Die Wundereiche bei Wittstock

Textdaten
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Autor: Jodocus Donatus Hubertus Temme
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Titel: Die Wundereiche bei Wittstock
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aus: Die Volkssagen der Altmark
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Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: Nicolaische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google und Scans auf Commons
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35. Die Wundereiche bei Wittstock.

Eine Meile von Wittstock hat früher eine Eiche gestanden, bei welcher ein großer Zulauf von Menschen, insonderheit von Lahmen gewesen, die daselbst ihre Gesundheit wieder erlangt. Es war ein dicker und krauser Baum, und waren daran etliche Aeste in einander und Löcher durchgewachsen. Wer durch diese Löcher kroch, der wurde gesund. [117] Der Baum war so ästig und knorrig, daß er nicht konnte gespalten oder weggeführet werden. Die Eiche stand in der ganzen Gegend in großer Ehrerbietung bei allen Leuten. Vor ungefähr hundert Jahren, als die wüste Feldmark, auf der sie stand, geräumt wurde, brannte sie mit ab. Man erzählt folgende Geschichte von dieser Eiche:

Es werden bald zwei hundert Jahre, als ein Knecht, von Wiburg aus Holstein gebürtig, Namens Christian, zu Wittstock bei einem Fleischer, Namens Joachim Lebengier, als Ackerknecht diente. Derselbe bekam einen Zufall in den Gliedern, daß er seine Arbeit nicht mehr verrichten konnte. Das Uebel zog sich zuletzt in den Füßen zusammen, besonders in den Schenkeln und in der Biegung des Plattfußes, darin er große Schmerzen empfand, so daß er an einem Stocke sich forthelfen mußte. Sein Meister wurde darüber ungeduldig, und redete ihn hart an, er solle sich zwingen, seinen Dienst zu verrichten, damit er sein Brod nicht umsonst esse. Befiehlt ihm auch ernstlich an einem Sonnabend, er solle Morgen, als am Sonntage, weil er nicht gehen könne, ein Pferd nehmen, und nach Blesendorf reiten, um ein erkauftes Kalb von einem Bauern daselbst abzuholen. Darüber geht der Knecht sehr betrübt zu Bette. Auf einmal um Mitternacht wird er durch eine Stimme aufgeweckt, die ihm Befehl giebt, er solle auf seiner Reise an dem Eichbaume, den er am Wege hinter Jazke finden werde, stille halten, sich vom Pferde begeben und durch den von einander gewachsenen Eichbaum durchkriechen, alsdann werde er gesund werden. Darauf wurde der Knecht freudig, und am anderen Tage that er, wie ihm die Stimme befohlen hatte. Er wurde von Stund’ an gesund, daß er seine Krückenstöcke an dem Baume hinwarf und gehen und stehen konnte.

Als dieses bekannt wurde, kamen viele preßhafte Menschen [118] mit Krücken zu dem Baume, die hernach fröhlich davon gegangen, und haben die Krücken in Menge um den Baum gelegen.

Beckmann histor. Beschr. v. Brandenburg. Th. 1. S. 744, 745.