Die Sprengstoffe der Neuzeit

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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Die Sprengstoffe der Neuzeit
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Sprengstoffe der Neuzeit.
Von C. Falkenhorst.

Ein halbes Jahrtausend hindurch war das Schießpulver, jene Mischung aus Salpeter, Kohle und Schwefel, der einzige Sprengstoff, der zu Bedeutung gelangt war. Allerdings liest man hin und wieder in alten Büchern kurze Mitteilungen über neue Knallkompositionen. Die „Goldstudien“, denen man in früheren Zeiten mit großem Eifer oblag, führten z. B. zur Entdeckung einer explodierenden Goldverbindung, die schon im 15. Jahrhundert als aurum fulminans oder aurum tonitruans (blitzendes oder donnerndes Gold) beschrieben wurde. Es ist dies das Goldoxyd-Ammoniak, ein grünliches Pulver, das wir heute „Knallgold“ nennen und das schon bei der leisesten Berührung mit größter Heftigkeit explodiert. Im Jahre 1648 berichtete ferner Glauber über eine „Komposition, welche fulminieret gleichwie ein aurum tonitruans“; es handelt sich dabei um das „Knallpulver“, eine Mischung von Salpeter, kohlensaurem Kali und Schwefelblumen, die, an der Luft erhitzt, selbst in geringer Masse mit äußerst heftigem Knall sich entzündet. Derartige Entdeckungen und Erfindungen blieben jedoch Jahrhunderte hindurch vereinzelt und wenig beachtet. Erst die moderne chemische Wissenschaft, deren Anfang in das Ende des vorigen Jahrhunderts fällt, sollte auch auf diesem Gebiete einen ungeahnten und, wie die Ereignisse der jüngsten Zeit lehren, nicht immer erfreulichen Aufschwung bringen.

Die ersten Chemiker versuchten alsbald, das alte Pulver zu verbessern. Lavoisier und Berthollet kamen auf den Gedanken, den Salpeter durch das chlorsaure Kali zu ersetzen, aber der Versuch mißlang, die Pulverfabrik von Essenne flog in die Luft und viele Arbeiter kamen dabei um. Immerhin war ein neues äußerst heftig explodierendes Gemenge bekannt geworden. Im Jahre 1788 stellte Berthollet ein dem Knallgold ähnliches Präparat her, das „Silberoxyd-Ammoniak“, aber dieser Stoff war für praktische Zwecke völlig untauglich, da er mit furchtbarer Gewalt explodierte, selbst wenn man ihn nur mit einer Feder unter Wasser berührte.

Einen anderen Weg schlugen der Engländer Howard und der Italiener Brugnatelli ein. Jenem gelang es im Jahre 1799, diesem im Jahre 1802, neue Explosivstoffe herzustellen, indem sie Metallverbindungen mit Salpetersäure behandelten. Howard erfand das „knallsaure Quecksilberoxyd“ und Brugnatelli das „knallsaure Silberoxyd“. Das waren nicht mehr explodierende Gemenge, sondern chemische Verbindungen, die bei ihrem Zerfallen eine weit größere Kraft als das alte Schießpulver entfalteten. Das Brugnatellische Knallsilber zersetzt sich indessen so leicht schon bei geringer Reibung, daß ihm nur ein beschränktes Verwertungsgebiet vorbehalten blieb. In äußerst kleinen Portionen wird es zur Herstellung von Spielereien wie Knallbonbons und Knallerbsen verwendet. Weit wichtiger wurde das etwas beständigere Knallquecksilber von Howard. Wegen der furchtbaren Heftigkeit mit der es explodiert, konnte es an Stelle des Schießpulvers nicht verwendet werden; nur in sehr geringen Mengen dient es als treibende Füllung in den Patronen der sogenannten „Floberts“ oder Zimmerpistolen. Die Leichtigkeit, mit welcher es durch Schlag zersetzt wird, brachte aber die Techniker auf den Gedanken, es als Zündmittel für das Pulver zu verwerten. Im Jahre 1815 verfertigte der englische Büchsenmacher Josef Egg die ersten Zündhütchen, die mit Knallquecksilber gefüllt waren und zunächst bei den Jägern, dann bei den Heeresverwaltungen Beifall fanden, so daß um das Jahr 1840 die alte Steinschloßflinte durch das Perkussionsgewehr in Europa völlig verdrängt war. Es bedeutete dies einen großen Fortschritt, denn nun war das Infanteriefeuer unabhängig von Wind und Wetter und anderen Zufälligkeiten. Mit dieser Errungenschaft schließt ein Abschnitt in der Geschichte der Explosivstoffe ab – die Knallpräparate sind in ihrer Eigenschaft als Zünder heute noch allgemein in Anwendung.

Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts geschah in der Forschung ein neuer Schritt von größter Tragweite, und wieder war es die Salpetersäure, welche unter der Hand des Chemikers neue Sprengstoffe entstehen ließ. Im Jahre 1846 erfand Schönbein in Basel die Schießbaumwolle und bald darauf den Knallzucker; ein Jahr später stellte der Italiener Sobrero in dem Laboratorium von Pelouze in Paris das Nitroglycerin her. Der Schießbaumwolle wandte man sofort eine lebhafte Aufmerksamkeit zu; sie sollte als Sprengmittel das alte Pulver verdrängen, aber sie zersetzte sich zu leicht und führte zu Selbstentzündungen von so furchtbarer Wirkung, daß ihre Verwendung lange Zeit hindurch beschränkt war. Das Nitroglycerin blieb anfangs als Sprengmittel unbeachtet, es wurde nur von einigen Aerzten als Heilmittel gegen Nervenleiden versucht. In der neuesten Zeit wird es von amerikanischen Aerzten sehr warm als Rettungsmittel bei Kohlendunst- und Leuchtgasvergiftungen empfohlen. Man soll den Betäubten kleine Mengen, 1/2 bis 1 Milligramm, in das Blut einspritzen. Erst im Jahre 1862 fand der schwedische Ingenieur Alfred Nobel den Mut, Nitroglycerin in größeren Mengen anzufertigen und es als „Sprengöl“ in alle Welt zu versenden. Die Folgen dieses Vorgehens blieben nicht aus. In Stockholm, Hamburg, Aspinwall, San Francisco und an anderen Orten fanden so entsetzliche Explosionen statt, daß die Einfuhr des schwedischen Sprengöls überall verboten wurde.

Nobel sah sich dadurch veranlaßt, auf Mittel zu sinnen, durch welche die zufälligen Entzündungen des Sprengöls auf dem Transporte, während der Aufbewahrung und der Handhabung verhütet werden könnten. Es gelang ihm auch in der That im Jahre 1866, die Verwendung des Nitroglycerins gegen früher [031] bedeutend gefahrloser zu gestalten. Er tränkte die sehr poröse Kieselguhr- oder Infusorienerde, wie sie bei Oberlohe in Hannover vorkommt, mit Nitroglycerin und erhielt so eine Masse, die er „Dynamit“ nannte. Dieses Verfahren wurde bald nachgeahmt; anstatt der Kieselguhr mischte man andere Körper mit dem Nitroglycerin, so z. B. Randanit, eine Kieselerde, die sich in Puy de Dòme in Frankreich findet, Asche der Bogheadkohle, Tripolith, Alaun, schwefelsaure Magnesia etc., und so kamen verschiedene Sorten Dynamit in den Handel.

Als Vorzüge eines guten Dynamits wurden folgende angegeben: es sollte gegen Stoß unempfindlich sein, bei Berührung mit brennenden Körpern mit ruhiger Flamme abbrennen und nur dann explodieren, wenn man es mit einem Zünder in Verbindung brachte, der Knallquecksilber enthielt, und diesen abfeuerte. Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß durch geeignet starke Knallquecksilberzünder das Dynamit mit Sicherheit zur Explosion gebracht wird, daß es aber unter Umstanden auch infolge anderer Einflüsse explodieren kann. Seine Unempfindlichkeit gegen Schlag und Stoß ist keine unbedingte. Es ist zwar nicht gelungen, lose zerstreutes Dynamit zur Explosion zu bringen, wenn man mit Eisen auf Holzunterlage schlug, wohl aber wenn der Schlag mit Eisen gegen Stein oder mit Eisen gegen Eisen geführt wurde. In gepreßtem Zustande, in festen Behältern geht es infolge eines kräftigen Schlages immer los.

