« Cyane und Amandor Gedichte (Friederike Brun) Abendtraum »
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Textdaten
Autor: Friederike Brun
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Titel: Die Schöpfung der Alpenrose
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 169–175
Herausgeber: Friedrich von Matthisson
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1795
Verlag: Orell, Gessner, Füssli & Comp.
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Erscheinungsort: Zürich
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Schöpfung der Alpenrose.


Freja die Göttin des Lebens und der Liebe wandelte über Berg und Thal, an Flüssen und Seen umher. Theilnehmend besuchte sie die stillen Hütten der Einfalt, und verweilte am längsten bey den harmlosen Hirtenvölkern, die in seliger Unbefangenheit die Gesetze der Natur befolgen. Sie hatte Teutoniens finstre Wälder verlassen, und eilte dem beglückten Lande zu, von dem das Gerücht in Odins glänzenden Hallen Bilder der Unschuld und des begleitenden Friedens verbreitet hatte. Mit nie ermüdeter Götterkraft erstieg sie die himmelhohen Alpenmauern, und ruhte in den grünen Wiesenthälern, welche mit Blumen gefüllt waren, die nur in [170] Walhalla schöner in Kränzen die Scheitel der Unsterblichen umduften. Traulich lebte sie unter dem gutmüthigen Völkchen, das stolz, frey und unbezwinglich, wie die Gebirgriesen, die es umgeben, die sanfte gesellige Tugend mit der Stärke vereint. Sie zog von Höhe zu Höhe empor, und fand sich endlich in einem einsam wilden Thal, um welches ewige Schneehäupter leuchtend sich erhuben, und in ihrer schweigenden Pracht selbst eine Göttin entzückten. Hier wandelte sie als junge Hirtin unter dem geliebten Volke, und verbreitete durch ihre himmlische Gegenwart liebliche Anmut unter den Töchtern der Fluren. Erstaunt sah’ der Bräutigam die Braut am Abend heimkehren, dieselbe an Unschuld und Treue, aber umgeben von einem rührenden Zauber, den er bis jezt nicht kannte. Feurig wollt’ er sie umarmen; doch wie gefesselt staunt er zurück. Ein Blick, ein Händedruck, war ihm heute theurer als hundert Küsse. Verwundert erblickte [171] der Ehemann das brave Weib geschäftig in den häuslichen Verrichtungen, die schneller und leichter vollbracht wurden. Ruhig lächelnd stand sie unter den rosigen Kindern; inniger als je drückte sie den Mann an ihr wallendes Herz, und der braune Hirt liebte die Gattin zärtlicher als am Tage des ersten Gelübdes.

     Einst in einer warmen Sommernacht, als der Mond einen sanfteren Tag in die Thäler herabgoß, ruhte die Göttin auf kühlem Moos in einer Kristallgrotte, die in einer bogenförmigen Oeffnung das leise Helldunkel aufnahm. Rankendes Epheu kletterte an dem Gestein herauf, und fiel über die Wölbung wie ein Netz herunter, vom Nachthauch muthwillig gehoben. Die leichte Gebirgluft stieg mit den Wohlgerüchten der Kräuter, wie eine Wolke von Opferduft, in der stillen Nachtfeyer der Schöpfung zu der Göttin empor. Paar und Paar ruhten die Thiere des Feldes und die Bewohner des Waldes im Schlummer. [172] Die wohltthätige Göttin segnete die Schlafenden, und vergaß den Himmel auf der Erde. Jezt tönte vom hohen Gipfel des Gebirges, in dessen Schooß die Kristallgrotte glänzte, eine leise Klage herab, wie wenn die Nachtigall im Erlenbusch den verlornen Liebling betrauert.

     „Verhülle dich, o Mond, und traure mit mir! Verlöscht, ihr blinkenden Sterne! Silberstrom rausche im Dunkeln! Ach! all’ ihr Zeugen unsrer Liebe, trauert mit der unglücklichen Ida! – Leise Lüfte, die ihr im Kranze des Todtenopfers säuselt, verstummt! Ach! ihr säuseltet auch in der bräutlichen Krone! Teude, Teude! Wo bist du? Schwebst du dort über dem Haupte der Jungfrau? Du, der immer höher strebte, wo noch kein Sterblicher gewandelt war, bis du in den Abgrund stürztest! Nimm mich mit dir, mein Trauter, mein Bräutigam! Ach! Du suchtest köstliche Kristallen, um deine Braut am Hochzeittage zu schmüken, [173] und fandest den Tod, blutig an schimmernden Klippen zerschmettert! Teude, sieh! ich bin bräutlich geschmückt mit Lerchenbaum-Sprößlingen, und mit dem Gewande, das mit deinem Blute gepurpurt ist. Komm Geliebter! Die kleinen Elfen schweben im Ringelreih’n dort über dem Abgrund; lieblich singt der Vogel der Nacht in den Klüften mein Brautlied. Teude, du kömmst! Ich sehe dich wandeln dort unten neben dem Strom! O eile„! – Aber das Dunstbild ihres Gehirns zerfloß, und sie sank ohnmächtig auf den frischen Erdhügel hin, der Teudes Körper verbarg. Ihr Auge starrte in die Dunkelheit hinaus; ihr gepreßtes Herz suchte in vollen Schlägen einen Ausweg, und konnte nicht brechen; denn mächtig zog das junge ungeschwächte Leben die Bande zusammen, die den Geist an den Körper fesseln. Erbarmend stand die Göttin des Lebens und der Liebe neben der Leidenden; sie winkte Erlösung – und [174] sanft liessen die Bande des Lebens nach. Wie aus tiefem Schlummer entschwebte der befreyte Geist der schönen Hülle, die hingedehnt und kalt auf dem Hügel ruhte. „Entblühe dem Tode, liebliche Blume„! rief mit silberner Stimme die Göttin. Da schoß im Stral des Mondes ein grüner Strauch auf, ganz Duft und Frische vom Stamm bis in die Blätter. Purpurblüten entglühten unter schützenden Dornen. Schnell stieg die Göttin empor; in ihren Armen die halbträumende Ida, die bey Walhallas Göttertafel an der Seite des Geliebten zu neuer Wonne erwachte. Am andern Morgen suchten die Hirtinnen die unglückliche Liebende. Sie fanden sie nicht; aber über der Gruft blühte die liebliche Alpenrose allein auf dem nackten Felsen, den sonst nur Moos bekleidete; auch war die göttliche Fremde verschwunden.

     Lieblichste unter den Blumen, die Helvetiens reiner Himmel nährt! Dein würziger Duft erquickte [175] mich in der dürren Hitze überhängender Felsstirnen. Deine einfache Schönheit erfreute mich, wenn die übrige Pflanzenwelt erstarb. Liebliche Blume! Auch hier noch am Ufer des kalten Beltes, unter nördlichem Himmel, duftest du mir süsse Erinnerung aus thauigem Kelche der Wehmut.