Textdaten
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Autor: Friedrich Gottschalck
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Titel: Die Schloßjungfer
Untertitel:
aus: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, S. 184-193
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1814
Verlag: Hemmerde und Schwetschke
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Erscheinungsort: Halle
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Schloßjungfer.

Bei dem kleinen Städtchen Güntersberge auf dem Unterharze findet man auf einem Berge – Kohlberg heißt er – Spuren einer vormaligen Burg, welche die Güntersburg geheißen haben soll. Hier ist’s gar nicht recht geheuer. Die Schloßjungfer wankt da herum, und spukt dem Neugierigen, der sie belauschen will, etwas vor.

Es hauste hier vor uralten Zeiten ein Ritter, Bodo genannt. Es war ein gar lustiger Finke und lockerer Gesell. Das Handwerk des Raubens trieb er gleich seinen Nachbarn, und wer die unten am Berge vorübergehende Harzstraße zog, der kam nicht ungezwickt durch. Am liebsten fing er hübsche Dirnen auf, führte sie auf seine Burg, und sperrte sie ein. Warum? das verschweigt die Sage.

Bodo trieb aber das Ding zu arg, er hieß bald im ganzen Harzgau der Mädchenräuber. Keine Dirne wagte sich die Straße mehr, sondern nahm lieber einen großen weiten Umweg.

Das hörte ein Zauberer, der tief im Harze in einem von Felsen und düstern Tannenwäldern umschlossenen Thale seine Wohnung hatte. Er war ein mächtiger Mann, und trieb mit allen Naturkräften ein beliebiges Spiel. Aber nur Gutes zu wirken, übte er seine Macht, nur den Bösen strafte er durch seinen Zauberstab.

„Halt, Bursche!“ sprach er einst, „dein Unwesen soll sich enden!“

Gegen der Burg über im Walde verbarg er sich, das Thun und Lassen Bodo’s zu beobachten, ihn auf der That zu ertappen. Aber lange Zeit mußte er vergebens warten; denn es zog, wie gesagt, gar selten einer die Straße. Endlich kam aber ein Handelsmann aus Nordhausen vorbei, der nach Quedlinburg zu Markte ging. Er saß auf einem Maulthiere, und neben ihm her ritt sein Töchterlein, gar klüglich und fein in Mannskleider gesteckt. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, und so dachte er, wird dich wohl Ritter Bodo nicht gewahren, und, sieht er dich, doch deine Iduna nicht erkennen. Kaum gewahrte aber der Burgwärter von der Zinne des Thurms sie beide, da stieß er in das Horn, zum Zeichen, daß sich Beute sehen lasse.

Bodo sprengte mit seinen Reisigen den Berg hinab. Iduna schrie vor Schrecken, ward ohnmächtig, verrieth dadurch die Verkleidung, und ward gefangen. Hohnlächelnd ließ Bodo den Vater ziehen, der Gold und Geld anbot, ihm seine einzige Tochter zu lassen.

„Geh, mache, daß du fortkommst, alter Kauz,“ sprach er, „und danke Gott, daß ich dir’s Leben lasse.“

Ohne Besinnung schleppte man die Dirne auf die Burg. Grinsend stand da der Räuber vor der Unschuld, und jauchzte über den herrlichen Fang, wie er lange keinen gemacht hatte.

„Erwache!“ rief er ihr zu, „erwache!“ allein sie blieb besinnungslos liegen. Da wollte der Bösewicht die Rose brechen; aber plötzlich krachte es durch seine weite Burg wie Donnerschläge. Die Erde bebte, und hinab sank in die Tiefe des Berges das steinerne Gebäude in Schutt und Trümmern.

Das that der Zauberer. Ergrimmt hatte er Bodo’s Raub mit angesehen, und so strafte er den Verruchten vor der Vollendung der Schandthat.

Der schuldlosen Dirne aber vergönnte er, an gewissen Tagen auf Erden sichtbar herum zu wandeln, und seitdem sieht man sie im weißen Kleide mit einem Bund Schlüssel an der Seite und einem Blumenstrauß in der Hand, und nennt sie die Schloßjungfer. Sie beschenkt oder züchtigt die, mit denen sie zusammentrifft, je nachdem man sich gegen sie benimmt.

Einst hörte ein Mönch aus einem nahen Kloster von ihrem Herumwandeln. Die Neugierde, vielleicht auch noch etwas anderes, trieb ihn hin zur heiligen Stätte, um sie kennen zu lernen. Er saß eine Weile auf den alten Mauern und wartete, aber, es erschien nichts. „Hm,“ dachte er, „sollst wohl kommen!“ zog hierauf den mitgenommenen Höllenzwang aus der Tasche, und fing in Zauberformeln an, die Jungfrau laut zu citiren. Da erschien sie plötzlich, dicht vor ihm stehend.

