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[1] Die brave Bertha und die böse Lina.
Ein
lehrreiches Bilderbuch für Kinder
von
Lothar Meggendorfer.
Mit Versen von Franz Bonn.
6. Auflage.
Verlag von Braun & Schneider in München.
[2]
Früh Morgens kaum die Sonne lacht,
Vom Schlafe Bertha schon erwacht
Und hebt, daß Er zur Seit’ ihr steht,
Zu Gott die Hände im Gebet.
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[3]
Die Lina aber keinen Tag
Zur rechten Zeit erwachen mag.
Wenn and’re längst zur Schule geh’n,
Pflegt sie sich nochmals umzudreh’n.
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[4]
Zur Arbeit aufgelegt schon früh,
Scheut Bertha keine Plag’ und Müh’;
Sie holet, was zum Frühstück not –
Die süße Milch, das frische Brot.
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[5]
Die Lina in der Speisekammer
Macht ihren Eltern großen Jammer;
Statt daß sie schafft das Frühstück her,
Trinkt sie den ganzen Rahmtopf leer.
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[6]
Den lieben, guten Vögelein
Bringt Bertha Wasser frisch und rein,
Und wo sie waltet ihrer Pflicht,
Fehlt’s auch an gutem Futter nicht.
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[7]
Der bösen Lina macht’s Plaisir,
Zu ängstigen das arme Tier;
Kommt mit dem Besen sie heran,
Flieh’n Gans und Taube, Huhn und Hahn!
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[8]
Wie fleißig schreibet Bertha hier
Mit Tint’ und Feder aufs Papier
Und nimmt gar sorglich sich in Acht,
Daß ja sie keinen Fehler macht.
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[9]
Dagegen schaut die Lina an.
Was hat das böse Kind gethan?
Sie wirft in ihrem Übermut
Das teure Lernzeug in die Flut!
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[10]
Es ist gewiß recht mühevoll
So abzuhaspeln Garn und Woll’,
Allein die brave Bertha thut,
Was man ihr aufträgt, gern und gut.
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[11]
Doch hier die böse Lina, seht
Wie sinnlos die zu Werke geht,
Sie schneidet, nur aus Tändelei,
Den Vorhang mit der Scheer’ entzwei.
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[12]
In Feld und Garten emsiglich
Macht gern die Bertha nützlich sich.
Sie gießt und recht, die liebe Maus,
Und jätet alles Unkraut aus.
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[13]
Die Lina aber rührt die Hand
Nur wenn sie was zum Naschen fand.
Sie klettert auf den Kirschbaumast,
Treibt’s frecher als die Spatzen fast.
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[14]
Im Herbst, wenn’s stürmt und regnet drauß’
Da spielt die Bertha brav zu Haus
Und lehrt dem Schwesterl manchen Spruch
Aus einem schönen Bilderbuch.
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[15]
Die böse Lina – o wie dumm!
Treibt sich im Regen gern herum,
Und patscht, als müßt’ es eben sein,
In alle Pfützen tief hinein.
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[16]
Und wenn der Schnee im Winter liegt,
Die Bertha wie ein Rößlein fliegt,
Fährt mit dem Schlitten querfeldein
Ihr liebes, kleines Schwesterlein.
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[17]
Die Lina aber freut sich d’ran,
Wenn sie es irgend machen kann,
Daß tüchtig hinschlägt auf dem Eis
Ihr Brüderlein – sie thut’s mit Fleiß.
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[18]
Doch sehet, wenn das Christkind kommt,
Wozu das Bös- und Bravsein frommt!
Der Bertha, die des Lobes wert,
Wird hundertfaches Glück beschert.
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[19]
Die böse Lina, frosterstarrt,
In ihrer Kammer harrt und harrt
Umsonst auf Tannenbaum und Licht,
Das liebe Christkind kommt halt nicht!
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