Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Rätselbrücke
Untertitel: Die Rose von Rondebosch
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1920
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Zwei Detektiv-/Kriminalerzählungen. Handlungsort ist Südafrika.
Band 23 der Romanheftreihe Der Detektiv (später: Harald Harst. Aus meinem Leben.)
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[1]
Der Detektiv


Kriminalerzählungen


von


Walther Kabel.


Band: 23


Die Rätselbrücke


[2]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H, Berlin.


Druck: P. Lehmann G. m. b. H, Berlin SO 26


[3] Es war gegen zehn Uhr vormittags. Wir saßen an dem vor einem Korbsofa stehenden Tische und machten uns mit gutem Appetit über den Morgenimbiß her. Harald hatte sich auch eine Stockholmer Zeitung kommen lassen. Nach einigen gleichgültigen Bemerkungen über das Herbstwetter und zwei Tassen Kaffee, reichte er mir die Zeitung, ohne hineingesehen zu haben, und sagte:

„Ich wundere mich, daß Inspektor Brodersen noch nicht hier ist. Die Kriminalpolizei wird doch fraglos schon gemerkt haben, welch seltsamen Vogel sie da in der vergangenen Nacht erwischt hat.“

Ich wurde sofort stutzig. – Seltsamen Vogel?! – Konnte sich das auf James Palperlon, unseren alten Feind, beziehen?! – Ich stellte die Tasse hin und meinte unsicher:

„Was soll ich denn mit der Zeitung? Du weißt ganz gut, daß ich schwedische Blätter nur sehr mühsam lesen kann.“

„Ach so – ganz richtig, mein lieber Schraut!“ Dieser Ausruf war Komödie. „Ganz richtig! Dann will ich mal nachsehen, ob die hiesige Presse über die Vorgänge dieser Nacht bereits unterrichtet ist und wie sie ihren Lesern diese Sensationsnachricht zurechtgestutzt hat. Meistens phantasieren ja die Reporter die Hälfte dazu.“

Er entfaltete die Zeitung, suchte die Spalten durch und rief dann: „Aha – hier haben wir’s! Und - schau’ nur, auch unsere Namen prangen in der Überschrift:

„Ermordung des stadtbekannten Antiquars Severin Blomberg. – Der berühmte Liebhaberdetektiv Harald Harst und sein Privatsekretär Max Schraut in Stockholm. – Verhaftung des berüchtigten internationalen Verbrechers James Palperlon.“

[4] Harst zeigte mir diese dick gedruckte Überschrift eines anderthalb Spalten langen Artikels, faltete die Zeitung zu meinem Erstaunen wieder zusammen und sagte achselzuckend:

„Es lohnt nicht, das Geschreibsel zu lesen. Es steht ja doch nur Unsinn drin. Die Überschrift beweist das.“

Ich verstand ihn nicht.

„Nur Unsinn? Was heißt das, Harald?“

„Lieber Alter, wenn den Stockholmern da in der dicken Überschrift vorgeredet wird, Palperlon sei hier verhaftet worden, so ist das eben Blech!“

Ich war – wohl mit Recht – starr. – Harst steckte sich jetzt mit aller Gemütsruhe eine Zigarette an und meinte, bevor ich noch etwas fragen konnte:

„Lieber Schraut, – glaubst Du denn wirklich, wir hätten in der verflossenen Nacht Palperlon erwischt?“

„Allerdings,“ erklärte ich kleinlaut, denn ich merkte schon, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung war.

„Na also,“ sagte Harald und blieb vor mir stehen. „Mein Alter, – gesehen hast Du sie! Aber wieder nur mit den Augen, mir denen Du auch vorhin genußfroh Deine Scheibe Schinken betrachtetest. – Soll ich Dir abermals vorhalten, daß man als Detektiv unbedingt das Hauptgewicht auf das geistige Sehen legen muß?! Was nützt es, gute Augen zu haben, wenn nicht der Verstand gleichzeitig diese Bilder, die die Sehnerven uns vermitteln, mitprüft?! – Kurz und gut: die Narbe an dem Mittelfinger der weiblichen Person, die ganz nett ohne Schleier ausschaute und die mit gut nachgeahmter, sonorer Männerstimme dann zugab, Palperlon zu sein, – diese Narbe war kaum sechs Wochen alt, wie ich sofort bemerkte. Mithin war’s nicht Palperlon, sondern jemand, den er zu dem mit Blomberg in der vergangenen Nacht vereinbarten Stelldichein geschickt hatte. Jemand! Und – es war ein Weib, lieber Schraut, kein verkleideter Mann. Es war ein Weib, das ich auf 20–25 Jahre einschätze, weiter auf eine Deutsche, denn ihr Schwedisch klang genau so „germanisch“ wie das meine.“

Das Telephon auf dem Schreibtisch an der anderen Wand schrillte unaufdringlich.

Harst ging hin, rief mir zu: „Wetten, daß es Brodersen ist? – Jetzt werden die Herren entdeckt haben, daß James [5] Palperlon noch immer sich seiner Freiheit und der ergaunerten Millionen erfreut.

Er nahm den Hörer auf.

„Morgen, Herr Inspektor. – Strengen Sie sich nicht unnötig an. Weiß schon, was Sie mir mitteilen wollen, – daß sich herausgestellt hat, daß Sie diesen angeblichem Palperlon in die falsche Abteilung des Polizeigefängnisses eingesperrt haben, eben in die Männerabteilung. – Woher ich dies erfahren habe? – Von niemandem. Aus mir selbst heraus. Mir war es schon in der Nacht in Blombergs Wohnung bekannt. – Weshalb ich’s Ihnen nicht sagte? Ja – ich war eben überzeugt, Sie würden’s sehr bald herausfinden oder das Weib würde es eingestehen. Ich mache nicht gern überflüssige Worte. – Ah – also deshalb ist die Sache jetzt erst entdeckt worden. Sie haben die Gefangene nur flüchtig durchsuchen und gleich abführen lassen, weil es doch mitten in der Nacht war. – Gewiß, kommen Sie nur. Ich bleibe hier im Hotel. Auf Wiedersehen also!“

Harst legte den Hörer weg, fing abermals an, im Zimmer hin und her zu wandern, als es klopfte.

Harst rief Herein. Es war der Kellner mit einer Visitenkarte.

„Die Dame läßt Herrn Harst inständigst bitten, sie zu empfangen,“ erklärte der Kellner.

Harst las laut den Namen und Titel der Karte vor:

Frau Generalkonsul Theresa Knork,

sagte dann: „Ich lasse bitten –!“

Der Kellner verschwand. Harst blickte mich sinnend an.

„Lieber Schraut,“ meinte er leise, „wir werden fraglos sehr Interessantes von dieser Dame zu hören bekommen. Wer mich „inständigst“ um eine Rücksprache ersucht, der hat schweren Kummer.“

Es klopfte wieder. Harst öffnete, ließ eine schlanke, große, sehr elegant gekleidete Frau ein, deren Gesicht auf den ersten Blick tiefes Herzeleid, das nur mühsam vor der Welt verborgen werden konnte, verriet.

Dann saß Frau Theresa Knork in dem einen Korbsessel, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Harst hatte in dem zweiten Sessel Platz genommen und ich war auf dem Sofa sitzen geblieben.

„Herr Harst,“ begann die Dame sofort und zog nervös [6] ihre lange goldene Lorgnonkette durch die behandschuhten Finger, „ich bin erst heute früh hier eingetroffen. Ich reiste Ihnen nach, traf Sie aber nicht mehr in Kopenhagen an. Dann wurde mir dort auf geheimnisvolle Weise ein Zettel mit der Mitteilung zugesteckt, Sie befänden sich in Stockholm. Als ich hier angelangt war und beim Frühstück im Wartesaal des Hauptbahnhofs die hiesigen Morgenzeitungen durchsah – ich spreche das Schwedische recht fließend –, fand ich den Artikel über die Ermordung Blombergs durch Palperlon und die –“

Harst hatte eine liebenswürdige Handbewegung gemacht und sagte jetzt: „Gnädige Frau, Sie sind recht erschöpft. Bitte strengen Sie sich durch weitläufige Ausführungen nicht noch mehr an. – Sie gestatten, daß ich frage. Dann kommen wir sicher schneller zum Ziel. – Sie haben sich auf der Polizei nach meiner Adresse hier erkundigt, nicht wahr? Wann waren Sie auf der Polizei, und wen sprachen Sie dort?“

„Gegen neun Uhr. Kriminalinspektor Brodersen war so freundlich, mir –“

„Danke. – Haben Sie ein besonders Interesse an Blombergs Ermordung, gnädige Frau?“[1]

„Ja. Weniger freilich an dem Morde selbst, als an –“

„– Palperlon!“ vollendete Harst.

Ich sah, wie die Züge der Dame sich jäh veränderten. Sie erstarrten gleichsam in einem Haß, der ohne Maß und Ziel sein mußte.

Harst betrachtete Frau Theresa Knork genau so aufmerksam wie ich, merkte, wie sie jetzt vor Erregung kein Wort über die bebenden Lippen brachte, und sagte leise und in seinem einschmeichelndsten Tonfall:

„Bitte – bitte, beruhigen Sie sich! Ich ahne bereits so manches. Sie haben eine Tochter, gnädige Frau, und diese Tochter dürfte Ihnen durch Palperlon entfremdet worden sein.“

Da schnellte sie förmlich hoch, streckte die Arme aus, keuchte hervor:

„Entfremdet?! Nein – gestohlen hat er sie mir! Und jetzt ist auch noch mein Mann verschwunden!“

Aufschluchzend sank sie wieder in den Sessel zurück, schlug die Hände vor ihr plötzlich von Tränen überströmtes Gesicht und wimmerte:

[7] „Wenn Sie mir nicht helfen, Herr Harst, sehe ich weder Magda noch meinen Mann jemals wieder.“

Harst rückte seinen Sessel dicht neben sie, meinte gütig und mitfühlend:

„Vor mir können Sie sich so geben, wie Ihnen ums Herz ist, gnädige Frau. Vor mir können Sie auch in allem ganz offen sein. Sie müssen es sogar. Denn wenn ich Ihnen helfen soll, muß ich eben alles wissen. – So – und nun berichten Sie mir, was sich in Ihrer Familie ereignet hat. Aber bitte ganz kurz, nur die Hauptsachen. Nach Einzelheiten, die mir wichtig scheinen, werde ich schon fragen.“

Bevor Frau Theresa Knork jedoch beginnen konnte, erschien Inspektor Brodersen. Harst bat ihn, Platz zu nehmen, nachdem er ihm schnell zugeraunt hatte zu verschweigen, daß Blombergs Mörder kein Mann, sondern ein junges Weib sei.

Dann hörten wir die Knorksche Familientragödie. Ich will diese hier in aller Kürze wiedergeben. –

Der Bremer Großkaufmann Johannes Knork war gleichzeitig Generalkonsul der Argentinischen Republik. Er besaß nur ein Kind, eine sehr begabte, aber auch sehr eigenwillige und temperamentvolle Tochter namens Magda. Vor anderthalb Jahren etwa hatte er Frau und Kind für den Winter nach Ägypten geschickt. In Heluan lernten die Knorkschen Damen einen jungen Amerikaner kennen, der sich James Palwson nannte. Palwson war in vielem eine etwas geheimnisvolle Persönlichkeit, besaß aber eine geradezu unheimliche Macht über Frauen. Alles, was an Damen damals in Heluan weilte, schwärmte für ihn. Bereits nach einer Woche merkte Frau Knork, daß Palwson sich um ihre Tochter weit mehr kümmerte, als ihr lieb war. Mit dem feinen Instinkt der erfahrenen Weltdame hatte sie schnell die Abenteurernatur dieses Menschen durchschaut, warnte nun Magda eindringlich vor Palwson und schien damit auch Erfolg zu haben. – James Palwson blieb noch weitere acht Tage und reiste dann ab. Frau Knork atmete auf.

Aber – sie tat es zu früh. Drei Tage nach Palwsons Abreise verschwand Magda spurlos und zwar nach einer Tennispartie im Hotelpark. Frau Knork depeschierte sofort an ihren Gatten, der denn auch fünf Tage drauf in Heluan eintraf. – Magda war jedoch nicht aufzufinden, obwohl der Generalkonsul einen Privatdetektiv von Ruf mitgebracht [8] hatte, der sich alle Mühe gab, dieses rätselhafte Abhandenkommen eines jungen Mädchens aufzuklären. Erst einen Monat später gelang es ihm festzustellen, daß Magda heimlich in einer Verkleidung nach Kairo, dann nach Suez und weiter nach Aden gereist war, daß sie in Aden in Begleitung eines Mannes gesehen worden war, der nur Palwson gewesen sein konnte, und daß das Paar dann einen Dampfer nach Bombay benutzt hatte. Von da ab verlor sich die Fährte.