„Was willst du?“ sprach sie mit unfreundlicher Miene.

Der Mönch stutzte Anfangs ob der Erscheinung, sammelte sich jedoch bald, und grinste freundlich sie an, bat, sie möchte sich zu ihm setzen, möchte ihm Gold geben, von ihren köstlichen Steinen etwas bringen; und dabei wollte er mit gar behaglicher Gebehrde eines ihrer weißen Patschchen vertraulich fassen. Aber die Schloßjungfer wurde böse über solche Zudringlichkeit, nahm ihr Schlüsselbund von der Seite, schlug damit auf den Mönch los, daß dieser erschrocken sammt seinem Höllenzwange den Berg hinab eilte, zufrieden, nur blaue Mahle mitzunehmen.

Freundlicher war sie einem Schäfer, der zwischen den alten Mauern seine Schafe weiden ließ. Hingestreckt auf den Rasen, dachte er an nichts weniger, als an die Schloßjungfer, als diese mit einem Male auf zwanzig Schritte vor ihm stand, und Blumen in der Hand hielt, die sie in einen Strauß zu ordnen schien. Ohne sich zu bewegen, lauschte er unterm Hute hervor nach ihr hin, zu sehen, was sie wohl beginnen möchte. Indem entfiel ihr eine der Blumen, und da sie sie liegen ließ, so sprang er hinzu, hob sie auf, gab in seiner Einfalt der Blume einen Kuß, steckte sie auf seinen Hut, trat einen Schritt zurück, und fragte ganz bescheiden:

„Jüngferchen, hat sie das Blümchen verloren? Hier ist’s!“

Aber die Schloßjungfer antwortete nichts, und winkte, ihr zu folgen. Der Schäfer setzte den Hut mit der Blume auf, und folgte. An hundert Schritte waren sie stillschweigend gegangen, da öffnete sich vor der schönen Jungfrau die Erde, und sie stieg hinab. Dreist ging der Schäfer hinterher, und tief und immer tiefer schritten sie ins Dunkel hinein. Als sie so ein hundert Klafter tief waren, da ward es plötzlich hell, und vor dem erstaunten Schäfer stand ein prachtvolles Schloß mit hohen Thürmen und schönen Zimmern, die alle voll Gold und Silber, blitzenden Steinen und köstlichen Perlen waren. Wie starrte er alle die schönen Sachen an, und schlug voll Verwunderung in seine Hände!

Die Schloßjungfer war indessen verschwunden, und da der Schäfer meinte, daß er nicht umsonst hierher geführt worden sey, so öffnete er seinen Ranzen, warf heraus, was drin war, und füllte ihn mit Kostbarkeiten aller Art, mit Gold und edlem Schmuck, bis nichts mehr hinein wollte. Dann stopfte er alle Taschen voll, alle Winkel in seiner Kleidung, wo nur etwas zu verwahren war, und zuletzt nahm er den Hut umgekehrt in den Arm und füllte auch diesen an. Dabei verlor er aber die Blume davon. Die Gierde, immer mehr von den schönen Kostbarkeiten einzustecken, ließ es ihn nicht bemerken; auch hörte er nicht, wie im Nebenzimmer eine seufzende Stimme rief: „Ach! vergiß das Beste nicht!“ und eilte, da er reichlich bepackt war, zurück. Nochmals rief die Stimme ihm laut jene Warnung nach, aber Schrecken und Angst, den Mammon wieder zu verlieren, machten ihn jetzt verwirrt. Er lief fort, kam wieder ins Freie, und mit Krachen schloß sich hinter ihm die Oeffnung.

Erschöpft setzte er sich nieder, sann nun der dunkeln Worte nach, und fand endlich, daß er die schöne Blume verloren hatte. Umsonst suchte er sie. Sie war fort und blieb fort.

*     *     *

Am ganzen Harze ist das Mährchen von einer Wunderblume einheimisch. Der Schauplatz ihrer Wirksamkeit wird in verschiedenen Erzählungen bald da, bald dort hin verlegt. In allen wird sie zwar gefunden aber immer wieder verloren, und mit ihr auch das durch ihre Zauberkraft Erlangte. Dieß Mährchen macht jedoch hiervon eine Ausnahme. Der Schäfer behält die Reichthümer ungeachtet der verlornen Blume, auch nicht in eine werthlose Sache verwandeln sie sich. Mein Referent, ein alter Mann aus Güntersberge, wollte wenigstens von keinem andern, als diesem Ausgang des Mährchens, je etwas gehört haben.