Die chemische Bleicherei & Appreturanstalt von Ernst Wentzel in Lengenfeld im Vogtlande
Zu den lebhaftesten kleineren Fabrikstädten Sachsens zählt auch Lengenfeld im Vogtlande, das in einer Meereshöhe von 1383 Fuß höchst anmuthig in dem Thale an der Straße von Zwickau und Reichenbach nach Plauen gelagert ist. Seine Entfernung beträgt von Reichenbach, wo sich der nächste Bahnhof befindet, 1¼ Stunde, von Treuen eben so weit, 2 Stunden von Auerbach, 4 Stunden von Plauen, Zwickau und Schneeberg.
Gleich anderen Städten, wo die Fabrikbeschäftigung überwiegend ist, hat sich auch Lengenfeld in den letzten 100 Jahren sowohl an Häuserzahl als auch an Einwohnern bedeutend vergrößert; 1779 zählte es nur erst 1150 Einwohner mit 325 Haushaltungen, im Jahre 1802 schon 2104 in 319 Wohngebäuden, 1834 in 363 Häusern 3482 Einwohner, 1843 in 400 Wohngebänden 3995 Bewohner und 1856 war die Zahl der Wohnhäuser auf 405 und die der Bewohner auf 4423 (mit 870 Haushaltungen) gestiegen. Auch in den letzten Jahren hat in der Einwohnerzahl wieder eine Steigerung Statt gefunden.
Lengenfeld hat sich von früh an durch seine vorzüglichen Tuche ausgezeichnet. 1801 gab es hier nicht weniger als 226 Tuchmacher, 12 Tuchscheerer und mehrere bedeutende Handlungshäuser, die nicht nur mit hiesigen, sondern auch mit auswärts angekauften Tuchen einen starken Handel, besonders nach der Schweiz und Süddeutschland, betrieben. Auch die Baumwollenmanufactur war nicht unbedeutend vertreten und sie lieferte von 1799 bis 1802 über 8000 Stück rohe Kattune, mehr als 500 Dutzend Hals- und Schnupftücher und gegen 300 Dutzend baumwollene Mannstücher. Auch sogenannte Schlierherrn gab es 12 bis 13. Die Schönfärbereien waren wohlrenommirt wegen des von ihnen hergestellten vorzüglich schönen Scharlachs. Gegenwärtig ist noch immer die Fertigung von Tuchen, wollenen und baumwollenen Waaren die Hauptbeschäftigung; mehrere hundert Menschen finden auch in den Streichgarn- und Kammgarnspinnereien Beschäftigung; auch die Färbereien sind bedeutend.
Unter den industriellen Etablissements Lengenfelds nimmt die chemische Bleicherei u. Appreturanstalt v. Ernst Wentzel eine hervorragende Stelle ein. An Gebäuden besitzt dieses Etablissement:
- a) ein Hauptgebäude, welches drei Trockensäle, einen Appretursaal, einen Leg- u. Sortirsaal, einen Spannereisaal, Stärk- und Bleichräume, das Comptoir, so wie in dem westlichen Flügel die Wohnung des Herrn Besitzers enthält;
- b) ein Koch- und Dampfgebäude;
- c) ein Sengereigebäude;
- d) ein Wohnhaus für den Bleichmeister und
- e u. f) zwei Wirthschaftsgebäude.
Zu dem Etablissement gehören zwanzig Scheffel Wiesen und Feld und ein Teich, aus welchem das Wasser zum Bleichen in sechszölligen Röhren in die Bleicherei geleitet wird.
Die hier vertretenen Branchen sind ausschließlich die chemische Bleicherei und Appretur, und es werden alle hier und in der Umgegend fabricirte baumwollene Stoffe, als: Cambric, Jaconnets, Köper, Damast, Shirting, Kattune, Batiste, glatte und brochirte Mulls, Mousseline, Gardinen u.s.w. gebleicht und appretirt.
[173] An Maschinen sind vorhanden: 1 Calander, 1 Hydraulische Mangel, 1 Hydraulische Presse, 2 Schraubenpressen, 1 Einsprengmaschine, 2 Stärkmaschinen, 1 Decatirmaschine, 2 Walkmaschinen, 2 Hydro-Extracteure und 45 Stück 8/4 und 10/4 Spannrahmen. – Sämmtliche Maschinen werden durch eine achtpferdige Dampfmaschine getrieben.
Das hier fortwährend beschäftigte Personal besteht aus 1 Comptoiristen und 52 Fabrikarbeitern.
Daß die Leistungen dieser Anstalt vorzüglich sind, wurde auf der Industrieanstalt zu München durch die Preismedaille für gebleichte und appretirte Stoffe anerkannt.
Seit 1848 besaß der jetzige Besitzer Herr Ernst Wentzel dieses Etablissement unter der Firma: Gebrüder Müller, gemeinschaftlich mit Herrn Richard Müller, jetzigen Besitzer der Appreturanstalt in dem benachbarten Rodowisch.
Am 18. Januar 1856 brannte das Fabrikgebäude total nieder. Mit dem Aufbau in großartigerem Style wurde sofort begonnen und er mit solcher Thätigkeit betrieben, daß bereits am 1. Mai desselben Jahres wieder gebleicht und appretirt werden konnte. 1859 trennten sich die Theilhaber und Herr Ernst Wentzel übernahm das Etablissement für eigene Rechnung und betrieb dasselbe unter der heutigen Firma. 1860 erfreute sich das Etablissement des Besuchs Seiner Majestät des Königs Johann, welcher nach einstündigem Aufenthalt in demselben dem Herrn Besitzer seine vollste Zufriedenheit auf die huldvollste Weise ausdrückte.