Magdas Eltern kehrten völlig gebrochen nach Bremen zurück, mieden allen Verkehr und lebten nur ihrem Schmerz um ihr einziges Kind. Der Generalkonsul hatte jedoch den Privatdetektiv beauftragt, die Nachforschungen nach Magda unermüdlich fortzusetzen. –

Der Privatdetektiv brachte nach weiteren vier Monaten heraus, daß Magda und Palwson sich kurze Zeit in Gwalior in Indien aufgehalten hatten und daß Palwson fraglos ein Abenteurer schlimmster Sorte sei, der ständig den Namen wechselte und sich unter anderem auch Palperlon nannte. Zu Gesicht bekam er die beiden jedoch niemals. – Ein Jahr fast verging. Das Ehepaar Knork hatte sich bereits mit dem Gedanken abzufinden gesucht, Magda nie mehr wiederzusehen, als diese ganz unvermutet heimkehrte, sich den Eltern zu Füßen warf und ihre Verzeihung erflehte. Sie wurde ihr gewährt. Sechs Wochen blieb sie in der Villa des Generalkonsuls, ohne sich je über die Grenzen des großen, zu dem Besitztum gehörigen Parkes zu entfernen. Sie lebte wie einst nur ernsten Studien, malte, las wissenschaftliche Werke und lehnte jede Frage der Eltern nach Palwson mit dem Bemerken ab, sie wünsche nicht mehr an diese Vergangenheit erinnert zu werden. Sie war dabei keineswegs seelisch niedergedrückt. In ihrem ganzen Wesen bekundete sie eine große Selbständigkeit und ein Zielbewußtsein, das ihr bald ein gewisses Übergewicht über ihre nachsichtigen Eltern gab.

Nach Ablauf von sechs Wochen verschwand sie abermals. Eines Morgens fand man ihr Bett unberührt. Ein Koffer fehlte, in dem sie einige Kleider und etwas Wäsche mitgenommen hatte. – Diesmal hatte der von dem Generalkonsul sofort herbeigerufene Privatdetektiv mehr Glück. Er ermittelte schon am folgenden Tage, daß Magda mit einem älteren Herrn nach Berlin gereist war. In Berlin jedoch ging jede Spur verloren. Die bedauernswerten Eltern ahnten, [9] daß ihr Kind von neuem von jenem Abenteurer entführt worden war. Dann brachten die deutschen Zeitungen die ersten Notizen über Harald Harsts Kampf gegen den größten, genialsten Verbrecher aller Zeiten, gegen James Palperlon. Mit Entsetzen erkannten nun erst der Generalkonsul und seine Gattin, wer ihnen ihre Tochter geraubt hatte.

Zwei Monate später wurde in die Knorksche Villa eingebrochen und dabei auch ein in dem Arbeitszimmer des Generalkonsuls in die Wand eingelassenes Stahlschränkchen erbrochen und ausgeplündert. Die Diebe, die Geld und Schmuck im Gesamtwert von 120 000 Mark erbeutet hatten, wurden nicht entdeckt.

Abermals vierzehn Tage drauf mußte[2] der Generalkonsul, der als Hauptaktionär an einer neuen Diamantmine in Südafrika beteiligt war, dorthin reisen. Die Mine, die unweit des Flusses Muwuru im Sululande lag, war infolge der reißenden Strömung und der zahllosen Stromschnellen des Muwuru nur mit Hilfe einer natürlichen Felsenbrücke zu erreichen, der die umwohnenden Sulus den Namen „Brücke der Geheimnisse“ oder „Rätselbrücke“ deswegen gegeben hatten, weil sie angeblich niemanden passieren ließ, der eine der den Sulus heiligen, grünbraun gesprenkelten Matsauaschlangen getötet hatte.

Johannes Knork kehrte aus Afrika nicht heim. Vor drei Wochen hatte seine Gattin die Nachricht erhalten, daß er sich eines Abends kurz vor dem Eintreffen an der Muwurubrücke aus dem Lager entfernt hatte und seitdem verschwunden war. Seine Begleiter nahmen an, er sei von Löwen zerrissen worden.

Frau Knork glaubte nicht an ein solches Ende ihres Gatten. Als sie in ihrer Erzählung bis zu diesem Ereignis gelangt war, fügte sie die Bemerkung ein:

„Niemals werde ich Johannes als tot betrauern, Herr Harst! Er war ein kräftiger Mann, ein vorzüglicher und erprobter Jäger. Er kannte die afrikanischen Verhältnisse ganz genau. Er selbst hat ja bei einer Jagdexpedition im Sululande vor zwei Jahren die Diamantmine am Muwuru entdeckt. – Herr Harst, ich beschwöre Sie: reisen Sie nach Afrika und suchen Sie meinen Gatten. Nur Ihnen traue ich es zu, das Geheimnis seines Verschwindens aufklären zu können.“

[10] Harst erwiderte der bereits wieder von ihrem Schmerz völlig Überwältigten, er würde ihr bestimmt helfen. Aber er sagte das in so düsterem und zögerndem Ton, daß die Dame aufmerksam wurde und ängstlich fragte:

„Mein Gott, fürchten Sie etwa, daß Johannes tot ist, Herr Harst?“

„Ich fürchte es nicht, kann Ihnen aber auch keinerlei Hoffnung machen, daß er noch lebt, gnädige Frau,“ erklärte er nicht minder ernst und streckte ihr mitleidig die Hand hin, die er dann in der seinen behielt. „Sie sind ein schwergeprüftes Weib,“ fuhr er fort. „Vielleicht steht Ihnen sogar noch das Schwerste nahe bevor.“

Sie schüttelte müde den Kopf.

„Oh – was sollte sich wohl noch ereignen, das mein vor Schmerz fast totes Herz noch erregen könnte?!“

Harst blickte sie ernst an. – „Gnädige Frau, nehmen Sie all Ihre Kraft zusammen, damit Sie unter der Mitteilung nicht zusammenbrechen, die ich Ihnen machen muß. Palperlon ist abermals entwischt. Das junge Weib, das verhaftet wurde und das sich geschickt für James Palperlon ausgab, ist –“

„Magda!“ schrie Frau Knork auf. „Magda, mein Kind, – eine Mörderin! – Oh – dieser Schurke! Er wird sie zu diesem Verbrechen angestiftet haben. Er hat sie –“ Schon wieder erstickte ein Tränenstrom ihre Stimme.

Wir saßen schweigend da. Gegenüber dieser Verzweiflung eines lieben Mutterherzens wäre jedes Trostwort eine leere Redensart geblieben.

Welche Energie diese Frau jedoch besaß, zeigte sich jetzt noch deutlicher als vorhin. Theresa Knorks Tränen versiegten.

„Herr Inspektor,“ sagte sie zu Brodersen, „ich habe ein Recht darauf, mein Kind zu sehen. Hat Magda zugegeben, wie sie heißt, hat sie Ihren Namen genannt?“

„Nichts sprach sie bisher – nichts!“ meinte Brodersen leise und mit einem Blick auf die Dame, der verriet, daß er Herz genug besaß, mit ihr mitzufühlen.

Harst schaute auf. Er blickte Frau Theresa Knork an und sagte:

„Ich möchte Sie nach einiges fragen. – Ihr Gatte entdeckte die Muwuru-Mine bei einem Jagdausflug. Meldeten [11] damals die Zeitungen die Auffindung dieser neuen Diamantenlager?“

„Ja, Herr Harst. Mein Mann wollte sofort eine Aktiengesellschaft gründen, um –“

„Danke, gnädige Frau. – Ihr Gatte hat die genaue Ortsangabe über die Lage der Mine wahrscheinlich stets geheimgehalten, nicht wahr?“

„Allerdings. Er hatte damals aus Afrika rohe Edelsteine im Werte von zwei Millionen mitgebracht. Diese ohne Mühe aus der Mine aufgelesenen Steine genügten den Herren als Beweis des Reichtums der Fundstelle.“

„Ihr Gatte wird doch aber wohl eine Skizze über die Lage der Mine angefertigt haben. Hat diese Skizze vielleicht in dem Wandstahlschränkchen gelegen?“

Frau Knork blickte Harst überrascht an. „So ist es. Die Skizze glaubte er dort am sichersten aufgehoben.“

„Wer hatte Kenntnis von dieser Skizze und dem Orte, wo sie verwahrt wurde?“

„Nur mein Mann, ich und Magda.“

„Also auch Ihre Tochter. Das dachte ich mir. Es mußte so sein. Sonst wäre Palperlons Vorgehen unverständlich.“

„Welchen Beruf nannte James Palwson damals in Heluan als den seinen?“ fragte Harst jetzt weiter.

„Er gab an, Bergingenieur zu sein,“ erwiderte Frau Theresa Knork. „Er erzählte viel von seinen Reisen in die entlegensten Gebirgsgegenden, von Gold- und Silberminen und –“

„Danke, gnädige Frau. – Als der Einbruch in Ihre Villa geschah, befand sich damals noch die Skizze in dem Wandschränkchen?“

„Ja. Aber die Diebe ließen sie unbeachtet. Sie war auf ein Stück gegerbte Haut gezeichnet. Dieses quadratische Lederstück hatte mein Mann zu einem Beutel für einen wertvollen Meerschaumpfeifenkopf zusammengenäht, damit es ganz harmlos wirkte.“

„Noch eine letzte Frage, gnädige Frau,“ meinte Harst. „Dann wollen wir versuchen, ob wir Ihre Tochter nicht zum Sprechen bringen. - Sie erwähnten, daß Ihnen in Kopenhagen auf geheimnisvolle Weise Nachricht über meinen Aufenthalt hier in Stockholm gegeben wurde. Wollen Sie mir bitte hierüber Näheres mitteilen.“

[12] „Oh, darüber läßt sich nicht viel sagen, Herr Harst. Mir begegnete auf der Straße in Kopenhagen ein alter Fischer oder Matrose, reichte mir einen Brief und war wieder verschwunden, bevor ich noch recht wußte, daß ich von einem Fremden diesen Brief entgegengenommen hatte.“

Sie öffnete ihr goldenes Handtäschchen. „Bitte – hier ist Umschlag und Brief. Alles ist mit Maschine geschrieben. Ich habe keine Ahnung, wer der Absender ist. Unter den drei Zeilen steht lediglich ein fremdländisch klingender Name: Lihin Omen!“

„Also hatte ich richtig vermutet!“ rief Harst leise und nickte mir vielsagend zu. Dann las er den kurzen Brief unseres Konkurenten:

„Sehr geehrte gnädige Frau! Ein Freund teilt Ihnen mit, daß Harald Harst sich in Stockholm aufhält. Sie tun recht daran, ihn um Hilfe zu bitten. Ihre Tochter muß diesem Scheusal von Palperlon entrissen werden. Ich bin ehrlich: Meine Kunst versagt hier! Ich hätte für Sie, Ihre Tochter und Ihrem Gatten keine Mühe gescheut. – Ihr ergebenster – Lihin Omen!“

Harst hatte sich erhoben. „Herr Inspektor, wenn es Ihnen genehm ist, fahren wir jetzt nach dem Polizeigefängnis,“ wandte er sich an Brodersen.

Dieser hatte sein Dienstauto vor dem Hotel warten lassen. Während der Fahrt in dem geschlossenen Kraftwagen fragte Harst Frau Knork, ob ihre Tochter nicht schon vor der Reise nach Heluan ernsthafte Bewerber gehabt habe.

Frau Theresa Knork entgegnete ohne Zögern: „Magda hatte einen Bewerber, den wir mit Freuden als Schwiegersohn willkommen geheißen hätten. Es war ein sehr reicher, feingebildeter Mann. Aber Magda war er gleichgültig.“ –

„Dürfte ich den Namen erfahren?“

Die Frau Generalkonsul zauderte. „Muß ich ihn wirklich nennen? – Nun, es sei. Der Herr ist der Berliner Privatgelehrte und Kunstsammler Dr. Erwin Branden, ein mehrfacher Millionär.“

„So so. – Nun, dieser Herr interessiert mich nicht weiter,“ meinte Harst.

