Die Schildwach am Pulverthurm zu Breslau

Textdaten
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Autor: Johann Karl Wilhelm Geisheim
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Titel: Die Schildwach am Pulverthurm zu Breslau
Untertitel:
aus: Gedichte, Zweites Bändchen,
S. 385–389
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: Josef Max und Komp.
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Erscheinungsort: Breslau
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[385]
Die Schildwach am Pulverthurm zu Breslau.

 Den 21. Juni 1749

Mitternacht ruht auf den Landen,
Doch nicht mitternächt’ge Kühle;
Schwere, bange Mittagsschwüle
Lähmt die in des Schlafes Banden,

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Schmachtend auf dem heißen Pfühle,

Ruhe suchen und nicht fanden.
Finstrer Wetter stumme Schrecken
Starr die stille Stadt bedecken.

Wie das Unglück auf dem Kummer

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Lastend ruht, so übermannet

Einen Krieger blei’rner Schlummer.
Auf der Thorwacht Lager bannet
Ihn ein Traum in Angst und Grausen.
Leichen sieht er, off’ne Grüfte,

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Sich als Leiche durch die Lüfte

Fliegen unter Wetterbrausen.

Und mit lautem Schrei erwacht er,
Andre Schläfer jach erweckend,
Seinen wachen Freund’ erschreckend,

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Bebend, schaudernd, als die Nacht er
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Sieht von drohenden Gewittern

Rings umhüllt in tiefer Trauer,
Fernes Wetterleuchten zittern,
Fühlt der schwülen Stille Schauer;

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Hört in seinem Herzenssturme,

Fiebernd in ohnmächt’gem Zagen:
Bald nun soll die Stunde schlagen,
Die ihn ruft zum Pulverthurme,
Als die Schildwach nächster Stunde;

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Hört’s, als wenn ihm Todeskunde

Die Begräbnißglocke schlüge,
Ihn die Nacht zu Grabe trüge.

Feigling schilt er sich vergebens,
Wird nicht mächtig seines Bebens;

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Wankend, bis zum Niederfallen,

Sinkt er in des Freundes Arme:
Fühle meines Blutes Wallen!
Soll ich Schildwach eben stehen,
Muß ich sterben! Freund, erbarme

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Meiner dich! Ich kann nicht gehen:


Gehe du zum Pulverthurme,
Geh für mich; es gilt mein Leben!
Lasse mich dir’s ewig danken! –
An des Herzens heft’gem Sturme

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Fühlt der Freund die Qual des Kranken,

Fühlt noch heftiger ihn beben,
Als nun eben Eins die Stunde
Ruft die Schildwach zu der Runde.

Sei es; spricht der Freund. Ich gehe,

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Gehe gern. – Mußt dich ermannen,

Nicht mehr zagen, nicht mehr beben,
Wenn ich, Freund, dich in dem Leben
Nach dem Wetter wiedersehe! –
Nimmt’s Gewehr, und zieht von dannen,

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Wohlgemuth zum nahen Sturme,

Stehet Schildwach an dem Thurme.

Nacht doch sinkt nun dunkelnder,
Blitze kreuzen funkelnder;
Näher, drohender die trägen

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Schweren Lüfte sich bewegen;

Grasser krächzen von dem Sturme
Wetterfahnen auf dem Thurme:
Wilder Blitze Flammengluthen
Schrecken auch den Wohlgemuthen.

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Und als flammten alle Flammen

Plötzlich in ein Ziel zusammen,
Stürzet aus dem Sturmgetümmel,
Aus dem Pfuhl der Schwefeldüfte,

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Aus der Blitze Strahlgewimmel
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Einer in des Pulvers Klüfte,

Reißt den Thurm in alle Lüfte,
Und ein Ätna kracht gen Himmel.

Wie zum jüngsten Tag’ erwachen
Vom gewitterschweren, tiefen,

75
Kaum errungnen, bangen Schlummer

Bei dem nie gehörten Krachen
In des Herzens Angst und Kummer,
All’, die nicht dem Herrn entschliefen.
Betend seufzet Schmerz und Klage,

80
Furcht und Beben nach dem Tage.


Und er kommt mit grausem Schauer;
Trümmer decken Häuserreihen,
Hundert Menschenleichen weihen
Die da leben all’ in Trauer,

85
Dem nie also offnen Grabe.

Der Verwundeten fast tausend
Denken dieses Tages grausend;
Schutt begräbt die reichste Habe.

Unter Trümmern, unter Leichen,

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Ruhelos auf allen Wegen,

Ach, mit bänger’n Herzensschlägen,
Nicht den Qualen zu vergleichen,

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Die sein Angsttraum ihm bereitet,

Sucht der Freund den Freund in Schmerzen,

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Und, des Traumes Bild im Herzen

Ihn hinaus zur Aue leitet.

In vom Thurme fernem Raume,
Fortgeschleudert, unterm Schatten
Einer hohen, edlen Eiche,

100
Ward, wie er im Todestraume

Sie gesehn, auf grünen Matten
Hingestreckt die theure Leiche,
Graus von der Zerschmett’rung Wunden,
Jammerweckend aufgefunden.

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Alle Todten sind begraben;

Fleiß und frommer Glaube gaben
Trost und Muth; doch dem das Leben
Hat des Freundes Tod gegeben,
Er, nie froh, daß er es habe,

110
Fand des Herzens Ruhe nimmer,

Wandernd in dem Grau’n der Trümmer,
Gram- und leidvoll bis zum Grabe.