Die frühere Irrenpflege in Schleswig-Holstein

Textdaten
Autor: Theodor Kirchhoff (Arzt)
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Titel: Die frühere Irrenpflege in Schleswig-Holstein
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aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Band 20, S. 131-192
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Commissions-Verlag der Universitäts-Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kiel
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[131]

Die

frühere Irrenpflege in Schleswig-Holstein.




Dargestellt


von


Dr. Kirchhoff in Schleswig.




[133] An anderer Stelle[1] habe ich versucht allgemeine Ueberblicke über die Geschichte der deutschen Irrenpflege zu geben. Es war möglich einige wichtige und zeitlich weit zurückreichende Thatsachen mitzutheilen. Das gleiche Bestreben war in letzterer Beziehung für die Provinz Schleswig-Holstein nicht sehr erfolgreich, doch habe ich besonders aus Akten des Königlichen Staats-Archivs und der Königlichen Regierung in Schleswig Nachrichten sammeln können, die die Grundlage dieser Abhandlung bilden[2]; sie umfassen indessen im Wesentlichen erst die Neuzeit und namentlich die Irrtenpflege in den Zuchthäusern. Die bezüglichen Akten sind mir insgesamt durch das hiesige Staats-Archiv zur Verfügung gestellt worden.

Im Vergleich mit andern Ländern des deutschen Sprachgebiets sehen wir in Schleswig-Holstein verhältnißmässig früh auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge für Kranke und Verbrecher humane Bestrebungen hervortreten. Sie stehen im Einklang mit andern humanen Anschauungen, die sich auch sonst früh bei uns kundgaben, wie z. B. in den Versuchen [134] die Leibeigenschaft aufzuheben; menschlich gesinnte Gutsbesitzer beseitigten bekanntlich aus freiem Entschlusse schon früh jenes schmachvolle Einrichtung. Wenn sie nun auch damals noch nicht viel für die Medicinalpflege ihrer Leibeigenen verwandten, wie aus gutsherrlichen Schriften jener Zeit hervorgeht[3], so begegnen wir doch bald der Thatsache, daß die Verpflichtung zu öffentlicher Fürsorge für Hülfsbedürftige anerkannt und zum Theil auch für Geisteskranke durchgeführt wurde.

Die Nachrichten über das Vorkommen von Geisteskranken in früheren Zeiten sind wie erwähnt für Schleswig-Holstein besonders spärlich. Aus der Angabe, daß 1603 in Husum das Hochgericht nach dem „Narrenthal“ verlegt wurde[4], ist nicht zu schließen, daß an dieser Stelle Geisteskranke aufbewahrt wurden. Nach ähnlichen Bezeichnungen in andern Gegenden ist darunter eher eine Art von polizeilichem Gefängniß zu verstehen, in dem auffällige Individuen vorübergehend dem Spott des Pöbels ausgesetzt wurden[5].

Allgemeine gesetzliche Bestimmungen, die im Ganzen der Carolina nachgebildet sind oder aus dem Jütschen Low herüber genommen wurden, sind in einzelnen Stadt- und Landrechten zu finden.

Im Husumer Stadtrecht (1608 gegeben) heißt es Th. IV. Tit. 33, Art 1.: „Würde ein unsinniger Mensch einen entleiben, ist er darum nicht mit der ordentlichen Strafe der Todschläger zu belegen, sondern wird billig im Gefängnisse oder sonst mit Banden fleißig verwahrt; daferne aber seine nächsten Freunde von solcher Unsinnigkeit gute Wissenschaft und ihn in ihrer Gewahrsam gehabt und nicht fleißig vermahnet, sind sie wegen solcher Nachlässigkeit in Geldstrafe zu nehmen.

[135] Art. 2. Beginge er aber die That, da ihn die Unsinnigkeit verlassen hätte, ist er nicht unstrafbar; doch sind dabei alsdann fleißig in Acht zu nehmen allerhand Umstände der Zeit, Orts, Personen und anderer Ursachen, woraus dann die Urtheiler, nach erholtem Rath der Rechtsverständigen, ihn entweder zu condemniren oder zu absolviren.“ Eine ähnliche Bestimmung enthält das Eiderstedt’sche Landrecht von 1591 Th. IV. Art. 47, §10.[6] Ueber die Handhabung dieser Gesetze habe ich Nichts erfahren können.

Vor Einrichtung der Zuchthäuser gab es indessen verschiedene Arten Geisteskranke unterzubringen. Viele Privatleute behielten ihre erkrankten Angehörigen bei sich, zuweilen unter strengem Zwang, wie z. B. ein Hausmann aus Stapelholm; am 7. Nov. 1627 reichte er ein Gesuch ein, um Erlaß einer Brüche von 7 ,[WS 1] die man ihm auferlegt hatte, weil seine wahnwitzige Schwester geschwängert worden war. Er führt u. A. aus: „welche ich am ihrer Wahnwitzigkeit willen sowohl Tag als Nacht mit eisernen Banden schließen und verwahren müssen; ob ich nun zwar dieselbe dermaßen hart und fest genug verwahret gehabt, so hat sie sich doch endlich einmal in der Nacht losgewirket und davon gelaufen.“ Am 20. Mai 1647 wurde bestimmt, daß bei eintretender Vacanz in dem 1344 gestifteten Hospital zum Heiligen Geist in Neustadt eine der 43 Präbenden dem wanwitzigen Sohn eines Bürgers aus dessen unterthäniges Anhalten zu geben sei und derselbe gleich andern darin unterhalten und verpflegt werden solle; dies Verfahren war also nichts Neues. Auch in Kiel finden wir noch 1740 das Heilige Geistkloster benutzt zur Aufnahme einer Geisteskranken, die aber bei zunehmender Erregung später (1742) in’s Zuchthaus gebracht wurde für Einziehung der Klosterpräbende, welche der Magistrat ihr ihrer Armuth wegen gewährt hatte. Begründet wurde der Antrag der Ueberführung durch die Bemerkung, daß dergleichen Personen wegen ihrer betrübten Gemüths-Verfassung [136] ohne zu besorgende üble Folgen in Keines der Armenhäuser dergestalt recipiret werden könnten, daß sie im selbigen gleich andern, Armen und Kindern, sich beständig aufzuhalten vermöchten. Sie wurde vorläufig in eine geheime Kammer des Zuchthauses gebracht wegen Mangels an Platz im Tollhause. Auch wurde der Magistrat in Kiel verpflichtet einen Theil der Verpflegungskosten zu zahlen, weil die Erträge der Klosterpräbende wohl nicht genügten.

Bei dem Mangel an allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über die Fürsorge für Irre geriethen die Nächstbetheiligten oft genug in Rathlosigkeit und Verlegenheit, die dann schließlich nur durch einen für jeden einzelnen Fall besonders gegebenen obrigkeitlichen Befehl beseitigt werden konnten. 1670 war ein sinnloser Mensch, nachdem er bereits „groß unglück“ angerichtet hatte, gebunden auf dem Amthause in Apenrade abgeliefert; der Herzog befahl ihn wohlverwahrt hinzusetzen und war daher sehr erstaunt, als er nach Verlauf eines Jahres erfuhr, daß derselbe sinnlose Mensch noch immer im Amthause sitze und von seinen Amtsunterthanen bewacht werden müsse. Er solle seinen nächsten Freunden überliefert werden, denen es von Rechtswegen obliege für ihn zu sorgen. Diese sollten ihn dergestalt bewachen, daß er niemand ferner beschädigen könne, sonst sollten sie es verantworten und büßen. Ob diese nun unvermögend waren dies zu thun oder es nicht wollten, genug sie thaten es nicht, und schließlich gab der Herzog am 19. V. 1671 seine Einwilligung dazu, daß der Kranke vorläufig daselbst verbleibe bis zur Erbauung eines besonderen Hauses, zu welchem die Eingesessenen der Heimathsortschaft des Erkrankten sich gutwillig erboten hätten. Die gesetzliche Verpflichtung zur Fürsorge irgend eines Theiles ist also damals hier noch nicht vorhanden; Landesfürst, Rath und Angehörige fühlten sich nicht verpflichtet, und es heißt ausdrücklich, daß die Heimathseingesessenen sich gutwillig erboten, ein besonderes Haus zu erbauen. Daß das Einzel-Irrenhaus auch gerade kein Palast geworden sein wird, können wir uns denken.

[137] 1730 konnte im Amt Hadersleben ein kleineres Kirchspiel die Kosten für die Unterbringung eines unsinnigen Käthners nicht allein aufbringen, und bestimmte daher ein Erlaß aus Kopenhagen, daß das ganze Amt dafür einzutreten habe; die Bitte eine allgemeine Kirchencollecte in den Herzogthümern zu diesem Zwecke auszuführen, beschränkte der König auf das Amt Hadersleben. Der Käthner scheint an periodischer Tobsucht gelitten zu haben und „da sich hier leider zu dergleichen Unglücke kein anstalt findet“, wurde ein vormaliges Offiziers-Haus eingerichtet, in dem der Kranke nebst seiner Frau und Kindern untergebracht wurde. Diese ungeheuerliche Maßregel gipfelt noch darin, daß dies Haus ein besonderes Behältniß von starken Eichenbrettern erhielt, in dem der Kranke beständig angefesselt werden mußte.

Während wir so im Schleswig’schen in dieser Zeit die Fürsorge nur auf einzelne Fälle eingerichtet sahen, finden sich im Holstein’schen mehrere bemerkenswerthe Einrichtungen umfassender Art. Aus Akten der Rentekammer geht hervor, daß schon 1732 in Oldenburg in Holstein ein Dollhaus bestand; wegen unregelmäßig eingezahlter Verpflegungsgelder wird in einer Beschwerdeschrift um eine specifizirte Liste gebeten, wie viel jeder Pflug zu zahlen schuldig sei. Die Zahl der Insassen kann allerdings nur eine geringe gewesen sein. Es befanden sich z. B. 1793 nur noch 2 Personen darin; der Amtmann berichtete daher, daß mehrere Aemter sich beschwerten über die von ihnen für das Dollhaus zu leistenden 120 111/2 ß,[WS 2] besonders da die darin annoch befindlichen 2 Personen gar nicht von der Eigenschaft seien, daß sie für Doll-Leute gehalten werden könnten. Einer scheint ein in der Reconvalescenz befindlicher Melancholicus gewesen zu sein, der andere ein periodisch erregter und religiös Verrückter. Interessant ist, daß ein Dr. P. aus Neustadt ein Gutachten über den ersteren abgab, worin er meint, dieser habe wenigstens damals als er in’s Tollhaus kam, nicht eine solche laesionem imaginationis, rationis, memoriae et phantasiae gehabt, als man bei Melancholicis und unklugen Leuten [138] wahrnimmt und könne man ihn nicht anders als höchstens für einen mit dem Schwindel und davon abhängenden Zufällen behaftet ansehen. Eine mitgetheilte Unterhaltung beweist aber zweifellos eine sehr gedrückte Gemüthsstimmung. Der Arzt empfiehlt dann die Entlassung, da er nicht gemeingefährlich sei und schlägt vor, ihn am Fuß zur Ader zu lassen circa aequinoctia et solsitium aestivum, öfters ein Fußbad zu brauchen und solche Medicamente zu geben, welche dem orgasmo sanguinis widerstehen. Der Patient war im Tollhaus übrigens schon zur Ader gelassen worden und hatte stark purgiren müssen. Es wurde dann das Zeugnis des Pastoren am Dollhause angezogen, der jene Menschen auch nicht für Doll-Leute halte. Sollten neue Erkrankungen eintreten, so könnten nach Ansicht jenes Amtmanns solche Personen wohl nach einem anderen Dollhause, Neumünster oder sonst, gebracht werden für 4 ß pro Tag, was eine Erleichterung für jene Aemter wäre. Es wurde dann bestimmt, das Dollhaus zu verkaufen, nachdem der Melancholiker auf freien Fuß gesetzt und der andere Kranke seinen begüterten Freunden, d. h. seinen 2 Schwestern, die vor 6 Jahren seines Unterhaltes überdrüssig geworden waren, zur selbsteigenen Aufsicht übergeben worden sei. Bei der Versteigerung des Dollhauses wurden 262 erzielt und wird angegeben, daß der Bau desselben seiner Zeit 2000 gekostet habe. Daraus muß man schließen, daß das Gebäude des Dollhauses mindestens einige Jahrzehnte bestand und inzwischen baufällig geworden war. Daß die Verwaltungskosten verhältnißtmäßig zu große waren, geht daraus hervor, daß angestellt waren: ein Pastor, ein Chirurg, ein Speisemeister und 2 Mann vom Corps der Invaliden und mehr, wenn zeitweilig eine größere Anzahl Kranker verpflegt wurde. Der Chirurg hatte Corporals-Rang, der Speisemeister war Gefreiter. Eine eigene Instruktion „vor dem beym Dollhause bestellten Pastor“ bestimmte, daß er ein bis zwei Mal in der Woche die Wahnwitzigen im Dollhause besuche, ihnen mit Lehren, Vermahnen und Tröstungen, nach eines jeden Zustande beyspringe, auch [139] bisweilen mit ihnen Bethstunden halte, wo es möglich wenigstens alle 8 oder 14 Tage, wie in dem Neumünster’schen Dollhause, damit solche Leute allgemählig auf bessere Gedanken gebracht und zur Pietät aufgemuntert werden möchten. Der Pastor soll berichten sobald bey einem Wahnwitzigen die Gemüthsbesserung erfolge, damit Keiner der Dollhauskasse zur Last falle und fernerhin darinnen länger aufgehalten werde, als es höchst nöthig sei. Außerdem wurde der Prediger als eine Art Aufsichtsbehörde über die Ordnung des Dollhauses gesetzt. Er berichtet dann auch einmal, daß mit dem derzeitigen Chirurgen dem Tollhause wenig oder gar nichts gedient sei, „denn einmal ist er nicht in loco, sondern wohnt zu Grube, und daher im Nothfall beschwerlich zu haben, ferner versteht er es meiner wenigen Meinung nach nicht solche patienten zu bedienen, und endlich so ist er auch sehr negligent und mit dem Besuch des Tollhauses sehr seltsam, so daß er in 4–6 Wochen kaum einmal anspricht, und wenn er ja kompt, nichts von Medicin oder andern dienlichen Dingen adhibiret.“ Er verlangt darauf einen geschickteren und geflißeneren Chirurgen, darauf man sich im Nothfalle verlassen könne.

Schließlich wäre über das Dollhaus in Oldenburg noch zu erwähnen, daß der Pastor bei seiner Aufhebung dem religiös Verrückten nochmals sehr ernstlich zureden mußte. Auch wurde ihm angedeutet, daß wenn er zu Hause nicht art- und friedlich sich bezeige, er in ein viel härteres Gefängniß gebracht werden würde!

Das Verfahren der Niederlegung des Dollhauses in Oldenburg hatte anscheinend an der entscheidenden Stelle, dem Herzog-Bischof in Kiel gefallen, und man ging daher im selben Jahre 1739 an die Niederlegung des Dollhauses in Trittau im südlichen Holstein.[7] Dies geschah, trotzdem ein längerer Bericht von dort aus folgende Gründe dagegen angeführt hatte. Solche Häuser im Lande beizubehalten, sei [140] höchst nöthig, um eintretenden Falls nicht nur Elende und ihrer Vernunft beraubte Leute dareinzusetzen, sondern auch den Nothdürftigen[WS 3] Unterhalt und dienliche Mittel zur Wiederherstellung ihrer Vernunft darzureichen, damit sie durch Gottes Gnade wieder in den Stand kämen, ihren Nächsten und sich selbst dereinst dienen zu mögen. Nach dem Bericht des Physikus Lüders könne das Dollhaus mit seinen drei Wahnwitzigen nicht aufgehoben werden, da zu befürchten, daß die darin befindliche Marie Ekluns aus Schweden im Entlassungsfalle ihren Unterhalt nicht finden und ihr dadurch Anlaß zu einer Desperation gegeben werden könne; von den beiden Männern sei der im Amt gebürtige Hinrich Hinsch ein Phantast, und der Diedrich v. B. aus Kiel mehr als ein Maniacus anzusehen, wesfalls weder dieser noch jener gleich der Ekluns loszugeben sei. Es wurde dann zunächst der Vorschlag genehmigt den von B. seinen Verwandten in Hamburg zu überweisen zur Ueberführung in den dortigen Pesthof, und die beiden Andern in das Neumünster’sche Tollhaus zu transportiren. Der Hinsch scheint nach anderen Angaben blödsinnig gewesen zu sein, die Ekluns periodisch deprimirt; diese war dort seit einem Jahr, der von B. 4 Jahre. Von ihm wird erzählt, daß er da säße, die Aermel bis an die Ellbogen aufgestreift wie eine Weibsperson, und auf Befragen auch sagte, er heiße Sophia Hedwig. Seine Wärterin berichtete, ehrmals wenn er noch so wol verwahrt gewesen habe er alles zerrissen. Dabei betont der Physikus, daß es mit der Kur solcher Leute sehr schwer hergehe, weil man ihnen medicamente übel beybringen könne.