Angezündet, verbrennt das Dynamit wohl mit ruhiger Flamme, aber nicht immer verläuft der Vorgang in harmloser Weise. Oft, namentlich wenn größere Mengen des Sprengstoffes beisammen lagern, ist die Erhitzung der noch nicht von der Flamme angegriffenen Teile derart, daß die ganze Masse in die Luft fliegt. Darum ereignen sich auch so furchtbare Unglücksfälle, wenn Brände Dynamitlager erreichen, wie dies kürzlich in Santander der Fall war.

Ein großer Feind des Dynamits ist die Kälte. Das Nitroglycerin ist eine ölige, gelbliche Flüssigkeit, die bei etwa + 8° C. erstarrt. Wird es im Dynamit infolge der Abkühlung fest, so trennt es sich von der Kieselguhr oder dem anderen Aufsaugungsmittel. Im gefrorenen Zustande läßt sich das Dynamit schwieriger zur Entzündung bringen, taut es aber auf, so geschieht es mitunter, daß das Sprengöl in die Kieselguhr nicht wieder eindringt, sondern in freien Tröpfchen sich in oder neben dieser ansammelt. Eine solche Dynamitpatrone birgt alsdann alle Gefahren des reinen Nitroglycerins in sich und kann bereits platzen, wenn man sie zufällig auf die Erde fallen läßt.

Schließlich ist das Dynamit der Gefahr der Selbstentzündung unterworfen. Nach kürzerer oder längerer Zeit neigt es zur Zersetzung, und wenn diese einen gewissen Grad erreicht hat, so explodiert die Masse selbst bei einem leisen Stoß, wie z. B. dem Zufallen der Thür zu dem Raume, in welchem sie aufbewahrt wird. Diese Zersetzung tritt besonders leicht bei denjenigen Sorten von Nitroglycerin ein, welche bei der Fabrikation nicht genügend gereinigt wurden und noch Spuren von Säure enthalten.

Das sind die wichtigsten Schattenseiten des gewaltigen Sprengmittels. Sie wurden geraume Zeit und werden noch heute von Technikern und Arbeitern nicht genügend gewürdigt, und viele Unglücksfälle sind wohl auf Rechnung eines strafwürdigen, fahrlässigen Umgangs mit einem so gefährlichen Körper zu setzen.

Trotz aller Unglücksfälle war jedoch das Dynamit in vielen technischen Betrieben dem alten Pulver so überlegen, daß es in großen Mengen hergestellt wurde. Zu Anfang der achtziger Jahre verfertigte die Gesellschaft Nobel allein in ihren europäischen Anstalten gegen 8 Millionen und in den amerikanischen gegen 4 Millionen Kilogramm Dynamit im Jahre.

Je nach dem Gehalt des Dynamits an Nitroglycerin unterschied man stärkere und schwächere Sorten; Dynamit Nr. 1 enthielt z. B. 75%, Dynamit Nr. 2 50% Nitroglycerin. In den zuerst fabrizierten Sorten war das Nitroglycerin der alleinige Explosivkörper; Kieselguhrerde, Asche etc. beteiligten sich nicht bei der Sprengarbeit. Diese Gruppe nannte man darum Dynamite „mit neutraler Basis“. Bald aber wollte man die Kraft des Dynamits noch übertreffen und löste das Sprengöl in Stoffen auf, die auch ihrerseits explodierten und so die Wirkung erhöhten. Man mengte das Nitroglycerin mit Holzkohle und Salpeter und nannte den Sprengstoff „Sebastine“. Aus einer Mischung von Minenpulver und Nitroglycerin setzte man das „Herkulespulver“ zusammen. Durch Kombination mit chlorsaurem Kali schuf man einen weiteren höchst gefährlichen Sprengkörper. Das waren Dynamite „mit aktiver Basis“, und ihre Zahl stieg von Jahr zu Jahr. Am weitesten ging wiederum Nobel, der die beiden gewaltigsten Sprengmittel, Nitroglycerin und Schießbaumwolle, vereinte. Er löste das Sprengöl in einer Art besonders zu diesem Zwecke hergestellten Kollodiums auf und erhielt so eine gelatine- oder gummiartige Masse, die als „Sprenggelatine“ in den Handel gebracht wurde und die alten Dynamite zu einem großen Teil verdrängte. Weniger gefährlich als diese, unempfindlich gegen das Wasser, entfaltet sie fast die Wirkung des reinen Sprengöls. Die Sprenggelatine hat auch zum Teil das alte Pulver ersetzt; denn indem man ihr Kampfer beigab, konnte man sie derart zähmen, daß sich aus ihr das neue rauchschwache Schießpulver bereiten ließ.

