Die Schöpfung der Turteltaube

Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Schöpfung der Turteltaube
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aus: Zerstreute Blätter. Erste Sammlung.
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Erscheinungsdatum: 1785
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Scans auf Commons
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[178]

Die Schöpfung der Turteltaube.

––––

Zwey Liebende saßen zusammen im ersten holdseligen Traum ihrer Wünsche; aber ach! ihre Wünsche sollten ein Traum bleiben. Neidend schnitt die unerbittliche Parze und ihre Seelen schieden in einem Kuß, in einem Seufzer unzertrennt mit einander.

     Das Erste, was sie von ihrem Körper getrennt erblickten, war die um sie schwebende Göttin der Liebe. Traurig und klagend flohen sie in ihren Schooß. – „Du standest uns nicht bey, gute Göttin! Du sahest unsre Wünsche und ließest sie uns nicht genießen im Menschenleben. Aber wir wollen uns auch als Schatten noch ungetrennt lieben.“

     Die Liebe der Schatten, sprach die bewegte Göttin, ist immer eine traurige Liebe. Nun stehets zwar nicht in meiner Macht, euch das Leben der Menschen wieder zu geben; aber das vergönnt mir das Schicksal, euch in eine Gestalt [179] meines Reichs zu verwandeln. Wollt ihr die Tauben seyn, die triumphirend meinen Wagen ziehen, und im Chor der Buhlereyen und Scherze von Ambrosischer Speise leben? Eure Treue, eure Liebe verdient diese Belohnung.“

     „Verzeih, o gütige Mutter, sprachen die Liebende mit Einem[1] Munde, verzeihe uns die zu gefahrvolle, zu glänzende Belohnung. Im Chor der Scherze und Buhlereyen, im ewigen Geräusch und Glanz deines Siegreichen Hofes, wer ist uns Bürge für unsre Treue, für unsre Liebe? Sollen wir Tauben seyn, so sende uns in die Einsamkeit, damit wir in unserm armen Nest einander alles werden, alles bleiben.“

     Die Göttin sprach das Wort der Verwandlung; siehe, da flog das erste Paar girrender Turteltauben. Sie girreten Dank der Göttin, und flogen ihrem Grabe zu, wo sie mit ihrer Treue, mit ihrer rührenden Klage die alte Parze bewegen wollen, daß sie ihnen ihr ungenoßenes Menschenleben wiedergebe. Aber auch ihre gemeinschaftliche Klage ist ihnen Trost; die zarte, [180] treue Liebe, die sie in ihrer Wüste genießen, ist ihnen mehr als alle Scherze und Freuden an Venus Throne.

     Ists Neid oder Güte, daß ihnen die Parze noch immer ihre Taubengestalt läßt, und sie vor dem gefährlichen Loose eines wandelbaren Menschenherzens bewahret?


  1. Vorlage: einem