Weitere Verhandlungen führten zu dem Befehl, die Vormünder der Hufe des Hinsch sollten ihn sicher unterbringen auf Kosten der Masse, bis seine Schwester sich verehelicht und die Hufe angetreten habe; sodann sollte sie ihren Bruder zu sich nehmen. Dagegen sei die Marie Ekluns, angesehen sie keine Anverwandte im Lande habe, bei einem guten dortigen Hauswirth zur Aufsicht und Verpflegung für einen wohl zu bedingenden Preis sicher unterzubringen. Der [141] von B. sei seinen Freunden zu überweisen. Es wurde auch nach dieser Vorschrift verfahren trotz eingehend begründeter und trefflich entwickelter Einwände des Amtsschreibers; in diesen wurde besonders betont, daß der entlassene H. leicht ein Unglück anrichten könne.

Der Niederlegung dieser Dollhäuser waren noch folgende Ueberlegungen und Untersuchungen voraus gegangen. Man unterschied Leute, die wirklich furiose und solche die nur in etwas verrückt oder albern seien; hätten Verwandte die Einsperrung verlangt, so hätten sie 40 Rthr. jährlich praenumerando dafür zu erlegen, es sei denn, daß sie arm und einen solch wüthenden Menschen nicht bei sich haben könnten, dann müße die hohe Herrschaft einen solchen auf ihre Unkosten drein nehmen. Die übrigen aber, so nur in etwas verrückt seien, solle man ihren Verwandten wieder zurückschicken, oder diese müßten eben die 40 Rthr. erlegen. Ein Zusatz erläutert diese Bestimmung dann noch dahin, daß die 40 Rthr. nur von denen zu fordern seien, die zu dem Dollhaus nicht monatlich contribuirten! Es würden dann wohl nicht viele in den Dollhäusern verbleiben und könnten die beiden Dollhäuser zu Oldenburg und Trittau eingehen und verkauft werden; hingegen könne man das zu Neumünster besser sammt dem Zuchthause aptiren, damit die armen Leute mehr frische Luft zu genießen hätten, da sie namentlich in dem letzteren sonst vor Gestank vergehen müßten. Der Zuchthausspeisemeister könne die dollen Leute mit beköstigen, und es sei dann nur noch ein verheiratheter Aufseher für das Dollhaus nöthig.

Das Dollhaus in Neumünster scheint 1728 gebaut zu sein und zwar getrennt von dem dortigen Zuchthaus. Obwohl ein Wechsel der Insassen auch schon vorher stattfand und die Verwaltung beider vielfach in denselben Händen lag, wurde doch erst 1746 vorgeschlagen, Zucht- und Dollhaus zu combiniren. Das Dollhaus lag hinter dem Zuchthause und war ein ins Quadrat gebauter Flügel von einem Stockwerk; jeder Wahnsinnige wurde in einer besonderen Coje verwahrt. [142] Am Eingange befand sich eine starke Hauptthür mit Schloß, Riegeln und Vorhang. Die Cojen lagen an einem Gang, hatten feste Eichenthüren mit einem eisernen Gitter; vor diesem befand sich außen eine mit einer eisernen Stange versehene Klappe, die so aufgestellt wurde, daß den Kranken die Speise vorm Gitter darauf gesetzt wurde. 1747 zeigte der Chirurg an, daß die Personen im Dollhause sich in gar schlechten und elenden Umständen befanden was Bekleidung und Bettzeug betreffe, um so mehr, da diese tollen Leute weder Kleider noch Bettzeug in 8–9 Jahren erhalten hätten, d. h. doch wohl, nur keinen neuen Ersatz derselben. Aber 1749 berichtet er wiederum, daß sie fast nackend und bloß einhergingen und sich vor Läusen nicht retten noch bergen könnten, auch kein Bettzeug mehr hätten, womit sie sich bedecken könnten. Die versuchte Combination mit dem Zuchthause hatte ihren Grund theilweise darin, daß man wegen der geringen Zahl der Insassen (1749 nur 7 Personen) daran dachte das letztere aufzuheben. Aber es waren dort auch nur wenige Geisteskranke, 1739 anscheinend nur 4, über die genauer berichtet wird, namentlich über ihre etwaige Entlassung. Dies geschieht von dem Feld-Propst Bötticher, Prediger am Neumünster’schen Zuchthaus. Er sagt: „was das Tollhauß betrifft, so ist der 1ste Gefangene B. C. Leetz meist ganz vernünftig und kann man bey Tage selten an ihn eine Ausschweiffung vermerken. Doch soll er je zuweilen des Nachts etwas unruhig seyn. Wenn also derselbe in Kiel bei seinen Angehörigen könnte untergebracht werden, könnte man ihn genung loslassen. Der 2te C. Witten ist etwas alber, doch dabei noch ziemlich geruhig, außer wenn der paroxismus kommt, denn alsdann wüthet er außerordentlich. Es gehet aber doch in einigen Tagen vorüber. – 3. L. A. ist vor Liebe rasend. Denn ob sie gleich schon alt und bey nahe 50 jahr ist, so waltet doch die Unruhe desfalls noch in ihrem Geblüte, ist dabei eigensinnig und böse, und muß zuweilen etwas hart gehalten werden. Auch diese könnte meines ermessens bey ihren Anverwandten allhie wol unterhalten [143] werden. Die 4te die Cranitscho oder Catrina, eine Zigeunerin, ist ganz alber und närrisch. Und ob sie zwar nicht mehr so furieuse ist als vordem, da sie im Zuchthause war, so ist sie doch zu keinen Dingen weder anzuführen noch zu gebrauchen.“

In einem später vermuthlich aus dem Jahre 1748 stammenden Verzeichniß wird von einem Tollhäusler gesagt: „er hat zwar etwas vom Delirio, besonders in den heißen Tagen, jedoch ist er kein furibundus.“ Eine Andere „ist zwar verwirrt, ist keine furiosa, nur verliebt.“ Ferner „die B., eine Zigeunerin, ist fast furieuse, jedoch noch mehr gewesen, und mit der Epilepsie beleget, dannenhero sie wohl nicht loßzulassen wäre.“

Die Zahl der Insassen des Dollhauses war demnach damals also gewöhnlich 3–4 Kranke.

Mit Berücksichtigung des oben erwähnten Verpflegungssatzes von 40 erfahren wir auch, daß die Zahl der nicht zahlenden Kranken durchschnittlich etwa 5 war bis zum Jahre 1748; denn in diesem Jahr wird gesagt, das Dollhaus habe nach Eintritt der Wahnwitzigen jährlich 200 gekostet. Diese geringe Zahl erklärt sich wohl aus der anfänglichen Beschränkung der Aufnahme auf unruhige und gemeingefährliche Kranke, da es heißt: in denen Dollhäusern sind keine von Adelichen oder andern Eingesessenen alss die Rasend oder Schaden thuend anzunehmen. Diese Beschränkung mag dazu beigetragen haben, daß man meinte nicht milde gegen die Irren sein zu können. Für diese Auffassung ist folgender Auftrag bezeichnend, den man von Kiel aus im Jahre 1729 dem Polizei-Lieutenant in Neumünster gab, also zu einer Zeit, als das sogenannte Tollhaus wahrscheinlich schon erbaut war. Der Auftrag lautete, den boshaften Züchtling P. für sein Schelten jedesmahl so gut und lange bis er solches nachläßet, freilich doch auch auf eine dem Leben und Gesundheit unschädliche Art tüchtig zu peitschen, auch allenfalß mit Ruthen zu züchtigen, zumahlen er nicht anders als wie die unsinnigen da zu tractiren ist. In dieser Anordnung stellte man die Kranken also tiefer als die Züchtlinge, und wird man [144] vermuthen und befürchten müssen, daß es überhaupt erlaubt war, sie ebenso wie die Züchtlinge mit Schlägen, gänzlichem Hungern, Anschließen an einen Block zu bestrafen, wie das Zuchthaus-Reglement vom 10. Dezember 1748 es vorschreibt. Wir müssen dabei aber bedenken, daß jene Zeit noch Härten kannte, die wir barbarisch nennen, denn am 3. Oktober 1732 wurde eine Verordnung erlassen, in der diejenigen, welche Züchtlinge absichtlich entwischen lassen, mit Verlust von Nase, Ohren und dgl. bedroht wurden. Daß man mit Recht darauf hielt, geisteskranke störende Insassen des Zuchthauses aus ihm zu entfernen, beweist ein Bericht von 1742, doch wird dabei mehr Rücksicht auf die Züchtlinge genommen und gedenkt nur der Pastor des schädlichen Einflusses einer aufgeregten auf eine andere ruhige Kranke, die sich auch im Zuchthause befand. 1741 war nämlich im November eine Thoden in’s Zuchthaus aufgenommen, die der Zuchthaus-Capitain gegen den Befehl der vorgesetzten Rentekammer auf Wunsch ihrer Freunde unter die andern Züchtlinge und nicht in eine geheime Kammer gebracht hatte. Der Amtsverwalter von Saldern berichtet nun im Dezember 1742, daß sie beinahe völlig rasend sei, unflätige Handlungen begehe, die Leute an der Arbeit hindere, den Gottesdienst störe, das Essen so zurichte, daß die Andern mit ihr nicht essen könnten. Er nennt es fast unchristlich, mit einer tollen Creatur unglückliche Menschen, die noch Vernunft haben, unglücklicher zu machen; die andern Leute wären vor ihr nicht sicher derbe geprügelt zu werden. Falls diese Person sich nicht ändere und in ihren exorbitanten Excessen fortfahre, Betten und Kleider ruinire, müsse andere Verfügung gemacht werden. Auch der Pastor berichtete, seines Wissens sei das Zuchthaus nicht vor Tollen Leuthen erbaut; sie störe den Gottesdienst. Wenn ein solcher halb rasender Mensch zu den anderen Gefangenen gebracht würde, so würde solches nicht nur eine unleidliche Strafe für sie sein, sondern es wäre auch zu befürchten, daß insbesondere die F., also eine andere Geisteskranke, dadurch ihres Verstandes völlig könne beraubt werden; [145] das sei nur um so unverantwortlicher als ja das arme Mensch nicht einmal etwas pecciret habe, wodurch sie die Strafe des Zuchthauses verdienet, und erwecke sie so schon mit ihrem elenden Leben Mitleid genug. Er nennt es dann ein gutes Werk die Zusammenkunft dieser Personen zu verhindern. Die vorgenannte Thoden war noch 1746 dort, aber im Dollhause, und erwartete ihre Abholung.

Daß unter den Züchtlingen in Neumünster manche Geisteskranke waren, werden wir noch später erfahren, aber man erkannte sie damals meistens nicht als solche; einzelne Kranke kamen indessen sicher in’s Zuchthaus, wie die vorstehenden Beispiele beweisen, trotz des daneben bestehenden Dollhauses; dieses hatte damals wohl nur Einzelzellen. Die geringe Zahl der vorhandenen Plätze war einer der Gründe hierfür, und darum wurden immer neue Vorschläge zur Entlassung gemacht und ausgeführt. Schon aus dem Jahre 1739 liegen Berichte darüber vor. 1746 wird bei Entlassung einer P. aus dem Dollhause Bericht erfordert, ob die übrigen drei Personen, die wegen delirium daselbst verwahrt waren, nur albern oder auch zugleich furieux und toll seien, so daß in dem Fall, wann sie frei kämen, man einer Schadens-, Zufug- und Ausübung von ihnen zu besorgen habe. 1748 wird ein Wüthender, der sich von seiner Kette losgerissen und den Chirurgen attakirt hatte, in ein geheimes Zimmer des Zuchthauses gesetzt und an die Krampe geschlossen, weil er im Dollhaus weniger sicher verwahrt schien; denn der Speisemeister[8] und der Dollhauswärter seien alte abgelebte Leute. Von den sonst erwähnten 2 Dollhausbedienten ist hier nicht die Rede. Die übrigen damaligen Insassen des Dollhauses waren, wie der Pastor berichtet, Gottlob nicht gänzlich rasend, sondern theils wahnwitzig, theils mit einer starken Melancholie behaftet, und bedürften seines Unterrichts und öfteren Zuspruchs. Für diese Thätigkeit war ihm schon 1729 eine Instruktion im Zuchthaus-Reglement gegeben. Nach demselben [146] mußte ferner der Zuchthausverwalter, der auch Chirurg war, die Wahnwitzigen mit Medicamenten versehen und allen Fleiß anwenden, daß sie curiret und zur Gesundheit des verlorenen Verstandes geholfen werden. Leider entsprach diesen humanen Vorschriften die Wirklichkeit doch noch nicht, wie wir sahen. Er sollte das Dollhaus mindestens einmal täglich besuchen. In Capitel IV des späteren Reglements des Jahres 1748 von der „Verwalt- und Administrirung der Dollhäuser und dessen Angelegenheiten“ heißt es in § 6:

In Ansehung der übrigen Warte und Verpflegung sind die Wahnwitzigen dem Dollwärter Hoffmann anzubefehlen, welcher dann nach aller Möglichkeit für die Reinigung und was sonst dahin gehütet, sorgen muß, wozu ihm von dem Inspektoren und Zuchthausverwalter dem Umstande nach, die diensamsten Anweisungen gegeben werden müssen, damit es in keinem Stücke woran fehle was zu Zweck dieses Hauses gemäß und zur Aufnahme dieser elendesten Menschen beförderlich sein kann.

und in § 7: Wenn ein Wahnwitziger stirbt, ist es mit dessen Beerdigung so zu halten, wie es ratione der Züchtlinge verordnet.

Als bezeichnend für die damalige Zeit füge ich hier einige andere Sätze aus dem Zuchthaus-Reglement für Neumünster von 1729 ein, die allerdings nur auf die Züchtlinge Bezug hatten.

III.2. Soll denen ehrlichen Züchtlingen alle acht, denen unehrlichen aber alle vierzehn Tage ein reines Hembd gereicht werden.

Ferner: Die unehrlichen desperaten Buben, so nicht in Cojen behalten werden können, sollen an einem schweren eisernen Block, woran eine Kette mit einem Bügel, an einem Fuße festgeschmiedet, und deren so wenig möglich, in einem Zimmer zusammen gelassen werden; ein solcher ist an der Schlaff-Stelle mit einer Schelle oder einer Hand, dem Leibe oder an einem Fuße dergestalt an einer Kette festzuschließen, [147] daß er nicht fortkommen, jedennoch ohne Schmertzen sich zulänglich bewegen können.

Aus einer Reihe von Rescripten und Ordres wegen „Loßlassung“ der Züchtlinqe in Neumünster von 1739–1766 erfahren wir wie manche derselben eigentlich Geisteskranke waren. 1740 berichtet der Prediger, 1) einer sei mehr albern als boshaftig und anscheinend von seiner Familie (ein Advocat in Schleswig wird genannt) ins Zuchthaus gesetzt um ihn los zu sein, unter der Beschuldigung der intendirten Lascivia; und es sei zu besorgen, daß seine Albernheit mit den Jahren zunehmen und bei längerer Detention wohl gar in einen gänzlichen Furorem degeneriren könne, so wie er sich bei dem 2. Züchtlinge leider wirklich äußere; bei diesem sei zu besorgen, daß der öftere Ansatz der Verwirrung zuletzt in eine förmliche Unsinnigkeit ausschlage. Der 7., bei dem die Loslassung in Frage kam, saß wegen crimen Sodomiae;; seine Entlassung werde Schwierigkeiten machen wegen des Stigma infamiae, so er vor der Stirn habe, wiewohl es mit der Zeit zugewachsen scheine. Von diesen wurde der erste dann zurückbehalten, da die Mutter gestorben, die andern entlassen auf geleistete Urphede die Herzogthümer zu verlassen. Um nicht zu ermüden durch Einzelheiten will ich nur bemerken, daß z. B. unter den 1749–60 entlassenen 26 Personen zweifellos 4 Irre waren. Ein Candidat S. war im Dezember 1759 als Melancholicos aufgenommen; über sein Vergehen finde ich Nichts; anscheinend genesen wurde er am 27. August 1760 entlassen auf folgenden Revers:

„Ich Endes Unterschriebener reversire mich hierdurch statt würklichen Eides bey dem Worte der ewigen Wahrheit, so wahr mir nemlich Gott zur Seeligkeit helffen soll, daß ich mich nach erhaltener Befreyung, vom bisherigen Arrest, an niemand Rächen, insonderheit auch die Stadt Kiel und meines Bruders – – Hauß daselbst niemals wieder betreten wolle. Urkundlich habe diesen Revers, eigenhändig unterschrieben.“

[148] Einen interessanten Beitrag zu der Kenntniß über die damalige Art sich unbequemer Angehörigen zu entledigen giebt Folgendes, wobei man an die jetzige Sitte denken mag moralisch Verkommene ins Ausland zu schicken. 1754 petitionirte ein Arzt aus Preetz um Loslassung seiner unartigen Schwester, die sich wegen ihres incorrigiblen Betragens seit einigen Jahren im Neumünster’schen Zuchthause befand; er wollte sie mit einem von Hamburg nach Carolina gehenden Schiffstransport fortschaffen lassen; die Kosten der Unterhaltung waren ihm zu groß. Die Schwester wurde ihm dann zu dem gedachten Zwecke in Neumünster „verabfolgt“. Da sie indessen 1756 wieder ins Zuchthaus gebracht wurde, scheint die Deportation nicht ausgeführt zu sein. Diese Kranke war schon früher aus der Haft im Altonaischen Zuchthause entlassen auf den von ihr ausgestellten Revers, daß sie diesen Ort meiden wolle. In Folge aufs Neue begangener Gewaltthätigteiten erfolgte 1751 ein Gesuch der Geschwister sie auf ihre Kosten so lange im Neumünster’schen Zuchthause bei Arbeit zu behalten bis sie zuverlässigere Hoffnung auf Besserung gebe. Sie wurde wie andere „dergleichen gemeine Züchtlinge“ zur gewöhnlichen Arbeit angehalten und mit der gewöhnlichen Speise und Kleidung versorgt.

