Textdaten
<<<
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Vererbung des Accents
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 53, S. 882
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[882] Die Vererbung des Accents. Man erkennt in der Regel den Ausländer an dem „fremden Accent“ seiner Aussprache; denn es ist viel leichter, in den Geist einer Sprache einzudringen, als sich die richtige Wiedergabe der jedem Dialekte eigenthümlichen Modulationen der menschlichen Stimme anzueignen. Bei Leuten, die erst in ihren Jugendjahren fremde Sprachen erlernen, ist dieses Vorhandensein des fremden Accents leicht erklärlich. Der in dem Kindesalter empfangene Eindruck der Muttersprache behält in der Regel den neu einwirkenden Einflüssen gegenüber die Oberhand. Diese allgemein bekannte Thatsache wird jedoch noch verständlicher, wenn man die merkwürdigen Erscheinungen in Betracht zieht, die bei Taubstummen, welche die articulirte Sprache erlernt haben, beobachtet wurden. So berichtete vor Kurzem eine englische gelehrte Fachzeitschrift von einem jungen, von seiner Geburt an taubstummen Schottländer Folgendes: In seinem siebenzehnten Lebensjahre erlangte derselbe in Folge wiederholter Fieberanfälle sein Gehör wieder. Er begann sofort zu sprechen, aber die Hausgenossen konnten ihn nur mit Mühe verstehen und bemerkten bald, daß der junge Schottländer, dessen Eltern aus dem schottischen Gebirge stammten, das Englische mit demselben fremden Accente aussprach, welcher den Hochländern jener Gegend, wenn sie Englisch lernen, eigen ist. Der junge Mann hat aber den gaelischen Dialekt seiner Eltern niemals gekannt, da er das Gehör erst während seines Aufenthaltes in Nieder-Schottland, wo jener Dialekt nicht gesprochen wird, wiedererlangte. Dieser interessante Fall, welcher nur durch die Macht der Vererbung zu erklären ist, steht keineswegs vereinzelt da. Ein Sachverständiger aus Manchester, Joseph Alley, berichtet gleichfalls von einem Taubstummen, der erst in seinem siebenzehnten Jahre das Sprechen lernte. Derselbe hielt sich von seiner frühesten Kindheit in der Grafschaft Lancashire auf, und dennoch verrieth seine Aussprache deutlich den in seinem Geburtsorte, der Grafschaft Stafford, üblichen Accent[WS 1].

Noch interessanter ist schließlich die Wahrnehmung, welche der berühmte Kenner der spanischen Literatur G. Ticknor[WS 2] in der Taubstummenanstalt zu Madrid gemacht hatte: Keiner von den dort aufgenommenen Schülern hat jemals in seinem Leben einen Laut vernommen, und ihre Aussprache war nur das Resultat der Nachahmung der äußeren Bewegungen ihrer Lehrer. Diese Lehrer aber waren ohne Ausnahme Castilianer, und trotzdem sprachen die einzelnen Taubstummen stets mit dem Accente ihrer Provinz das Spanische aus. Man unterschied bei denselben ganz deutlich die eigenthümlichen Accente der Catalonier, der Basken und der Castilianer, ja sogar die selteneren von Andalusien und Malaga. Diese Thatsachen bilden einen interessanten Beitrag zum Capitel von der Vererbung physiologischer Fähigkeiten und bewahrheiten den alten Spruch, daß eben Jeder sprechen muß, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Accenct
  2. George Ticknor; Vorlage: Tickner