaterland zu fahren.“

Da machte der Sultan ein saures Gesicht, die Alte aber sprang und tanzte vor Wuth und rief: „Das geht nicht, die Hunde bekommst du nicht, du hast Hundes genug an dir selbst.“ Der Harfner aber sprach: „Bedenket euren Schwur, Herr Sultan, ich verlange nur, was mir zukommt.“ Der Sultan erwiederte: „Du forderst das Größte, was ich habe, aber da du mein Versprechen hast, sollst du Alles bekommen“ und er ließ den Prinzen die Ketten abnehmen und sie auf das Schiff des Harfners führen. Der Harfner fiel ihm zu Füßen und dankte ihm für das Geschenk, doch der Sultan wollte nichts von Dank wissen und ging zornig weg.

Wer da glücklicher war, die Prinzessin d.i. der Harfner, [112] oder die beiden Prinzen, das ist schwer zu sagen. Gern hätten sie ihr für ihre Rettung gedankt, aber sie ging auf dem Schiffe nicht aus ihrer Kammer, ließ auch Niemanden zu sich herein, außer einem Mädchen, welches ihr das Essen brachte. Sie lag Tag und Nacht auf den Knieen und dankte Gott für alle Gnaden, welche er ihr erwiesen hatte, bat ihn, ihr ferner auch beizustehn und sie nicht zu verlassen in Leid und Freude. Das Schiff flog schnell über das Meer dahin und landete bald in einem Hafen ihres Königreiches. Da ging sie aus ihrer Kammer hervor und ließ die beiden Prinzen zu sich kommen. Sie wollten sich vor ihr auf die Kniee werfen, aber sie sprach: „Ihr brauchet mir nicht zu danken, danket Gott dem Herrn. Ich schenke euch eure Freiheit und Alles was im Schiffe ist, aber bevor ihr ans Land tretet, sollet ihr hier niederknieen und Gott die Ehre geben.“ Da knieten die Prinzen und beteten inbrünstig, sie aber schlich sich unterdessen in ihren Harfnerkleidern leise fort und ging auf heimlichen Wegen der Hauptstadt zu.

Unterwegs traf sie einen Pilger, der ging desselben Wegs. Sie fragte ihn, was man sich Alles in der Stadt erzähle und wie es der Prinzessin ergehe. Der Pilger antwortete: „Man weiß nichts von ihr, sie ist weggegangen, seitdem der Sultan da war, und kein Mensch kann sagen wohin. Die Minister haben ihrem Vater aber gesagt, sie gehe auf schlechten Wegen und ihm so lange zugeredet, bis er an allen Straßenecken hat bekannt machen lassen, wer sie überliefere, der erhalte eine große Belohnung. Man will nämlich Gericht über sie halten und dann [113] könnte es leicht ein schlechtes Ende mit ihr nehmen.“ Die Prinzessin sprach: „Du kannst dir diese Belohnung verdienen, wenn du Alles thust, was ich dir sage, und du bekommst noch viel mehr dazu.“ „Wie sollte das möglich sein?“ frug der Pilger. „Ich bin die Prinzessin“ sprach sie und verabredete sich mit ihm, was er zu thun habe. Dann ging sie mit ihm in das Haus vor der Stadt, wo die Pilger einzukehren pflegten und wechselte dort die Kleider; darauf band er sie und führte sie in das Gefängnis.

Am selben Abend langten die beiden Prinzen gleichfalls in der Hauptstadt an und wurden mit großen Freuden empfangen. Das erste was der Jüngste aber sprach, war: „Wo ist meine liebe getreue Frau?“ Da traten die Minister zu ihm und antworteten: „Wir möchten lieber von ihr schweigen, aber da wir reden müssen, so müssen wir auch die Wahrheit sagen. Sie ist als eine feile Dirne im Lande herumgefahren und erst heute eingefangen und ins Gefängnis gebracht worden.“ „Das ist nicht wahr“ sprach der Prinz, „denn ihr Gewand ist so weiß, wie mein Schwert blank ist, darum kann ich es nicht glauben.“ Da brachten sie aber Zeugen, welche aussagten, daß die Prinzessin zur Zeit wo der Sultan da gewesen, plötzlich verschwunden sei und daß Niemand sie seit dem Tage gesehen habe. Der Prinz sah sein Gewand an und es dünkte ihm weißer als je zuvor, doch da sprachen die Minister: „Das Gewand kann euch trügen, denn da sie so lange herumstreichen konnte, versteht sie sich gewiß auch auf Zauberkünste, darum darf man dem Gewande nicht trauen und [114] dem Recht muß sein Lauf gelassen werden.“ Der Prinz meinte, das Herz müsse ihm vor Leid zerspringen, als er das hörte, ach er hätte Alles so gern nicht geglaubt und er konnte doch am Ende nicht anders.

Am folgenden Tage wurde Gericht gehalten und da sich die Prinzessin gar nicht vertheidigte und kein Wort sprach, so wurde sie zum Tode am Galgen verurtheilt. Als der Tag herankam, wo das Urtheil sollte vollstreckt werden und man die schöne Prinzessin in groben Kleidern auf den Richtplatz führte, da war Trauer in der ganzen Stadt und wurde mehr geweint als gelacht. Auf dem Richtplatz war ein schwarzer Thron aufgeschlagen, worauf der Prinz saß, denn es war Sitte im Lande, daß Niemand hingerichtet werden durfte, als in Gegenwart des Königs oder eines Prinzen. Als er seine Frau sah, da brach er in Thränen aus, denn er glaubte immer noch sie müsse unschuldig sein und hielt sich beide Hände vors Gesicht, damit das Volk nicht sähe, wie bitterlich er weinte. Sie bat aber, man möge ihr nur eine Gnade schenken, bevor sie sterbe. Das wurde ihr zugesagt und sie sprach: „Dann lasset mich einen Augenblick mit dem frommen Pilger, der dort steht, in dem Kapellchen allein beten und mich zum Tod vorbereiten.“ Da schloß man ihr dies Kapellchen auf und sie trat mit dem Pilger hinein. Der hatte aber ihre Harfe unter seinem Mantel verborgen und auch die Kleider, in welchen sie vor dem Sultan gespielt und die beiden Prinzen erlöst hatte. Diese zog sie in der Sacristei rasch an, färbte ihr Gesicht und nahm die Harfe in die Hand. Also trat sie heraus [115] und vor den Prinzen; der sah sie aber nicht, weil er so sehr weinte. Sie sang:

›Kennst du den Harfner nicht,

Der dich ja hat erlöst?

Erlöset hat er dich

Aus Kerker und aus Banden

Und hat dich heimgebracht

Wol in dein Vaterland.

Ich falle nieder hier

Auf meine beiden Knie,

Ach du mein liebster Herr,

Verzeihe dieses mir,

Ich wollte dich ja nur

Für mich allein erziehn.‹

Als der Prinz die Stimme hörte und die Harfentöne dazu, hob er erstaunt sein Haupt, da erkannte er den Harfner und sprang von seinem Thron, um ihn zu umarmen und willkommen zu heißen. In demselben Augenblick aber warf der Harfner die falschen Kleider ab, da stand die Prinzessin da in ihrer ganzen Schönheit. Was das für Freude und Glückseligkeit war, das könnten tausend Schreiber in hundert Jahren nicht ausschreiben. Der Prinz erzählte vor allem Volke, daß er sein Leben einzig und allein seiner lieben Frau verdanke und da ging erst der Jubel recht los. Beide wurden im Triumph durch die Straßen der Stadt geführt und die Festlichkeiten wollten gar kein Ende nehmen.

Fußnoten