Im Februar 1762 machte der Kammer-Assessor und Amtsschreiber C. der Kaiserlichen Majestät, Peter III, (dem der Amtsschreiber NB. bis an die Ewigkeit! zu regieren wünscht), den Vorschlag, 8 Männer und 4 Weiber aus dem Zuchthause zu amnestiren, darunter 2 wegen Incestes sitzende und einen jugendlichen Brandstifter; diese waren vermuthlich auch psychisch gestört, doch bemerkte die Rentekammer dazu, daß nur einer vorzuschlagen sei, da die andern größtentheils den Namen der gottlosesten Bösewichter verdienten.

Man beschäftigte damals die ruhigeren Geisteskranken im Zuchthaus übrigens ebenso wie im Dollhaus mit Stricken, jedoch ausdrücklich nur um einen Zuschub zur Kasse zu bewirken.

Die gleichzeitigen Rescripte wegen Aufnahme ins Zuchthaus enthalten unter 103 Stücken mindestens 40 Berichte [149] über Personen, die mir zweifellos Geisteskranke gewesen zu sein scheinen. Außerdem sind viele Schreiben über verwahrloste Individuen abgefaßt, die zur Correktion ins Zuchthaus kamen; ihr psychischer Zustand steht mindestens auf der Grenze des Pathologischen. Daneben finden sich auffallend viele Holzdiebe und Zigeuner.

Wir erfahren wieder, daß die Versetzung der Kranken ins Zuchthaus oder ins Dollhaus nicht nach bestimmten Principien geschah, sondern besonders abhängig war von zufälligen Verhältnissen wie Platzmangel, oder daß die Ansicht voranstand, man müsse die geistig gesunden Züchtlinge schonen. Diese arbeiteten ja und trugen dadurch zu ihrem Unterhalt bei; daher waren auch die Verpflegungskosten für die Irren durchweg höher. Wenn also noch wenig Humanität durchscheint, so berührt es um so erfreulicher, wenn man Aeußerungen echter Humaität begegnet wie in folgendem Falle. Es schwebten 1754 lange Verhandlungen über die Höhe der Verpflegungskosten für einen Ewald Lütje; er war schon 1741 dort gewesen, und scheint an einer alcoholischen Form der Erkrankung gelitten zu haben, denn nach Angaben der Schwester war er fast garnicht nüchtern; seine gewöhnliche Rede sei, er wolle sich aus dem Fenster stürzen, ertrinken, ein Unglück anstiften u. s. w. Es kam nun zur Frage ob er seiner Wahnsinnigkeit unbehindert die Arbeit zu verrichten im Stande sei und dann weniger für ihn zu bezahlen sei. Es heißt dann noch, wegen seiner krummen Finger eigne er sich höchstens zum Wollkratzen, nicht zum Spinnen; sicher werde er auch öfters wie solche Wahnsinnige schlimmere Intervalle haben, in denen er garnicht arbeiten könne, ferner könne man auf seinen geringen Verdienst um so weniger reflectiren, je gefährlicher es sei, einen seines Verstandes beraubten Menschen beständig bei den arbeitenden Züchtlingen in einem Zimmer sein und ihn gewisse Freiheiten eines vernünftigen Menschen genießen zu lassen, weil bei dieser eingeschränkten Lebensart sicher zu befürchten sei, daß seine Wahnsinnigkeit zu einer völligen Raserei ausschlagen dürfe. Und nun kommt man zu dem Schluß: [150] Ewold Lütje sei ins Dollhaus zu bringen und wie ein Patient mit Medicin, Feuerung und anderen Bedürfnissen zu versorgen und zu pflegen; und da ein solcher Mensch keineswegs wie ein anderer Züchtling anzusehen und zu halten sei, könne er auch nicht mit gleichen Kosten unterhalten werden.

Der Antragsteller Graf Rantzau verlangte auch, man solle ihn so lange behalten bis er völlig genesen oder, falls er nicht besser werden sollte, ein Behältniß für ihn im Gute gebaut worden sei! Das Dollhaus ist also als Heilanstalt betrachtet; erst nach erwiesener Unheilbarkeit wollte man den Patienten, wohl für immer, auf dem Gute in einem Behältniß unterbringen. Das mag also nicht so ganz unerhört auf Gütern gewesen sein. Auch 1756 erwähnt ein Rescript, daß man bei Ermangelung eines Maßes im Dollhause den Kranken in einem andern heimathlichen Behältnisse recipiren werde. 1762 wird eine Frau aus dem Gute Schinkel ins Dollhaus versetzt, für die man, da sie gefährlich mit Feuer und Licht umging, in ihrem eignen Hause einen viereckigen Platz mit Lattenwerk hatte umgeben und aptiren lassen, damit sie die Bettstelle darin behalten und frei und ungeschlossen umhergehen könnte. Sie brach aber die Wände ein, schlug die meisten Fenster im Hause ein und drohte Mann und Kinder umzubringen, die sie für Hexen hielt.

Besonders interessant sind nun aber die Angaben über das allmählich sich weiter entwickelnde Gefühl einer öffentlichen Verpflichtung zur Fürsorge; es tritt hervor in den schon früher bei Oldenburg erwähnten Verpflichtungen der einzelnen Aemter nach ihrer Pflugzahl zu den Kosten des Dollhauses zu contribuiren, also nicht nach der Zahl ihrer daselbst befindlichen kranken Einwohner. 1760 kam man mit den bis dahin jährlich verbrauchten 200 im Dollhause nicht mehr aus und es wurde mehr Geld gefordert. Es wurden zur Contribution die Aemter Kiel, Bordesholm, Neumünster, Trittau, Reinbeck, Tremsbüttel, Cismar und Oldenburg vorgeschlagen. Diese sollten dafür dann auch das Recht erhalten, etwaige Wahnwitzige frei aufnehmen zu lassen, oder [151] doch gegen niedrigere Sätze, wie das theilweise schon vorher geschah. Wie weit jene Forderung ausgeführt wurde, finde ich nicht, indessen eine Klage von 1752, daß Norder-Dithmarschen zu wenig zahle. „Die Folge würde aber dann sein, daß statt der bestehenden 4 Bedürfnisse 6 nöthig würden, umb nicht wie bishero im Nothfall die Wahnwitzigen im Zuchthause und geheimen Cammern zu placiren.“ Noch im Jahre 1750 wurde der Befehl ertheilt, das Neumünster’sche Dollhaus abzubrechen und an dem dazu ausgewiesenen Ort nebst noch zu erbauenden 2 Cojen wieder aufsetzen zu lassen; im November geschah dies. Leider scheint dadurch für Reinlichkeit nicht viel gewonnen zu sein, denn die im alten Dollhause so oft gehörten Klagen über Ungeziefer wiederholten sich auch im neuen; ebenso wird über Kleidermangel berichtet. Es ist daher auch zu befürchten, daß mit diesen Uebelständen ebenfalls die inhumane Behandlung der alten Zeit überging; aber die bessere Ansicht regt sich wie wir oben sahen. Ein weiterer Beweis ist die Cassirung eines Dollwärters ohne Abschied im August 1750, weil er nicht nur den Speisemeister und dessen Frau wiederholt geprügelt, „wie nicht weniger seine Bosheit an denen Wahnwitzigen ausgeübet und sie ohne Ursache tractiret; wie nun zwar einiger Maßen Furcht bey solchen Leuten seyn muß, so wird doch solches zur rechter Zeit und mit Maßen erfordert.“

Im Folgenden habe ich aus den Acten versucht, einige eingehendere Krankengeschichten zusammenzustellen; freilich ist dies nur sehr unvollkommen gelungen, aber sie sind doch geeignet, die damalige Irrenpflege zu beleuchten. Im Dezember 1750 beginnen lange Verhandlungen über die Entlassung eines ehemaligen Pastoren B., der wegen öffentlichen Aergernisse und grober Verstöße gegen die öffentliche Sitte im Zuchthaus inhaftirt war. Unterm 3. Dezember 1750 erfordert die Kammer ein Gutachten; am 10. antwortet der Kammer-Assessor und Amtsschreiber Cordemann: B. bezeugte wie leid es ihm sey, daß er bei empfundener hie bevorigen Unruhe, [152] wiewohl ohnwissend einigen Ausschweiffungen ergeben gewesen, welches gegebene Aergerniss er die allergnädigste Landesherrschaft jedennoch in Demuth abbitte, und nach nichts so sehr als seyne Freyheit sich sehne um künftig mit seiner Frauen einen stillen und ehrbaren Wandel führen zu können. Unter Berufung auf die übrigen Atteste und das Zeugnis sämmtlicher Zuchthausbedienten, daß B. gesund sei, wird die Entlassung vorgeschlagen. Die Motivirung des Archivdiakonus Beccau betont, das B. gegründet im Christenthum sei. Der Zuchthaus-Chirurg Carstens erklärt, daß der B. zeit seiner ersten Ankunft ein gantz ander Mensch gewurden und von seinem Malum de Mania völlig befreyet ist, umb, damit ich völlig davon überführet seyn wolle, so habe zum Oestern durch die Zuchthauss-Bedienten Proben auf allerhand Ahrt und weise anstellen lassen, selbe aber, hat vor alles dass, was ihnen zuvor lieb gewesen, einen greulichen Abscheue, und bereuet nichts mehr, alss sein vorhin geführtes, ärgerliches, lasterhaft, und Sündliches Leben. Schließlich giebt auch noch der Zuchthaus-Geistliche Hasselmann sein Gutachten ab: – ich finde Gottlob! anitzo seinen Zustand durch den Gebrauch heilsamer Artzneien gar sehr gebessert. Die seither begangenen Ausschweifungen seien aus dem Mangel einer vernünftigen Ueberlegung und aus einer unüberwindlichen Unruhe seines Gemütes und Leibes entstanden. Ferner sagt er: ich habe ihn im abgewichenen Jahr wenigstens 4 Monathe bei mir im Hausse gehabt, und ihn in seinem gantzen Verhalten so vernünftig befunden, daß ich schon damalen die gewisse Hoffnung hatte, seine Gesundheit würde völlig wieder hergestellt sein. Seine Conduite, die er über ein halbes Jahr bei meinem Bruder dem Pastor in Westensee geführt, war gleichfalls also beschaffen, daß alle, die ihn sahen, sich über seine Genesung freuten. Es scheint dies der Aufnahme in Neumünster vorausgegangen und dann unter Verlust der Nachtruhe die Erregung wieder eingetreten zu sein. B. fing damals an, Morgens um 1 oder 2 Uhr das Bett zu verlassen, allein auf freiem Felde herumzuwandern, bis ein nicht näher [153] bezeichneter Vorfall eintrat, der die Aufnahme erforderte. Der Pastor Hasselmann bittet schließlich in seinem Gutachten um Entlassung und Unterstützung zur Beruhigung des Patienten, der besonders wegen der Sorgen um die Zukunft ängstlich sei. Man entließ ihn dann bald wieder im Januar 1751 mit der Bestimmung die Stadt zu vermeiden; bei weiteren Excessen habe er zu gewärtigen, daß er zur Züchtlingshaft- und -Arbeit condemnirt werde. Schon im April desselben Jahres wird berichtet, daß B. sich vor einigen Tagen in Neumünster eingefunden und die „allergröbste Ausschweiffungen von sich blicken lassen, indem er mit Darstellung seiner Schaam auf öffentlicher Straße dem Frauenzimmer nachgelauffen, weniger nicht einer hiesigen bekannten Sechswöcherin das größte Schrecken veruhrsachet“; deshalb ließ der Amtsschreiber ihn vorläufig in die Zuchthaus-Wache setzen. Es wurde dann vom Zuchthaus-Verwalter ein Bericht eingefordert, ob der B. eine würckliche Gemüthskrankheit habe; außerdem wurde bestimmt, ihn mit der ordinairen Zuchthauskost zu verpflegen. Die Erklärung des Zuchthaus-Verkwalters und Chirurgen sagte aus, daß der gewesene Pastor B. wirklich ein Malum de Mania habe, anjitzo auch bei diesem hohen Wetter besonders schlecht sei, und dieses Malum sei stetig verschlimmert durch das Gesoff. Pastor Hasselmann reichte am 30. April 1751 einen Bericht ein, in dem er die Kaiserliche Hoheit bittet, daß er und die übrigen Verwandten des Pastor B. die zu seiner Unterhaltung erforderlichen Kosten alljährlich an die Zuchthauskasse erlegten, damit er nicht wie andere Züchtlige tractiret und zur ordentlichen Arbeit angehalten werden dürfe. Er fährt dann fort:

„Wenn nun, Allergnädigster Großfürst und Herr! dieser unglückliche Mann bekanntlich des Gebrauchs seines Verstandes nicht mächtig, wie solches aus so vielen beglaubten Zeugnissen geschickter medicorum, die ihn langwierig in ihrer Cur gehabt, als des Herrn Doct. und Prof. Struven in Kiel, des Herrn D. Hille in Oldenburg, des Herrn D. Wagner in Lübeck, und letzlich noch des Herrn Zucht-Hauß-Verwalters [154] Carstens genugsam zu erweisen, und dem alle diejenige, die in diesen seinen unglücklichen Umständen einen langwierigen Umgang mit ihm gehabt unwiederrechtlich beistimmen müssen, so muß ich die Landes-herrliche Gnade, denselben durch eine höchstnöthige Haft von denen thörigten und ärgerlichen Handlungen, in welche ein verwirrter Verstand ihn stürtzen mögen, zurücke zu halten mit allerunterthänigstem Dank verehren. Wie weit aber bei solcher seiner ihm von Gott zugeschickten Verrückung des Verstandes er, der so viele Jahre ein treuer rechtschaffene und beliebter Prediger gewesen, der sein Amt bis auf die Zeit dieses seines erlebten Unfals unsträflich und im Seegen geführet, über die in solcher Gemüths-Verwirrung vorgenommenen Handlungen mit einiger Strafe zu belegen, muß zu Ew. Kaiserlichen Hoheit gepriesenen Einsichten und Gerechtigkeitsliebe dahin gestellt sein lassen.“ Dann bietet Hasselmann sich in uneigennützigster Weise an, die Hälfte seines Zuchthausgehaltes fahren zu lassen, nur damit B. von der schimpflichen Spinnarbeit befreit bleibe. Dieser blieb davon dann auch in der Folge frei, scheint aber mehrere Jahre im Zuchthause gewesen zu sein. Erst Ende 1753 finden sich wieder Akten über ihn; in ihnen wurde verhandelt zwei „Inhafftirte“, von denen B. einer war, nach Neu-Schottland oder Süd-Carolina zu verschicken. Es werden ins Einzelne die Freiheiten mitgetheilt, welche die Regierung zu Süd-Carolina, unter Protection Sr. Königl. Groß-Britanischen Majestät den dorthin kommenden und sich niederlassenden Protestanten allergnädigst angedeihen lasse. Ich erinnere hier an den ähnlichen früheren Fall. Im Juli 1753 wurde der Transport ausgeführt, dessen Kostenrechnung vorliegt. Der Bericht darüber sagt, daß nur der ehemalige Pastor B. zur Verschiebung transportiert sei, während wegen einer Denunciation, daß er nach New-York ausrücken würde, der auch dazu in Frage stehende Züchtling einstweilen bleiben solle. Demzufolge hat der Zuchthausverwalter Carstens den B. jüngst abgeliefert und er ist so glücklich gewesen, denselben nicht nur sicher unterzubringen, sondern auch für den Arrestanten [155] selbst solche Vortheile zu erhalten, „daß dieser, wenn anderst seine Conduite darnach beschaffen, vor andern glücklich sein kann, maßen er zum Schiffsprediger angenommen, wovon nicht nur eine bessere Begegnung sondern auch vorzügliche Verpflegung, Verdienste und künftige Beförderung abhanget.“

Ein anderer Fall, dessen genauere Wiedergabe historisch interessant ist, betrifft die Acta wegen des bei der Universität zu Kiel gestandenen französischen Sprach-Meisters Gargan, und dessen recipirung im Neumünster’schen Zuchthause. Am 9. Dezember 1758 erging eine Ordre an den Inspektor, Cammer-Assessor und Amtsschreiber Cordemann folgenden Inhalts: Der bei der hiesigen Academie bisher gestandene französische Sprachmeister Gargan ist in solche betrübte Umstände gerathen, daß er alle möglichen Mittel zur gewaltsamen Verkürzung seines Lebens anzuwenden gesucht, und sich hiezu bald des Messers bald seiner Bettlacken bald anderer Sachen bedient hat, mithin zur Verhütung dieser bösen intention beliebet worden, daß er gegen Erlegung ein hundert Mark aus seiner laufenden Gage, zu desto sicherer Verwahrung in einem besonderen Zimmer des dortigen Zuchthauses aufbehalten werde.

Die 100 [WS 4] waren ein Drittheil seiner Gage. Die Kieler Academie hatte eine Anzeige über den elenden Zustand des G. gemacht und war dann die Aufnahme erfolgt. Der Prorector Dr. Struve stellte die Zahlungsassignation aus. Schon am 21. Dezbr. reicht die Frau folgendes Gesuch ein:

Allerunterthänigst demüthige Bitte abseiten Christina Margaretha Gargan ut intus humillime periculum in mora.

