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Titel: Die Vorgänge in China
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 288–292
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[288]

Die Vorgänge in China.

Im fernen Ostasien bereiten sich Ereignisse vor, die in ihren Folgen für jetzt gar nicht zu berechnen sind. Das unermeßliche China, ein Reich, das mit den tributpflichtigen Staaten einen Flächenraum umfaßt, der über 90,000 Quadratmeilen größer ist als Europa, und das gegen vierthalbhundert Millionen Einwohner zählt, ist in diesem Augenblicke der Schauplatz eines Kampfes, der wahrscheinlich schon in der nächsten Zeit sein Ende erreichen, und nicht nur eine vollständige Umwälzung im Innern herbeiführen, sondern auch die bisherige isolirte Stellung des chinesischen Volkes aufheben und dasselbe mit der Kultur und Civilisation

[289]

Nanking.

[290] der westlichen Welt in nähere, ja engere Berührung bringen dürfte.

So viel wir von der Geschichte Chinas wissen, reicht dieselbe Jahrtausende über unsere Zeitrechnung hinaus, und Jahrtausende hindurch, ja bis auf die neuesten Zeiten hin, blieb China unberührt von allen Einflüssen europäischer Bildung und behielt die Formen, in welche das staatliche Leben von frühester Zeit eingezwängt war, unverändert bei. Jedenfalls lag es in der Politik der chinesischen Herrscher, ihre Völker auf das Strengste von allem Verkehr mit fremden Völkern abzusperren, und die ungeheuere Ausdehnung des Reiches, die hohen unzugänglichen Gebirge, sowie die weiten Steppen und das stürmische Meer, welche die Grenzen China’s bilden, trugen wesentlich dazu bei, diese Politik leicht durchzusetzen; auch haben der Stolz und Eigendünkel der Chinesen, die sich für das gebildetste Volk der Welt halten und auf alle übrigen Völker mit Verachtung herabsehen, dem Abschließungssystem bedeutenden Vorschub geleistet und die Annahme fremder Einrichtungen und Kunstfertigkeiten verhindert.

Unter den eigentlichen chinesischen Dynastien, deren letzte, die Ming-Dynastie, vor zweihundert Jahren in Folge eines inneren Aufruhrs durch die, aus dem Norden berbeigerufenen Mandschu gestürzt wurde, ward dies Absperrungssystem nicht immer streng gehandbabt, und schon im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts traten die Portugiesen und Spanier mit den Chinesen in Verkehr, und unter der jetzt noch regierenden Mandschu-Dynastie, die sich Too-tsing, d. h. die sehr reine nennt und seit 1644 auf dem Drachensitze des himmlischen Reichs thront, wurden die ersten Handelsverbindungen mit Rußland angeknüpft, die bis auf diese Stunde fortbestehen. Bald darauf gelang es auch den Franzosen und Engländern, in gleiche Verhältnisse zu China zu treten, ja sogar sich in Kanton festzusetzen.

Von dieser Zeit an begann die Thätigkeit englischer und französischer Missionäre für die Verbreitung des Christenthums in China, doch konnten sie, wenn gleich schon lange vor ihnen besonders die Jesuiten in derselben Richtung gewirkt hatten, um so weniger wesentliche Resultate erzielen, da die, unter dem zweiten Herrscher der Mandschu-Dynastie den Christen zugestandene freie Ausübung ihrer Religion von dem nächsten Nachfolger desselben zurückgenommen ward. An die Stelle der Duldung trat bald eine harte Verfolgung der Christen, auch das locker gewordene Absperrungssystem wurde wieder strenger beobachtet, ja immer schärfer und schärfer durchgeführt, je kräftiger sich die britische Macht in Indien entwickelte. Es scheint, daß der jetzt regierende Kaiser – vorausgesetzt, daß er in diesem Augenblicke noch seinen Sitz im Palaste zu Peking hat – der 1820 zur Herrschaft gelangte, geahnt haben mag, daß von den immer mächtiger werdenden „rothborstigen Barbaren,“ wie der chinesische Staatsstyl die Engländer nennt, dem Reiche der Mitte Unheil drohen werde; denn er ließ die einmal bestehenden Verkehrsverhältnisse nach Möglichkeit einschränken, trieb 1828 alle katholischen Missionäre aus Peking und verbot auf das Strengste den Umgang mit den Fremden.

