Die Schlittschuhe
„Hör’ Ohm! In deiner Trödelkammer hangt
Ein Schlittschuhpaar, danach mein Herz verlangt!
Von London hast du einst es heimgebracht,
Zwar ist es nicht nach neu’ster Art gemacht,
Dir rostet ungebraucht es an der Wand,
Du gibst es mir!“ Hier, Junge, hast du Geld,
Kauf dir ein schmuckes Paar, wie dir’s gefällt!
„Ach was! Die damaszirten will ich, deine:
Der liebe Quälgeist läßt mir keine Ruh,
Er zieht mich der verscholl’nen Stube zu;[WS 1]
Da lehnen Masken, Klingen, kreuz und quer
An Bayle’s staubbedecktem Dictionär,[WS 2]
In dunkelm Winkel hinter einer Truhe:
„Da sind sie!“ Ich betrachte meine Habe,
Die Jugendschwingen, die gestählten Schuhe!
Mir um die Schläfen zieht ein leiser Traum ...
Dem aufgewehten, wie sie lieblich war,
Der Wangen edel Blaß, geröthet kaum! ...
[63] In Nebel eingeschleiert lag die Stadt,
Der See, ein Boden spiegelhell und glatt,
Die Läufer; Wimpel flaggten auf dem Eis ...
Sie schwebte still, zuerst umkreist von vielen
Geflügelten wettlaufenden Gespielen –
Dort stürmte wild die purpurne Bacchantin,[WS 3]
Sie aber wiegte sich mit schlanker Kraft
Und leichten Leibes, luftig, elfenhaft,
Sie glitt dahin, das Eis berührend kaum,
Verlor und dann in schmal’re Bahnen theilte.
Da lockt es ihren Fuß in Einsamkeiten,
In blaue Dämmerung hinauszugleiten,
Ins Märchenreich; sie zagte nicht und eilte
Nahm meine Hand und eilte rascher nur.
Bald hinter uns verscholl der Menge Schall,
Die Wintersonne sank, ein Feuerball,
Doch nicht zu hemmen war das leichte Schweben,
Und warme Kreise zog das rasche Leben
Auf harterstarrter, geisterhafter Bucht.
An uns vorüber schoß ein Fackellauf,
Ein glüh Phantom, den grauen See hinauf ...
Wie Glockenlaut, des Eises surrend Singen ...
Ein dumpf Getos, das aus der Tiefe droht –
Sie lauscht, erschrickt, ihr graut, das ist der Tod!
Jäh wendet sie den Lauf, sie strebt zurück,
Schon wieder naht das wirre Lichtgefunkel,
Der Lärm, sie löst die Hand .... o Märchenglück!
Sie wendet sich nicht um und sucht die Stadt,
Dem Kinde gleich, das sich verlaufen hat –
Bevor das Eis geschmolzen? ...“ Junge, hier. [WS 4]
Anmerkung (Wikisource)
- ↑ Sinngemäß: »Zieht mich zum vernachlässigten Raum hin«
- ↑ Siehe Wikipedia: Pierre Bayle (1647-1706)
- ↑ Siehe Wikipedia: Bacchantin / Mänade
- ↑ Fassung v. 1892 lautet hier:
55»Ein scheuer Vogel, durch das Abenddunkel,
Dem Lärm entgegen und dem Lichtgefunkel,
Sie löst gemach die Hand... o Märchenglück!
Sie wendet sich von mir und sucht die Stadt,
Dem Kinde gleich, das sich verlaufen hat –
60„Ei, Ohm, du träumst? Nicht wahr, du gibst sie mir,
Bevor das Eis geschmolzen?“ ... „Junge, hier.“«