Durchlauchtigster Großfürst und Herzog,
Allergnädigster Herr;

Daß Ew. Kais. Hoheit allerhuldreichst geruhet haben nach dem traurigen Schicksale, so meinen Mann betroffen, seiner und seiner Kinder fernere Versorgung allergnädigst zu bewilligen, solches erkenne der Schuldigkeit gemäs, mit allerdemütigstem Danke.

Da nun aus solcher Landesväterligen Gnadenbezeigung [156] genugsam erhellet, daß Ew. Kais. Hoh. seinen Zufal nicht als ein Verbrechen in Ungnaden ahnden, sondern mit ihm nach höchster Gnade und Mitleiden zu handeln geruhen wollen; daher ich auch in allerdemütigstem Vertrauen mich versichert halte, daß es nicht nach der allergnädigsten Absicht Ew. Kais. Hoh. geschehen, wen sein jetziger Aufenthalt so unerträglich gemacht worden, daß er nothwendig verderben und umkommen mus; indem er in einem kalten Zimmer lieget und mit schlechter Züchtlingskost gespeiset wird.

So erkühne mich deswegen Ew. Kais. Hoh. um die allergnädigste Verfügung flehentligst zu bitten, daß mein armer Mann, bei seiner schwachen Leibesbeschaffenheit und besonders bei gegenwärtiger Kälte, ein gewärmtes Zimmer erhalte, nebst dem zum Getränke etwas Thee und nothdürftiges verdauliges Essen von des Speisemeisters Tische bekomme, auf solche Weise, wie der Speisemeister seine Kostgänger im Hause, jährlich für 40 zu verpflegen gewohnt ist. Solten die von Ew. Kais. Hoh. ihm ausgesetzten 100 ℔ zu solcher Verpflegung nicht hinreichend sein; so bin so bereit als willig, von meiner Armuth mir nach so viel abkürzen zu lassen, daß der Speisemeister, so wie er von seinen übrigen Kostgängern zunehmen gewohnt ist, jährlig 40 bekommen möge: weil sonst, wenn ich mich nicht zu allem erböte, es das Ansehen haben müsse, als wolte ichs ruhig geschehen lassen, daß mein Man etwa von Mangel und Frost umkäme. etc. etc.

allerdemütigste Magd C. M. G.          

Am 9. Juni 1759 erklärt der Amtsschreiber Cordemann, daß für 42 die verbesserte Verpflegung angängig sei auf eben den Fuus wie ehedeßen mit dem Pastor B. geschehen, und es die Persohn welche bey dem Zuchthaus-Speisemeister besonders in pension stehet noch itzo zu genießen hat als für

die Kost dem Speisemeister monatlich 3 36
Für Feuerung jährlich 4
Dem Zuchthaus-Verwalter contractmäßig für S: v:    
      Nacht-Geschirr pp. jährlich 2
  42

[157] dafür wird der Speisemeister sich nicht entlegen ihm statt der sonstigen Speisen etwas Thee des Morgens, auch als vieles sich thun laßen will, solche Kost zu Mittag und Abends zu geben, die sich für seinen Zustand schicket.

Er habe bereits die nöthige Erwärmung des Zimmers veranstaltet, auch übrigens, damit er von etwa ferner intendirender Beschädigung seiner Selbst, allenfalls abgehalten werden möge, die Vorkehrung gemacht, daß 2 Züchtlinge stets bey ihm in seinem Zimmer seyn und auf seine Unternehmung Acht haben müssen.

Im August 1760 beschwerte sich die Frau wieder, daß ihr Mann nicht mit der genügenden Reinlichkeit und Wärme versehen werde, auch sein Behältniß sehr schlecht und elend sei. Der Amtsschreiber rescribirt am 24. September, damit die wahre Beschaffenheit der jenseiths zum Theil ohne Grund erhobenen Klage nicht verborgen bleiben möge. Besonders habe die Frau Gargan, wie sie nachgehends hier war, einigen Verdrus und Widerwillen verspühren laßen, daß ihr Mann statt des gehabten Zimmers im Zucht-Hauße ein Behältniß im Toll-Hauße erhalten habe. Da ich indessen, nachdem durch die Entlassung des Candidati S. das vormahlige Gargan’sche Behältnis, wiederum ledig geworden, ihm daßelbe der erhaltenen Ordre zufolge, wieder übergeben, und ein räumen laßen wollen, hat er sich solches selbst sehr verbethen, und inständigst angehalten, ihm an den Orth wo er itzo ist, solange es die Kälte immer verstatte zu lassen, indem er da, den Umständen nach, vollenckommen zufrieden sey.

Man sieht wie ungenügend die Heizeinrichtungen und ihre Benutzung im Zucht- und Dollhause gewesen sein müssen.

Im Juni 1761 wurde Gargan wegen seiner gegenwärtigen guten Gemüths-Beschaffenheit wiederum auf freien Füßen gestellet und seiner Frauen zur anderweitigen Verpflegung und Wartung übergeben.

Eine Reihe von Einzelnachrichten, die Verhältnisse in Neumünster betreffend, sollen hier noch einfach in chronologischer Folge wiedergegeben werden, da ihre sonstige Zusammengehörigkeit [158] eine meistens nur lockere ist. Es werden auch einige nicht psychiatrische Dinge dabei berichtet.

Ich beginne mit den Nachrichten über die Aufnahme: Im Juni 1740 wird ein Joseph P., der seiner Sinne nicht mächtig, ins Zuchthaus gebracht, jedoch ohne zur Arbeit zugezogen zu werden, auch bey seynem Zustande Ihm weder Messer, Gabel, noch ander dergleichen Instrumenta, wodurch Er sich einigen Schaden zufügen könne, gelassen. Jedenfalls eine humane Berücksichtigung.

Ein Beispiel wie nahe sich auch schon damals Elend, Vergehen und Krankheit des Geistes standen, ist folgender Fall. Ende 1740 wird ein alter Mann aus nicht näher bezeichneten Gründen als Züchtling aufgenommen. Kurz vorher hatte er ein Gesuch eingereicht, seine Schwester ins Dollhaus aufzunehmen, welche schon in die 10 Jahre sehr miserable an einer Gemüths-Krankheit und andern Zufalle darnieder gelegen, mithin all ihr weniges Vermögen theils verzehret, theils aber, wiewohl ohne Nutzen, an Artzlohn gewendet, und also dadurch in äußerste Armuth und Elend gerathen. Der Bittsteller führt aus, daß er seiner Elenden Schwester nicht die Aufwartung leisten könne, welche dergleichen im Kopfe verwirrt seyenden Leute bedürffen; es sei ja aber vor dergleichen Nothleidenden Persohnen das sog. Toll- oder Krancken-Hauß zu Neumünster verordnet, dass sie daselbst aufgenommen und ihnen ihr Unterhalt und Pflege gnädigst ertheilt werde. Die Aufnahme geschah darauf.

Im März 1742 wird Matthias St. aus Oldenburg seiner mit Bosheit verknüpften Wahnwitzigkeit halber bis zur Genesung und Besserung unter die Zahl der ehrlichen Züchtlinge gesetzt.

Im folgenden Fall vermuthe ich auch eine Kranke; 1745 wird die 15 jährige unartige Tochter eines Musketiers unentgeltlich aufgenommen wegen vielfacher Diebereien. Sie wahr mehrfach scharff castigiret, einmal im Kriegsverhör scharff mit Ruthen gepeitschet worden, ohne eine besserung zu verabspühren. Der Bericht enthält auch die Bemerkung: welches [159] man sich kaum bey einem so jungen Kinde vorstellen solte, ein solches vertracktes Gemüth anzutreffen.

Nicht immer waren die bezahlten Verpflegungskosten gleich hoch, sondern abgestuft nach den Versmögensverhältnissen der Zahler. In der Stadt Eutin fehlten die Mittel zur Einschließung der Unruhigen, es wurde 1748 eine Frau in Neumünster recipirt, nachdem auf Gesuch des Magistrats in Eutin die Kosten von 40 auf 36 herabgesetzt waren, da das Vermögen der Stadt sehr schwach sei. Eine Privatrequisition aus Oldenburg wurde für 30 jährlich durchgesetzt durch Vermittelung des Bürgermeisters und Raths der Stadt. 1749 wird eine Unsinnige aus dem Amte Trittau für 100 aufgenommen, welche die Hufe ein für allemal leisten könne.

Im November 1750 wird ein Hans M. aus dem Flecken Braunschweig recipirt, der an chronischem Alkoholismus litt. Er ging täglich in die Branntweinhäuser, trank für 2 ß täglich, drohte wiederholt mit Brandstiftung, schlug seine Frau und drohte sie zu tödten. Schon 1746 äscherte durch seine Schuld ein Brand 13 Gebäude ein, man hatte aber die Frau verdächtigt und sogar für 2 Jahre ins Zuchthaus gebracht.

1752 wird ein junger Kaufmann aus Lübeck, also ein Auswärtiger, wegen ausschweifender Lebensweise für 200 = 66 32 ß recipirt, wovon 17 32 ß für Stube, Feuerung, Aufwartung und Bewachung gerechnet wurden, 13 für Wäsche, Licht, Medicin und Bett.[WS 5]

In diesem Jahre wird auch eine Leibeigene aus dem Gute Eschelsmark, also aus dem Herzogthum Schleswig recipirt.

1753 wird die unsinnige Tochter eines Wittwers mit 6 Kindern gratis aufgenommen; nach einer Angabe in dem Gesuche des Vaters war sie nur dann von zwei starken Manns-Personen zu regieren, wenn sie zuvörderst gebunden und an einer Krampe befestigt worden war. Wäre dies nicht geschehen, so sei sie während des Paroxysmus wohl schon ein Mörder an ihrem eigenen Cörper geworden.

[160] 1756 wird ein 13 jähriger Knabe wegen Brandstiftung auf unbestimmte Zeit aufgenommen und beim Eintritt derbe gepeitscht, damit er sein den Jahren nach sehr boßhaftes Verbrechen desto besser empfinden möge; gleichzeitig wurde befohlen auch in solchen Fällen die Acta in Zukunft an eine Juristen-Fakultät zur Belehrung des Spruchs ehestens zu versenden.

1758 soll ein epileptischer Knabe aufgenommen und womöglich curirt werden. Der Zuchthausverwalter hat vergebens versucht ihn anderswo unterzubringen, konnte dann aber durch Verlegung Platz im Weiber-Zuchthause schaffen. Darauf heißt es: „Was die Curirung eines solchen Patienten anlanget, so ist solches die mehreste Zeit sehr mislich und da ich in ansehung die monathl. 8 ß für Medicin nicht in vermögend bin Versuche anzustellen in dem solche leiden die mehreste Zeit duppelt ins Dollhauß angewandt werden,“ so will er für ein Extraordinarium, „sich alle ersinliche Mühe und Kosten nehmen und geben, und wo möglich, Ihn Curiren.“ Es wurden ihm dafür jährlich etwa 5–6 bewilligt.

1758 erging eine Ordre vom Großfürsten Peter über einen Deserteur Mousquetier Haußmann: „So wollen Wir daß auch noch vor diesmahl, und insonderheit, da von demselben hat gesaget werden sollen, daß er zuweilen einen Anstoß einer Verrückung im Kopfe bekommen, und in solchem Wahnwitz auch weggegangen seyn soll, aus allerhöchst besonderer Gnade, diesen Mißethäter zwar das Leben geschenket, haben (Strang); – Es soll derselbe jedoch, weil Er schon zweymahl desertiret ist, durch Vier und zwantzig-mahliges Gaßen-Lauffen hinter Kurtz-Gewehr gestraffet, und noch überdem mit Siebenjähriger Zucht-Haus-Gefängniß beleget werden.“

May 1759 wird eine Kindesmörderin aus Cismar mit der Todesstrafe verschonet, und an deren Statt mit ewiger Gefängniß im Zuchthause bestraffet. Dabei wird Klage über Ueberfüllung geführt.

September 1759 wird ein Christian Rosenbug aufgenommen; dieser zu Trittau in gefänglicher Haft befindliche [161] Inquisit war nach der an ihn vollstreckten Tortur mit einer starken Wahnsinnigkeit befallen; bey solchen Umständen dürfe die Unterhaltung desselben in seiner bisherigen Detention, dem Amte Trittau gar zu lästig fallen es auch nöthig sein, daß demselben zu seiner Genesung die gehörige Mittel adhibiret würden.

Januar 1760 bittet der russische Hof-Prediger Benedictus Krihorowitz um Aufnahme für seinen Anverwandten Paul Marson, den er aus Petersburg mitgebracht habe. Er war 16 Jahre alt und nicht zu erziehen, darum sollte er auf eine Zeitlang zur Correction ins Zuchthaus.

Mai 1760 geschah die Aufnahme einer Leibeigenen aus dem Gute Groß-Nordsee wegen Ehebruchs und versuchten Kindsmords.

1760 ward geklagt über das Ungeziefer, mit dem die Gefangenen gemeiniglich behafftet seien, wenn sie kämen. Es wurde damals ein Gelaß unter einer Treppe mit Holz verkleidet und als Behältniß eingerichtet.

Nachdem ein unehrlicher Scharfrichterknecht einen Mörder eine Zeitlang im Zuchthause hatte schließen und aufwarten müssen, wollte keiner von den Wächtern noch der Zuchtknecht Hand an ihn legen; dadurch entstanden große Kosten und Unordnungen.

August 1760 bittet der Organist Carstens aus Neumünster um Aufnahme einer Verwandten, welcher der Zuchthaus-Chirurgus Carsten nach seiner bekannten Menschenliebe und vieles Mitleiden ihm zur Freundschaft umsonst curiren und Medicin geben wolle. Sie litt an periodischer Erregung.

December 1759 erhält der Conditor S. aus Kiel die Aufnahme für seinen aufgeregten Bruder, einen studiosus juris.

December 1760 erhält der Etats-Rath und Landvoigt P. aus Heide einen starken Verweis, weil er einen zum Zuchthaus Condemnirten direkt nach Neumünster geschickt habe ohne an das hohe Regierungs Conseill eine Vorstellung zu erlassen und eine Receptions-Ordre bei der Kammer zu erbitten. [162] Die Aufnahme war doch geschehen um Kosten zu vermeiden.

Juli 1761 wird ein Mann wegen incestes mit seiner Stieftochter aufgenommen, diese desgl. für 6 Jahre; ferner ein im Kopf verrückt und doll gewordener Musketier.

1762 Juli wird ein geisteskranker Krüppel recipirt, der aber nur als Verbrecher angesehen wird; er hatte mehrfach ohne Grund Leute bedroht und angegriffen.

1762 September wird ein Mann wegen criminis Sodomiae aufgenommen.

1763 September wird ein mit Epilepsie behafteter Züchtling ins Dollhaus versetzt, weil er die Züchtlinge bei der Arbeit zu sehr störe. Er war Deserteur gewesen.

1766 wird Jemand wegen seines „unsinnigen Betragens“ doch ohne Willkommen aufgenommen.

Ferner setze ich noch hierher einige Mittheilungen aus Rescripten und Ordres wegen Loßlassung der Insassen, und aus späteren Akten der Rentekammer.

1739 wird ein Kranker entlassen, der den Tag über ganz ordentlich sei, die Nacht aber bisweilen fantasire, um Platz für einen andern Wahnwitzigen zu schaffen.

1750 weigert sich Norder-Dithmarschen zum Dollhause in Neumünster beizutragen, was nie geschehen sei. Die Aemter Kiel, Bordesholm und Neumünster mußten zusammen jährlich 120 zahlen, jedes entsprechend seiner Pflugzahl.

Juli 5 wird der unsinnige Unteroffizier Tern ins Dollhaus auf Antrag der Frau gebracht und müssen die Verpflegungskosten dafür von seiner Gage abgehen. Er hatte im Delirium seine Frau geprügelt. Auf Antrag der Frau erfolgte im Nov. seine Entlassung, da sie in Geldnoth war und Tern nach einem Gutachten des Chirugen von seinem Malum de Mania befreiet und curiret war. Im Zuchthaus war er (ohne Alcohol) immer ordentlich und gesund gewesen. Die Frau wurde verdächtigt ihn aus Eigennutz ins Zuchthaus gebracht zu haben, nach Abzug der Gage aber habe sie sich besonnen, da sie diese ganz für sich zu erhalten gehofft habe.

[163] 1752. Klage des Chirurgen über großen Verbrauch von Bettstroh und Nachtgeschirr der Wahnwitzigen. – – Wann nun diese höchst bejammernswürdigen Leute nicht allein die mehresten Nächte das Stroh besäßen, ja zuweilen mit Koth besudeln – – so daß doppelt soviel mindestens als für einen Züchtling erfordert werde.

Juli 1752 wird die Versetzung einer Tollen ins Dollhaus aus dem Zuchthause beantragt, weil sie, obwol nicht wüthend, doch beständig die allerthörichtsten Possen treibe und ohne Unterlaß bald weine, lache, singe und tanze, mithin die übrigen Weiber-Züchtlinge, indem sie ihre Gaukeleien ansahen, von der Arbeit abhalte. – Es geschah dann.

Dezbr. 1754 wird die Coje im Dollhause, welche für ganz rasende Personen bestimmt sei, beansprucht für einen im Zuchthause Befindlichen, weil er an dem äußersten Grad der Raserey laborire und bey seinem dermahligen Aufenthalt in der Zuchthaus-Wache an Händen und Füßen steths geschlossen gehalten werden müsse, um die von ihm tentirten Ausbrüche der Wuth zu verhindern. Es wird dabei der Vorschlag gemacht für seine arme Wittwe jährlich vor den Kirchen-Thüren seines Amtes zu sammeln, als Mittel der Behörde! sie zu unterstützen. Der Kranke hatte seine Mutter mit einem Beile an den Kopf geschlagen.

