Textdaten
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Titel: Die Taufe im Sterben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 121-123
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Taufe im Sterben.

Bis zu Ende der dreißiger Jahre kannte fast ganz Rom einen Mann und eine Frau von hohem Alter und ehrwürdigem Aussehen. Sie waren arm, schienen mit rührender Liebe an einander zu hangen und gingen fast immer Hand in Hand. Jeden Tag zu einer gewissen Stunde sah man sie so in die Peterskirche wandern, in welcher sie dann neben einander knieten und lange andächtig beteten. Sie trugen die gewöhnliche Kleidung, aber an ihrer braunen Gesichtsfarbe erkannte man leicht, daß sie nicht unter der Sonne Europas geboren waren. Auch in dem gastfreien Hause des Herrn v. Kästner, des Sohnes jener Lotte, die Goethe in seinem „Werther“ unsterblich gemacht hat, des geistreichen Kunstfreundes und Staatsmannes, um den sich immer ein Kreis von Landsleuten sammelte und den jetzt plötzlich der Tod hinweggerafft, sprach sich eines Abends eine so allgemeine Neugierde über jenes ehrwürdige Paar aus, daß alle Anwesenden sich um den Hausherrn drängten, als er bemerkte, er kenne die Geschichte der beiden Alten, da er eine Gelegenheit benutzt habe mit ihnen zu sprechen, und er wolle sie erzählen, wie sie ihm erzählt worden sei:

Zu Ende des vorigen Jahrhunderts erschien ein schon bejahrter Missionär in Paraguay, der eifrig die Sprache der Eingebornen erlernte und bald mehrere derselben zum Christenthume bekehrte. Die Häuptlinge aber, welche den langdauernden spanischen Druck noch nicht vergessen hatten, fürchteten, wenn der Glaube der Weißen unter ihnen sich weiter verbreite, aus ihren Hütten und Wäldern vertrieben zu werden und deshalb beschlossen sie den Tod des alten Geistlichen.

Ein junger Indianer wurde als Vollstrecker dieses Beschlusses erwählt. Melutiz, wie dieser Krieger hieß, hatte sich durch seinen Muth und seinen Haß gegen die Weißen ausgezeichnet. Mehrmals war er zur Hütte des Missionärs gegangen und hatte das Kreuz zerschlagen, weil dies ihn an das Unglück seines Volkes erinnerte. Die Häuptlinge konnten also keinen Geeigneteren wählen; trotzdem hielten sie es aber für nöthig, eine Belohnung auf seinen Gehorsam zu setzen. Melutiz liebte schon längst Velida, die Tochter eines der mächtigsten Häuptlinge, da er aber arm war, hatte ihm derselbe die Hand der Tochter stets verweigert. Jetzt sagte man ihm, er solle die Geliebte sein nennen können, wenn er den Kopf des Weißen bringe.

Nachdem Melutiz den Gebräuchen seines Volkes gemäß zur blutigen That sich vorbereitet hatte, machte er sich auf den Weg zu der Hütte des Missionärs, die auf einem Hügel am Saume eines Waldes stand. Es dunkelte bereits, obgleich die Sonne eben erst am Horizonte verschwunden war. Mit einemmal blieb der junge Indianer [122] stehen und schlug einen fast entgegengesetzten Weg ein, denn die Sehnsucht drängte ihn, die Geliebte noch einmal zu sehen, die er sich eben durch eine Blutthat erkaufen wollte.

Sie empfing ihn erfreut, aber bald fragte sie entsetzt:

„Du trägst Waffen bei Dir? Was willst Du beginnen?“

Melutiz lächelte und antwortete, er wolle sich die Geliebte verdienen.

