Textdaten
<<< >>>
Autor: Anton Birlinger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Schazsagen von Wannweil
Untertitel:
aus: Sagen, in: Alemannia, Band XIX, S. 45–48
Herausgeber: Anton Birlinger
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: P. Hanstein
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Bonn
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[45] 5 DIE SCHAZSAGEN VON WANNWEIL

Von dem Talabhange zur Linken der Echatz hebt sich bei Wannweil ein bewaldeter, runder Hügel ab, auf dem einst eine Burg stand, deren Schutt noch deutlich zu erkennen ist, auch findet man in der Schlucht, die in von der „Burghalde“ trennt vile Bruchstücke von Dachziegeln und sogar der Schlüßel zum Burgtore ist vor etwa 9 Jaren auf einem Acker jenseits des Burggrabens gefunden worden. Den Namen der Burg kennt Niemand, der Hügel heißt in Wannweil einfach[WS 1] [46] die Burg; auch weiß Niemand, wann und wie die Burg zerstört worden ist. In einem tiefen Keller unter ir soll aber ein großer Schaz verborgen ligen. Disen bietet ein gespenstisches Fräulein dem an, der sie erlöst. Der sie erlösen kann, muß aber an einem bestimmten heiligen Tage geboren sein und nur alle hundert Jаrе einmal kommt ein solcher zur Welt, der sie erlösen könnte. Es ist noch nicht so lange her, daß in Wannweil ein Jüngling lebte, der das Fräulein hätte erlösen können, erzält man dort. Sie bat in auch öfter inständig darum: aber er wollte nicht, obwol sie im zum Lone den großen Schaz im Berge versprach. Als nun die Zeit zu Ende gieng, in der ire Erlösung hätte geschehen können, hörte man oft in der Nacht ein schauerliches Klagen von der Burg her. Das Fräulein jammerte und klagte, daß es nun weitere hundert Jare umgehen und schweben müße. Es soll ein schönes Fräulein sein in schneeweißem Kleide, weißem Schleier und goldenem Gürtel, an dem ein Schlüßelbund hängt. Das Fräulein siht also aus wie die Ursel, die im Urschlenberge bei Pfullingen in einem unterirdischen Schloße verzaubert wont.

Zuweilen jedoch, sagt man, komme der Geist auch als Schlange aus der Schlucht hinter der Burg hervor mit einem Krönlein auf dem Kopfe und, wie manche beifügen, einem Ringe, daran Schlüßel hängen, am Halse. Die Schlange sei früher oft durch die Ackerfurchen herangekommen, über die Echatz geschwommen, habe sich stundenlang auf einem Felsen drüben am Aurain gesonnt und sei dann auf dem gleichen Wege zur Burg zurückgekert. Wer auf den Aeckern gepflügt habe, habe der Schlange mit Ochsen und Pflug ausweichen müßen. Ein noch nicht alter Mann hat mich versichert, sie sei einmal auch seinem Großvater begegnet, als er pflügte. Bös sei die Schlange nicht, erzält man, denn vor Zeiten sei sie öfters in ein Haus nahe der Echatz gekommen und habe mit den Kindern, wenn sie allein zu Hause waren, Milch gegeßen. Das Haus wird noch gezeigt, es ist, wenn ich nicht irre, das vorlezte Haus links an der Straße, wenn man von Reutlingen kommend, das Dorf verläßt. Da sei die Schlange stets zum Hünerloch in der Haustüre hineingeschlüpft, um mit den Kindern Milch zu eßen. Einmal aber habe eines der Kinder, das „nicht ganz recht“ gewesen sei, die Schlange mit dem Löffel auf den Kopf geschlagen und habe gesagt: „Du! friß nicht lauter Milch! – auch Brocken!“ Da sei die Schlange nicht mer gekommen.