Wir waren angelangt. Brodersen führte uns in sein Dienstzimmer. Frau Knork mußte sich in einen Aktenraum nebenan hinter die handbreit geöffnete Tür setzen.

[13] Sie setzte sich auf den bereitgestellten Stuhl mit dem Gesicht nach den beiden Fenstern hin. Wie vereinbart, begann Harst dann anstelle Brodersens das Verhör und zwar in deutscher Sprache.

„Geben Sie zu, den Antiquitätenhändler Severin Blomberg erschossen zu haben?“ fragte er mild.

Beim Klange der vertrauten Heimatslaute zuckte Magda Knork zusammen. Ihre Blicke verrieten eine schnell sich steigernde Besorgnis. Dann veränderten ihre Züge sich plötzlich. Das Blut schoß ihr ins Gesicht, und mit einem Ausdruck ohnmächtigen Hasses schaute sie Harst nun an, stieß dann hervor:

„Oh, ich weiß, wer Sie sind, – Harald Harst! Der Verfolger eines Unglücklichen, den ich liebe, dem Sie aber aus Rachsucht Verbrechen über Verbrechen andichten!“

„Palperlon hat Sie belogen, Fräulein Knork, – belogen in allem!“ sagte er mit jenem Ernst, der seine Wirkung nie verfehlte. „Sie sind ihm lediglich Mittel zum Zweck gewesen. Er brauchte Sie, um zu erfahren, wo Ihr Vater die Muwuru-Skizze versteckt hielt. Dann weiter dazu, in die Villa gefahrlos einbrechen zu können.“

Magda Knorks Antlitz wechselte abermals den Ausdruck. Sie blickte Harst zweifelnd an. Unruhe und Angst erschienen auf ihren Zügen.

Da sprach Harst schon weiter. „Beantworten Sie mir eine Frage, die dann alles klären wird. Hat Palperlon mit Ihnen in Heluan über Ihres Vaters Entdeckung im Sululande gesprochen? Sagte er nicht, daß gerade er als Bergingenieur sich für neue Minenfunde interessiere?“

Das junge Mädchen senkte den Kopf. Eine Weile nichts.

Dann ein sehr zögerndes: „Ja!“

„Nun, das genügt. – Hören Sie mich an, Fräulein Knork. Ich will Ihnen in Kürze auseinandersetzen, weshalb Palperlon Sie umgarnt hat. Sie werden ihm in Ihrer Arglosigkeit in Heluan erzählt haben, daß Ihr Vater über die Muwuru-Mine eine Skizze angefertigt hätte, die er aber sehr sorgfältig verwahrt hielte. Er wußte Sie dann zu betören. Er war jedoch vorsichtig und wartete viele Monate, ehe er wieder einen Schritt weiterging. Er wollte Sie nicht argwöhnisch machen, und er hat stets Geduld bei der Verwirklichung seiner großzügigen Pläne bewiesen. – Er schickte Sie [14] heim zu Ihren Eltern. Unter welchem Vorwand, ist gleichgültig. Inzwischen hatten Sie ihm anvertraut, daß die Skizze in dem Wandschränkchen lag. Zu diesem wird nur Ihr Vater einen Schlüssel besessen haben. Jedenfalls hat Palperlon Sie dann während der sechs Wochen, die Sie daheim waren, des öfteren heimlich besucht. Ist es nicht so?“

Magda Knork nickte nur. Sie hob den Kopf nicht mehr. Ihre Wangen hatten alle Farbe verloren. Man merkte, wie sehr das Mißtrauen bereits ihre Seele mit allerlei Zweifeln peinigte.

„Palperlon wollte bei diesen Besuchen lediglich die Gelegenheit zu dem Einbruch auskundschaften,“ fuhr Harst fort. „Nachdem Sie aus Ihrem Elternhause dann wieder auf seine Veranlassung entflohen waren, führte er den Einbruch aus. Es kam ihm dabei lediglich darauf an, die Muwuru-Skizze schnell abzeichnen zu können. Zum Schein stahl er, was des Mitnehmens wert war. Jetzt aber, Fräulein Knork, hat er Sie abschütteln wollen. Ich weiß nicht, wie es ihm möglich war, Sie dazu zu bewegen, Blomberg niederzuschießen. Vielleicht hat er Ihnen eingeredet, Blomberg stehe mit mir im Bunde und wolle mir behilflich sein, ihn zu fangen.“

„So ist es,“ sagte das junge Mädchen leise. Sie hob den Kopf und schaute durch das Fenster mit einem völlig seelenlosen Blick auf das gegenüberliegende Haus, während ihr Gesicht wie zu einer Maske erstarrte. Diese bleichen, ausdruckslosen Züge wirkten fast beängstigend. Noch beängstigender war das, was folgte.

Wie im Traum sprach sie nun vor sich hin: „Mir fiel es schon damals auf, daß er immer wieder auf die als Pfeifenbeutel verborgende Skizze zurückkam! – Also deshalb – deshalb –!“

Frau Theresa Knork erschien plötzlich in der Tür.

„Magda – Magda, – mein Kind!“ rief sie mit tränenschwerer Stimme und breitete die Arme nach ihrer Tochter aus.

Das junge Weib jedoch blickte nur flüchtig nach der Mutter hin, stand auf, sagte fest, aber mit seltsam klangloser Stimme:

„Mein Leben ist verpfuscht. Ich weiß jetzt, daß Palperlon mich hintergangen hat, daß nur er der Einbrecher gewesen sein kann.“ Sie schaute Harst dabei an. „Ich glaube jetzt [15] auch alles andere, was von Palperlon behauptet wird. Er hatte mich in ein Netz von Lügen eingesponnen. Ich habe oft an seinen Worten gezweifelt. Ein Weib, das liebt, ist leicht zu täuschen, wehrt nur zu gern alle Zweifel von sich ab.“ Dann wandte sie sich an Brodersen. „Lassen Sie mich in meine Zelle zurückführen. Nachmittags will ich Ihnen alle Fragen beantworten.“

Frau Knork stand mit schlaff herabhängenden Armen da.

„Magda!“, rief sie nochmals.

Aber ihre Tochter schüttelte nur den Kopf und sprach wie in die Luft hinaus: „Es gibt keine Magda Knork mehr –“


Der Nachtzug Stockholm-Malmö ging um 10 Uhr 30 Minuten ab. Wir hatten ein Schlafwagenabteil belegt und machten es uns dort nach Möglichkeit bequem. Wir waren beide in ernstester Stimmung. Magda Knork hatte sich sofort nach Rückkehr in ihre Zelle mit Zyankali, das sie in ihren Kleidern verborgen gehabt haben mußte, vergiftet. Sie hatte für ihre Eltern nur einen Zettel mit den Worten: „Verzeiht mir!“ zurückgelassen.

Harst saß ganz still da und blies wie ein Automat den Zigarettenrauch von sich. Plötzlich sagte er dann:

„Ich bin überzeugt, daß Lihin Omen nur Magdas wegen Liebhaberdetektiv geworden ist.“

„Du meinst also, daß Doktor Branden unser Konkurent ist?“ fragte ich schnell.

„Ja. Wir wissen von Lihin Omen, daß er Berliner und reich ist. Beides trifft auch bei Branden zu. Die Hauptsache aber ist der Brief, den Lihin Omen Frau Knork zusteckte. Nur jemand, der die Familie Knork persönlich kennt, wird schreiben: „Ich hätte für Sie, Ihre Tochter und Ihren Gatten keine Mühe gescheut.“

„Du magst recht haben,“ erklärte ich nicht völlig überzeugt.

„Ich habe recht. Ich werde Dir das beweisen, sobald wir aus Südafrika zurück sind. – Hoffentlich finden wir in Bremen sofort einen Dampfer, der nach Kapstadt abgeht. Ich möchte keinen Tag versäumen. Palperlon will ja fraglos die Muwuru-Mine plündern. Ich nehme an, daß er bereits dorthin unterwegs ist. Er hat etwa 18 Stunden Vorsprung vor uns. Das macht viel aus bei einem Menschen, wie er es ist. [16] – Übrigens waren mir Magda Knorks Angaben – der rothaarige Irländer, die Worte Okirupu und großer Fetisch – sehr wertvoll. Besonders der „große Fetisch“! – Erinnere Dich an Frau Knorks Erzählung, an die Rätselbrücke, die niemand passieren läßt, der eine Matsaua-Schlange getötet hat. Diese Matsaua-Schlangen spielen in dem Fetischdienst der Sulus eine große Rolle. Mit das Interessanteste ist nun wohl der sogenannte Souquiant, die Schlange mit dem Menschenkopf, die die Sulu als „den großen Fetisch“ verehren. Dieser Souquiant ist eben die Matsaua-Schlange, ein ungiftiges, armdickes Reptil mit einem Kopf, dessen Zeichnung ungefähr an ein menschliches Greisengesicht erinnert.“

Zwölf Tage drauf waren wir in Kapstadt. Ohne Aufenthalt fuhren wir nach der Stadt Ladysmith weiter. Von hier aus hatte Johannes Knork in Begleitung zweier Mineningenieure, eines englischen Regierungsbeamten und dreier Suludiener zu Pferde die Reise fortgesetzt, wie uns Frau Knork noch mitgeteilt hatte. Dieser Beamte, ein Herr Moffley, war bald gefunden. Er erzählte uns, daß Knork niemandem näheres über die Lage der Fundstelle mitgeteilt und stets erklärt hatte, er würden erst an Ort und Stelle an Hand seiner Skizze beweisen, daß er der erste Finder der Diamantmine sei. Moffley bestätigte uns, daß Knork einen Leoparden an der Tränke habe schießen wollen, aber nicht zurückgekehrt sei. Alle Nachforschungen hätten keinerlei Erfolg gehabt. – Über die Rätselbrücke wußte er nicht viel. Er hatte sie noch nicht gesehen da Knork einen halben Tagesmarsch vor dem Muwuru verschwunden war. – Harst bat Moffley dann, uns einen eingeborenen Führer zu besorgen. Dieser Sulu namens Mansa war ein älterer Mann, der sich gut bewährte. Wir nahmen noch ein Packpferd mit; als Waffen nur Jagdmesser und unsere Repetierpistolen.

Unser Ritt ging zunächst nach Nordost durch bergiges Gelände, dann durch einen fruchtbaren Landstrich, wobei wir mehrere Kafferndörfer berührten. – Unser Führer Mansa sprach das Englische recht gut. Wir hatten unterwegs Zeit genug, ihn über alles Mögliche auszufragen. Harst hatte so nebenbei einmal das Wort Okirupu erwähnt. Da war der Sulu sofort aufmerksam geworden. Forschend hatte er Harst angeblickt und gefragt, ob dieser denn den Priester des großen Fetisch kenne. So erfuhren wir, daß Okirupu ein direkter [17] Nachkomme des letzten Sulukönigs Dinigulu sei und in einem Dorfe nordöstlich der Rätselbrücke wohne.

Eines Mittags bogen wir dann zwischen zwei Bergen in ein sehr romantisches, felsiges Flußtal ein. Dort unten rauschte und brauste der Muwuru.

Von diesem Augenblick an änderte sich Harsts Benehmen vollständig. Er wurde überaus vorsichtig und mißtrauisch. Mansa verstand kein Wort Deutsch. Harst sagte daher zu mir in deutscher Sprache: „Wir haben bisher von Palverlons Anwesenheit hier in Südafrika nicht das geringste bemerkt. Und doch wette ich, daß er hier ist. Es gibt noch einen zweiten Weg zum Muwuru, von Norden her, von Johannesburg. Möglich, daß er den gewählt hat.“

Wir ritten nun in das Flußtal hinab. Es gab hier etwas wie einen Weg. Man sah, daß die Rätselbrücke von den umwohnenden Sulus und Kaffern doch häufiger benutzt wurde. Die Brücke erkannten wir schon von weitem. Der Fluß war etwa fünfzig Meter breit, die Ufer meist abschüssig und bis zu zwanzig Meter hoch. An einer Stelle lag mitten in der reißenden, schäumenden Strömung ein Felsblock von vielleicht 25 Meter Höhe. Diese schlanke Natursäule stellte den Pfeiler der Brücke dar.

Hundert Meter vor der Brücke bog Harst in eine Schlucht ab und befahl unserem Führer, hier das Lager aufzuschlagen und auf uns zu warten.

