Die Wirkung der neuen Handfeuerwaffen
[724] Die Wirkung der neuen Handfeuerwaffen. Als die kleinkalibrigen
Gewehre bei den Heeren Europas eingeführt wurden, brachten die Aerzte
die tröstende Kunde, daß diese neuen Waffen „human“ seien, d. h. daß
das neue Geschoß im Vergleich zu dem alten Wunden erzeuge, die leichter
heilen. Nur zu gern hat auch die „Gartenlaube“[1] dieser frohen Botschaft Glauben geschenkt. Leider waren die Bedingungen, unter welchen man
damals die Wirkung der neuen Geschosse prüfte, nicht einwandsfrei: den
Aerzten standen nicht genügend große Schießplätze zur Verfügung, und
so führten sie ihre Versuche mit verringerter Pulverladung aus, indem sie
von der Ansicht ausgingen, daß diese auf kurze Entfernungen ebenso
wirke wie die volle Ladung auf große. Um Klarheit zu schaffen, wurden
nun neuerdings von deutschen Militärärzten Versuche mit voller Pulverladung
auf gefechtsmäßige Entfernungen bis zu 2000 Metern angsstellt.
Da zeigte sich, daß die früheren Proben zu einer leider ganz falschen
Ansicht über die Wirkung der kleinkalibrigen Gewehre geführt hatten. Oberstabsarzt
Schjerning hat im Auftrage des Generalstabsarztes Dr. v. Coler
auf dem internationalen Aerztekongreß zu Rom einen Vortrag gehalten,
aus dem zweifellos hervorgeht, daß die Ansicht von dem humanen
neuen Geschoß unwiderbringlich verloren ist. In künftigen Kriegen werden
wir nicht nur mehr Verwundete, sondern auch mehr Schwerverwundete
zu versorgen haben, und die Thätigkeit des Arztes wird viel
schwerer, viel verantwortlicher sein. Ein Trost bleibt allerdings: die
Chirurgie hat in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, und
so wird sie sich hoffentlich auch der schwierigeren Aufgabe gewachsen zeigen.
Eine Erörterung der Zerstörungen, die das neue Geschoß anrichtet, möge
uns erspart bleiben. Wir wollen durchaus nicht durch grausige Schilderungen
aufregen, sondern in Anbetracht jener feststehenden betrübenden
Thatsache daran erinnern, wie wichtig es ist, schon im Frieden die Thätigkeit
der deutschen Vereine vom Roten Kreuz nach allen Kräften zu fördern, damit im Falle der Not die Liebe die Schrecken des Krieges zu mildern vermöge! *
- ↑ Vergl. Jahrgang 1890, Nr. 10.