Nach dem Schaze auf der Burg ist schon oft gegraben worden, wie man in Wannweil versichert. Aber wenn man die große Kiste, die voll Gold ist, schon siht, so springt ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen, der darauf sizt, herab und wenn man dann erschrickt, verschwindet die Kiste wider, alles ist umsonst.

[47] Vor einigen Jaren haben es wider ein par Männer gewagt um Mitternacht nach dem Schaze zu graben; aber sie bekamen in nicht zu Gesicht. Denn als sie, wie es sein muß, mit iren Sonntagsröcken angetan, sich an die Arbeit machten, da sind inen, so oft sie einen Hieb in den Boden taten, immer ire Hauen über den Kopf geflogen. Da haben sie gemerkt, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe und sind heimgegangen.

Merkwürdig ist der Name, welchen die Wannweiler dem Gespenste geben, das zumal von der Jugend ser gefürchtet wird, obgleich es noch Niemand etwas zu Leide getan hat. Wenn man den Kindern, die abends nicht nach Hause gehen wollen, zuruft „D’Ulian kommt“, dann laufen sie eilends heim.

Warum heißt nun der Burggeist nicht etwa Bertha oder auch, wie in Pfullingen, Ursula, sondern d’Ulian oder d’Uliban? Das hat in Wannweil seinen ganz besonderen Grund. Er verhält sich damit änlich, wie wenn man da und dort alte Römerschanzen Schwedenschanzen nennt, oder wenn man das wilde Muotisheer des Gottes Wodan der alten Deutschen später zum Heer des wilden Jägers von Rodenstein machte. Die alten Sagen pflegen sich zu verjüngen, indem sie Gestalt und Namen ändern.

Zum Namen Uliane kam nun das Burgfräulein auf folgende Weise: Zur Zeit der Reformation lebte in dem Stifte zu Halberstadt ein Stiftsherr Namens Sebastian Beger, der wegen seiner Hinneigung zu Luthers Lere vertriben wurde. Er war gebürtig aus Westerhausen bei Quedlinburg und flüchtete sich nach Wittenberg zu Luther, und Melanchthon. Mit einem Empfelungsbriefe des lezteren an den Reformator Matthäus Alber und den Rat kam er im Jare 1534 nach Reutlingen und wurde bald als erster evangelischer Pfarrer in Wannweil angestellt. Diser erste evangelische Pfarrer von Wannweil nun verheiratete sich mit einer erbaren Bürgerstochter aus der reichen Reutlinger Familie Seingrün, der unter andern Gütern der Gaisbühl gehörte, Namens Juliane. Juliane Seingrün war aber eine tugendsame und gestrenge Haus- und Pfarrfrau, welche nicht nur ire eigenen 6 Söne in Zucht und Ordnung zu halten wußte, sondern auch die ganze Dorfjugend. Besonders hielt sie strenge darauf, daß die liebe Jugend in der Dämmerung nicht sich außerhalb Etters hinter den Hecken herumtreibe, sondern sich sittsam nach Hause begebe und wis solche, welche der neuen strengen Sittenzucht, sich nicht recht fügten, mit scharfen Worten zurecht[WS 2]. So hat sie ein strenges Sittenregiment gefürt und oftmals hat die „verwönte“ Jugend des Dorfes bei dem Rufe: „Die Juliane kommt“ die Flucht ergriffen, und auch noch als sie nicht mer lebte, genügte in Wannweil der Ruf die „Juliane“, so nannte man kurzweg die Pfarrfrau mit irem Taufnamen, oder in irer Sprache „d’Ulian kommt“, um die umherschwärmenden nach [48] Hause zu scheuchen. Das später heranwachsende Geschlecht meinte dann Ulian oder Uliban sei der Name des Burgfräuleins gewesen und so hat in Wannweil die alte Schwabengöttin Berchta die Gestalt eines Burgfräuleins und den Namen der ersten evangelischen Pfarrfrau des Ortes erhalten und biß heute behalten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: einfaeh
  2. Vorlage: zureeht