Harst und ich machten uns dann zu Fuß nach der Brücke auf. Harst hatte sein Fernglas mitgenommen und erklärte nun, als wir sehr langsam dem Flusse zuschritten: „Es muß mit dieser Rätselbrücke eine besondere Bewandtnis haben. Merktest Du nicht, daß Mansa stets verlegen schwieg, wenn ich ihn nach der Bedeutung dieser Bezeichnung dieses Felsenüberganges als „Brücke der Geheimnisse“ fragte?“

Während Harst so sprach, ließ er seine Blicke ohne Unterlaß umherschweifen. Auch ich spähte dauernd nach irgend etwas Verdächtigem aus.

Jetzt standen wir auf der Uferhöhe. Vor uns reckte sich eine Felszunge über den halben Fluß nach dem Steinpfeiler hin, der ungefähr viereckig und oben flach bei etwa 12 Meter Seitenlänge war. Harst rührte sich nicht. Nur sein Kopf drehte sich bald hierhin, bald dorthin, und seine Augen eilten bedächtig spürend von Punkt zu Punkt. Dann nahm er sein [18] Fernglas und stellte es auf die Mitte der Naturbrücke ein.

Ich wurde ungeduldig. „Fürchtest Du, daß Palperlon uns hier auflauert?“ meinte ich mit ganz wenig Ironie.

Er ließ das Glas sinken. „Du würdest dies gleichfalls fürchten, wenn Du dort oben auf der Paßhöhe zwischen den beiden Bergen dasselbe bemerkt hättest wie ich, – nämlich – dies hier, das ich aufhob, als ich einen Steigbügelriemen in Ordnung brachte.“ Er faßte in die Tasche seiner Jagdjoppe und hielt mir eine Papierkugel hin, steckte sie aber sofort wieder ein. „Es ist Zeitungspapier, ein Stück von dem oberen Teil der ersten Seite der in Johannesburg erscheinenden Buren-Post,“ erklärte er weiter. „Und zwar ein Stück einer erst acht Tage alten Nummer. Mansa sagte uns nun, daß sich bis hierher sehr selten Weiße verirren und daß auf endlose Meilen nur Negerdörfer zu finden sind. Zunächst beweist das Stück Zeitungspapier also, daß vor kurzem ein Weißer hier gewesen ist. Damit ist jedoch das, was diese Papierkugel mir zu sagen hatte, noch nicht erschöpft.“

Jetzt begann auch mich dieser Fund Harsts zu interessieren. Ich rief leise:

„Ich verstehe: das Stück[3] Zeitung hatte eine besondere Bedeutung, war Deiner Ansicht ein Zeichen für irgend jemand.“

„Ganz recht. – Nicht nur ein Zeichen war’s. Das hatte ich bald heraus. Die Art, wie die Papierkugel in einer Distel festgeklemmt war, legte mir nahe, das Stück Zeitung sauber glatt zu streichen. Es war vollständig durchfettet. – Weshalb wohl? – Nun – um es im Falle eines Regengusses vor dem Aufweichen zu schützen. – Das weitere war sehr einfach. Ich bemerkte sofort, daß in dem Leitartikel zehn Wörter mit Bleistift nicht allzu auffällig unterstrichen waren. Nacheinander gelesen lauteten diese ins Deutsche aus dem Holländischen übertragen folgendermaßen:

„Versammlung nicht gefunden. Empfang alles vorbereitet zu finden bei befreundeten.“

So, mein Alter, nun kannst Du Dein Licht leuchten lassen. Denn diese Sätze, zweimal zu drei und einmal zu vier Wörtern abgeteilt, verraten im einzelnen und als Ganzes so allerlei: Bitte – beginne!“

Wenn man bereits anderthalb Jahre Privatsekretär und Gehilfe eines Harald Harst ist, lernt man allmählich doch so [19] einiges. Ich erwiderte daher. „Der erste Satz bezieht sich vielleicht auf ein verfehltes Rendezvous. – Empfang alles vorbereitet – hm, darüber bin ich mir nicht klar, ehrlich gesagt. Der letzte Satz aber ist wohl so zu ergänzen, daß der Hersteller dieser Papierkugelmitteilung sich bei befreundeten Leuten aufhält.“

Harst nickte zerstreut. „Die Hauptsachen fehlen, lieber Schraut. Aber mit Deinen Ergänzungen bin ich einverstanden. – Ich will nun meine Ansicht über diese Mitteilung zum besten geben. Du weißt, daß zwischen Palperlon und seinem Vertrauten Morrisson einmal in einem von Magda Knork teilweise belauschten Gespräch die Worte „Okirupu“ und „großer Fetisch“ wiederholt genannt wurden. Dieses Gespräch soll vor etwa sieben Monaten stattgefunden haben. Da nun Palperlon persönlich dem Generalkonsul hier in Südafrika nicht aufgelauert haben kann, denn er weilte, wie uns bekannt, zu derselben Zeit in Berlin, dürfte Morrisson bei dem Anschlage auf Johannes Knork beteiligt gewesen sein. Ich brauche gerade Dir wohl nicht näher zu erklären, weshalb ich hier einen Anschlag vermute. Es sollte eben zugleich mit Knork auch die Skizze der Muwuru-Mine verschwinden, damit Palperlon dann als einziger deren genaue Lage kannte. Morrisson wird also hier den Generalkonsul entweder beiseite geschafft haben oder aber ihn irgendwo gefangen halten. Offen gestanden: ich fürchte das erstere! Palperlon tut ja nie halbe Arbeit. Tote sprechen nicht mehr! Danach handelt er. – Morrisson ist dann hiergeblieben, um Palperlon zu erwarten, der ja noch in Europa so allerlei gewinnbringende Geschäfte vorhatte, an denen wir gleichsam als Gegenpartei mitwirkten. Ich erinnere nur an den Fall des „ewigen Juden“, den sogenannten „Seher von Lissabon!“ Und Morrisson hat meiner Meinung die Papierkugel für Palperlon vorbereitet, mit dem er vielleicht in Johannesburg – daher die Buren-Post – zusammentreffen wollte, wo sie sich aber aus irgend einem Grunde verfehlt haben mögen. – Nun noch der mittelste Satz: „Empfang alles vorbereitet.“ Ob sich dies nicht auf uns bezieht, mein Alter? Ob Palperlon nicht damit gerechnet hat, ich könnte mich auch in seine hiesigen Geschäfte einmischen?! Ob er nicht vielleicht Morrisson eine chiffriere Kabeldepesche mit einer Anweisung für unseren „Empfang“ gesandt haben mag? – Du wirst zugeben, [20] geben, daß sehr vieles für die Richtigkeit dieser Kombinationen spricht und daß schließlich mit den „Befreundeten“ recht gut der Fetischpriester Okirupu gemeint sein kann. Jedenfalls hatte ich, nachdem ich diese Mitteilung derart ausgelegt hatte, allen Grund, überaus vorsichtig zu sein. Deshalb zeigte ich Dir auch soeben die Papierkugel nur ganz flüchtig. Es ist nicht ausgeschlossen, daß jemand uns vom anderen Ufer aus beobachtet.“

Ich konnte Harst nur beipflichten, erklärte dann aber noch: „Diese merkwürdige Art, Palperlon eine Mitteilung zugehen zu lassen, erscheint mir – wie soll ich sagen – etwas – gekünstelt.“

„Sehr richtig. Dieses Gekünstelte ist auch das, was mich stört. Ebenso die Tatsache, daß Palperlon, für den doch die Papierkugel bestimmt war, noch nicht hier gewesen sein kann. Sonst hätte ja die Papierkugel nicht mehr in der Distel gelegen.“ Er ließ abermals die Augen mißtrauisch über die Brücke und das jenseitige Ufer hingleiten. „Lieber Alter – ich kann nicht behaupten, daß ich mich angesichts dieser Rätselbrücke besonders wohlfühle,“ meinte er dann. „Im Gegenteil, ich wünschte, wir hätten Sululand erst wieder hinter uns! Ich bin noch nie –“


Von rechts her war plötzlich ein gellender Schrei erklungen, ein so schriller, heller Angstruf, daß unsere Köpfe mit einem Ruck herumflogen.

Ich muß hier über die[4] Örtlichkeit noch hinzufügen, daß sich rechter Hand von uns eine mit dichtem Gebüsch bewachsene Berghalde hinanzog und daß wir selbst etwas links von der Felszunge standen, während wir nach Osten zu durch ein hohes Distel-[5] und Dornengestrüpp gedeckt waren.

Das, was wir nun miterlebten, war so aufregend, ereignete sich so urplötzlich, daß selbst Harst, dem es doch wahrlich nicht an Geistesgegenwart fehlt, minutenlang wie gelähmt am selben Platze verharrte.

Aus dem Gebüsch der Berghalde brach ein junges Negerweib hervor, deren knallroter Kattunrock von Dornen völlig zerfetzt war. Wie eine Wahnsinnige raste sie auf die Brücke zu, sprang mit großen Sätzen über die Unebenheiten des Felsens und stieß noch mehrmals dieselben durchdringenden Angstrufe aus.

[21] Sie hatte etwa die Mitte der Brücke, also die platte Spitze des Pfeilers erreicht, als wir einen ausgewachsenen Leopard bemerkten, der in beinahe gemächlichen Sprüngen, – so, als wüßte er, daß ihm die Beute nicht entgehen könnte, hinter dem Weibe dreinlief. Erst als das Raubtier nun ebenfalls über die Brücke hinwegsetzte, riß Harst die Pistole aus der Tasche und folgte der Bestie. Ich blieb dicht hinter ihm. Blindlings rannte ich weiter; sah, wie Harst von der Felszunge, die über die Pfeilerplattform ein Stück hinwegragte, auf den Pfeiler hinabsprang; war nun selbst am Ende der Felszunge angelangt.

Ich wollte mich nach hinten zurückwerfen. Ich hatte jedoch bereits das Gleichgewicht verloren. Ich – stürzte hinab in das Felsloch, das plötzlich dort gähnte, wo die Pfeilerplattform fraglos noch soeben, als das Negerweib und der Leopard diese Stelle passiert hatten, einen sicheren Absprung gestattet hatte.

Im Fallen sah ich noch, daß Harst vor mir in der Dunkelheit dieses Schachtes verschwand. Dann prallte ich mit der Stirn gegen eine Felskante und wurde bewußtlos.

Zum Glück war meine Verletzung nicht schwer. Ich kam bald wieder zu mir. Als ich die Augen öffnete, traf mich sofort ein greller Lichtschein. Er rührte von Harsts Taschenlampe her. Sofort vernahm ich auch Harsts Stimme:

„Wie geht’s, mein Alter? Du hast Pech gehabt. Zu unserem Empfang war hier eine Streu aus Zweigen, Blättern und Moos bereit. Ich fiel ganz weich.“

Ich hob die schweren Lider abermals. Harst saß neben mir mit untergeschlagen Beinen und – rauchte eine Mirakulum.

„Liege ganz still und erhole Dich erst,“ meinte er. „Du warst immerhin eine halbe Stunde ohne Bewußtsein. – Wo wir uns befinden, weißt Du: im Innern des natürlichen Brückenpfeilers! – Wir kennen jetzt also das Geheimnis der Rätselbrücke und manches andere noch. Wir sind also wirklich den Leuten auf den Leim gegangen. Wer konnte aber auch mit einem solchen Trick rechnen?!“

Mein Kopf schmerzte noch zu sehr, als daß ich diese Sätze Harsts sofort hätte verarbeiten können. Ich verhielt mich regungslos und zergliederte ganz langsam Harsts Worte, fand darin schließlich so viel Unklares, daß ich leise fragte:

[22] „Was meinst Du mit – Trick?“

„Oh – die Negerin und den zahmen Jagdleopard, der das Weib so ohne besonderen Eifer verfolgte. – Begreifst Du nun, wie raffiniert die Bande es angestellt hat, meine Vorsicht zu schanden zu machen?!“

Ich schaute ihn an und sah, daß er lächelnd den Rauch der Zigarette von sich blies.

„Du – Du lachst – in einer solchen Lage!?“ meinte ich ganz verdutzt.