Febr. 1755 Gesuch des Chirurgen und Zuchthaus-Verwalters – – „ob mir nicht, dem, von der Apoplectie überfallenden, und aus Berlin gebührtig seyenden, Beschuldigten Mordbrenner, Johann Christian Lütjens Cörpers, nach dessen Absterben, zu schenken geruhen wollen, um, an den Cadaver, einer Section zu verrichten, und zu Anatomiren, besonders, da dieser J. C. L. zum offteren, einen Besonderen accident in der Brust gehabt, woraus ich mir nicht förmlich habe vernehmen können, und solches, bei Eröfnung des Cörpers, deutlich erfahren werde.“ Es wurde gewährt.

Dieser L. starb jedoch nicht so bald, sondern wurde im Sept. wegen „strafbarer Unternehmungen“ (Entweichungsversuche) [164] in einem besonderen Behältniß allezeit an einem Stender geschlossen gehalten und oft gepeitscht.

Nov. 1755 Bericht … „daß der unglückselige Jürgen Köhn aus dem Amte Oldenburg, so nicht allein beständig fast mit der Epilepsie behaftet, sondern auch die Füsse mehrentheils abgefrohren, und zu dem ende beständig auf die Knieen gehen muß, ferner, hat er die ganze Zeit seines Hieseyn, Tag und Nacht heftig gewütet und geschrieen, wodurch er, denen andern Wahnwitzigen, gantz irre und verwirrt macht“.

1755 befand sich ein Ehepaar Rissen aus Wesselburen im Zuchthause wegen Gemüthskrankheit, der Mann wurde bald genesen entlassen, die Frau litt an schwerer Melancholie. „Der Paroxysmus bricht in sonderheit, zwar in keiner Wuth, sondern mittelst einer Tiefsinnigkeit und beständigem Weinen bey ihr aus, wesfalls man dan bey dieser Persohn durch Härte nichts ausrichtet, vielmehr mit derselben Mitleiden haben mus, hinfolglich solche zu Züchtlings-Arbeiten, wozu sie ohnhin kein Natürliches Geschicke hat, nur leidlich angehalten werden darft, und dieserwegen der Zucht Haus Casse weit mehr denn andere Züchtlinge zur Last kömt.“ – Gegen die Entlassung der Frau hatte das heimathliche Kirchspiel protestirt, weil sie „die Freiheit zum Saufen wieder erlangen möchte“ und zahlte die Verpflegungskosten im Zuchthaus. Dies Verhältniß wurde für 1 Jahr zu ihrer Correktion gewährt.

Jan. 1756. Gesuch des Chirurgen Carstens, in welchem er berichtet, daß der Lütje wider aller menschliche Vernunft curiret sei.

„Wann es sich aber zugetragen, daß der Wahnwitzige und mit der Epilepsie behaften Jacob Buermeister, gleichfalls vom Schlage gerührt worden ist, nun dieser Apoplexia Sideratio Morbus Attonicus, besonders gefährlich und tödtlich ist, weile einer gäntzlichen Laesion und Relaxirung denen Nerven ist, mithin, nach menschlichen ansehen nach, nicht über 2 monathe leben kann; Als habe Ew. Kaiserliche Hoheit hiedurch allerunterthänigst bitten sollen, ob Höchst Ew. Kaiserliche Hoheit nicht die Hohe gnade vor mir haben wolten, [165] das ich nach Absterbung, diesen Wahnwitzigen Jacob Buermeister’s Cörper Ceciren und Anatomiren möchte, besonders hätte ich diesen Cörper sehr gern, um zu sehen, in wie weit die gemeinschaft der Epilepsie mit dem Cerebro ginge, oder ob denen im Haupte seyenden Glandula Pinealis, etwa laediret seyn möchten, oder ob sich in den Grisa Substantia Cerebri, oder im Cerebello etwas finde, daraus diesen gefährlichen und betrübten Krankheit, seinem Ursprung mit hernehme.“

December 1756 wird über einen Züchtling berichtet, der seit gekannter Zeit nicht mehr arbeiten könne und am 8. October 1755 aufgenommen war. Er litt entschieden an Melancholie, Anfangs wurden Medicamente gegeben, Zwang angewandt und an Simulation gedacht. Doch zeitweilige Exacerbationen mit Nahrungsverweigerung brachten die richtige Auffassung. Als Gründe zur Entlassung wurden angeführt die Last für die Zuchthauskasse, da er arbeitsunfähig sei, und die Möglichkeit einer Genesung bei guter Pflege der Seinigen. Es wurde von der Camera befohlen ihn vor der Hand besser zu halten, von der Arbeit zu dispensiren, und dann wurden Verhandlungen zur Entlassung begonnen.

März 1757 wurde in Glückstadt und Kiel geplant, alle Zigeuner ins Zuchthaus zu bringen. Doch waren zu Neumünster nur 25 Plätze für Männer und 30 für Weiber überhaupt, während circa 60 Zigeuner zu erwarten standen. Es wurde eine Umlage á Pflug zur eventuellen Deckung der Kosten vorgeschlagen.

1757 macht der Vater des oben erwähnten B. aus Schöningstedt ein Vermächtniß, daß der erkrankte Sohn im Falle der Genesung 50 erhalte, sonst diese Summe an das Dollhaus fallen sollte (als Beitrag zu den Unterhaltungskosten). Außerdem sollte das Zuchthaus die Hälfte des Nachlasses erhalten.

Nov. 1757 wird berichtet auf ein Ausnahmegesuch, daß 7 Persohnen im Dollhause seien und nur 6 Classen (=Cojen?); eine Wahnwitzige sei im Weiber-Zuchthause, und eine müsse alle Abend auf den Doll-Haus-Boden gebracht werden, hinfolglich [166] sei kein Platz. Im December 1757 wird daher auch ein Aufnahmeantrag abgelehnt, der einen Lübeckischen Untergehörigen betraf, bei dem Malum de mania vorhanden war. Er hatte einen Tagelöhner zu entleiben versucht, und hatte die Juristen-Facultät zu Rostock ein Urtel darüber gefällt.

1757 December wird noch ein anderer geisteskranker Verbrecher aus Preetz ins Zuchthaus gebracht.

1763 empfiehlt der Zuchthausverwalter einen Züchtling wegen seiner stillen Gemüthsbeschaffenheit als Dollwärter zur Pflege und Aufsicht der Wahnsinnigen.

Aus den Rentekammerakten erfährt man noch Einiges über die Verpflegungskosten und die dabei üblichen Einrichtungen. Ein Cammer-Rath Jahn wird als Entrepreneur des Zucht- und Dollhauses bezeichnet; nach einem Contract war nun dieser Unternehmer nur verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Kranken ohne besondere Vergütung aufzunehmen. Es wird daher z. B. im Februar 1773 bestimmt, jährlich aus der Cammer-Kasse pränumerando 36 an den Canzlei-Rath Jahn auszuzahlen für einen in Schwermuth gerathenen Insten aus der Braunschweig, da die contractmäßige Anzahl der unentgeltlich aufzunehmenden Personen im Dollhause über complet sei.

1778 wird um Vergrößerung des Dollhauses in Neumünster gebeten; dasselbe sei nur für 6 Wahnwitzige eingerichtet, und wenn mehrere vorhanden, müßten sie in denen Geheimen Cammern des Zuchthauses aufbewahrt werden. Am 9. März 1783 reichte der die Anstalten in Neumünster beaufsichtigende Physikus Suadicani in Segeberg ein Gutachten ein, worin es nach einer Klage über die thranstinkenden Zimmer heißt: „Und nun vollends die Wahnsinnigen! was soll der Chirurgus damit anfangen? soll er sie heilen? das ist so leicht nicht; und doch wäre vielen dieser unglücklichen zu helfen! viele wären ihren Kindern, Verwandten, Mitbürgern wiederzugeben – könnten nützliche Glieder des Staats werden anstatt daß nun die Art der Einsperrung und Gesellschaft das sicherste [167] Mittel wird sie auf immer unheilbar zu machen.“ Er schlägt dann vor der Chirurgus habe sich nicht mit der Behandlung der Geisteskranken zu befassen. Einen Arzt gab es aber nicht in Neumünster und so waren die Kranken ihrem Schicksal überlassen, wurden aber doch dem schädlichen Einfluß des Chirurgen entzogen. Ein vorgeschlagener Anbau kam nicht zur Ausführung. Dagegen wurde im Juni 1789 bestimmt, daß die 6 Wahnsinnigen aus dem Neumünster’schen Zuchthause und die künftigen Wahnsinnigen aus dem vormals großfürstlichen Antheil des Herzogthums Holstein in das Glückstädter Zuchthaus aufgenommen werden sollten, weil der vom Physikus Suadicani vorgeschlagene Anbau in Neumünster mancherlei Schwierigkeiten habe. Ein Hauptgrund Suadicani’s war die Einrichtung von Räumen zur Beschäftigung, weil die Kranken sonst in dunklen Behältnissen auch während der Zeit der Reconvalescirung bleiben müßten.

Die letzten Bemerkungen wiesen uns schon hin auf das Irrenhaus in Glückstadt, zu dessen näherer Betrachtung wir nun schreiten. Das Zuchthaus in Glückstadt scheint 1735 gegründet worden zu sein; 1755 wurde ein Irrenhaus daneben erbaut. Nach einem unterm 28. September 1754 aus dem Königlichen Conseil an die Ober-Inspection des Glückstädtschen Zuchthauses erlassenen Schreiben war die Absicht bei Anlegung und Einrichtung des seit dem Jahre 1755 mit dem dortigen Zucht- und Werkhause verbundenen Dollhauses, das letztere nur allein zur Aufbewahrung solcher Personen einzurichten, die uneingesperrt sich selbst oder der menschlichen Gesellschaft durch ihre Gemüthskrankheit nachtheilig würden. Ein Hospital sollte es aber so wenig sein, daß damals weder ein Arzt noch Chirurgus angestellt, sondern die Aufsicht über die Wahnsinnigen und Tollen, für deren Wiederherstellung nichts geschah, dem Speisemeister und einigen dazu tauglichen Züchtlingen anvertraut wurde. Als später ein Tollvogt, der wöchentlich einen Thaler erhielt, angenommen war, und ein Arzt und ein Chirurgus bei dem Irrhause angesetzt waren, fand ein Referent mithin diese Anstalt, so viel es sich den [168] beschränkten Umständen nach thun ließ, so eingerichtet, daß darin allenfalls Wahnsinnige geheilt werden könnten.

Hier wie überall begegnen wir Anfangs der Abneigung der Behörden und Beamten ruhige Geisteskranke aufzunehmen; dabei wird nicht immer klar, ob der Grund mehr in der Ansicht lag, der Staat habe nur die Pflicht für störende Kranke zu sorgen, oder ob man glaubte die Pflege der ruhigen Irren in privaten Verhältnissen sei der schlechten Einrichtung im Irren- und Zuchthaus vorzuziehen. Mag die Kenntniß der mangelhaften Zustände in ihnen die letztere Ansicht unterstützt haben, so glaube ich doch, daß das Gefühl der Pflicht zu öffentlicher allgemeiner Fürsorge noch fehlte, oder sich doch grade erst damals entwickelte. Aengstlich besorgt war man aber, daß die Zahl der Pfleglinge nicht zu groß werde und war nach dem Reglement zu beobachten, daß in „jedem Dollhauß wenn 2 außer denen Herrschaftlichen über der Zahl vorhanden Keiner mehr gemeldet werden solle, es war dann sehr etwaß extraordnaires grobes.“ Doch muß die Zahl der Kranken sich in Glückstadt auch etwas vermehrt haben; die disponiblen Räume standen dazu in keinem Verhältniß, und 1755 wird in einem Bericht über die Ursachen des Verfalls des Glückstädter Zuchthauses als eine der wichtigsten Ursachen der 1755 vorgenommene Anbau für Tolle und Wahnsinnige im Preise von 8000 angegeben, eine relativ große Summe; später erfahren wir, daß Platz für 49 Wahnsinnige vorhanden war; die wie oben erwähnt noch schlechteren Zustände der Einrichtungen für Geisteskranke in Neumünster führten daher zur Auflösung des dortigen Dollhauses (1789) und zu seiner Combination mit dem Glückstädter.

Zu der Zeit waren in Glückstadt also 49 Plätze für Wahnsinnige, jedoch in den letzten 20 Jahren höchstens 33 davon besetzt. Nach einem Bericht der Ober-Inspection des Glückstädter Zuchthauses vom 20. Februar 1789 waren diese Behältnisse, die „Tollkammern“, zum Theil nur 81/2 Fuß lang und 6 Fuß breit, in der untersten Etage gelegen; vermittelst einer in der Thür angebrachten Oeffnung wurden den [169] Kranken die Speisen gereicht. Allerdings wurde zu solchen Einsperrungen nur selten geschritten, weil man die Rasenden mit besserem Erfolg entweder in geräumigen und hellen Kammern an der Bettstelle anschloß oder in einen besonders eingerichteten Tollstuhl sperrte, der mehr und minder eine Befestigung der Hände und Füße zuließ, je nachdem der Grad der Wuth eines oder das andere nothwendig machte. Deliranten kamen in Kammern mit eisernen Stangen und Aufschlage-Fenstern, von denen die kleinste 10 Fuß lang und 5 breit, die größte 14 lang und 11 Fuß breit war, bei einer Höhe von 131/2 – 10 Fuß.

Von diesen Behältnissen sind Skizzen im Grundriß vorhanden. Die Pritschen standen unter’m Fenster, Oefen waren nur in sehr wenigen, aber in jedem ein „Block nöthigenfalls zum Anschließen von Rasende und Unsinnige“. Einzelne hatten einen Tisch; eine Kammer war ohne Fenster, eine andere wird eine dunkle Kammer für Wahnwitzige genannt. Im Ganzen sind 20 solcher Räume, je 10 in einer Reihe verzeichnet.

Es gab 39–76 Fuß lange Corridore, und die Kranken benutzten den Spazierhof der Züchtlinge. Einzelne gingen auch mit zur Arbeit in die Stadt, brachten Waaren an die Schiffe u. s. w.

Im Jahre 1737, also schon vor Erbauung des Irrenhauses war ein Chirurg am Glückstädter Zuchthaus angestellt, der monatlich 8 Rthl. erhielt, außerdem aber noch Extrabezahlungen für Extrafälle, ja sogar für Bart- und Haarscheeren erhielt er pro Kopf jährlich 1/2 Thlr. 1743 wollte man den Physikus Dr. Hansen für innere Kuren mit 50 jährlich anstellen, bei einem damaligen Bestand von 50 Züchtlingen; dieser nannte den oben erwähnten Barbier einen unwissenden Menschen. Während der nächsten Jahre scheint die Frage der Anstellung des Medicus geruht zu haben, weil der Dr. H. wegen einer Affaire mit seinen Creditoren wenig habe am Ort sein können; 1748 wurde dann die Anstellung des Arztes der Kosten wegen abgelehnt. Von 1760–1786 finden wir als Zuchthausarzt den Physikus Dr. Koeppen angestellt, [170] und sein Nachfolger war bis 1833 der Physikus Dr. Koch, zu dessen Zeiten wichtige Veränderungen eintraten.

Sehr erfreulich ist ein Bericht vom 6. August des Jahres 1782, den die Königliche Ober-Inspektion des Glückstädter Zuchthauses erstattet; es leuchtet daraus schon der freie Geist humaner Irrenpflege hervor. Ich gebe folgende Sätze des Berichts hier wieder. „Allein es giebt bei dem Unserer Oberaufsicht Allergnädigst anvertrauten Institut noch eine Classe von Leuten, deren trauriger Zustand uns dringend am Herzen liegt, die unser und eines jeden ganzes Mitleid verdienen, und die, um es nicht beim bloßen Mitleide bewenden zu laßen, gegenwärtige ganz gehorsamste Vorstellung veranlassen. Dies sind nämlich die Unsinnigen und Wahnsinnigen im Tollhause. Der Chirurgus Beye behauptet nicht ohne Grund, daß die Sorge für die Wiederherstellung dieser Unglücklichen ihm, nach seinem Contracte, nicht zur Pflicht liege: und wenn auch diese Behauptung ungegründet wäre, so würde es doch wenig helfen, ihn hierzu pflichtig zu machen, da zu dieser schweren Cur mehr Einsicht und Geschicklichkeit erfordert wird, als von ihm vermuthet und verlanget werden kann. Der Physikus und Dr. Köppen aber ist noch weniger diese Cur unentgeltlich zu übernehmen schuldig. Jene bedauernswürdige Leute sind also von dem Augenblicke ihres Eintritts ins Tollhause an, bloß ihrem kläglichen Schicksal überlassen. Nicht sie allein aber sind ea, die einen gerechten Anspruch auf unsere Hülfe machen, sondern auch diejenigen, welche für ihre Detention im Tollhause jährlich 40 thl. bezahlen, dürften nicht unbillig erwarten, daß mit der Sorge für ihre sichere Bewahrung hieselbst auch die Sorge für ihre Wiederherstellung verknüpfet werde, zumalen eben in dieser Rücksicht für einen Wahnsinnigen 8 thl. mehr als für einen Züchtling bezahlet wird. Oft werden und müßen diese unglücklichen Geschöpfe ins Tollhauß abgeführet werden ehe daß vorhero wirksame Mittel anhaltend zu ihrer Genesung angewandt werden, weil bei dem ungewissen Ausgang, theils die Kosten zu ihrer Heilung, theils die Kosten zu ihrer sicheren Bewachung, die [171] Kräfte derjenigen übersteigen, denen sie zur Last fallen. Wird nun hieselbst für ihre Wiedergenesung nicht gesorget, so werden Menschen, denen vielleicht im ersten Anfange der Krankheit leicht zu helfen wäre, vernachläßigt und diejenigen die vielleicht binnen kurzer Frist von der Last ihrer Unterhaltung befreiet werden könnten, müßten solche viele Jahre lang tragen.“ Der Physikus Köppen wolle für 25 thl. die Cur der im Tollhauß befindlichen übernehmen; 2 mal wöchentlich oder mehr wenn nöthig. Gleichzeitig wird ein Antrag gestellt auf Einlieferung einer historia morbi und Einrichtung eines eingefriedigten Spazierhofes.