„Du willst tödten, Melutiz!“ fuhr Velida entsetzt auf und faßte heftig die Hände des jungen Indianers. „Wirf die Waffen von Dir, wenn Du mich liebst; kehre heim in die Hütte Deines Vaters und warte da bis zum Aufgange der Sonne. Morgen wird Dir vor Deinem heutigen Vorhaben grauen, denn böse That bringt Reue und Blut ist nie von der Hand abzuwaschen, die es vergoß.“

Melutiz schüttelte den Kopf und antwortete:

„Die Häuptlinge verlangen es; sie haben lange gelebt und sind weise. Ich will auch nicht einen Krieger tödten, sondern einen Weißen, einen Sohn derer, die unser Volk mißhandelten.“

Velida erbleichte.

„Tödte den Weißen nicht!“ bat sie flehendlich. „Der große Geist hat ihn gesandt; seine Lippen sprechen Weisheit und ich verehre ihn.“

Sie schlang dabei ihre Arme um den Jüngling, um in diesen weichen Banden ihn zurückzuhalten; Melutiz aber entwand sich ihr und entfloh. Er eilte rasch auf dem Wege nach der Hütte des Weißen hin, aber immer lauter wurde das Echo, das die Bitte Velida’s in seinem Herzen geweckt hatte, so daß sein Vorsatz wankend geworden als er endlich die Hütte des Missionärs erreichte. Als er dann im Mondenlicht den Greis knieen und beten sah, als er das weiße Haar des Alten erblickte, das ihm wie ein Mantel um die Schultern fiel, sein Alter zu schützen, als er die Stirn betrachtete, auf welcher jeder Schmerz eine Narbe zurückgelassen, und das hagere Gesicht, das mancher Kummer durchgefurcht, verließ der Muth zu tödten den jungen Krieger ganz und gar. Er warf den spanischen Dolch von sich und trat rasch mit den Worten zu dem Betenden:

„Alter Mann, unsere Häuptlinge haben Dein Verderben beschlossen. Der Tod lauert auf Dich. Fliehe, verlaß unser Land. Eine Pirogue liegt ganz in der Nähe am Flußufer; steige hinein und rudere dahin, wo Du weiße Krieger finden wirst. Dein Bleiben ist Dein Tod.“

„Mein Sohn,“ antwortete der Greis, „Gott möge den Menschen vergeben, wenn sie meinen Tod beschlossen haben; aber ich werde ihn furchtlos erwarten und ohne Klage erleiden.“

„Bei meinen Vätern!“ fiel der junge Indianer ein; „es ist keine leere Drohung. Der, welcher Dich tödten soll, ist erwählt und Du weißt es, daß in unsern Wäldern der sicherlich den Tod findet, welcher ihn zu geben sich weigert. Der Erwählte liebt überdies die Tochter eines Häuptlings und Velida wird sein Lohn, wenn er den Auftrag ausführt. Ich bin der Erwählte, also zögere nicht.“

„Ich beklage Dich, aber ich verzeihe Dir,“ antwortete der Greis.

„Alter Mann, alter Mann!“ rief da der junge Wilde aus, „ich bewundere Deinen Muth, ich fühle Mitleid mit Deinem Alter und Dein weißes Haar erschreckt mich. Erbarme Dich meiner und verlaß unsere Wälder, denn siehst Du, Velida ist die schönste Jungfrau unseres Stammes. Um ihr zu gefallen, würde ich den Glauben meiner Väter verläugnen, um sie zu besitzen, würde ich Dich tödten, alter Mann, trotz Deinem grauen Haar, denn ich liebe sie, ich liebe sie mehr als Du Deinen Gott lieben kannst.“

Kaum hatte Melutiz dies gesprochen, so zuckten alle seine Glieder, denn er hörte Geräusch in der Ferne. Rasch trat er an die Thür der Hütte und lauschte in unbeschreiblicher Angst.

