Die fränkische Korbwarenindustrie
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Die fränkische Korbwarenindustrie.
Alles Erdenkliche wird heute aus den schwanken Ruten der Weide aund ihren edleren Nebenbuhlern gefertigt. Wir können uns kaum ein Heim vorstellen ohne die zahlreichen Erzeugnisse der Korbflechterei, die ebensosehr dem Schmuck des Hauses wie dem praktischen Gebrauch dienen. In einen Korb birgt die sorgliche Hausfrau den Einkauf des Marktes und in einem Korbe entrückt sie den Blicken des Gatten die zierliche Handarbeit, die sein staunendes Auge erst auf dem Weihnachtstische bewundern darf. Ein Korb steht neben dem Schreibtisch des Hausherrn, bestimmt, in seinen Tiefen manchem geschriebenen Wort – nicht selten zum Glück! – ein stilles Grab zu bereiten und im traulichen Mädchenstübchen der ältesten Tochter umfängt ein Korb duftende Blüten, der Liebe holde Boten, die der Verlobte aus der Ferne gesandt. Die Jüngste aber summt leise, leise ein Schlummerliedchen: die geliebte Puppe im Korbwagen soll einschlafen!
Zu erfahren, wie und wo diese schier unentbehrlichen Gegenstände verfertigt werden, wird gewiß manchem Leser und noch mehr mancher Leserin willkommen sein.
In den Bezirken Lichtenfels und Kronach der reichgesegneten bayerischen Provinz Oberfranken, aus deren leuchtendem Kranz von Ortschaften das von Scheffel besungene Schloß Banz besonders hervorstrahlt, und in dem angrenzenden, nicht minder anmutigen Herzogtum Koburg befindet sich der Hauptsitz der Korbwarenflechterei. Hier wohnen in manchen Orten nahezu Haus bei Haus Korbmacherfamilien; im bayerischen Bezirksamt Lichtenfels sind die Hälfte aller Gewerbthätigen und in dem koburgischen Flecken Sonnefeld unter zwölfhundert Bewohnern fünfhundert Korbflechter. Zur Erklärung der letzteren Ziffer muß bemerkt werden, daß die Flechterei zumeist als Hausarbeit, an der Mann, Frau und Kinder sich beteiligen, betrieben wird. An lauen Sommerabenden sitzen die Kinder auf den Steintreppen vor den Häusern und es ist dann ein freundlicher Anblick, wenn man ihnen zuschaut, wie sie ihre flinken Hände so blitzschnell regen.
Die Anfänge der Korbwaren-Industrie in Oberfranken – in Koburg wurde sie erst später heimisch – klingen sagenhaft. Wandernde Handwerksburschen sollen im Anfange dieses Jahrhunderts in dem bayerischen Dorfe Michelau am Obermain als Dank für Trank und Speise die Einwohner das Flechten einfacher Körbchen zum Sammeln von Beeren gelehrt haben. Später wurden auch andere Hauswirtschaftsartikel, zum Beispiel Trag- und Waschkörbe, von den dortigen Landleuten an langen Winterabenden verfertigt. Das Rohmaterial zu diesen Erzeugnissen, die Weide, wuchs ja gewissermaßen vor ihrer Thür, am Ufer des Mains.
Zuerst kam die junge Industrie nur langsam empor, bis im Jahre 1838 ein unternehmender Korbwarenhändler aus Michelau das erste illustrierte Preisverzeichnis in die weite Welt versandte und dadurch auch in der Ferne den schon kunstvolleren Arbeiten seiner Heimat Freunde zu gewinnen verstand. Es war für jene Zeit kein geringes Wagnis; ein Zeichner hatte damals ein volles Jahr mit der Abbildung der 1400 Muster, welche der Katalog aufwies, zu thun, und die Kosten waren daher recht bedeutend. Aber der kühne Mann hatte nicht auf Sand gebaut; im Ausland gefielen die reizenden Erzeugnisse des oberfränkischen Gewerbfleißes und aus allen Ländern trafen Aufträge für die „Körbelstricker“ ein. Der Weltmarkt war erschlossen.
Heute ist die Mannigfaltigkeit der Korbwaren ungemein groß. Die Preisverzeichnisse der bedeutendsten Ausfuhrfirmen enthalten nunmehr zehntausend Nummern: Füllhörner, Schiffe, Pavillons und Muscheln in den phantasiereichsten Formen und mit den sinnigsten Ausschmückungen als Gefäße für lebende Blumen, mit leuchtendem Seidenband durchflochtene Körbchen zum Füllen mit Schokolade, Bonbons und anderen Leckereien, niedliche Behälter für Parfümerien Flaschenkörbe, Arbeits- und Journaltaschen, Nähständer und entzückende Kindermöbel, prächtige Papierkörbe füllen die Mustersäle. Jeder Tag bringt neue Formen, denn unbeschränkt herrscht die launische Göttin Mode auch im Reiche der Korbwaren.
Koburg und das unweit Banz am Main gelegene bayerische Städtchen Lichtenfels sind heute die Mittelpunkte des Korbwarenhandels; die thüringische Residenzstadt befriedigt mehr die Ansprüche an Zierlichkeit und Schmuck, während die Lichtenfelser in der Hauptsache den Forderungen des praktischen Gebrauchs zu dienen beflissen sind.