„Gewiß. Nichts ist scheußlicher, als das Gefühl, einer Gefahr gegenüberzustehen und doch nicht eründen zu können, wie sie sich äußern wird. So erging es mir vor der Brücke. Nun weiß ich, was Palperlon und Konsorten uns zugedacht hatten. Nun – sehe ich in allem vollständig klar.“ Eine kleine Pause. Dann ganz leise: „Mein lieber Schraut, Palperlon ist wirklich ein Mensch, der eine Verbrecherschule leiten könnte, eine Schule für Leute, die Gauner besseren Stils werden wollen. Zuweilen ist es beinahe ein geistiger Genuß, den Feinheiten seiner Pläne nachzuspüren.“


Ein neues Geräusch dicht neben mir ließ mich abermals, nach Stunden freilich erst, geblendet in den Lichtkegel der Taschenlampe blinzeln. Sofort Harsts Stimme über mir: „Erschrick nicht, wenn ich jetzt um Hilfe brülle.“ Die Lampe erlosch. „Palperlons Bande nähert sich der Brücke,“ fügte Harst hinzu.

Ich war jetzt wieder völlig im Besitz meines Denkvermögens.

„Hast Du denn gehört, daß Leute kommen?“ fragte ich, da mir dies bei dem Toben des reißenden Stromes sehr unwahrscheinlich dünkte.

„Gesehen habe ich sie, mein Alter. Es sind ein Europäer, den Du der Beschreibung nach kennst, und zwei Neger. – Hier hast Du Deinen Taschenspiegel zurück. Ich erlaubte mir, ihn Dir vorhin zu stehlen. Ich bilde mir etwas darauf ein, daß Du nicht erwachtest, als ich Dir in die Tasche faßte. Mit Hilfe Deines und meines Taschenspiegels habe ich mir so eine Art Fensterspion konstruiert gehabt, den ich oben an einem Stock zu der breitesten Spalte zwischen Falltür und Felsen hindurchschob. – Alles trifft ein, wie ich’s mir dachte. Du wirst Deine Freude haben, mit welcher scheinheiligen Biederkeit [23] und Hilfsbereitschaft Master Morrisson hier auftritt.“

Kaum harte er das letzte Wort ausgesprochen, als er auch schon in kurzen Pausen um Hilfe zu rufen begann. Nach einer Weile flüsterte er mir zu: „Gib acht, gleich geht die Komödie los!“

Er brauchte mich wahrhaftig nicht hierzu aufzufordern. Ich war viel zu begierig auf das, was nun folgen würde, um nicht beständig jetzt nach oben zu schauen.

Wieder erklang Harsts überlautes: „Hilfe – Hilfe!“

Der letzte Ton war noch nicht verhallt, als von oben her Antwort kam.

„He – wer schreit denn da so jämmerlich?“ hörte ich einen tiefen Baß brüllen. Der Mann mußte den Mund dicht an eine der Ritzen der Falltür gepreßt haben.

Zu meinem Erstaunen antwortete Harst gleichfalls auf Englisch: „Zwei Deutsche stecken hier in diesem verwünschten Loch. – Sucht nur neben der Plattform des Felsens! Es muß da irgendwo einen Strick geben, durch den die Falltür sich öffnen läßt. Seid aber vorsichtig, daß Ihr nicht hinabstürzt.“

Gleich darauf flutete das Tageslicht zu uns herein, und über dem Rande des Schachtes erschien sehr bald ein Kopf mit einem großen Schlapphut. Das konnte nur Morrisson sein! Der brandrote Vollbart sagte genug.

Eine Leine schwebe herab. Harst flüsterte: „Erst Du! Spiele den Kranken, mein Alter. Die blutige Beule an Deiner Stirn wirkt sehr überzeugend. Nenn’ auch ruhig Deinen richtigen Namen, ebenso den meinen, falls Morrisson Dich fragt.“

Ich wurde hochgehißt. Morrisson empfing mich mit den Worten: „Zum Donner, Master, wie seid Ihr denn da hinabgeraten?! Das scheint ja eine wahre Teufelserfindung zu sein! Ein Glück, daß wir auf einem Jagdausflug gerade hier vorüberkamen!“

Ich spielte den durch die Stirnverletzung arg Mitgenommenen recht naturgetreu. Wenn man früher mal Berufskomödiant gewesen ist, fällt einem eine solche Rolle nicht schwer.

Morrisson und die beiden Neger, zwei ältere, bärtige Sulus mit riesigen Wulstlippen, zogen jetzt Harst hoch. – Ach – welch ein glänzender Schauspieler wäre doch Harald Harst geworden! Es war eine Freude, zu beobachten, wie vorzüglich [24] er den Arglosen und Dankbaren mimte. Er drückte Morrisson die Hand, meinte: „Master – in dem Loche hätten wir verhungern müssen!“

Dann wurde die Falltür wieder mit Hilfe der Zugvorrichtung geschlossen. Morrisson und die Sulus taten weiter so, als hätten sie bisher keine Ahnung von dem Vorhandensein dieser Menschenfalle gehabt.

Harst bat, daß für mich eine Tragbahre hergestellt würde. Es geschah. Die Sulus schleppten mich dann nach der Schlucht, wo Mansa auf uns wartete. Auf dem Wege dorthin erzählte Harst dem „biederen“ Morrisson, daß wir Harst und Schraut hießen und[6] als Privatdetektive nach Kapland gekommen seien, um einen Landsmann zu suchen. Den Namen Knork verschwieg er. Morrisson seinerseits erklärte, er sei „Prospektor“, Goldsucher. Die Neger stellte er uns mit einer gewissen Wichtigkeit als den obersten Fetischpriester der Sulus, Master Okirupu, und den zweiten Ferischpriester, Master Diguru, vor.

„Es sind die beiden einflußreichsten Männer des Suluvolkes,“ fügte er hinzu.

Harst meinte nachher, ich müßte unbedingt einige Tage geschont werden; ob wir nicht in einem Suludorfe ein Unterkommen finden könnten. – Worauf Morrisson mit den beiden schwarzen Halunken in der Sulusprache zum Schein eine Weile verhandelte und schließlich erwiderte, Master Okirupu würde uns in seine Hütte aufnehmen. – Ich sagte soeben „zum Schein“. Sehr bald erfuhr ich ja, daß vonseiten Morrissons und der Neger hier ein abgekartetes Spiel vorlag. Die drei Schufte hätten uns auch ohne Harsts Bitte zu Okirupus in einem sogenannten heiligen Walde liegendem Heim gebracht.

Erst nach Anbruch der Dunkelheit setzte sich unser Zug in Bewegung. Wir langten gegen zwei Uhr morgens dann vor Okirupus Behausung an, ohne auch nur einen Menschen in all den Stunden getroffen zu haben, obwohl mehrere Negerdörfer dem Hundegekläff nach in der Nähe liegen mußten.


Daß Okirupu unter den Sulus eine Persönlichkeit von Bedeutung war, verriet schon sein Heim. Es bestand aus drei großen Steinhütten, die durch einen Zaun von Dornenflechtwerk umgeben waren. Uns beiden wurde die leere [25] Hälfte einer als Scheune dienenden Hütte angewiesen. Im Nu schleppten zwei Negerweiber für uns Matten, weichgegerbte Antilopenfelle als Decken und anderes herbei, um den Raum wohnlich herzurichten. Harst tat sehr müde, drückte Morrisson zum Gutenachtgruß wieder die Hand und lehnte eine Mahlzeit ab; er sei dem Umsinken nahe, erklärte er.

In unserem Verschlag brannten zwei durch Pflanzenöl gespeiste, primitive Lampen. Harst richtete mir ein Lager her, sagte sehr laut, ich solle nun einzuschlafen versuchen, gähnte wiederholt und streckte sich gleichfalls auf seine Matten aus, nachdem er die beiden Lampen ausgelöscht hatte. – Unsere Lagerstätten befanden sich an der aus Flechtwerk bestehenden Innenwand und zwar dicht nebeneinander. Harsts so stark hervorgekehrte Müdigkeit sagte mir, daß er es hierbei lediglich darauf abgesehen hätte bei Morrisson den Glauben zu erwecken, wir würden nun wie die Toten schlafen. Da ich bis hierher getragen worden war, fühlte ich mich vollkommen frisch. Es machte mir nicht die geringste Mühe, mich munter zu erhalten. Nach einer Stunde hörte Harst mit den unmelodischen Schnarchkonzert allmählich auf und raunte mir in längeren Pausen folgendes zu:

„Ich bin jetzt anderer Meinung geworden. Johannes Knork dürfte noch am Leben sein. Ich habe in dem hohlen Brückenpfeiler auch hierfür ziemlich sichere Beweise gefunden. Die Hauptsache ist, daß Morrisson in keiner Weise gegen uns Verdacht schöpft, wir könnten etwa wissen, wer er ist, das heißt, Palperlons Verbündeter. Sei also in allem überaus vorsichtig. Ich werde jetzt mal versuchen, die Hütte zu verlassen mich auf dem Hofe umzusehen. Bitte, beginne Du nun Deinerseits ein Schnarchkonzert, das sich nach zwei Schläfern anhört.“

Ich wollte Harst warnen. Mir erschien dieser nächtliche Rekognoszierungsgang reichlich gewagt. Aber Harst hatte sein Lager bereits verlassen, als ich die Hand ausstreckte, um ihn zurückzuhalten. Eine Ewigkeit dauerte es, bis er endlich wieder neben mir war.

„Die Schufte sind verdammt schlau,“ flüsterte er. „Ich bin nur bis an die Flechttür unserer Hütte gelangt. Denk’ Dir: im Hofe streichen ein paar Leoparden umher, entweder zwei oder drei. Wir können nicht heraus! Eine unangenehme Lage! Ich hätte so sehr gern die andere Hütte durchsucht, die [26] gleichfalls als Scheune dient. Na – abwarten! Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen! – Gute Nacht, mein Alter. Schlafe ohne Sorge ein. Man wird uns kein Haar hier krümmen. Erst wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat, kann er gehen – oder besser, wird er beseitigt werden! Die Halunken sind mit uns ja fraglos auf Umwegen hierher marschiert, damit niemand ahnt, daß Okirupu zwei Weiße bei sich beherbergt hat. – So, nun aber endgültig gute Nacht.“

Ich bedauere, daß ich hier nicht eingehender schildern kann, wie uns dann der folgende Tag verstrich. Ich würde viele Seiten dazu brauchen. Der Haushalt Okirupus enthielt ja für den Europäer genug Merkwürdiges. Der oberste Fetischpriester der Sulus besaß sechs Frauen. Diese machten sämtlich einen recht verschüchterten Eindruck. Sie schienen vor ihrem Herrn und Gebieter eine furchtbare Angst zu haben. – Morrisson spielte weiter den liebenswürdig besorgten und wohlmeinenden Retter. Im übrigen geschah bis zum Abend nichts, das irgendwie für unsere Angelegenheit beachtenswert gewesen wäre. Erst bei der gemeinsamen Mahlzeit in unserer Hütte, an der auch Morrisson und Okirupu teilnahmen, kam Morrisson etwas unvermittelt auf die religiösen Gebräuche der Neger zu sprechen, besonders auf den Vidu-Kult und den Souquiant, die Schlange mit dem Menschenkopf.

„Master Harst, dürfte es nicht für Sie recht interessant sein, einem der nächtlichen Fetischfeste beizuwohnen?“ meinte er dann. „Bekanntlich halten die Neger gerade den Vidu-Kult außerordentlich geheim. Okirupu hat sich nun auf meine Bitte hin bereit erklärt, Ihnen zu gestatten, das in dieser Nacht stattfindende Fetischfest als Zuschauer mitzumachen, wenn Sie versprechen, das Ihnen hierzu angewiesene Versteck nicht zu verlassen.“

Harst meinte ganz begeistert, dies Versprechen gebe er sehr gern ab. Nur bäte er, auch mich mitzunehmen.

Morrisson verhandelte mit Okirupu im Sulukauderwelsch und sagte dann, der oberste Fetischpriester würde mich an Ort und Stelle tragen lassen.

Gegen zehn Uhr, bevor der Mond aufging, bezogen Harst, Morrisson und ich dann unsere „Tribünenplätze“. Diese lagen auf der Höhe eines einzelnen Felsens rechts der Fetischhütte am Rande des heiligen Waldes, in dessen Mitte Okirupu hauste. [27] Um 11 ging der Mond auf. In kurzem füllte sich nun der Platz vor der Fetischhütte mit mehreren hundert Negern. Morrisson, der neben uns im Grase des oben stark verwitterten Felsens sich hingestreckt hatte, gab die nötigen Erklärungen ab. – Vor der Fetischhütte war ein Balken in die Erde eingegraben, der oben einen kurzen Querbalken hatte. Um dies geköpfte Kreuz herum brannten drei riesige Harzfackeln. Okirupu und drei andere Fetischpriester, gehüllt in bunte Fellmäntel und mit scheußlichen Rindenmasken vor den Gesichtern, tanzten zunächst eine Weile um den Balken herum, wobei sie sich ähnlich wie die tanzenden Derwische bewegten. Dann warfen sie sich plötzlich lang auf den Boden. In demselben Moment erblickte ich an den Balken des geköpften Kreuzes eine riesige Schlange, die mit dem hin und her pendelnden Kopf nach unten hing. Wenige Sekunden später erhob sich einer der Fetischpriester, ergriff einen Dolch und stieß ihn sich durch den linken Unterarm.