Der Sohn des Zuchthaus-Chirurgen Diener verschrieb noch eine Zeitlang Recepte!! und machte die Visiten statt des Vaters; auch machte er in 2 Stunden 20 Aderlässe. Er weigerte sich aber dem Physikus Koch täglich Rapport abzustatten.

Diese offenbaren Mißstände mögen wohl den Erlaß besonderer Verordnungen für den Arzt bedingt haben. Eine Instruktion vom 22. April 1786 bestimmt, daß der Zuchthausarzt die Wahnsinnigen in der Regel die Woche zweimal besuche. Damit nun der Aufmerksamkeit eines Arztes nicht gelegentlich einmal die Heilung eines Wahnsinnigen entgehe und da es eine große Härte sein würde einen solchen länger als nöthig im Irrenhause zu halten, so wurde am 20. August 1796 bestimmt, daß der Arzt am Ende eines jeden Vierteljahrs zu berichten habe über den körperlichen und Gemüthszustand der Kranken, und seine Meinung hinzufügen solle, ob die Entlassung dieser Personen auch Bedenklichkeiten unterworfen sei. Schon im Jahre 1795 schreibt der Physikus Dr. Koch in einem Bericht über Glückstadt, daß daselbst viele Gefangene und Wahnsinnige am Faulfieber gestorben seien. Die größere Sterblichkeit der Wahnsinnigen beruhe nicht auf schlechten Wohnungs-Verhältnissen, denn die armen ausgemergelten Wahnsinnigen, die 1789 aus dem Neumünster’schen Irrenhause ins dasige verlegt wurden, ließen ihre Freude über den Genuß größerer Freiheit laut werden.

Eine relative Ueberfüllung des Irrenhauses machte sich [172] schon bald bemerklich, wie aus einem amtlichen Bericht vom 12. Jan. 1799 hervorgeht: „Das Tollhaus in Unserer Stadt Glückstadt ist eigentlich nur für solche Wahnsinnige angeleget und eingerichtet, die ohne Besorgliche Gefahr nicht in Freyheit gelaßen, oder die nicht sonst irgendwo zur Aussicht Heilung und Verpflegung füglich untergebracht werden können. Es hat sich aber schon oft der Fall zugetragen, daß Personen nach dieser Anstalt gesandt wurden, die blos blödsinnig oder in einem geringen Grade schwermüthig gewesen sind und keineswegs für wirkliche (!) und gefährliche Wahnsinnige (!) angesehen werden können. Da nun hieraus sowohl für das Institut, als für die unglücklichen Gemüthskranken selbst nachtheilige Folgen entstehen, So haben Wir, zur Verhütung derselben, zu resolviren und für die Zukunft festzusetzen gutbefunden, daß ohne Besondere vom Obergericht zu Gottorf und der Holsteinischen Landesregierung zu Glückstadt etc. zu ertheilende Receptionsordre: 1, aus dem Herzogthum Schleswig 2, aus dem Herzogthum Holstein und der Herrschaft Pinneberg, Niemand in das Glückstädter Tollhaus aufzunehmen, und allen Obrigkeiten sowohl in den Städten als auf dem Lande zur Pflicht zu machen sey, nur solche Wahnsinnige, von denen mit Grund zu besorgen ist, daß sie uneingesperrt sich und der menschlichen Gesellschaft schaden würden, nicht aber Personen die blos mit einer geringen Melancholie und nur mit Nervenschwächen und epileptischen Zufällen behaftet, oder für blödsinnig zu halten sein, zur Abführung nach dem Tollhause, unter Anlegung der erforderlichen Beweisthümer, in Vorschlag zu bringen; wobei denn auch den Aerzten oder andern Ausstellern der vorgeschriebenen Atteste, die vor Ertheilung derselben anzuwendende gewissenhafteste Sorgfalt und eine anhaltende genaue Untersuchung des wahren Zustandes der Gemüthskranken einzuschärfen ist etc.“ Freilich wurden durch diese merkwürdige Definition der Pflege bedürftiger Kranken oft gerade heilbare Fälle von der Aufnahme ausgeschlossen.

Eine zweite in den Berichten oft wieder berührte wichtige Frage betrifft die Höhe des Verpflegungsgeldes. Wie in [173] Hamburg auf dem Pesthofe und in Neumünster wurden von den Communen jährlich 40 Rthlr. für einen Geisteskranken bezahlt. Später (1775) wird der Gebrauch gemeldet, daß die Zuchthauscasse für jeden Züchtling 26 , die Commune zu dieser Summe noch 14 für jeden Unsinnigen zuzahlen müßte; das hieße doch wohl, daß der Staat die Grundlage der Kosten von 26 zahlte. Aber später erfährt man aus den Berichten, daß die Gesammtsumme von den Communen aufgebracht werden mußte. Es werden nämlich weitläufige Verhandlungen über eine Erhöhung des Kostgeldes geführt; man glaubte bei der alten Summe von 40 käme die Anstalt um 7 Rthl. 15 ß für einen Wahnsinnigen zu kurz, und die Communen würden immer noch eine Erleichterung finden bei Erhöhung des Kostgeldes auf 50 für Wahnsinnige, (auf 36 für Züchtlinge), da man Wahnsinnige nicht für 50 in ihren Wohnörtern unterbringen könne. Das genannte Deficit der Verpflegungskosten wurde nach Bericht des Inspector Laehndorff vom 24. October 1799 besonders hervorgerufen durch das Verderben von Kleidungsstücken, Mobilien und Gebäuden durch die Unsinnigen. „Ein Wahnsinniger erhält täglich 1 10 Lth. Rogkenbrodt[WS 6], welches mit der dazu nöthigen Butter gegenwärtig wenigstens kostet

      21/4 ß
das Mittagessen     2
also täglich für Speiße     41/4 ß
     das macht jährlich 32 Rthl. 151/4 ß
für Kleidungsstücke jährlich 4 -
für Bier 1 -
Das Gehalt des Vogts, welcher für die
     Wahnsinnigen gehalten wird, beträgt
     außer den Emolumenten, welche ihm
     zu gut kommt, jährlich 52 Rthl.,
     davon kommt auf einen Wahnsinnigen
2 -
Die Feuerung im Winter zu zwei großen
     Stuben für jedes Geschlecht einer
     kommt auf jeden Wahnsinnigen
1 16
          zu übertragen 40 Rthl. 311/4 ß

[174]

           Uebertrag 40 Rthl. 311/4 ß
Betten, deren Unterhaltung nebst dem dazu
     erforderlichen Stroh
1 -
Medicamente und Arztlohn 1 -
Dasjenige, was an Kleidungsstücken,
     Fenstern, Mauern, Fußböden, eisernen
     Ketten!, Schlössern etc. von der
     wutende ruiniret wird, muß mindestens
     für jeden in Anschlag gebracht
     werden mit
1 16
Die Unterhaltung des Gebäudes, nämlich
     der ganze Flügel nach Süden, welcher
     für die Wahnsinnigen bestimmt und
     in welchen selbige befindlich, kann für
     jeden jährlich mindestens in Anschlag
     gebracht werden mit
2 -
          Summa 47 Rthl. 151/4 ß

Nach dieser Kostenberechnung fährt Laehndorff fort: „Unmöglich kann, ich muß es mit innigster Betrübniß leider gestehen, für ihre Bequemlichkeit und Genesung etwas außerordentliches itzt gethan werden. Es gäbe aber noch eine andere Rücksicht, aus welcher die Erhöhung des Kostgeldes sehr zu empfehlen sein mögte. Bekanntlich werden wohl von den Obrigkeiten zuweilen Leute hier her gesandt, welche sich eigentlich nicht zum Tollhause qualificiren, sondern bloß unter Aufsicht gehalten werden müßen. Die Unterhaltung eines solchen Menschen, welcher oft nur blösinnig, oder mit epileptischen Krankheiten behaftet ist, kostet der Commune ungleich mehr, als wenn sie ihn hier für 40 unterbringen und so aller weiteren Vorsorge überhoben sein kann, und daher könnte wohl dieser wohlfeilere, dem Kranken aber nicht heilsame Weg mit unter eingeschlagen sein. Dieser Mißbrauch, welchem die Stimme der Menschheit so laut widerspricht, wird durch die Fortsetzung eines gehörigen Kostgeldes auch vorgebeugt, [175] und die Anstalt wird also nicht nur für die wirklich Wahnsinnigen zweckmäßig und nützlich eingerichtet, sondern eine verkehrte Anwendung derselben ist auch auf die Art entfernt.“ Er schlägt 60 Kostgeld vor, jedoch wurden nur 50 bestimmt. Für unruhige und gemeingefährliche Kranke fühlt die Ober-Inspection sich also zu sorgen verpflichtet; die übrigen werden den Communen zugeschoben. Einige Einzelberichte mögen die eben berührten und einige andere Verhältnisse klar stellen.

Im Jahre 1787 war Anna Peters aus Niebüll, Amt Tondern, zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe wegen Mordbrennerei und Drohungen verurtheilt. Näheres fehlt in den Acten. Bei der Aufnahme am 9. August 1787 wurde im Receptionsprotocoll bemerkt, „der Chirurgus Diener hat angezeigt, daß sie wahnsinnig sei“. Als nun nach 3 Jahren die Commüne aufgefordert wurde, die Verpflegungskosten nachträglich zu zahlen, weigerte sich dieselbe, weil vor der Aufnahme Niemand daran gedacht, daß sie krank sei und man nie an die Heimath-Commüne gemeldet habe, daß die Peters wahnsinnig sei, woraus man schließen müsse, daß sie während der letzten Jahre für das Zuchthaus gearbeitet, also ihm auch genützt habe. Wenn sie im Zuchthaus wahnsinnig geworden sei, so habe dies die Kosten zu tragen. Die Untersuchung ergab, daß beim Dienstwechsel des Provisors Unordnungen vorgefallen und darum die Meldung unterlassen sei. Der Physicus Koch attestirt 1790, daß die Peters epileptisch und wahnsinnig sei. Der Werkmeister bezeugt, „daß mit der A. P. aus dem Amte Tondern bei der Ablieferung im Zuchthause den 9. August 1787 ihrem Urtheil gemäß, von mir sogleich die Sorgfältigsten versuche gemacht sind, ihr in dieser oder jener Zuchthausarbeit zu unterweisen und anhalten zu lassen, um künftig eine oder die andere treiben zu können. Sie aber sogleich wiederstrebte, auch bey angewandten ernstlichen Zwangsmittel, sich übel gebährte und Alles verdarb, selbst andern gefährlich zu werden schien“. Sie wurde schon nach 2 Tagen am 11. August in’s Tollhaus geschafft. Hier [176] mußte sie nach Bericht des Speisemeisters „in Anfällen der stärksten Wuth oft in Ketten geschlossen werden.“ Sie sei nie boshaft, immer wahnsinnig gewesen. Die Commune mußte dann nach Allerhöchstem Rescript nachzahlen.

1789 bat die Generalmajorin v. B., daß ihre wahnwitzige Tochter, deren Unterhaltung im Zuchthause zu Hamburg bis dahin 200 jährlich gekostet hatte, ins Zuchthaus zu Glückstadt für 100 aufgenommen werden möchte. Verhandlungen wie viel eine bessere Verpflegung mehr kosten würde, hatten das Ergebnis, daß 119 nöthig seien.

1795 finden wie eine zweimalige Abweisung des Marcus Bröcker zu Apenrade, der befreit werden wollte von den Unterhaltungskosten für seinen kranken Sohn, weil er verarmt sei. Er stand dicht vorm Concurse, weßhalb er zahlen sollte, bis er bonis cedirt habe. Es wurde dann der Verkauf seines Schiffes nöthig.

1801 wurde ein Antrag auf Aufnahme einer Nymphomanen ins Irrhaus abgewiesen, weil die Patientin nicht gemeingefährlich sei.

1806 wurde der Antrag einer Frau auf Entlassung ihres Ehemannes abgelehnt, weil dieser periodisch erregt und gemeingefährlich sei; die Frau wollte ihn auf der Insel Ramsö unterbringen. Dieser Mann war vor der Aufnahme „einem Bändigungsversuche von Seiten eines ihm an cörperlicher Kraft völlig gewachsenen Fußknechts unterzogen gewesen, welcher aber nur einen temporären Erfolg gehabt hatte“. Auch war er nach Zertrümmerung der Fenster eines Nachbarn und sonstigem Unfug mit einer ernsthaften Ermahnung entlassen, obwohl man wußte, daß er krank war. Schließlich wurde er auf Vorschlag des Physikus ins Zuchthaus gebracht, wo er sich unter strenger Aufsicht und regelmäßiger Thätigkeit am ehesten beruhigen werde.

Eine 71jährige Frau wurde 1806 aus dem Irrhaus entlassen, weil seit 2 Jahren keine Spuren von Krankheit mehr vorhanden. „Bereits im Februar vorigen Jahres wurde in Anregung gebracht, daß sie entlassen werden könne. [177] Das Obergericht trug aber, durch mehrere Beispiele von der Unsicherheit der scheinbaren Besserung wahnsinniger Leute belehrt, billig Bedenken.“

1808 wollte man eine Melancholische von der Aufnahme abweisen, weil sie augenblicklich an stillem Wahnsinne leide. Erst eine Bitte des Mannes an den Kronprinzen erzwang die Aufnahme. Die Kranke hatte Versuche gemacht, sich das Leben zu nehmen.

Ueber sonstige Einzelheiten unterlasse ich es hier zu berichten, weil sie vielfach nur die bei den andern Zucht- und Tollhäusern berührten Verhältnisse wiederholen würden. Die Trennung des Zucht- und Tollhauses geschah erst 1820 mit Errichtung der Irrenanstalt bei Schleswig. Daher ändern sich auch in dem Zeitraume bis dahin die Zustände kaum, und noch 1816 begegnen wir z. B. dem Vorschlag, minder gefährliche und besser gesinnte Zuchthausgefangene als Wärter und Wärterinnen bei den Irren anzustellen. Ein nach meiner Auffassung zweifellos Geisteskranker wird 1818 zu lebenslänglicher Haft gebracht.

Obwohl nicht im Zusammenhange stehend mit dem Tollhause in Glückstadt, füge ich hier doch ein Beispiel der Irrenbehandlung in Glückstadt aus jenen Zeiten an. Im Jahre 1761 wurde ein Soldat der Garnison, der aus Lebensüberdruß ein sechsjähriges Kind auf der Straße erschoß, auf öffentlichem Markte gerädert, nachdem er 9 Wochen hindurch wöchentlich an dem Ort der That gepeitscht worden war. [9] Das geschah in einer Stadt die ein Irrenhaus besaß! Uebrigens hatte noch 1714 in Glückstadt eine Teufelsverschreibung stattgefunden.[10]

Unter den größeren Städten der Provinz hatte besonders Flensburg schon frühzeitig ein Zuchthaus. Am 24. October 1748 reichten Bürgermeister und Rath der Stadt Flensburg [178] ein Gesuch beim König ein, ein allgemeines Zucht- & Werkhaus für das Herzogthum Schleswig einzurichten. Veranlassung zu dieser wiederholten Eingabe war die Abweisung eines Receptionsgesuches eines Studiosus O. in das Glückstädter Zuchthaus, weil dieses „nicht eben zur Aufnahme und Bewachung wahnwitziger Leute eingerichtet“ sei. Einige Jahre später wurde ein „privatives“ Zuchthaus in Flensburg eingerichtet.

