« Zueignung Gedichte (1822) Der Glückwunsch »
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Textdaten
Autor: Heinrich Heine
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Titel: Minnegruß
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 39-40
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1822
Verlag: Maurersche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Auch unter dem Titel Ein Traum, gar seltsam schauerlich in Buch der Lieder, Junge Leiden, Traumbilder, S. 6–10
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[3]
Die Wundermaid


Ein Traum, gar seltsam schauerlich,
Ergötzte und erschreckte mich.
Noch schwebt mir vor manch grausig Bild,
Und in dem Herzen wogt mir’s wild.

5
Das war ein Garten wunderschön,

Da wolt’ ich lustig mich ergehn;
Viel Blümlein meine Augen sah’n,
Ich hatte meine Freude dran.

Es zwitscherten die Vögelein

10
Viel muntre Liebesmelodei’n;

Von Goldglanz war die Sonn’ umstrahlt,
Die Blümlein lustig bunt bemalt.


[4]

Viel Balsamduft aus Kräutern rinnt,
Die Lüfte wehen lieb und lind;

15
Und alles schimmert, alles lacht,

Und zeigt mir freundlich seine Pracht.

Inmitten in dem Blumenland
Ein klarer Marmorbronnen stand;
Da schaut’ ich eine schöne Maid,

20
Die emsig wusch ein weißes Kleid.


Die Wänglein süß, die Aeuglein mild,
Ein blondgelocktes Heil’genbild;
Und wie ich schau, die Maid ich fand
So fremd und doch so wohlbekannt.

25
Die schöne Maid beeilt sich sehr,

Sie summt ein seltsam Liedchen her:
 „Rinne, rinne Wässerlein,
 Wasche, wasche Hemde rein.“

Ich kam und nahete mich ihr,

30
Und flüsterte: O sage mir,

Du wunderschöne, süße Maid,
Für wen ist dieses weiße Kleid?


[5]

Da sprach sie schnell: Sey bald bereit,
Ich wasche dir dein Todtenkleid!

35
Und als sie dies gesprochen kaum,

Zerfloß das ganze Bild wie Schaum. –

Wie fortgezaubert stand ich bald
In einem düstern, wilden Wald.
Die Bäume ragten himmelan;

40
Ich stand erstaunt und sann und sann.


Und horch! welch dumpfer Wiederhall!
Wie ferner Aextenschläge Schall;
Ich eil’ durch Busch und Wildniß fort,
Und komm’ an einen freien Ort.

45
Inmitten in dem grünen Raum,

Da stand ein großer Eichenbaum;
Und sieh! mein Mägdlein wundersam
Haut mit dem Beil den Eichenstamm.

Und Schlag auf Schlag, und sonder Weil’,

50
Summt sie ein Lied und schwingt das Beil:

 „Eisen blink, Eisen blank,
 „Zimmre hurtig Eichenschrank.“


[6]

Ich kam und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,

55
Du wundersüßes Mägdelein,

Wem zimmerst du den Eichenschrein?

Da sprach sie schnell: Die Zeit ist karg,
Ich zimmre deinen Todtensarg!
Und wie sie dies gesprochen kaum,

60
Zerfloß das ganze Bild wie Schaum. –


Es lag so bleich, es lag so weit
Ringsum nur kahle, kahle Heid;
Ich wußte nicht wie mir geschah,
Und heimlich schauernd stand ich da.

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Und nun ich eben fürder schweif’,

Gewahr’ ich einen weißen Streif;
Ich eilt’ drauf zu, und eilt’ und stand,
Und sieh! die schöne Maid ich fand.

Auf weiter Heid stand weiße Maid,

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Grub tief die Erd’ mit Grabescheit.

Kaum wagt ich noch sie anzuschau’n,
Sie war so schön und doch ein Grau’n.


[7]

Die schöne Maid beeilt sich sehr,
Sie summt ein seltsam Liedchen her:

75
     „Spaten, Spaten, scharf und breit,

     „Schaufle Grube tief und weit.“

Ich kam und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,
Du wunderschöne, süße Maid,

80
Was diese Grube hier bedeut’t?


Da sprach sie schnell: Sey still, mein Knab’,
Ich schaufle dir ein kühles Grab.
Und als so sprach die schöne Maid,
Da öffnet sich die Grube weit;

85
Und als ich in die Grube schaut’,

Ein kalter Schauer mich durchgraut;
Und in die dunkle Grabesnacht
Stürzt’ ich hinein, – und bin erwacht.