Wie groß aber auch die Fortschritte in der Erzeugung von Sprengmitteln sein mögen, wie sehr die Menschheit ihrer auch für die Kulturarbeit bedarf, zufriedenstellend sind die Leistungen der Techniker und Chemiker noch lange nicht. Diese dämonischen Gewalten sind noch nicht genügend gebändigt; wer mit ihnen arbeiten muß, wer sie herstellt, befördert oder verwendet, ist zu sehr den schlimmsten Zufällen preisgegeben. Die Gefahr einer plötzlichen Explosion schwebt über jeder Sprengstofffabrik, über jedem Dynamitlager. Die furchtbaren Unglücksfälle, die noch immer sich ereignen, sind darum für die Forscher ein Sporn, in das Wesen der Explosivstoffe noch tiefer einzudringen. Man spricht von Sprengmitteln der Zukunft, die, nicht minder gewaltig in ihrer Wirkung als die besten der heutigen, dennoch völlig gefahrlos angefertigt, verfrachtet und aufbewahrt werden könnten; nur unter ganz besonderen, im gewöhnlichen Laufe der Dinge nicht vorkommenden Bedingungen sollen sie zur Explosion gebracht werden können. Ob dieses Ideal eines Sprengmittels jemals erreicht werden oder immer ein Traum der Erfinder bleiben wird? Wer weiß es? Man sagt, daß in der Technik nichts mehr unmöglich ist, und die Arbeiten der Pioniere der Wissenschaft bewegen sich in Bahnen, die Erfolg versprechen.

Es handelt sich dabei durchaus nicht um Herstellung neuer nitrierter Körper, wie die Schießbaumwolle und das Nitroglycerin es sind; alle anderen ähnlichen chemischen Verbindungen, die man hergestellt hat, sind in gleichem Maße unbeständig, leicht zersetzlich, und die Herstellung aller ist mit Gefahren verbunden. So verhält es sich auch mit der Pikrinsäure, jenem schönen gelben Farbstoff, den Woulfe bereits im Jahre 1771 gewann, indem er Salpetersäure auf Indigo einwirken ließ. Lange Zeit wurden diese Säure und ihre Salze zum Färben von Wolle und Seide benutzt, ohne daß man über sie besonders Klage zu führen gehabt hätte. Da ereignete sich im Jahre 1869 die entsetzliche Katastrophe am Sorbonneplatz in Paris, wo durch die Explosion von pikrinsaurem Kali ein ganzes Häuserviertel in die Luft flog, und seither wurde die Verwendung dieser Stoffe zu Färbezwecken bedeutend eingeschränkt.

Bei den Versuchen, die unbändigen Explosivstoffe zu zähmen, hat man tiefere Einblicke in das Wesen der Explosionsvorgänge gewonnen. Während eine gewöhnliche brennende Zündschnur sofort die Explosion von Knallquecksilber verursacht, vermag sie dieselbe bei gutem Dynamit nicht auszulösen; aber das Dynamit explodiert sofort, wenn es durch die mit Knallquecksilber gefüllte Zündpatrone erschüttert wird. Es giebt eine Stufenleiter in der Beständigkeit der Explosivstoffe, und durch Steigerung der Hitze oder der Erschütterung vermag man Körper explodieren zu lassen, die sonst gar nicht als Explosivstoffe gelten, deren Herstellung, Fortschaffung und Aufbewahrung völlig gefahrlos ist. Man hat Gemenge solcher Stoffe zur Explosion gebracht, wenn man sie durch Patronen aus Dynamit erschütterte. Die Wirkung stand der des Dynamits nicht nach, der Vorteil aber war der, daß eine derartig zusammengesetzte Sprengladung nur zum zwanzigsten Teile – in den Zündpatronen – aus dem gefährlichen Explosivstoff bestand und daß diese Patronen erst im letzten Augenblick mit der an und für sich ungefährlichen übrigen Masse in Berührung gebracht zu werden brauchten. Das bedeutet eine große Verminderung der Gefahr einer vorzeitigen Entzündung.

