Die dienende Classe in England

Textdaten
<<< >>>
Autor: A. B.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die dienende Classe in England
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 141-142
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[141] Die dienende Classe in England. Die menschliche Gesellschaft ist darauf angewiesen, daß man sich gegenseitig ergänze, und aus diesen Leistungen des Einen für den Andern entspringt das Wohl Aller. Nur stehe Jeder recht auf seinem Platze, und leiste, was er sich zu leisten vorgesetzt, mit seinem besten Wollen, dann wird ihm auch Anerkennung nicht fehlen. Jede Arbeit hat ihren Werth, sobald sie wohlgethan ist. –

Die dienende Classe in einem Staate hat einen weiten Begriff. Wir verstehen darunter alle Jene, die ihre Leistungen, worin dieselben auch bestehen mögen, einer Person anbieten und von dieser, als Gegenleistung, eine bestimmte Summe empfangen. – Darum nennt sich in England jeder vom Staate besoldete einen Diener der Königin, obwohl die Königin dort nur nominell den Namen der Herrin führt, denn auch sie empfängt dort ihren Gehalt vom Staate. Ebenso nennt sich das Militär im Dienste der Königin, doch fließt auch dessen Sold nicht aus der Casse derselben, sondern aus der des Landes.

Die dienende Classe in einem Staate ist daher eine weit verzweigte und in jeder Sphäre des gesellschaftlichen Verbandes ist sie zu finden, und eigentlich nur der Landbesitzer und der Bürger, der ein Handwerk treibt, sind im weiteren Sinne nicht persönlich abhängig, sie dienen nicht. Man bezeichnet nun noch im Besonderen diejenigen als der dienenden Classe angehörig, die in eine Familie treten, um den Gliedern derselben jene Hülfe zu leisten, deren sie in der Führung des Hauswesens und auch sonst bedürfen. Sowohl Frauen als Männer wählen diesen Zweig der Beschäftigung, weil sie gleich aus dem älterlichen Hause, so wie sie herangewachsen sind, hierzu übergehen können, und keine Kosten der Erlernung eines Erwerbes damit verbunden sind. In England hat jede Familie ein eigenes Haus; je größer dasselbe ist, je mehr Hände sind erforderlich, um die Ordnung desselben zu erhalten. Ein ganz junges Mädchen sucht nun in einem recht großen Hause eine Anstellung zu bekommen, damit sie von den ältern und erfahrenern Dienerinnen lerne. Da giebt’s denn wieder verschiedene Zweige, denen sie sich widmen kann; entweder die Küche, oder das Haus, oder auch die persönliche Bedienung bei den Damen. Wählt sie die Küche, so wird sie als Küchenmädchen unter eine Köchin gestellt, die sehr erfahren ist und zwei bis drei hundert Thaler bekömmt. Sie muß aufwaschen, muß scheuern, putzen, aber immer nur in der Küche, die unter der Erde ist, was man das Souterain nennt. Früh Morgens ist sie die Erste auf und zündet das Feuer an und bereitet alles vor zum Frühstück. Die Köchin hat ein Zimmer neben der Küche an, wo sie mit den ersten Mädchen und Dienern frühstückt; die Küchenmagd aber bleibt in der Küche, wo sie ihren Thee mit Jenen trinkt, die, wie sie, erst ihre Lehrjahre durchmachen. Ebenso beim Mittagstische, denn auch dann liegt noch Arbeit vor ihr, die ihr verbietet reinlich und ordentlich gekleidet zu sein. Zum Abend aber, wo Jeder seine Aufgabe gemacht, da zieht sie ein sauberes Kleid an, setzt eine reine Mütze auf, und erscheint in einem großen Zimmer, wo nun das sämmtliche Personal zum fröhlichen Mahle versammelt ist.

In England verschließt man keine Speisen. Die Köchin schaltet und waltet mit den Vorräthen und zeigt an, wenn dieselben aufgezehrt sind. Sie erhält ihre Befehle und das Uebrige ist ihrem Ermessen überlassen. – Für die Diener [142] sorgt sie. Satt essen darf sich Jeder, Zucker, Thee, Bier, wird monatlich Jedem zugetheilt, da mag er nach Belieben schalten. Zu naschen, oder die Speisen zu begehren, die nicht für ihn bestimmt sind, fällt keinem ein; dazu respectirt sich Jeder zu sehr. Dasselbe findet im übrigen Theile des Hauses statt. – In den Schlafzimmern ist nichts verschlossen, die Wäschschränke sind offen, und Putz und Schmuck jeder Besichtigung frei. Aber keine unberufene Hand rührt etwas an, keine Neugierde wagt sich an diese Dinge, keine Lust am Besitze gewinnt hier den Sieg über das Recht des Eigenthümers. Die dienende Classe respectirt sich zu sehr, um den kleinsten Schritt vom Wege des Rechten abzugehen. Dafür wird sie aber auch wieder respectirt. Von einem Befehle ist hier kaum die Rede. Gleich beim Eintritt werden Jedem die Pflichten seines Postens angedeutet. Das reicht hin. Von da an ist Alles pünktlich vollbracht, und die Besitzer des Hauses scheinen sich um nichts zu bekümmern, so ganz wie von selbst geschieht hier Alles. Ein Erinnern, Schelten, ein Wort des Zornes hört man nicht. – Findet man, daß ein Diener oder eine Dienerin ihre Pflichten nicht erfüllt, so sagt man, daß man nicht zufrieden sei, und sucht ein anderes Individuum für den Posten; denn Jeder ist einmal verantwortlich für sein Thun, das Amt, das er übernommen, muß er allein versehen, damit ihm allein auch die Ehre bleibe. – Hier in Deutschland heißt es immer, man dürfe Niemand in Versuchung führen, dürfe darum kein Geld liegen lassen etc., und wieder wird Naschen für kein Vergehen gehalten und die Frau vom Hause wagt nicht einmal die übriggebliebenen Speisen von der Tafel tragen zu lassen, ohne ihre Aufsicht. Welch eine Beleidigung der Menschenwürde liegt hierin! – Wie kann ich den achten, der mir ein Stück Zucker nehmen wird, sobald ich den Rücken wende? – Und was vor Allem Noth thut in den gegenseitigen Beziehungen des Lebens ist doch die Achtung, – der Respect – aus welchem jene Respectabilität emporwächst, die den ehrenwerthen Bürger des Staates, und die das Vertrauen des Menschen zum Menschen erweckt, diese schönste Basis alles Beisammenlebens, – auf der wir hier zu fußen fast verlernt. – A. B.