Die dummen gothaischen Hasen
[208] Die dummen gothaischen Hasen. – Der 1893 verstorbene Herzog Ernst II. von Koburg-Gotha war ein äußerst leutseliger Herr. Kam er auf einer seiner häufigen Spazierfahrten durch ein Dorf, so fuhr er meist bei dem Ortsschulzen vor und fragte nach diesem und jenem. Dies tat er eines Tages auch in einem der Dörfer an der weimarischen Grenze.
Der betreffende Ortsschulze, der schon häufiger die Ehre gehabt hatte, dem Herzog über allerlei Auskunft geben zu dürfen, platzte schließlich noch mit der Neuigkeit heraus: „Hoheit, eh‘ ich‘s vergesse – der Bauer Jerster da drüben hat zwei Hasen abgerichtet, die so klug und geschickt sind wie der beste Hund. Mein Lebtag hab‘ ich so was noch nicht gesehen. Hoheit würden staunen.“
[209] Der Herzog steigt aus dem Wagen und geht in Begleitung des Schulzen zum Bauern Jerster hinüber, der wirklich Talent zum Dresseur haben muß, denn die beiden Hasen vollführen Kunststücke, die man ihnen kaum zutrauen sollte. Sie trommeln, springen über einen Stock, sogar übereinander, stellen sich auf Kommando tot, apportieren ein Taschentuch; es sind tatsächlich selten schlaue Tiere.
„Das war wohl nicht ganz leicht, den Tieren alles dies beizubringen?“ fragt der Herzog interessiert.
„Mit Geduld und Hunger kriegt man die Biester schon zahm,“ meint der Bauer.
„So, so – also Hunger! – Na, und woher haben Sie denn diese schlaue Sorte von Hasen bezogen?“
Jerster fährt erschreckt zusammen, denn die Hasen hat er in Schlingen auf gothaischem Jagdgebiet gefangen. Also die Wahrheit darf er auf keinen Fall sagen. Er hilft sich aber mit echter Bauernschläue, indem er erwidert: „Die sind aus dem Weimarischen drüben.“
Dort hatte ja Herzog Ernst nichts zu befehlen.
„Warum richten Sie eigentlich unsere hiesigen Hasen nicht ab, Jerster?“ fragt Hoheit weiter.
Der Bauer zuckt verlegen die Achseln und stößt schließlich als Ausrede hervor: „Das geht nicht, Hoheit – die gothaischen Hasen sind viel zu dumm dazu!“