Hier ist von weiterem Interesse die folgende Nachricht. Am 22. Februar 1800 ergeht an den Magistrat zu Flensburg ein Schreiben des Inhalts: „Da es der Kanzeley auffallend gewesen ist, aus dem vom Flensburg’schen Magistrat unterm 18. v. M. eingesandten Verzeichniße der im dortigen Zuchthause sitzenden Personen zu bemerken, daß von den in dieser Anstalt unter Aufsicht befindlichen Wahnsinnigen im vorigen Jahre sechs Personen entlassen worden; So wünscht die Kanzeley von gedachtem Magistrat mit einer Nachricht versehen zu werden, welche Bewandniß es mit der Gemüthskrankheit dieser Genesenen eigentlich gehabt habe und ob etwa die Herstellung derselben irgend einer besonderen Behandlungsart oder Heilungsmethode des bey der Anstalt angestellten Arztes zuzuschreiben sey.“ Zu diesem Falle stellte sich heraus, daß es sich zwar um keine Wahnsinnige gehandelt hatte, aber der Magistrat entwickelte am 27. Mai 1800 folgende Gründe für die Aufnahme solcher in das Flensburger Zuchthaus. „Das für die Bestrafung und Detention der unter dem Weichbilde der Stadt Flensburg sortirenden Einwohner dienende Zuchthaus liegt in der Stadt selbst, also ganz in der Nähe, und fallen daher die lästigen Transport-Kosten weg, womit die von Glückstadt weit entfernten Kommunen dieses Herzogthums, die ihre Züchtlinge oder Wahnsinnige dahin senden dürfen, sich bebürdet sehen müssen. Hier ist keine übereilte oder mißbräuchliche Einsperrung der am Verstande leidenden zu besorgen, weil entweder Verwandte oder Bekannte oder Nachbarn der Detinirten in der Nähe sind, und sich seiner annehmen können. Dem Ausbruch eines höheren Grades [179] des Wahnsinns kann oft vorgebeuget werden, wenn man diejenigen, die mit Melancholie oder Nervenschwäche befallen sind, unter eine zuverlässige Aufsicht setzet, auf ihre Diät und Thätigkeit ein wachsames Auge hat und dafür sorgt, daß sie von den Hülfsmitteln des Arztes wirklichen Gebrauch machen. Dies läßt sich nicht allemal in Privathäusern erreichen. Aber in einem öffentlichen Institut findet sich dazu eine zweckmäßigere Gelegenheit. Man würde also solchen Personen eine Wohlthat entziehen, wenn man ihre Aufnahme in das Flensburger Zuchthaus untersagen, und sie erst dann dahin abliefern wollte, wenn sie offenbar zu den gefährlichen Wahnsinnigen gehören. Ob solche Personen also in einem Privathause oder in einem Zimmer des Zuchthauses detinirt werden, ist in Flensburg einander gleich zu achten, und letzteres wegen der Aussicht und Diät weit vorzuziehen.“ Am 18. Juli 1800 schreibt darauf das Königliche Obergericht aus Gottorff: „Nach dem gefälligen Auftrage einer Königl. Deutschen Kanzeley, hat das Obergericht festzusetzende Regeln an die Hand zu geben, wodurch der Möglichkeit eines willkührlichen Verfahrens in Hinsicht der als Wahnsinnige in das Zuchthaus zu Flensburg einzusperrenden Personen vorgebeuget werden könne. Der Unterschied zwischen Bestrafung und Detention muß in beyden Fällen als die Grenzlinie angenommen werden, und Anleitung zu den Regeln geben, die hierbey vorzuschreiben sein dürften. Demnach sind diejenigen, die wegen eines Vergehens zu Strafe verurtheilt worden, mit züchtlicher Haft zu belegen, diejenigen aber, die zur Sicherheit für sich und andrer nur zu bewahren sind, als Wahnsinnige in das Zuchthaus, welches in ihrer Hinsicht blos als ein Irrenhaus anzusehen ist, aufzunehmen.“ Es sollten dagegen Trunkenbolde nur auf Attest eines Richters aufgenommen werden, also nicht wie Wahnsinnige als Kranke angesehen werden und durften mit Wahnsinnigen nicht verwechselt werden. Bis zum Jahre 1817 führte ein deputirter Bürger die Aufsicht über das Flensburger Zuchthaus, ohne einer weiteren spezielleren Controle unterworfen zu sein. 1836 heißt es: Neben den [180] Züchtlingen und (Industrie)-Zwangsarbeitern befinden sich in der Anstalt noch einige Schwach- und Blödsinnige, deren Zahl gegenwärtig jedoch nur 3 beträgt, während sie im Jahre 1824 die Hälfte sämmtlicher Detinirten ausmachte. Es ist indessen bereits als Princip angenommen, daß die Aufnahme von Individuen der Art künftighin nicht mehr gestattet werden soll. Auf der einen Seite erheischt die absolute Nothwendigkeit strenger Ordnung und Disciplin, daß alle diejenigen, welche einer solchen Anstalt anheimfallen, sich auch einer schärferen Zucht, als sonst von ihnen verlangt werden würde, unterwerfen müssen. Aber auch die 3 Blödsinnigen seien Subjecte, bei denen nach dem Ausspruche des Arztes anhaltende Thätigkeit und strenge Aufsicht die einzigen Mittel möglicher Genesung wären. Endlich aber werde es von der Einsicht der Inspection mit Recht erwartet werden dürfen, daß sie in der Anwendung der Strafe die nöthige Conduite brauche, namentlich aber den allgemeinen Rechtsprinzipien entgegen keine Schwachsinnige oder sonst Imputationsunfähige unter das Gesetz subsumiren werde. 1833 wird bemerkt, daß der Raum es nicht gestatte, die Irrsinnigen von den zur Zwangsarbeit Verurtheilten gesondert schlafen zu lassen, und zwar waren es zusammen 20 Männer und 19 Weiber in 2schläfrigen Betten; oder man gab Bettstellen, die mittelst einer bretternen Zwischenwand getheilt waren, eine Einrichtung, die schon vorher im Schleswiger Taubstummeninstitut und in der Glückstädter Strafanstalt sich als zweckmäßig bewährt hatte!

Von den sonst bekannten Zuchthäusern der Provinz fand ich in den mir vorliegenden Akten nur noch einige spärliche Notizen. 1732 gestattete Christian VI, daß in Altona auf Kosten der Stadtkasse ein Zucht- und Werkhaus eingerichtet werde. 1803 wurden in Altona frische Psychosen ins neue Krankenhaus, unheilbare ins alte gebracht, wo auch für Rasende besondere Behältnisse eingerichtet waren. In Tondern war das Zucht- und Arbeitshaus ans Hospital angebaut. Es kamen hinein: Wahnsinnige, Bettler, Müßiggänger und Säufer. Es wurde ein Vorschlag gemacht die Ersteren in [181] besonders dazu einzurichtenden festen Behältnissen zu verwahren.

Aus den vorhergehenden Auseinandersetzungen geht deutlich hervor, daß bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein praktisch nur eine ungenügende Irrenpflege in Schleswig-Holstein vorhanden war, wenn auch hier und da theoretische Betrachtungen angestellt wurden, die eine Verbesserung der Zustände verlangten und auch anbahnten. Es ist nun von Interesse die Spuren aufzusuchen, welche allmählich auf den richtigen guten Weg leiteten, an dessen Ende wir jetzt neben einer geordneten Irrenpflege, einer Behandlung der Geisteskranken begegnen, die zur Heilung führen soll. Ein Aktenstück von hervorragendem Werthe ist in dieser Hinsicht das folgende, weil es beweist wie frühzeitig hervorragende Männer in Schleswig-Holstein die ungenügende Einrichtung der Zuchthäuser grade in Beziehung auf die Verpflegung Geisteskranker erkannten. Der Fall, der in dem Schreiben erwähnt wird, ist um so interessanter als es sich um einen verbrecherischen Geisteskranken handelte, wodurch das Urtheil in damaliger Zeit gewiß noch bedeutend erschwert wurde und seine Richtigkeit um so größere Anerkennung verdient. Es ist dies ein im Concept vorliegendes Schreiben vom 28. September 1754, vom Grafen Bernstorff an den Geh. Rath und Oberpräsidenten von Qualen gerichtet. „Ew. wird noch erinnerlich sein, daß ich in Schleswig die Ehre gehabt, mit denenselben wegen Einrichtung eines Hauses worin mente capti et furiosi sicher verwahrt werden können, zu sprechen, dieselben mir auch der Zeit die Hoffnung gegeben, daß in Altona dazu wohl Gelegenheit sein dürfte. So lieb mir nun solches der Zeit zu vernehmen gewesen, so inständig muß ich dieselbe jetzo ersuchen, diese Sache näher zu überlegen und mir darüber dero Gedanken sodann mitzutheilen, indem anjetzo sich der Casus eräuget hat, daß ein Mente capus einen Todschlag begangen und man also sehr verlegen ist, wo man diesen Menschen, dem man vermuthlich nichts peinliches wird anhaben können, hinsetzen soll, da Unsere Zuchthäuser zur Aufnahme [182] solcher elenden Leute nicht eingerichtet sind.“ Freilich ist der gewünschte Erfolg nicht eingetreten und die Einrichtung des Irrenhauses zu Glückstadt bei dem dortigen Zuchthause im folgenden Jahre (1755) ist der offenbare Beweis, daß jene beiden Männer ihrer Zeit doch schon zu weit vorausgeeilt waren in solchen humanen Plänen. Erst etwa ein halbes Jahrhundert später kam die Frage wieder in Fluß und bedurfte es dann noch langer Jahre ehe es zu ihrer praktischen Erledigung kam. Freilich war ja der Anfang unseres Jahrhunderts nicht geeignet große Summen aufzuwenden, und erklärt sich dadurch auch die schließliche Verzögerung in der Ausführung der Pläne. Wie wild die Verhältnisse waren, zeigt beispielsweise eine Bemerkung, die ich in meinen Akten fand, daß 1803 ein Pinneberger Landvogt um militairische Unterstützung bat, weil die Franzosen in Hannover alle Zuchthäuser der Billigkeit halber geleert hätten.

Die beginnende Ueberfüllung der allerdings ja sehr kleinen und ungenügenden Einrichtungen ließ auf Auswege und Hülfsmittel aller Art sinnen. Aus Altona schreibt Herr von Stemann am 1. November 1803: „Ich zweifle nicht daran, daß man Wahnsinnige aus den Herzogthümern in dem Hamburgischen Pest- oder Krankenhofe allemahl annehmen würde. Auf die bei dem jetzigen Provisor dieser Stiftung desfalls geschehene Anfrage erklärte derselbe sich auch bereitwillig, während der Dauer seines Provisorats alle Wahnsinnige, die ihm aus den Herzogthümern würden gesandt werden, so oft und lange der Platz des Hauses es erlaubte, aufzunehmen; doch wolle er das für selbige, nach der verschiedenen Beschaffenheit der Tollen und Wahnsinnigen zu erlegende Kostgeld nicht im Vorwege bestimmen, sondern glaubte, daß solches in jedem einzelnen Falle, besonders regulirt werden müsse etc.“ Die Antwort enthielt die Angabe, daß die Anzahl der Wahnsinnigen in den Herzogthümern sich aus höchstens 30 belaufe, mit welcher Zahl die Errichtung eines eigenen Irrenhauses nicht in einem gehörigen Verhältnisse stehe. – Schon vorher war unterm 12. November 1802 bei Gelegenheit der Abschaffung [183] der Karrenstrafe für Verbrecher aus dem Civilstande bestimmt worden, daß ein eigenes Irrenhaus für beide Herzogthümer errichtet werden solle.

Die Kanzeley hielt es für zweckmäßig (1802) die Wahnsinnigen aus allen Anstalten, wo sie jetzt zerstreut unterhalten würden, in eine gemeinschaftliche Versorgungsanstalt zu bringen. Neumünster scheint ihr der bequemste Ort dazu, indem das dortige Zuchthaus zu einem Irrhause sehr gut eingerichtet werden könne. Die Nähe Kiels biete schätzbare medicinische Hülfsmittel dar. Es würden aber in Neumünster kostbare Veränderungen erforderlich sein, um jedem Kranken Nachts eine eigene Zelle zu verschaffen. Es sollten wie früher die Blödsinnigen sowie die Fallsüchtigen in der Regel von der Aufnahme ausgeschlossen sein. Erstere sollten nur aufgenommen werden, wenn es ihnen an allen Angehörigen fehlte, und die Obrigkeit keine Gelegenheit zu ihrer Versorgung in Privathäusern fände, Epileptische nur wenn sie wegen eines begangenen[WS 7] Verbrechens zur Gefangenschaft verurtheilt worden. Zweckmäßig sey es, die Behältniße für die Rasenden im obersten Stockwerk anzulegen, damit das Geschrei nicht von unten zu den Wahnwitzigen hinaufdringe, sondern in der Luft verhalle, und diese Behältniße so zu vertheilen und allenfalls durch dazwischen liegende zur Aufbewahrung der Vorräthe dienende Kammern so zu trennen, daß ein Rasender den andern nicht hören könne. Es wurde auch der Wunsch geäußert, es möchten sich Psychologen und Philosophen mit geschickten Aerzten verbinden; es seien Schläge nur im äußersten Nothfall angebracht. Da die Zahl der Wahnsinnigen sich in den letzten Jahren immer vermehrt habe, müsse die Anstalt auf Vergrößerung angelegt werden, jetzt für 50–60 Kranke. Ein Theil der Commission schlug dann vor Kiel zu wählen, wo Lehrer und Studenten wären und die Lebensmittel vielleicht noch billiger seien wegen der Zufuhr zu Wasser.

Die Anstellung mehrerer Aerzte in Kiel hielt man für erforderlich, ferner wurden „bejahrte“ Wärterinnen gefordert. Der Staat sei verbunden die Kosten der ersten Anlage und [184] Einrichtung des Irrenhauses zu tragen, die Unterhaltung falle dem Einzelnen (event. den Communen) zu. 1805 wurde beschlossen ein Zuchthaus in Schleswig, ein Irrenhaus (und Landarmenhaus getrennt davon) in Kiel einzurichten. Das Schloß in Husum hatte man dabei ins Auge gefaßt für ein neues zweites Zuchthaus. Obwohl mir die Verhandlungen, die über den Ort der zukünftigen Anstalt geführt wurden, vermuthlich nicht vollständig vorlagen, so genügt doch das vorhandene Aktenmaterial zur Feststellung mehrerer wichtigen und interessanten Angaben und Ueberlegungen. Die Ober-Inspection in Glückstadt betonte wiederholt die Ueberfüllung daselbst, und die Holsteinische Landesregierung reichte am 25. Januar 1805 einen Bericht über die Trennung des Irren-Instituts vom Zucht- und Werkhause ein, worin betont wird, daß dem gedachten Uebel nicht dadurch abzuhelfen sei, daß einige Wahnsinnige nach Neumünster transportiert würden, weil dieses ebenfalls überfüllt sei und es an allen Anstalten für Wahnsinnige fehle. Es entwickelte sich dann also allmählich der bestimmte Vorschlag der Verlegung des neuen Irrenhauses nach Kiel, und das neu errichtete Sanitäts-Collegium beschäftigte sich eingehend mit der Angelegenheit. Ein von Brandis, Fischer und Pfaff unterzeichnetes Pro Memoria vom 2. April 1805 bezieht sich auf die wiederholten Berichte des Physikus Koch in Glückstadt; daraus ergiebt sich, daß daselbst durch die Menge und Unreinlichkeit der Menschen von Zeit zu Zeit bösartige Fieber herrschten; deßhalb war man im Auftrage der Deutschen Kanzlei bemüht gewesen in Kiel oder in der Nachbarschaft eine gesundere Wohnung auszumitteln. Auch erfährt man, daß im Lande selbst manche Familien und Gemeinden waren, die bei der damaligen Einrichtung des Irrenhauses sich nicht erlauben konnten ihre kranken Angehörigen dahin zusenden, sondern sie lieber mit bedeutendem Kostenaufwande und oft mit Verlust ihrer eigenen Ruhe und Glücks bei sich bewahrten. Das neue Irrenhaus in Kiel werde diese Uebelstände beseitigen und könne ohnfehlbar auch zum Unterricht für die dort studirenden Aerzte sehr [185] wesentlich nützen. Man rechnete dabei auf die Zahl von 37 Wahnsinnigen aus Glückstadt, für deren Verpflegung und Wartung wenigstens 4–6 Personen nöthig seien. Wegen des augenblicklichen Nothstandes wollten Einige eine Interimsanstalt ankaufen, doch ging dieser Vorschlag nicht durch. Am 27. August 1805 traten dieselben Herren schon mit dem bestimmten Vorschlage hervor, von den Capitalien des Schaßischen Stipendiums eine unmittelbar an den botanischen Garten in Kiel stoßende Koppel von 4 Tonnen Land zu kaufen, weil die Irren-Anstalt daselbst hinlänglich weit entfernt von allen übrigen Anstalten liege und zugleich mit einem großen Garten umgeben sei. Leider wurde diese psychiatrische Klinik damals nicht gegründet und die Universität Kiel ist jetzt, statt eine der ersten Universitäten wie sie es hätte sein können, eine der letzten geworden, die eine solche Klinik noch zu gründen haben. Mit der späteren Erbauung der Irrenanstalt bei Schleswig trat die Frage und der Wunsch nach psychiatrischem Unterricht wieder zurück, und ist es sogar augenblicklich noch zweifelhaft ob sich die Mittel und Wege finden werden, dem Bedürfniß in dieser Richtung schon bald zu genügen. Der Verfasser, der jetzt durch mehrere Semester psychiatrische Vorträge mit klinischen Demonstrationen einmal wöchentlich in Kiel hielt, hatte besondere Gelegenheit den Mangel einer Station für Geisteskranke daselbst zu empfinden. Uebrigens ist doch noch einmal seit 1805 der Versuch gemacht worden, klinischen psychiatrischen Unterricht in Kiel einzuführen; dies war im Jahre 1843 als der Direktor der Irrenanstalt bei Schleswig, der berühmte Dr. Jessen und gleichzeitig mit ihm Dr. de Castro aus Wandsbeck ein Gesuch für eine psychiatrische Professur in Kiel einreichten. Die medicinische Fakultät, damals aus den Professoren Ritter, Meyn und Langenbeck bestehend, befürwortete dies Gesuch, freilich ohne Erfolg. Jessen hatte schon vorher mit Meyn um die Professur der internen Medicin concurrirt. Die Seelenheilkunde bildete damals in Kiel wie überall einen Theil des umfassenden, durch mehrere Semester hindurch gehenden Collegs über specielle Pathologie und [186] Therapie. Jessen setzte in seinem Gesuch sehr schön auseinander, daß das Vorurtheil gegen Irrenanstalten erst schwinden werde, wenn die geistigen Störungen als Krankheiten überall erkannt würden und dazu sollte der Unterricht der Studirenden ganz besonders dienen. Diese neue Epoche sei hinreichend vorbereitet.