Neben dem Inlande bilden jetzt Frankreich und Amerika die Hauptabsatzgebiete. Namentlich bezieht Paris seinen reichen Bedarf an Blumengestellen und -körben sowie an Konfektkörbchen aus dem Koburger Lande, und schon mancher biedere Landsmann hat in seiner ahnungslosen Unschuld den echt französischen „chic“ solcher an der Seine teuer erstandener Sächelchen höchlichst bewundert!
Nicht allein die Form der fertigen Fabrikate, auch das zu ihrer Herstellung verwendete Material [750] ist einem beständigen Wechsel unterworfen. Während in den ersten dreißig Jahren des Bestehens dieser Industrie die Weide als ausschließlicher Rohstoff benutzt wurde, traten später Palmblätter und Espartogras – eine flachsartige Rohrart aus Spanien – hinzu. Dann kamen aus Frankreich die lackierten Rohre und im Anfang der siebziger Jahre chinesische und schwarzwälder Strohgeflechte.
In dieser Zeit paßten sich die Modelle mehr dem „leichten“ französischen Geschmack an. Vom Jahre 1886 an suchte man besonders eifrig nach neuen Rohmaterialien. Die grüne Teichbinse bot hierzu den Anlaß, denn als man sah, daß dieser so lange Jahre unbeachtete Pflanzenstengel sich so herrlich zum Korbflechten eignete, versuchte man aus allem Möglichen Körbe herzustellen. Litzen aus Barmen und der Schweiz traten hinzu, Atlasbänder und Raffiabast, der auch jetzt noch gebraucht wird, Kokosnüss, Muscheln, Kürbisse, Palmenwedel, Maisblätter, Bambusstäbe, Korkrinde und Celluloid, alles wurde herangezogen, den unendlichen Trieb nach Neuem zu befriedigen.
Um die Herstellung der Korbwaren betrachten zu können, treten wir ein in die ausgedehnten Arbeitsräume einer großen Fabrik in Koburg, die zur Zeit fünfhundert Arbeiter und Arbeiterinnen teils in Heimarbeit, teils in eigenen Werkstätten beschäftigt. Zuerst wenden wir uns der Gruppe zu, die mit der Hauptarbeit, dem Biegen der Rohre, beschäftigt ist. Im Mittelfelde des Bildes S. 749 unten biegt ein Arbeiter einen Bambusstab über Gasfeuer, während ein anderer schon vorher gebranntes Rohr (sogenanntes Peddigrohr) von einer Walze, auf welche es genagelt war, ablöst, um es nun in einzelne Ringe zu zerschneiden. Durch das Brennen verliert nämlich das Rohr seine frühere Elasticität und verharrt in der ihm durch das Aufwalzen gegebenen Form. Links im Hintergrunde wird schon schwierigere Biege- und Brennarbeit ausgeführt. Der dort sitzede Arbeiter verfertigt Schnecken, wie sie an allen möglichen Gegenständen zur Verwendung kommen. Ist das Rohr gebrannt, wird es zu Gestellen oder Gerippen zusammeugefügt. Diese Arbeit erfordert größere Kraft und wird immer von Männern ausgeführt. Dann werden die Gestelle von Arbeiterinnen mit bandartig geflochtenen Streifen aus Palmblatt, Stroh oder anderen Materialien durchzogen. Auf der rechten Seite unseres Hauptbildes S. 745 hängen ganz dünne, bastartige Palmblätter herab, die zur Ausfüllung von Gestellen zu Blumengefäßen, Nähständern etc. verarbeitet werden.
Nachdem die einzelnen Stücke von den Arbeiterinnen fertig ausgeflochten sind, kommen sie in die Hände geschickter Leute, denen die Zusammenstellung der einzelnen Teile obliegt. So ist z. B auf dem obenstehenden Bilde ein Arbeiter eben damit beschäftigt, ein mächtiges Füllhorn an dem dafür bestimmten Gestelle zu befestigen.
In der Koburger Korbwaren-Industrie wird fast nur aus freier Hand, also nicht über Formen, gearbeitet. Die ersten Muster werden von besonders gewandten Arbeitern nach Abbildungen angefertigt, die ihre Entstehung dem findigen Kopfe eines eigens dazu angestellten Zeichners verdanken. Im Hintergrunde des eben angeführten Bildes sehen wir, wie der Zeichner einem jugendlichen Arbeiter das neueste Muster an der Hand der Zeichnung erklärt. Selbstverständlich ist es für jede Fabrik von größter Wichtigkeit, einen talentvollen und erfinderischen Zeichner zu besitzen, denn immer größere Bedeutung gewinnt die künstlerische Durchdringung des Gewerbes und mehr und mehr wird das Streben sichtbar, bei jedem einzelnen Gegenstande die schöne und vornehme Form hervortreten zu lassen. So dürfen wir erwarten, daß die Korbwarenflechterei in Zukunft einen hervorragenden Platz in dem aufblühenden deutschen Kunstgewerbe behaupten wird.