Neuerdings ist der berühmte Chemiker Pictet mit einem Sprengstoff hervorgetreten, der in seiner Wirkung die bekannten Dynamite übertreffen und sich zugleich derart zähmen lassen soll, daß er auch als Schießpulver verwendet werden könnte. Und doch soll seine Herstellung völlig gefahrlos sein, er soll niemals durch Zufall sich entzünden; erst durch die Hitze von 800 Grad C., welche vom elektrischen Strom geliefert wird, kann er zur Explosion gebracht werden.

Die Zusammensetzung der neuen Sprengstoffe wird noch geheim gehalten. Es ist wohl möglich und sogar wahrscheinlich, daß nach sorgfältiger Prüfung auch diese neuesten Erfindungen [032] ihre Mängel verraten werden; man darf ja nicht vergessen, daß es sich bei ihnen um erste Versuche handelt. Sie eröffnen einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Explosivstoffe. Während bis jetzt das Bestreben sich geltend machte, möglichst große Wirkungen zu erlangen, und während man sich dabei mit einem gewissen, aber nicht genügenden Grade von Gefahrlosigkeit begnügte, wird jetzt der Hauptnachdruck eben auf Erzeugung möglichst gefahrloser Sprengstoffe gelegt. Hoffen wir, daß die Lösung dieser Aufgabe gelingen, daß die furchtbare Gewalt der Explosion vom menschlichen Geiste ebenso wie einst der Dampf gebändigt werde!

Gelingt dies, dann wird die Sprengtechnik einen ungeahnten Aufschwung nehmen und die gewaltigen Kräfte der chemischen Verbindungen, die bei Explosionen sich entwickeln, werden nicht nur vorwiegend zu Zerstörungswerken, sondern auch zu aufbauender Arbeit verwertet werden können. Man hat ja bereits nicht nur den Gedanken ausgesprochen, sondern auch praktisch versucht, durch Sprengstoffe Maschinen zu bewegen. Wir möchten an den interessanten Versuch Trouvés erinnern, der vor kurzem einen aus Aluminium geformten Vogel eine Strecke weit durch die Lüfte fliegen ließ. Die Maschine, welche die Flügel des Vogels bewegte, wurde durch das Explodieren revolverartig aneinander gereihter Sprengpatronen getrieben. In den Explosivstoffen schlummern die gewaltigsten Kräfte; mit ihrer Hilfe schleudern wir heute unsere eisernen Kriegsgeschosse bergehoch – ein Dichter alter Zeiten hätte eine solche Leistung keinem sterblichen Helden, nur einem Kriegsgotte zugetraut. Wer weiß, ob nicht dereinst, von gebändigten Explosivstoffen getrieben, Flugmaschinen durch die Lüfte schwirren werden?

Allerdings, in diese Hoffnung auf die siegende Kraft des Menschengeistes mischen sich düstere Sorgen. Alle Vervollkommnungen, welche die Wissenschaft ersinnt, um die Sprengstoffe zu immer nützlicheren Hilfsmitteln der menschlichen Kultur zu machen, sie bedeuten zugleich eine Verschärfung der Waffe, deren sich frevelhafte Verbrecher nur zu gerne und mit steigender Häufigkeit bedienen. In ihren Händen wird der Stoff, der die Schätze der Erde erschließt, der dem Verkehr der Völker freie Bahnen schafft, zur Höllenmaschine, die Tod und Zerstörung ausstreut. Und die Wissenschaft ist frei, keine Macht der Welt wird es verhindern können, daß auch ein Schurke im verborgenen Winkel über denselben Problemen brüte, denen der für das Höchste begeisterte Forscher in seinem Laboratorium nachsinnt. Unsere Staatsgewalt kann nur die Anfertigung der Sprengstoffe wie den Handel damit aufs schärfste beaufsichtigen und den überführten Verbrecher die ganze Strenge des Gesetzes fühlen lassen. So bleibt uns nur das Vertrauen, daß das feste, auf tausendjährige Arbeit gegründete Gefüge unserer Kultur auch durch die verbrecherischen Anschläge einer Handvoll verworfener Gesellen nicht werde ins Wanken gebracht werden können und daß eine unermüdliche, zielbewußte Fortarbeit an der Hebung des allgemeinen Lebensloses auch diesen Ausgeburten menschlicher Roheit den Boden entziehen werde.