Morrisson flüsterte uns zu. „Sehen Sie – die Schlange hängt frei in der Luft!“

Ich schaute hin. Der Balken war verschwunden. Aber die Schlange hatte noch genau dieselbe Stellung inne wie vorhin, schwebte also scheinbar frei in der Luft. – Ich gebe zu, daß dies auf mich mehr Eindruck machte als alles, was ich bisher an derartigen Vorführungen gesehen hatte. – Näher kann ich hier auf das Vidu-Fest nicht eingehen. Es folgten für jeden Europäer geradezu abstoßende Abschlachtungen von Hühnern, Affen und Ziegen, wobei stets der Souquiant eine gewisse Rolle spielte; dann schloß sich ein Gelage an, bei dem die Neger sich bis zur Bewußtlosigkeit volltranken. – Um drei Uhr morgens waren wir wieder in unserer Hütte. Morrisson schwärmte geradezu von den geheimnisvollen Fähigkeiten der Fetischpriester. Er hatte sich auf eine Matte gesetzt und holte nun aus der Tasche – ein quadratisches Stück Papier hervor, erklärte dabei sehr geheimnisvoll: „Master Harst, würden Sie mir einen Gefallen tun? Sie sind doch Detektiv und dürften auch hiervon etwas verstehen. Diese merkwürdige Zeichnung hat mir Okirupu geschenkt. Der, der sie enträtselt, soll in den Besitz großer Reichtümer gelangen. Ich vermag aus der Skizze nicht klug zu werden. Würden Sie sich die Zeichnung einmal ansehen?“

Da begriff ich plötzlich alles: Harsts Andeutungen, daß [28] unser Hirn Palperlons Spießgesellen etwas wert sei, ferner die Bemerkung von dem Mohr, der seine Schuldigkeit getan hatte!

Harst nahm die Skizze, nickte und fragte leise: „Kann Okirupu uns auch nicht belauschen? Es dürfte ihm vielleicht nicht recht sein, daß ich –“

„Oh,“ rief Morrisson eifrig, „Sie haben ja gesehen, daß die Fetischpriester noch beim Vidu-Fest zu tun hatten. Wir sind jetzt hier ganz sicher.“

Kaum hatte er dies ausgesprochen, als Harst wie ein Blitz hochschnellte und Morrissons Hals umklammerte.

„Fessele ihn!“ rief er mir keuchend zu, denn der Rothaarige wehrte sich verzweifelt. Es half ihm aber nichts. Als er nun gebunden und geknebelt vor uns saß und uns mit wutverzerrtem Gesicht tückisch anstierte, gab mir Harst den Befahl, Morrisson bei der ersten verdächtigen Bewegung niederzuschießen. Er verschwand dann aus der Hütte. Die Leoparden waren noch eingesperrt, wie ich wußte. Es dauerte gut zehn Minuten, dann – drei – vier dumpfe Knalle wie von Schüssen, die in einem geschlossenen Raum abgegeben worden sind. Abermals fünf Minuten. Und nun – erschien Harst sehr eilig, stützte einen zweiten Mann, einen zum Skelett abgemagerten Weißen, dessen Bart und Kleidung schon allein eine lange Kerkerhaft verrieten.

„Schnell!“ meinte Harst, „die Pferde stehen bereit. Wir müssen fliehen. – Dies hier ist unser Landsmann Knork –“

In wilder Hast wurde Morrisson auf das Packpferd gebunden. Der Generalkonsul bekam das Pferd Mansas, unseres Führers. Zu meinem Erstaunen schlossen sich uns auch Okirupus Frauen sämtlich an. Sie und Mansa zeigten in dieser Nacht, wie gut die Sulus zu Fuß sind. Obwohl wir weite Strecken im Trab zurücklegten, hielten sie mit den Pferden stets gleichen Schritt. Nach zwei Stunden erreichten wir die nächste Polizeistation. Hier war es mit des Generalkonsuls Kraft zu Ende. Er sank ohnmächtig vom Pferde.

Harst teilte dem Korporal der Station in Eile das Nötige mit. Dieser benachrichtigte sofort telephonisch vier andere Stationen und ritt dann mit fünf Leuten davon. Inzwischen hatten wir Herrn Knork wieder ins Bewußtsein zurückgerufen. So matt er sich auch fühlte: er konnte sich gar nicht genug tun mit Worten herzlichsten Dankes für seine Befreiung, auf [29] die er kaum noch gehofft hatte. – Harst erklärte dann den Zusammenhang der letzten Ereignisse in Gegenwart Morrissons folgendermaßen:

„Daß die Papierkugel in der Distel von Ihnen, Morrisson, für Palperlon bestimmt worden war, werden Sie kaum leugnen können, ebensowenig, daß das von dem Leoparden verfolgte Weib das Lockmittel war, uns zu veranlassen, in wilder Hast die Brücke zu passieren. Wir sollten eben blindlings in die Falle hineinrennen, aus der Sie uns dann deshalb befreiten, um Anspruch auf unsere Dankbarkeit zu haben. Palperlon konnte nämlich die Skizze nicht enträtseln, die er in Bremen in der Knorkschen Villa abgezeichnet hatte, und da sollte ich nun den hilfreichen Geist abgeben. Ein sehr feiner Gedanke! Leider kam ich aber schon in der Höhlung des[7] Brückenpfeilers hinter dieses raffinierte Spiel. Ich fand dort nämlich die Originalskizze, die Sie Herr Knork, in einer Ritze versteckt hatten, nachdem man Sie ähnlich wie uns auf die Brücke gelockt und in das Felsloch hinabbefördert hatte. Als ich mir die Originalskizze ansah, erkannte ich sogleich, daß Sie die Vorsicht gebraucht hatten, eine Zeichnung zu entwerfen, aus der nur Sie selbst klug werden konnten. Ich vermutete daher, daß man Sie durch eine lange Gefangenschaft hätte zwingen wollen, die Lage der Mine zu verraten. Wo Sie gefangen gehalten wurden, wußte ich in demselben Augenblick, als wir Okirupus Heim erreichten, das inmitten des heiligen Waldes, dessen Betreten den Negern verboten ist, sich am besten hierzu eignete. Daß Morrisson uns das Vidu-Fest mitansehen ließ, geschah ebenfalls nur deshalb, um mich für ihn noch günstiger zu stimmen. – Die drei Jagdleoparden, die Ihren Kerker, Herr Knork, in der zweiten Scheunenhütte tagsüber bewachten, erschoß ich ungern. Es mußte aber sein. Ich hätte die prächtigen Tiere lieber mit nach Europa genommen. Okirupus Weiber waren froh, als ich ihnen gestattete mit uns zu fliehen. Er ist ein vertiertes Scheusal, das an den Galgen gehört. – So, und nun frage ich Sie, Morrisson: Wo steckt Palperlon? – Mann, reden Sie! Treten Sie gegen Palperlon als Kronzeuge auf, dann gehen Sie straffrei aus!“

Morrisson schüttelte den Kopf. „Master Harst, würde ich an Palperlon zum Verräter werden, dann lebte ich ja doch nicht mehr lange. Ich kenne ihn!“

[30] Dabei blieb er. Er wurde später zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. –

Erst mittags kehrten die berittenen Polizisten nach der Station zurück. Sie brachten sowohl Okirupu als auch die drei anderen Fetischpriester mit, die sie nach langer Hetze schließlich doch erwischt hatten. – Okirupu wurde zum Tode verurteilt und gehängt. Man konnte ihm nicht weniger als 22 Morde nachweisen, die er mit Hilfe der Rätselbrücke verübt hatte. – Dasselbe Schicksal ereilte den zweiten Fetischpriester. Auch er mußte baumeln. Das Suluvolk atmete auf, als es von diesen Mördern befreit war, die ein richtiges Schreckensregiment geführt hatten.

Generalkonsul Knork erholte sich langsam und reiste dann nach Deutschland zurück.




Die Rose von Rondebosch.

„Die Stadt liegt wirklich wundervoll,“ sagte Harald Harst zu mir und deutete hinab auf das an der Südseite der Tafelbai sich hinziehende und mit seinen modernen Häusern, geraden Straßen und großen Parkanlagen so ganz europäisch wirkende Kapstadt, den Sitz der Regierung der englischen Kapkolonie.

Wir standen auf der Spitze des 1082 Meter hohen Tafelberges, [31] hatten zur Rechten den Teufels- und zur Linken den Löwenberg, die die prächtige Stadt und ihre Umgebung amphitheatralisch im Westen und Süden einschließen. Wir waren nicht allein auf der Höhe des Tafelberges. Den warmen, sonnigen Vormittag hatten noch andere Ausflügler zu einer Partie nach der tafelförmigen Kuppe benutzt.

Harst holte sein Zigarettenetui hervor und hielt es mir hin.

„Bitte, bediene Dich, lieber Schraut – Ich fürchte mit unseren Ferien ist’s vorbei. Uns wird sofort ein älterer Herr ansprechen, der soeben sehr eilig den steilen Pfad heraufgekeucht kam, dann die zwei Dutzend Menschen hier oben prüfend musterte und nun nur noch Augen für uns hat. Ich kenne ihn nicht. Es ist fraglos ein wohlhabender Engländer und zwar ein Einheimischer. Ein so stark gebräuntes Gesicht findet man nur bei denen, die jahrelang unter der heißen Sonne Afrikas lebten. Der Herr ist verheiratet und dürfte 50 Jahre alt sein. Er ist Liebhaber von Diamanten. Seine Ringe und seine Busennadel stellen ein Vermögen dar. Aber – er hat Sorgen. Er sieht verstört aus. Ich wette, er hat aus den hiesigen Zeitungen erfahren, daß ich seit drei Tagen hier im Hotel Atlantik wohne, ist im Hotel gewesen, hat nach uns gefragt und wird von unserem Landsmann und Zimmerkellner den Bescheid erhalten haben, wir hätten eine Tour nach dem Tafelberg unternommen.“

Hinter uns – denn wir standen dicht am steilen Abhang – jetzt ein tiefe Stimme:

„Gestatten die Herren eine Frage –“

Wir wandten uns um. Ein Herr mit grauem Spitzbart lüftete den breitrandigen Strohhut.

„Habe ich die Ehre, Herrn Harald Harst vor mir zu sehen? Mein Name ist Jones Fitzgerald.“

Sein Deutsch war fließend. Der Eindruck, den er auf den ersten Blick machte, recht sympathisch. Er war hager und groß und für seine Jahre fast zu modern gekleidet.

„Ich bin Harald Harst,“ erklärte dieser höflich. „Dies hier mein Freund und Privatsekretär Schraut. – Ich kann nur annehmen, daß Ihnen etwas Unangenehmes passiert ist, Herr Fitzgerald. Sie haben sehr wahrscheinlich im Hotel gehört, daß wir hier zu finden seien.“

Jones Fitzgerald tupfte sich die Schweißperlen von der [32] Stirn. Seine Hand zitterte. In seinen grauen, großen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Angst.

„Sie haben recht, Herr Harst. Ich war soeben in Ihrem Hotel,“ antwortete er überhastet. „In meiner Villa ist in der verflossenen Nacht ein rätselhafter Diebstahl verübt worden. – Ich übertreibe wirklich nicht: die Sache ist völlig unerklärlich. Wäre dem nicht so, würde ich es wahrhaftig nicht wagen, Sie mit der Bitte zu belästigen, mir zu helfen, diese geheimnisvolle Angelegenheit aufzuklären. Ein Mann von Ihrem Weltruf – jede Schmeichelei liegt mir fern – gibt sich kaum mit Lappalien ab. – Um es kurz zu sagen: mir ist ein Edelstein gestohlen worden, der unter dem Namen „Die Rose von Rondebosch“ eine gewisse Berühmtheit besitzt, – ein Stein von zartrosa Färbung, die äußerst selten ist, und von der Größe eines Taubeneis.“

„Ich habe von dem Stein bereits gehört, Herr Fitzgerald. Ich bin gern bereit, mit nach Ihrer Villa zu kommen. – Gehen wir also. – So, vielleicht sagen Sie mir nun, wo und wie Sie wohnen, wo der Stein aufbewahrt wurde und ob Sie gegen irgend jemand Verdacht haben.“

Der Pfad ist schmal, der zur Bergkuppe führt, so daß ich hinter den beiden Herren bleiben mußte. Trotzdem vernahm ich jedes Wort, denn Fitzgeralds Stimme war sehr kräftig.