„Weißer alter Mann!“ sagte er dann zu dem Priester, indem er den Dolch, den er von sich geworfen, wieder aufhob, „meine Brüder kommen, .. ich höre ihre Tritte, .. benutze die Zeit, die Dir noch bleibt – fliehe!“

Der junge Krieger hatte einen schweren Kampf mit sich zu kämpfen. Wie viel ihn auch reizte, den Weißen zu hassen, die großartige Ruhe desselben lähmte seinen Arm. Er hob die Waffe nach dem Betenden und ließ sie wieder sinken, um ihn mit der rührendsten Bitte zur Flucht zu beschwören. Der Greis betete andächtig weiter. Die Wilden, die herbei kamen, näherten sich unterdeß mehr und mehr; sie konnten kaum noch hundert Schritte entfernt sein; Melutiz verlor die Geliebte und sein Leben, wenn sie herankamen und seine – Feigheit sahen .. Da raffte er sich auf, ergriff krampfhaft den betenden Alten und stieß ihm mit abgewandtem Gesicht den Dolch in die Brust.

Der Greis wankte und sank zu den Füßen seines Mörders nieder.

Dieser stand da wie erstarrt; nur seine Lippen bebten und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Gott vergebe Dir, wie ich Dir vergebe,“ sprach der schwer Verwundete; „er erleuchte Deinen Geist mit seiner Wahrheit!“

„Weißer Mann,“ rief der junge Wilde gewaltig ergriffen aus, „Dein Gott muß groß und mächtig sein, da er Dir die Kraft giebt, Deinem Mörder zu verzeihen. Ich schwöre es Dir, Dein Gott soll mein Gott sein!“

Da fand der Priester Kraft sich auf die Knie aufzurichten.

„Knie nieder!“ sprach er kaum hörbar zu seinem Mörder. Dann streckte er die Hände nach dem Weihwasser aus, legte sie auf das Haupt des zerknirschten Wilden und – taufte ihn. Darauf sank er nieder und starb.

Die Indianer, die jetzt herbeikamen, um zu sehen, ob Melutiz seinen Auftrag erfüllt, sahen den Weißen in hellem Mondenlichte in seinem Blute liegen, stießen ein grauenhaftes Siegesgeschrei aus und kehrten zurück, ohne ihren Bruder gesehen zu haben, der im tiefen Dunkel noch immer gebeugten Hauptes neben seinem Opfer kniete.

Langsam stand er endlich auf, grub ein Grab neben der Hütte und legte den Getödteten hinein.

Als der Morgen grauete, suchte er Velida auf.

„Du hast ihn getödtet! Du hast ihn getödtet!“ rief sie ihm voll Verzweiflung zu .. „Fliehe, Mörder! Berühre [123] mich nicht mit Deiner blutigen Hand .., denn ich bin Christin!“

„Fluche mir nicht, Velida,“ antwortete Melutiz bittend; „der weiße Mann hat mir vergeben und mich gesegnet. Sein Gott ist groß und er ist jetzt mein Gott, denn der Priester hat mich im Sterben getauft.“

Da leuchtete ein Blitz der Freude durch die Thränen Velida’s und sie hörte schweigend an, was ihr Melutiz erzählte. Dann sprach sie:

„Wir können unter unserm Volke nicht bleiben; die Häuptlinge würden uns den Tod geben; laß uns in das Land der Weißen fliehen, um den Gott anzubeten, den Du nach blutiger That erkannt hast.“

Sie entflohen beide dem Zorne ihres Volkes, aber es verging eine lange Zeit, ehe sie Gelegenheit fanden, auch aus ihrem Vaterlande zu entkommen. Italienische Missionäre endlich, die nach Europa zurückkehrten, nahmen das Paar mit sich. Melutiz und Velida gelangten so nach Rom und wurden da nach katholischem Ritus getraut. Seit zwanzig Jahren haben sie nun hier von ihrer Hände Arbeit still und zufrieden gelebt, aber jeden Tag gehen beide Hand in Hand in die Kirche, um Gott zu bitten, daß er Melutiz die blutige That verzeihe.