Doch kehren wir zurück zu den Ueberlegungen des Sanitäts-Collegiums im Jahre 1805. Zweifellos hatte man sorgfältige Studien über andere, darunter auch ausländische Irrenanstalten gemacht, und es wurden nach den dabei gewonnenen Erfahrungen die Ansichten über den Zweck der Irrenanstalt z. B. folgendermaßen formulirt: der Zweck einer vom Staat eingerichteten Irrenanstalt ist doppelt: 1. Die von der Geistesverwirrung Befallenen, wo möglich zu heilen, 2. die Unheilbaren wenigstens in eine solche Lage zu versetzen, daß sie dem Staate und sich selbst nicht weiter schaden zugleich aber mit denen, ihnen noch übrigen Geistes- und Körper-Kräften, so glücklich leben können, als es ihre Krankheit und übrigen Umstände erlauben. Unter den Motiven dieser Sätze muthet einer besonders modern an, wenn wir daran denken, daß gleichzeitig im Grunde doch noch eine harte und wenig verständnißvolle Behandlung der Irren praktisch ausgeübt wurde; jener Satz lautet: Die Kur erfordert eine Art der Erziehung, der Wahnsinnige muß lernen, seine irren Vorstellungen dem Willen eines andern zu subordiniren; er muß gehorchen lernen; ihm muß Folgsamkeit gegen seinen Arzt und gegen seinen Wärter eingeflößt werden. Dieses kann nicht durch Strafen und Züchtigungen geschehen, für diese ist er zum Theil fühllos, oder er setzt sie mit seinen wahnsinnigen Vorstellungen in Bezug; sondern er muß nur in die Lage versetzt werden, daß er nicht so handeln darf, wie es seine wahnsinnigen Vorstellungen ihm gebieten.

Von größerem historischem Interesse sind dann noch die Erhebungen über die Zahl der Geisteskranken in Schleswig-Holstein, welche der Feststellung der Ausdehnung einer zu entrichtenden Anstalt vorausgingen. Die Angaben über Kranke in [187] privater Pflege wurden auf zwei Wegen gewonnen, einmal aus Berichten der Physici und dann aus solchen der Kirchenpröpste.

Bericht der Physici für:
Altona 8 Pers.   Uebertrag 184 Pers.
Ahrensburg 6   Lütjenburg 2
Apenrade u. Lügum-       Neumünster 18
     kloster 33   Norder-Dithmarsch. 3
Insel Arröe 16   Pinneberg (Rantzau) 25
Bredstedt 14   Plön 6
Eckernförde 15   Rendsburg 3
Eiderstedt vacat   Schleswig vacat
Fehmarn 18   Segeberg vacat
Flensburg 15   Insel Sild 12
Glückstadt 18   Sonderburg vacat
Hadersleben 30   Süder-Dithmarsch. 18
Husum 2   Tondern 5
Kiel 9         Summa 276 Pers.
      zu übertragen 184 Pers.        
Angaben der Geistlichen:
    Wahnsinnige.     Blödsinnige.
Probstei Altona -   1
Bredstedt - 14 -
Broacker 16   8
Eiderstedt 13   18
Elmshorn 3   4
Fehmarn 17   17
Flensburg - 62 -
Gottorff 22   22
Hardersleben (vacat)
Henstedt 15   28
Husum 15   6
Itzehoe 16   33
Loit 6   23
Meldorf 26   18
zu übertragen 149 76 178

[188]

    Wahnsinnige.     Blödsinnige.
  Uebertrag 149 76 178
Probstei Plön 6   16
Rendsburg 6   18
Schleswig 11   23
Segeberg 18   6
Tondern   (vacat)  
  190   241
      76  
    Summa 507  


Der Vergleich beider Reihen zeigt allerdings große und schwer zu vereinigende Differenzen. Mir scheint aber zur Feststellung einer Minimalzahl der vorhandenen Geisteskranken lassen sich die Angaben zusammen in folgender Weise verwerthen. Die fehlenden Zahlen bei Hadersleben und Tondern unter der Reihe der geistlichen Angaben lassen sich ergänzen aus derjenigen der Physici, wenn wir darin approximative Zahlen erblicken dürfen; denn es decken sich die Physikatsdistrikte nicht mit den Propsteibezirken, wir erhalten dann also 507 + 30 + 5 = 542. Ausdrücklich ist noch bemerkt, daß manche solcher Unglücklichen nicht angegeben und gezählt wurden, z. B. in Flensburg, weil deren bemittelte Familien ihren Namen ungern bekannt machten. Außerdem müssen wir noch hinzuzählen das Plus auf Seite der Physici, wie in Altona 7, die unter keinen der genannten Propsteibezirke zu rubrizirenden Zahlen aus Kiel (9) und Pinneberg (25), ferner die von den Inseln Arroe (16), Sylt (12); das wären demnach 542 + 7 + 9 + 25 + 16 +12 = 611. Zu dieser Zahl kommen schließlich noch aus den öffentlichen Krankenhäusern und Anstalten folgende:

Altonaer Krankenhaus 4, Altonaer jüdisches Krankenhaus 12, Flensburger Zucht- und Irrenhaus 10, Glückstädter Zucht- und Irrtenhaus 37, Schleswiger Kriminalgefängniß 1, Tonderner Zucht- und Werkhaus 2, zusammen 66.

Die daraus zu berechnende Gesamtzahl von 677 gezählten Geisteskranken in der Provinz bleibt natürlich eben [189] so sehr hinter der Wirklichkeit zurück wie der Werth der Zählmethode ein ungenügender war. Denn wir erfahren sogar aus jenem Bericht noch, daß in Altona in dem der Zählung vorausgegangenem Jahr 14 Geisteskranke im Krankenhause behandelt wurden, im Zähljahr allerdings nur 6, daß also der Bestand die Zahl der Erkrankungen nur ungenau andeutet. Auch ersieht man daraus, daß im Altonaer Krankenhaus Heilungen oder doch Besserungen eingetreten sein müssen; über das dortige jüdische Krankenhaus wird noch beiläufig bemerkt, seine Einrichtung sei so unvollkommen, daß an Heilungen nach Aeußerung des Arztes nicht zu denken sei. Nicht gezählt sind im Bericht noch 2 Kranke, welche man in Tondern noch bei verschiedenen Schließern und Pförtnern in Verwahrung fand. Wenn das Sanitätscollegium dann auch noch auf eine nähere Controle der Privatinstitute antrug, so ist wieder ein Beweis gegeben, daß die oben gefundene Zahl noch zu gering ist. Ein solches Institut hatte z. B. eine ehemalige Hebamme in Aarebüll im Sundewittschen angelegt und sollen die meisten Einwohner von Hadersleben mit ihren Kranken zu ihr oder andern Quacksalbern gegangen sein. Jedenfalls dürfen wir also behaupten, daß damals mindestens 700 Kranke in den Herzogthümern waren; die Lauenburger schickten ihre Irren meistens nach Celle. Die Gesammteinwohnerzahl Schleswig-Holsteins betrug im Jahre 1803: 602 087 Einw. Wir haben somit eine werthvolle statistische Angabe, indem sich ein Procentsatz von mindestens gut 1/00 ergiebt, während wir jetzt wenigstens das Dreifache dieser Procentzahl haben bei verdoppelter Bevölkerung. Sehen wir ab von den Ungenauigkeiten der früheren Statistik, so erscheint das Wachsen der Krankenzahl doch recht bedeutend, besonders wenn man bedenkt, daß der hauptsächlichste Grund, nämlich das rapide Anwachsen der großen Städte, in unserer Provinz mit seinen traurigen Folgen erst später als anderswo hervorgetreten ist.

Da unsere Provinz sich so wie so schon in trauriger Weise auszeichnet durch die Anlage seiner Einwohner zu geistigen Störungen und zu Selbstmorden, so ist ein rasches [190] Steigen dieser Zahlen bei dem raschen Anwachsen einzelner größerer Städte für die nächste Zeit noch sehr zu befürchten.

Aus dem Jahre 1845/46 fand ich eine Notiz in einem Berichte der Schleswig-Holsteinischen Regierung über Erweiterung der Irrenanstalt bei Schleswig durch Neubau, die Interesse verdient. Es heißt, wenn aus der letzten Volkszählung eine Zahl von 2125 in den Herzogthümern vorhandenen Irren zur Anzeige gebracht sei, so werde diese Zahl als unsicher betrachtet, und zwar als zu hoch. Die 1835 stattgehabte Volkszählung wies 772,974 Einwohner nach und würde sich daraus ergeben, daß damals schon 27–28 Geisteskranke auf je 10,000 Einwohner kamen. Die Nähe dieser Angabe mit derjenigen von 1880, wo 33,7 auf 10,000 kamen, ist allerdings auffallend, immerhin aber möglich. Es erklärt sich aus diesen großen Zahlen aber vielleicht auch die Thatsache, daß die Schleswig-Holsteinsche Regierung im Jahre 1843 (Bericht vom 28. März) bei Erörterung der Frage über eine umfaßende Veränderung und Erweiterung der vorhandenen Irrenanstalt die Etablirung einer zweiten Irrenanstalt zur Allerhöchsten Entscheidung vorstellte, die man dann in Kiel errichten wollte.

Wenn 1805 auf Grund der gewonnenen Zahlen eine Anstalt für 150 Personen verlangt wurde, so bleibt diese Anstaltspflege für 1/5 bis 1/4 des Gesammtbestandes freilich hinter der jetzigen von 1/3 noch ziemlich zurück; jedenfalls müssen wir darin aber als Anfang einer geregelten Irrenpflege einen sehr erfreulichen Fortschritt begrüßen. Bei der Forderung von 75 Einzelräumen scheinen englische Vorbilder vorgeschwebt zu haben, denn in England ist diese Art der Unterbringung noch sehr gebräuchlich; das berühmte St. Lukas-Hospital, Betlem und York, ferner das Institut von Willis werden genannt, in welchem letzterem jeder Wahnsinnige nicht nur seine eigene Wohnung, sondern auch seinen eigenen Wärter habe. Jene „Behälter“ waren zum Theil für wüthende Wahnsinnige gedacht, während man damals 38 freundlicher ausgestattete Räume plante für ruhige Wahnsinnige [191] In diesen sollten die mit eisernen Rahmen versehenen Fenster Aussicht haben. Die Blödsinnigen sollten nur zu je 12 in einem Zimmer sein; ihre Schlafstellen müßten durch Bretterwände so von einander abgesondert sein, daß jeder des Nachts in seiner Schlafstelle eingeschlossen werden könne. Für 75 Blödsinnige verlangte man 6 Wärter, für je 38 Wahnsinnige ebenfalls 6. Weniger human und als Rest der früheren Zeit erscheinen folgende Forderungen: Jeder Wärter hat unter seiner Kleidung ein Strafinstrument versteckt, dessen er sich aber nur in dem einzelnen Falle bedienen darf, wenn der Kranke ihn selbst thätlich angreift und beleidigt; zu keiner willkürlichen Handlung darf der Kranke durch Peitschen gezwungen werden. Zur Beruhigung darf die Zwangsweste dienen oder Festbinden ans Bett, welche Einrichtung so gemacht werden kann, daß man selbst äußerlich keine Spur von Zwang bemerkt, sondern daß der Kranke gleichsam auf sein Bett hingezaubert ist. Melancholische werden Nachts sorgfältig befestigt. Andere Einrichtungen sind dann wieder besser, z. B. wurde für jede Abtheilung ein Badezimmer verlangt, man wünschte getäfelte und geölte Wände. Eine besondere Berücksichtigung wurde noch dem Lehrzweck gewidmet, indem bei Gelegenheit des im Allgemeinen zu verbietenden Eingangs in die Gänge des Hauses, gefordert wird, daß junge Aerzte, welche sich in der Kunst, solche Kranke zu behandeln üben wollen, nicht als bloße Zuschauer hineingehen dürften, sondern sie müßten in solchem Falle bei einzelnen oder mehreren Kranken das Amt des Arztes und Wärters zugleich übernehmen, auch einige Monate in dem Hause schlafen. Die gedachte Einrichtung einer stündlichen Ronde Tag und Nacht war bei den langen Gängen mit den zahlreichen Isolirräumen gewiß besonders wichtig. An die genauen, fast noch zeitgemäßen Aufnahmebedingungen schließen sich strenge Forderungen bei Entlassungen; so sollte jedes Mal ein Sicherungsaufenthalt von 1–2 Monaten bis zu einem Jahr nachgewiesen werden.

Doch unsere Auseiandersetzungen nähern sich der Zeit [192] der wirklichen Einrichtung der Irrenanstalt bei Schleswig. Es ist aber nicht meine Absicht die geschichtliche Entwicklung der Irrenpflege weiter als bis zu diesem Punkte zu führen[11]; an Stelle der alten Vorurtheile trat unter der Leitung von Jessen bald eine freie Behandlung der Kranken, welche die früheren Zwangsmaßregeln rasch beseitigte und neben maßvollem Zwang humane Ansichten als leitendes Princip einführte. Es sei nur noch erwähnt, daß Jessen schon im Jahre 1828 den Ankauf größerer Ländereien beantragte, um die Kranken im Freien mit landwirthschaftlichen Arbeiten beschäftigen zu können; er schlug dazu den 1/4 Meile von der Anstalt entfernten Meierhof Klappschau vor und rieth, dort eine Ackerbaucolonie anzulegen. Dieser Vorschlag zu einer sog. Irrencolonie, die das modernste Mittel freier Irrenpflege geworden ist, mag wieder als ein Beweis für die oben gemachte Behauptung gelten, daß in Schleswig-Holstein verhältnißmäßig früh humane Bestrebungen auf diesem Gebiete hervortraten. Die endliche Errichtung der Irrenanstalt bei Schleswig im Jahre 1820 zeugt auch dafür, denn außer dem Sonnenstein in Sachsen und Marsberg in Westphalen ist keine Heilanstalt in Deutschland früher gegründet worden, als die Heil- und Pflege-Anstalt in Schleswig.


  1. Grundriss einer Geschichte der deutschen Irrenpflege. Berlin bei August Hirschwald 1890. – Daselbst ist auch der Inhalt der vorliegenden Abhandlung im Auszug wiedergegeben.
  2. Die wichtigsten von ihnen betrafen:
    1. Acta von den Dollhäusern zu Oldenburg und Trittau. 1739.
    2. Acta et Expeditiones von dem Zucht- und Dollhause zu Neumünster. 1729-65.
    3. Rescripte & Ordres wegen Aufnahme der Züchtlinge im Neumünster’schen Zuchthause. 1739–60.
    4. Aufnehmung der Züchtlinge, Rescripte & Ordres. 1761–66.
    5. Loßlassung der Züchtlinge (Neumünster’sches Zuchthaus), Rescripte, Ordres. 1739–1766.
    6. Errichtung und Einrichtung des Zucht- und Werkhauses. 1729–66.
    7. betreffend das Neumünster’sche Zucht- und Fabrikhaus. 1768–78.
    8. Neumünster’sche Zucht- & Dollhaus-Extracte. 1749–65.
    Dieses waren Akten der Rentekammer, aufbewahrt im Archivbureau der Königlichen Regierung zu Schleswig. Alle anderen Nachrichten, soweit sie in Akten gefunden wurden, stammen aus dem Staats-Archiv in Schleswig, z. B. aus Kanzlei-Akten, betreffend Strafanstalten. Sie werden bei der Darstellung im Einzelnen näher angegeben.
  3. Georg Hanssen, Die Aufhebung der Leibeigenschaft etc. in den Herzogthümern Schleswig und Holstein. St. Petersburg 1861, pag. 27.
  4. Beccau, Versuch einer urkundlichen Darstellung der Geschichte Husums. Schleswig 1854, pag. 156.
  5. Kriegk, Deutsches Bürgerthum im Mittelalter. Neue Folge. Frankfurt 1871, pag. 56.
  6. Carl von Schirach, Handbuch des Schleswig’schen Kriminalrechts von Falck 1829 edirt; pag. 143.
  7. Ein Ort „Tollhaus“ existirt noch bei Trittau.
  8. 1744 wurde nämlich ein Speisemeister allein für das Dollhaus mit 4 Tollen bestellt, was ein „mühsames Brod“ genannt wird.
  9. A. C. Lucht, Glückstadt oder Beiträge zur Geschichte dieser Stadt etc. Kiel 1854, Seite 117.
  10. ebd. Seite 116.
  11. Näheres über die Entwickelung der Irrenanstalt bei Schleswig seit 1820 ist zu finden in dem Summarischen Bericht von Rüppell 1872 und in Bockendahl’s Jahresberichten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. = Reichstaler
  2. ß = Schilling
  3. Vorlage: Nothürftigen
  4. = vermutlich Groschen
  5. = Mark (lübisch); 1 Reichstaler = 3 Mark (lübisch) vgl. Reichstaler
  6. = lb. (libra = Pfund)
  7. Vorlage: begangenenen