„Ich wohne in dem Villenvorort Rondebosch südlich von Kapstadt, Herr Harst,“ begann der Engländer. „Ich bin alleiniger Eigentümer der Exportfirma Blaker und Fitzgerald. Mein Kompagnon starb vor vier Jahren. Meine Villa liegt abseits in einem großen Park. Ich bin verheiratet. Meine Frau weilt seit drei Monaten in London bei –“ eine kurze Pause – „bei einem Spezialarzt. Sie leidet an Netzhautablösung, – falls Sie diese gefährliche Augenerkrankung kennen. Kinder haben wir nicht. Bei uns wohnt jedoch ein Neffe meiner Frau, der in meinem Geschäft zweiter Kassierer ist. Er heißt Edward Pook. Außer ihm befinden sich in der Villa noch ständig die Köchin, ein Stubenmädchen und ein Gärtner. Diese drei sind Engländer wie ich. Dann habe ich noch zwei schwarze Diener, die seit acht Jahren in meinem Dienst stehen. Mithin hat die Villa zur Zeit außer mir und Edward noch fünf Bewohner. Die beiden Schwarzen sind jedoch in einem Nebengebäude untergebracht, und Simpson, der Gärtner, haust am Parkeingang in einem kleinen Häuschen, so daß sich in der [33] vergangenen Nacht nur vier Personen in der Villa selbst aufhielten: die Köchin, das Stubenmädchen, Edward und ich.“

Zu meinem Erstaunen schnitt Harst setzt ein anderes Thema an: Augenkrankheiten! – Er erkundigte sich teilnehmend nach Frau Fitzgeralds Augenübel und bewies, daß er über Netzhautablösung besser Bescheid wußte als Jones Fitzgerald selbst. Als dieser das Gespräch wieder auf den Diebstahl bringen wollte, meinte Harst, das weitere möchte er sich lieber am Tatort schildern lassen.

Gegen zwölf Uhr mittags langten wir vor dem Parktor der Besitzung Fitzgeralds an. Schon die Mauer aus Backsteinen, das schmiedeeiserne Tor und das Gärtnerhäuschen daneben verrieten, daß Fitzgerald sehr reich sein mußte. Alles hier trug den Stempel des Gediegenen und bewies auch Geschmack. Die Villa lag in einer Lichtung des Parkes hinter einer weiten Rasenfläche, war im italienischen Stil gebaut und hatte zwei Stockwerke. Wir trafen vor dem Hause den Gärtner an, der ein Zierbeet frisch bepflanzte. Fitzgerald nickte dem Manne zu und fragte: „Was Neues, Simpson?“

„Nichts, Herr Fitzgerald.“

Simpson war ein schon bejahrter Mann mit kurzem Vollbart und einem Buckel. Den Kopf trug er schief wie Leute, deren Nackenmuskeln nicht in Ordnung sind.

Wir gingen weiter – „Simpson hat mal einen Negerspeer ins Genick bekommen,“ sagte Jones Fitzgerald so nebenbei. „Er ist ein unruhiger Geist. Auch so etwas Abenteurernatur, wie ich es einst war.“

Dann führte er uns in den ersten Stock der Villa in ein großes, dreifenstriges Vorderzimmer, das direkten Zugang vom Flur hatte und das Fitzgerald erst aufschließen mußte.

In dem Zimmer war’s blendend hell. Die Fenster hatten nur gelbe Sonnenvorhänge, die jetzt zurückgezogen waren. Man glaubte sich hier in einem Museum zu befinden.

Fitzgerald blieb in der Mitte unter dem elektrischen Kronleuchter stehen. – „Ich sammle afrikanische Altertümer und Raritäten, Herr Harst,“ erklärte er mit einer Handbewegung auf die großen Glasschränke ringsum und die Tische mit Glaskästen. Er schritt auf ein einzelnes Tischchen an einem Fensterpfeiler zu, auf dem ein kleiner, viereckiger, flacher [34] Glaskasten stand, der mit schwarzem Samt ausgeschlagen war. Seine Stimme vibrierte, als er fortfuhr:

„Hier wurde der rosa Diamant aufbewahrt, den man jetzt Rose von Rondebosch nach meinem Wohnsitz nennt. Als ich heute um acht Uhr früh dieses Zimmer betrat und die in die Wände eingelassenen eisernen Fensterschiebeladen aufschloß und zurückschob, galt wie immer mein erster Blick diesem Glaskasten. Aber – er war leer. Sie sehen, Herr Harst, der Kasten ist verschlossen und ganz unbeschädigt. Er hat ein Kunstschloß, zu dem nur ich den Schlüssel besitze. Jeden Abend schließe ich die Fensterladen und ebenso die beiden Türen zu diesem Zimmer, die gleichfalls derart gesichert sind, daß kein Unberufener sie öffnen kann. Ihre Kunstschlösser sind so eingerichtet, daß mit Nachschlüsseln daran nichts auszurichten ist. Und doch ist der Stein gestohlen worden. Ich wollte zuerst sofort die Polizei benachrichtigen. Dann besann ich mich, Ihren Namen in einer hiesigen Zeitung gelesen zu haben. Deshalb wollte ich zunächst Sie bitten –“

„Danke,“ meinte Harst zerstreut. „Wo bewahren Sie die Schlüssel zu den Kunstschlössern auf, Herr Fitzgerald?“

Hier wurden wir durch den Eintritt der Köchin gestört, einer hageren, unfreundlich aussehenden Person, die ihren Herrn im Auftrage des Gärtners fragte, ob dieser in die Stadt gehen und Grassamen einkaufen dürfe.

„Gewiß doch,“ meinte Fitzgerald ungeduldig. „Bessy, diese Herren hier bleiben heute zu Tisch. Richten Sie das Essen danach ein.“

Die Köchin ging wieder. Sie hatte uns nicht gerade liebenswürdig gemustert.

„Sie ist seit neun Jahren bei uns,“ sagte Fitzgerald wie entschuldigend. „Sie hat ihre Eigentümlichkeiten, hängt aber sehr an meiner Frau. – Herr Harst, die Schlüssel befinden sich stets in einem Stahlschrank in meinem Schlafzimmer. Ich gebe sie nie aus der Hand.“

Harst begann dann auf seine Weise das Zimmer zu durchsuchen. Das dauerte über eine Stunde. Darauf wandte er sich an Fitzgerald.

„Sie haben nicht zu viel gesagt. Dieser Diebstahl ist in der Tat rätselhaft und interessiert mich. – Waren Sie heute bereits in Ihrem Geschäft? Wenn nicht, so lassen Sie sich bitte nicht stören und gestatten Sie uns, bis zu Ihrer Rückkehr [35] das Haus und den Park zu besichtigen. Sie können uns hier ja kaum irgendwie helfen. Im Gegenteil – ich arbeite lieber allein. Sie verstehen mich, Herr Fitzgerald: ich brauche Ruhe zum Überlegen und zu einer Aussprache mit meinem Freunde Schraut.“

Fitzgerald schien es sehr lieb zu sein, daß wir ihn entbehren wollten. Er ließ durch einen der Negerdiener einen Einspänner vorfahren, reichte uns die Hand und war bald in der Allee nach dem Parktor hin verschwunden. Wir standen auf der Freitreppe der Villa und schauten ihm nach. Harst schob dann seinen Arm in den meinen und sagte: Bummeln wir durch den Park. Dort kann uns niemand belauschen.“

„Hast Du bereits irgend etwas entdeckt?“ fragte ich gespannt.

„Verschiedenes, mein Alter.“

Wir begegneten dem schwarzen Diener, der seinem Herrn das Parktor geöffnet hatte. Es war ein schlanker Kaffer mit recht intelligentem Gesicht. Harst sprach ihn an.

„Wie lange bist Du bereits hier im Dienst?“ fragte er auf Englisch.

„Acht Jahre, Master.“

Harst wollte dann noch allerlei anderes wissen. So auch, ob Frau Fitzgerald bereits längere Zeit an den Augen leide.

Der Schwarze erklärte, er wisse nichts darüber. Nur daß Mistreß Fitzgerald zum Arzt nach London gefahren sei. –

Harst hatte dann plötzlich großes Interesse für die Nebengebäude hinter der Villa. Es waren dies ein Stall, eine Wagenremise und eine Wasch- und Wirtschaftsküche, die einen kleinen Hof einschlossen. Der Schwarze führte uns umher. Im Stall stand nur ein Pferd, ein brauner, obwohl sechs Boxen vorhanden waren.

„Master Fitzgerald hat jetzt nur zwei Pferde,“ erklärte der Diener auf Harsts Frage. „Die vier anderen sind vor einem halben Jahr verkauft worden.“

In der Remise hingen an der Wand zwei Autoschläuche. Der Neger gab Harst Bescheid, daß Master Fitzgerald das Auto abgeschafft habe, nachdem er einmal beinahe damit verunglückt wäre.

„In welcher Weise?“ wollte Harst wissen.

„Oh Master; es war gar nicht so schlimm mit dem Unfall. Ich bin als Chauffeur ausgebildet. Master Fitzgerald [36] lenkte damals den Wagen. An einer Biegung gerieten wir in den Straßengraben. Aber Master Fitzgerald wollte von da an nichts mehr mit Autos zu tun haben. So wurde denn der schöne, neue Wagen verkauft.“

Harst entließ den Schwarzen jetzt. Wir gingen eine Allee entlang, die nach einem Pavillon führte.

„Was hast Du denn entdeckt?“ fragte ich. „Mir scheint, Du beargwöhnst Fitzgerald selbst. Daß Du ihn so halb und halb wegschicktest, machte mich stutzig.“

Harst blieb stehen. „Lieber Alter, zunächst ist das eine sicher, daß Frau Fitzgerald nicht augenkrank ist. Ihr Mann behauptete, sie leide seit zwei Jahren an Netzhautablösung. Und dabei hat er als ihr Gatte von diesem Augenübel so gut wie gar keinen Schimmer. – Merktest Du, daß er eine etwas zu lang gereckte Pause machte, als er von dem Spezialarzt sprach. Für diese Pause lag kein Grund vor, wenn Frau Fitzgerald wirklich zur Befragung eines Spezialisten nach London gefahren wäre. Ich bezweifle dies sehr stark. Auffallend ist doch auch, daß ein Diener, der doch in acht Jahre mit seiner Herrschaft eng verwachsen sein muß, nichts von einer solchen Erkrankung weiß. Jedenfalls stimmt in diesem Punkte irgend etwas nicht. – Das wäre Nummer eins. Dann weiter: Jones Fitzgeralds ganzes Benehmen drückte nicht lediglich Bestürzung und Ärger über den rätselhaften Diebstahl aus, sondern auch Angst, – irgend eine Angst vor irgend welchen Folgen, die dieses Verschwinden des Steines nach sich ziehen könnte. Vielleicht hegt er Mißtrauen gegen den Neffen seiner Frau. Diese scheint nach des schwarzen Dieners Andeutungen sehr verwöhnt und sehr launenhaft zu sein. Auch diese Angst Fitzgeralds werden wir beachten müssen. – Drittens: der Diamant kann nur mit Hilfe der richtigen oder doch tadellos gearbeiteter Nachschlüssel gestohlen worden sein. – So, nun wollen wir umkehren und uns von dem Stubenmädchen das Haus zeigen lassen. Denke daran, daß das Personal noch nichts von dem Diebstahl weiß. Wir sind harmlose Bekannte Fitzgeralds. Benimm Dich danach.“


Als wir im Salon nun allein waren, setzte sich Harst an den Flügel und begann zu phantasieren.