Dies Verfahren, dann aber auch die Aufhebung des Monopols der englisch-ostindischen Kompagnie, wodurch der Handel der Engländer nach China einen ganz andern Charakter annahm, führten vorzugsweise in Kanton zu allerlei Händeln, die schon im Juli 1834 so bedenklich wurden, daß die chinesischen Behörden allen Verkehr mit den Engländern aufhoben. Es traten nun zwar momentane Ausgleichungen ein, jedoch brachte der von den Engländern mit Eifer betriebene, höchst vortheilhafte Schmuggelhandel mit Opium eine solche Erbitterung bei der chinesischen Regierung hervor, daß sie den Verbrauch des Opiums bei den schrecklichsten Strafen untersagte, ja sogar die Auslieferung alles auf englischen Schiffen und in Magazinen befindlichen Opiums verlangte, um so auf einen Schlag den Handel mit dieser „Teufelswaare“ zu vernichten. In Folge dieses Verfahrens brach der Krieg zwischen England und China aus, der nach wiederholten blutigen Niederlagen der chinesischen Land- und Seemacht im Jahre 1842 mit dem Frieden von Nanking endigte, die Eröffnung von fünf chinesischen Häfen und Zulassung von Konsuln in denselben herbeiführte und die Engländer in den Besitz der Insel Hongkong setzte.

Dieser Friede ist ein weltgeschichtliches Ereigniß: er brach das chinesische Absperrungssystem und öffnete die bis dahin so gut wie unbekannte Ostwelt Asiens dem Einflusse europäischer Kultur um so mehr, da die Siege, welche die Engländer in verhältnißmäßig kurzer Zeit, mit an sich nur geringen Kräften und unter ganz unbedeutenden Verlusten über den Sohn des Himmels davon trugen, aller Welt verriethen, auf wie schwachen Füßen die Macht des so gewaltigem Reiches stehe.

Daß der Ausgang des Kampfes mit den Engländern auch im Innern des eigentlichen China, eines Landstrichs, der mindestens fünfmal so groß ist, wie Deutschland, außerordentliche Bewegungen hervorgerufen habe, darüber hatte man lange Zeit hindurch keine bestimmte Nachrichten. Man hörte wohl bald nach dem Frieden von Nanking, daß sich in den südwestlichen Provinzen gewisse Reformbestrebungen kund gäben, daß sich eine mächtige Partei erhoben habe, welche sich bemühe, überall geheime Gesellschaften zu stiften und mittelst dieser das Volk gegen die verhaßte Mandschu-Dynastie aufzuwiegeln, und daß ein Nachkomme der vor zweihundert Jahren vertriebenen Ming-Dynastie von allen Seiten her Unzufriedene an sich zu ziehen suche und entschlossen sei, sein gutes Recht auf den Thron in Peking mit den Waffen geltend zu machen und dem chinesischen Volke, das von fremden Tyrannen niedergedrückt werde, eine bessere, ruhmreichere Zukunft zu eröffnen. Nachrichten dieser Art wiederholten sich von Zeit zu Zeit, fanden aber, da sie zu sehr den Charakter von Gerüchten an sich trugen, wenig Glauben, bis man endlich in englischen Blättern von einer Verschwörung las, die in Kanton im Jahre 1848 entdeckt und an den Theilnehmern, deren man habhaft werden konnte, auf das Grausamste bestraft wurde. Man erfuhr nun, daß ein Dreieinigkeits-Bund bestehe, der mit andern geheimen Gesellschaften den engsten Verkehr unterhalte, daß dieser Bund bereits eine bedeutende Streitmacht habe, und daß die Ermordung [291] des kaiserlichen Statthalters in Kanton das Signal zum allgemeinen Aufstande hätte sein sollen.

