Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5/Einleitung

Deutsche Kaiser, Zollernschen Stammes Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5 (1913) von Otto Posse
Kaisersphragistik: Einleitung
Siegelstoff und Siegelstempel
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Einleitung

Das Siegel war in der römischen sowohl als der urgermanischen Zeit ein Schutzmittel gegen Verfälschung der Urkunde, noch kein Beweismittel für deren Echtheit.

Erst in der Merovingerzeit gelangte das Siegel zu der Bedeutung, die Echtheit der Urkunde, die es in früherer Zeit bloß schützen sollte, nunmehr zu beweisen und zu gewährleisten: es ist bereits ein wesentliches Merkmal der Königsurkunde geworden[1].

In der Karolingerzeit hat sich dann seine Bedeutung noch wesentlich erhöht: aus einem Erkennungszeichen ist das Siegel zu einem Beglaubigungsmittel und in jener Zeit sogar das allein maßgebende Beglaubigungsmittel geworden.

Hörte die eigenhändige Unterschrift des Kanzlers in der Reinschrift schon früh auf, fand auch die eigenhändige Unterschrift des Königs nicht immer statt, während sie im 12. Jahrhundert überhaupt außer Brauch kam, so wurde damit die Siegelung zu einer um so wichtigeren Stufe der Beurkundung, als sie allein noch ein persönliches Eingreifen, wenn auch nicht des Königs selbst, so doch eines der höheren Kanzleibeamten bestimmt voraussetzen läßt.

Und auf die Besiegelung wurde dann vom 10. Jahrhundert an in immer steigendem Maße Wert gelegt, wie auch einzelne direkte Angaben beweisen. Im 10. Jahrhundert ließ man, als die Fälschung einer Urkunde nachgewiesen war, nicht nur die Membrane, sondern auch das Siegel vernichten[2]. Im Gericht der Kaiserin Adelheid wird 976 ein Brief der Herzogin von Venedig dadurch als legitimiert betrachtet, daß er mit ihrem Siegel versehen war[3], und 1137 legt der Mönch Petrus diaconus von Monte Cassino dem Kaiser Lothar III. die Äußerung in den Mund, daß er ihm vorgelegte Diplome seiner Vorgänger an ihren Siegeln als Kaiserurkunden erkenne[4], und 1134, sowie 1139 bestimmte das Hofgericht, daß, was in Gegenwart des Kaisers geschehen und mit seinem Siegel gesetzmäßig bestätigt worden, andere Behörden binde[5], die Echtheit vorgelegter Urkunden älterer Zeit als gesichert zu betrachten sei, wenn sie durch den „bekannten Abdruck des Siegelrings“ und durch die Besiegelung „mit dem bekannten Bild“ des Ausstellers versehen sei[6].

Transsumierende Notare seit dem 12. Jahrhundert erblicken darin die Echtheit des Dokumentes, wenn das Siegel nicht verloren, beseitigt oder in einem Teile verletzt war[7]. Kaiser Heinrich VI. selbst bestätigte eine Urkunde seines Vaters mit dem Bemerken, daß diese trotz des verlorenen Siegels volle Kraft haben solle[8]. Das „bekannte“ Siegel war nunmehr als alleiniges, aber auch als ausreichendes Beglaubigungsmittel der Echtheit einer Königsurkunde anerkannt, wie das auch aus den Vorkehrungen gegen Siegelfälschungen, auf die wir noch zurückkommen, sowie aus Verordnungen zu entnehmen ist. Unter anderem sagt Kaiser Sigismund: „Man soll wissen, daß im geistlichen und weltlichen Stande alle Dinge bestätiget und befestiget sind mit dem Insiegel, und es bezeichnet auch alle Wahrheit. Wenn eine Sache verbrieft ist, so soll es bestätiget werden durch das Zeichen der Wahrheit, das ist das Insiegel. Brief und Siegel sind bei Eiden erkannt, darum sie auch bestehen sollen“[9].

Erst am Ende des Mittelalters verliert das Siegel seine vorherrschende Stellung, denn seit Maximilian I. wird die Unterfertigung seitens der Kanzler oder der Könige für die Beglaubigung der Urkunde für ebenso wichtig und noch wichtiger als das Siegel gehalten[10].


  1. Sickel, Acta reg. et imp. Karol. 1, 189. – Ficker, Beiträge zur Urkundenlehre 2, 188. – Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre 1, 677f. – Ilgen bei Meister, Grundriß der Geschichtswissenschaft 1, IV, 50. – Redlich, Privaturk. 108 (Below u. Meinecke Urkundenlehre, III).
  2. Urk. Ottos I. 968 2/9 (Stumpf 463). Die Kassierung betrifft eine Urkunde Berengars: fracto sigillo scissaque membrana per manum Huberti episcopi et archicancellarii nostri.
  3. Ficker, Ital. Forsch. 4, 39, No. 29.
  4. Petrus diac. 4, 109 (SS. 7, 823).
  5. Urk. Lothars III. 1134 Jan. 6 (St. 3289): (quod) … eius fuerit sigillo legitime confirmatum.
  6. Urk. Konrads III. 1139 (St. 3392): (privilegium) Dagoberti regis, Francorum, in quo per anuli sui notam impressione confirmat … aliud nichilominus preceptum Karoli regis Francorum nota imagine signatum. Daß beide Urkunden falsch waren, ändert natürlich an dem Werte, den die Stelle für uns hat, nichts. Vgl. Breßlau, Urkundenlehre 1, 692.
  7. Transsumpt 1308 Aug. 11 (Or. Dresden 959): Noverint universi … nos … litteras … non cancellatas, non abolitas, nee in aliqua sui parte viciatas, sigillo vero stilo recto et filo integro vidisse, audivisse, legisse et contrectasse de verbo ad verbum in hunc modum per omnia continentes. Vgl. Posse, Die Lehre von den Privaturkunden 80.
  8. Urk. 1198 Sept. 21 (St. 5034): quod privilegium vidimus, legimus et plenam auctoritatem volumus et decernimus habere, non obstante, quod sigillum impressum cereum vetustate et fractura lesum periit et sigilli sollempnitas defuit consueta.
  9. Heineccius, De vet. Germanorum sigillis 10.
  10. Vgl. II. 5. Beurkundung und Besiegelung.
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