Dieser allgemeine Aufstand der Ming-Leute, wie sich die gegen die Mandschu-Dynastie Verschworenen nennen, erfolgte zwar nicht, aber eben so wenig gelang es der Regierung, die ihr gefährliche Bewegung zu unterdrücken, vielmehr griff dieselbe in den südwestlichen Provinzen immer mehr um sich, dehnte sich über die nördlichen und östlichen Lande aus und verpflanzte sich an die Küsten, die nun von Seeräubern im Laufe des Jahres 1849 so unsicher gemacht wurden, daß der Handel gänzlich in’s Stocken gerieth und die Engländer zu Hülfe gerufen werden mußten, denen es freilich in kurzer Zeit gelang, die Piraten unschädlich zu machen. Indessen schon im Jahre 1850 begann der Kampf der Ming-Leute in verschiedenen Provinzen mit solcher Entschiedenheit und so glänzenden Erfolgen, daß schon im Mai desselben Jahres der Himmelssohn auf dem Drachensitze in Peking in Erlassen an das Volk seinem Zorn über die Rebellen Luft machte, sich bitter über seine Generale und Beamten beklagte, dem Volke die großen Summen vorrechnete, die er auf Unterdrückung des Aufstandes bereits verwendet, und unter Verheißung seiner Gnade dasselbe zu den außerordentlichsten Anstrengungen aufforderte. Diese kaiserlichen Appellationen an das Volk hatten den erwarteten Erfolg nicht, die Rebellen erfochten Siege auf Siege und befanden sich schon im September des genannten Jahres in so großem Vortheile über die kaiserlichen Truppen, daß ihr Führer Tiente (der große Himmelssohn), der sich auch zuweilen Tai-ping (der große Friedensfürst) nennt, sich zum Kaiser ausrief.

Tiente, der Kaiser und Heerführer der Ming-Leute, stammt, wie er selbst sagt, in gerader Linie von der im Jahre 1644 durch die Mandschu vertriebenen Ming-Dynastie, deren Mitglieder, trotz der zweihundertjährigen Herrschaft der Usurpatoren, sich diesen niemals unterworfen und nie eine Gunst von ihnen verlangt. Er selbst habe stets im Verborgenen gelebt, bis ihm die Tyrannei der Tartaren nicht mehr Ruhe gelassen; darauf habe er sich entschlossen, mit seinen Kriegern den Kampf zu beginnen, die Tsing-Dynastie zu stürzen, den alten Glanz des Reichs zu erneuern und allgemeinen Frieden herzustellen. Mit diesem großen staatlichen Zwecke verfolgt Tiente aber noch einen religiösen, und das ist das bei weitem Wichtigste in dem Auftreten dieses chinesischen Helden.

Die Proklamationen, worin sich die religiösen Ansichten Tiente’s aussprechen, lassen, wenn sie wirklich mehr sind als Mittel zum Zweck, kaum noch einen Zweifel daran, daß die Ming-Leute wie ihr Führer längst dem Christenthume angehören, und daß, wenn Tiente siegt und die Reformen, welche er in politischer wie religiöser Beziehung verheißt, wirklich zur Ausführung bringt, eine ganz neue Zeit über China anbrechen werde. Tiente fordert zur gänzlichen Ausrottung des Buddha- und Tao-Glaubens, zur Vernichtung der Priester dieser Lehren, so wie zur Zerstörung aller Götzentempel auf und erklärt selbst die dem Tode verfallen, die zum Bau der Götzentempel beigetragen haben. Er verehrt den „großen Gott, den himmlischen Vater, der in sechs Tagen Himmel und Erde geschaffen, das Land und das Meer, die Menschen und die Dinge;“ er nennt diesen großen Gott einen „geistigen Vater, allwissend, allmächtig und allgegenwärtig, dessen große Macht alle Völker unter dem Himmel erkennen.“ Nach diesem Bekenntnisse heißt es in der Proklamation weiter: „Indem wir die Urkunden vergangener Zeiten verfolgen, finden wir, daß seit der Schöpfung der Welt der große Gott zu verschiedenen Malen sein Mißvergnügen kund gethan hat, und wie kommt es, daß Ihr davon Nichts wisset?“ Zuerst offenbarte der große Gott seinen Zorn, indem er durch 40 Tage und 40 Nächte einen gewaltigen Regen herabsandte und dadurch die Fluth erzeugte. Bei einer zweiten Gelegenheit zeigte er sein Mißvergnügen und kam herab, um Israel aus den Händen der Aegpyter zu retten. Bei einer dritten Gelegenheit zeigte er seine Majestät, als die Verkörperung des Retters der Welt, des Herrn Je-su, geschah im Lande Judäa, und er duldete für die Erlösung des Menschengeschlechts. Auch in spätern Zeiten hat der große Gott seine Entrüstung offenbart und im Jahre Ting-yu (1837) sandte er einen himmlischen Boten[1] mit dem Auftrage, die Schaaren des bösen Feindes zu vernichten. Weiter hat er den himmlischen König[2] gesandt, die Zügel der Regierung zu ergreifen und das Volk zu retten.“

Man sieht aus dieser Proklamation, daß der Führer der Ming-Leute mit den Lehren des alten und neuen Testaments vertraut ist, und daß er dies offen ausspricht, beweist hinlänglich, daß seine Anhänger denselben Ansichten huldigen. Erkennt man nun hierin deutlich, wie groß bereits der Einfluß der europäischen Völker, die seit einem Decennium mit China verkehren, geworden ist, so geht auch aus der Organisation der Streitmacht Tiente’s hervor, daß er sich mit europäischer Taktik und Kriegführung genau bekannt gemacht hat und eben deshalb den kaiserlichen Truppen in jeder Weise überlegen ist. Während der Jahre 1851 und 1852 sind die Ming-Leute in allen Gefechten Sieger geblieben und haben, sobald sie eine Provinz eingenommen, auch dort sofort die Einrichtungen getroffen, die ihr Führer verheißen und für die Wohlfahrt des Volkes für nöthig hält. Aus der südwestlichen Spitze des Reiches ist der Aufstand nach und nach bis zum Nordosten vorgedrungen, und im März dieses Jahres hat sich der Himmelssohn in Peking so tief herablassen müssen, die Hülfe der Vertreter von England, Frankreich, Nordamerika und Hamburg anzusprechen. Eine direkte Einmischung der Europäer ist nicht erfolgt, vielmehr haben sich dieselben nur darauf beschränkt, das Eigenthum europäischer Kaufleute zu beschützen, was aber nicht einmal nöthig sein dürfte, da die Ming-Leute so vorsichtig sind, die Interessen des Fremden nicht zu verletzen. Dem weiteren Vordringen der Kriegsmacht [292] Tiente’s ist von Seiten der Engländer und Nordamerikaner kein Hinderniß in den Weg gelegt worden, und so ist es denn geschehen, was der Kaiser in Peking um jeden Preis aufhalten wollte: Nanking nämlich, die zweite Hauptstadt des Reichs, ist, wie die neuesten Nachrichten melden, von den Ming-Leuten erobert worden, und damit dürfte der Sturz der Mandschu-Dynastie entschieden sein. Der Weg nach Peking steht den Siegern offen, und nur zu bald wird man lesen, daß Tiente „den Drachensitz gereinigt“ habe. – Was geschehen werde, wenn der Sprößling der Ming-Dynastie diese wieder hergestellt, steht zu erwarten; indessen ist nach dem, was bereits geschah, anzunehmen, daß China den europäischen Völkern vollständig geöffnet und damit dem Unternehmungsgeiste der westlichen Welt ein weites Feld für geistige und materielle Thätigkeit werde geboten werden.




  1. Dies deutet ohne Zweifel auf den bekannten Missionär Gützlaff, der vierundzwanzig Jahre hindurch mit rastloser Thätigkeit für die Verbreitung des Christenthums in China wirkte, und der auch mit Tiente in enger Verbindung gestanden haben soll.
  2. So nennt sich Tiente selbst.