[37] Mitten in der Tannhäuserouvertüre brach er plötzlich ab, zog mich hinaus auf den breiten Balkon und flüsterte:

„Ich kann mich irren. Aber – ich glaube es nicht: Fitzgerald hat den Stein selbst gestohlen. Du hast wohl gemerkt, daß ich das Stubenmädchen so hinten herum nach der Vermögenslage Fitzgeralds aushorchte, genauer, daß ich weiteres Material sammeln wollte ähnlich dem, wie es die verkauften Pferde und das verkaufte Auto darstellen. Das Mädchen ahnte nicht, daß sie mir tatsächlich neue Anhaltspunkte dafür gab, daß es mit Fitzgeralds Geschäft schlecht stehen muß, daß er dies aber zu verheimlichen sucht. – Wenn wir alles berücksichtigen, was uns bisher hier aufgestoßen ist, können wir folgendes mutmaßen: Frau Fitzgerald, die um viele Jahre jünger als ihr Gatte und offenbar sehr eitel ist, hat etwas toll gewirtschaftet und ihren Mann in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, die vor einem halben Jahr sich fühlbar zu machen begannen. Fitzgerald schränkte darauf hin die Kosten für den Haushalt ein. Seiner Frau mag dies nicht gepaßt haben. Es gab ein Zerwürfnis zwischen den Ehegatten, und die Frau reiste nach London zu ihren Eltern. Um dieser Trennung vor der Welt ein harmloses Mäntelchen umzuhängen, erfand Fitzgerald das Augenleiden, von dem ja auch das Stubenmädchen so merkwürdig wenig wußte. Jetzt steckt Fitzgerald bereits so böse in Zahlungsschwierigkeiten, daß er den Edelstein heimlich veräußern will. Er möchte jedoch auf keinen Fall etwas von seinen Sorgen in die Öffentlichkeit dringen lassen und „stiehlt“ daher selbst den Stein, den er als alter Diamantensucher zerschneiden und die Stücke umschleifen kann. Dann darf er diese Stücke getrost verkaufen.“

„Hm. Mir gefällt diese Theorie nicht sonderlich,“ sagte ich kopfschüttelnd. „Bedenke: wird Fitzgerald gerade Dich hinzuziehen, um diesen –“

„Gerade mich!“ meinte Harst. „Gerade mich, lieber Alter, – denn das schützt ihn gegen den Verdacht, selbst der Dieb zu sein, seiner Ansicht nach am besten. – Wer Harst um Beistand ersucht, muß doch wohl ein reines Gewissen haben, – so soll die Welt denken! – Seine schlecht verhehlte Angst wäre auf diese Art ebenfalls genügend erklärt: er fürchtet, ich könnte ihn durchschauen. Anderseits hofft er aber, mein [38] Name sichert ihn gegen jedes Mißtrauen von seiten der öffentlichen Meinung.“

Harst hatte mit diesen Ausführungen nicht so ganz unrecht, wie ich sehr wohl einsah. Als ich dies gerade aussprechen wollte, hörten wir im Salon Schritte. – Wir lernten nun Edward Pook kennen, einen vielleicht 28jährigen, bartlosen Herrn von sehr gemessenem Wesen, so recht einer jener Engländer, die uns Deutschen als die verkörperte Temperamentlosigkeit und Unnahbarkeit erscheinen.

„Mein Onkel hat mich hergeschickt, um den Herren Gesellschaft zu leisten, sagte er. „Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen bekannt zu werden, Herr Harst. Ich hätte nur gewünscht, daß nicht gerade diese unangenehme Veranlassung Sie in das Haus Onkel Jones geführt hätte.“

Wir nahmen wieder im Salon Platz. Pook begann über den Diebstahl eine schleppende Unterhaltung. Ihn schien das Verschwenden des wertvollen Steines ziemlich kalt zu lassen. Harst war ebenfalls sehr zugeknöpft und wurde erst lebhafter, als Pook erwähnte, sein Onkel hätte den Diebstahl nun doch der Polizei gemeldet.

„Das ist nur richtig,“ meinte Harst. „Die Behörde darf nicht übergangen werden, schon um Mißdeutungen vorzubeugen.“

Dabei sah er Pook so scharf an, daß selbst dieser Automat unruhig wurde, errötete und fragte: „Mißdeutungen?! Ich verstehe Sie nicht ganz, Master Harst.“ Er sprach englisch, obwohl er vermutlich auch das Deutsche beherrschte. Aber er war eben ein waschechter Brite, der sich etwas zu vergeben glaubte, wenn er eine fremde Sprache gebrauchte.

„Gewiß, – Mißdeutungen insofern, als die Polizei sich verletzt fühlen könnte wenn sie nicht hinzugezogen wird,“ erwiderte Harst.

Pooks Benehmen blieb leicht verlegen. Ich merkte, daß Harst ihn absichtlich durch prüfende Blicke verwirren wollte. Sehr bald erschien dann ein Detektivinspektor namens Garner aus Kapstadt mit einem Beamten. Garner war uns gegenüber von einer eisigen Höflichkeit. Da Fitzgerald Harst den Türschlüssel zum Museum übergeben hatte, bat Pook nun um diesen Schlüssel und begleitete die Beamten nach oben. Wir blieben im Salon. Harst setzte sich neben mich auf das Sofa.

[39] „Sehr ungemütlich hier für uns!“ meinte er. Dieser Pook verdient ein Fragezeichen. Der Bursche gefällt mir nicht. Und dieser Inspektor Garner noch weniger.“

Gut zwanzig Minuten vergingen. Dann kam Garner allein zurück. Sein Gesicht drückte schlecht verhehlten Triumph aus. Sehr im Gegensatz zu seinem Benehmen vorhin zeigte er jetzt Harst gegenüber eine wortreiche Liebenswürdigkeit.

„Sie haben das Zimmer oben doch auch durchsucht, Herr Harst,“ sagte er nach einigen vorbereitenden Sätzen. „Ist Ihnen dieser Knopf entgangen, der hinter dem Glaskasten auf dem kleinen Tischchen lag?“ Er holten einen braunen Knopf aus der Westentasche hervor, an dem noch ein paar Zwirnfäden hingen, und reichte ihn Harst mit einem Lächeln, das etwa sagen sollte: „Siehst Du, – wir hier in Kapstadt haben doch bessere Augen als Du!“

Harst besah den Knopf, erwiderte aber nichts. Garner fügte daher hinzu: „In Edward Pooks Zimmer fand ich die Hausjoppe, an deren rechtem Ärmelaufschlag dieser Knopf fehlt. – Ich bitte Sie beide aber, hierüber zu schweigen.“

„Das ist selbstverständlich,“ erklärte Harst. „Der Fund ist fraglos belastend.“

Hätte Warner Harst so gekannt, wie ich meinen Harald kenne, würde er wohl die Ironie aus diesem letzten Satz herausgemerkt haben. So aber sagte er vertraulich: „Pook ist Spieler und wettet gern. In der Stadt ist er wenig beliebt. Sein Vater[8] war General in der indischen Kolonialarmee, und er ist genau so eingebildet auf seinen Namen wie Frau Lizzie Fitzgerald auf den ihres Vaters.“

„Haben Sie Pook verhaftet?“ fragte Harst schnell.

„Nein. Noch nicht. Ich habe ihn gebeten, auf sein Zimmer zu gehen und mich dort zu erwarten. Ich tat so, als hätte ich etwas Vertrauliches mit ihm zu besprechen. – Was meinen Sie, Master Harst, genügt der Knopf nicht vollständig zu einer Verhaftung?“

„Oh – darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben. – Hat Pook sehr viel Schulden?“

„Ob er Schulden hat, weiß ich nicht. Aber alle Spieler sind höchst zweifelhafte Charaktere.“

Harst nickte. Garner stand vor ihm und überlegte. „Hm – Fitzgerald ist einer der angesehensten Bürger der Stadt,“ [40] meinte er. „Bei Pook als seinem Neffen muß man vorsichtig sein. Ein polizeilicher Mißgriff könnte mir einen bösen Wischer von oben einbringen. Ich werde mit der Verhaftung doch noch warten. – Wie denken Sie über diesen Diebstahl, Herr Harst?“

Aha! Jetzt wollte Garner den berühmten deutschen Konkurrenten also doch ausnutzen.

Harst schlug in seinem Sessel nachlässig ein Bein über das andere, zuckte die Achseln und erwiderte zu meiner großen Überraschung:

„Der Knopf ist belastend, aber – nicht für Pook! Ich habe den Knopf vorhin, als ich oben im Museum war, ruhig hinter dem Glaskasten liegen lassen. Ich als Fremder durfte nichts berühren, da ja vielleicht die Polizei noch den Tatort in Augenschein nehmen konnte. Knöpfe sind mir im übrigen als Beweisstücke bei Verbrechen wenig interessant. Sie bilden das ständige Handwerkzeug von Schriftstellern, die Kriminalgeschichten verfassen. – Wie sollte wohl der Dieb, der mit einem Schlüssel den Glaskasten, dessen Scheibe nach der Seite hochzuklappen ist, geöffnet hat, den Knopf vom Ärmel gerade so verlieren, daß dieser Knopf hinter den Kasten zu liegen kommt?! Das ist ganz unnatürlich. – Den Knopf hat jemand dorthin gelegt, um den Verdacht auf Pook zu lenken. Insofern war mir der Knopf also doch wertvoll. Pooks Hausjoppe sah ich gleichfalls in seinem Schlafzimmer hängen, als wir die Villa besichtigten. Im übrigen, Master Garner, ist der Knopf vom Ärmel dieser Joppe gewaltsam abgedreht worden, wie mir die zusammengerollten Fadenreste am Stoff bewiesen. Wenn Sie den Mann finden, der den Knopf hinter den Glaskasten tat, haben Sie auch den Dieb.“

Garner lächelte zweifelnd. „Ich kann Ihnen in alledem nicht beipflichten, Master Harst. In das Museum kann selbst am Tage niemand hinein. Wenn die Mädchen dort reinmachen, bleibt Fitzgerald sogar dabei. Der Dieb kann nur jemand sein, der sich für kurze Zeit die richtigen Schlüssel zu verschaffen wußte[9]. Dazu hat Pook die beste Gelegenheit – nur er! – So, nun werde ich zu Pook nach oben gehen und zum Schein mich mit ihm eine Weile unterhalten. Ich kann nicht anders: ich bleibe bei meinem Verdacht, werde jedoch noch mehr Belastungsmaterial sammeln. – Auf Wiedersehen, [41] Master Harst. Es sollte mich freuen, wenn Sie die Beweise herbeischafften, daß Pook unschuldig ist.“

Er verbeugte sich und schritt sehr selbstbewußt hinaus.

„Weshalb sagtest Du mir nichts von dem Knopf und der Joppe!“ rief ich sofort leise und etwas ärgerlich. „Du hast Dir die Villa doch nur deshalb angesehen, weil Du nach dem Kleidungsstück Dich umschauen wolltest, zu dem der Knopf gehörte!“

Harald schaute mich mit einem sonderbaren Blick an und erklärte. „Pook muß einen Feind haben, besser, – es gibt einen Menschen, der Pook haßt. Ob es Jones Fitzgerald ist? – Dieser Fall hier, mein Alter, ist recht verzwickt. Wenn wir an unsrer vorhin aufgestellten Theorie, daß Fitzgerald den Stein verkaufen will, festhalten, dann ist dieser Fitzgerald ein Lump, der seinen Neffen, den Neffen seiner Frau, in Ungelegenheiten bringen möchte. Danach sieht der Mann aber nicht aus. Ich besitze genug Menschenkenntnis, um Spreu vom Weizen trennen zu können. Einem verschuldeten Kaufmann von Jones Fitzgeralds ganzem Auftreten und Wesen darf man wohl die Vortäuschung eines Diebstahls zutrauen, bei dem niemand geschädigt wird, nicht aber eine solche Schurkerei, durch einen Knopf einen Unschuldigen in Verdacht bringen zu wollen. Wenn ich Dir vorhin diese erste Theorie aus dem gegebenen Material entwickelte, so geschah es nur, damit Du, sobald dieser Knopf eine Rolle zu spielen begann, sofort erkennen solltest, wie sehr wir hier noch im Dunkeln tappen und –“

In diesem Moment flog die Salontür auf. Garner stürmte herein, rief in einer Erregung, die bereits genug eine neue Wendung in dieser Untersuchungssache andeutete:

„Master Harst, – Pook liegt oben in seinem Wohnzimmer tot auf dem Teppich! Ich wette, er hat sich vergiftet! Er muß gemerkt haben, daß ich gegen ihn Verdacht geschöpft hatte. Deshalb hat er seinem Leben ein Ende gemacht! – Bitte – kommen Sie! Überzeugen Sie sich selbst –!“

Wir eilten in den zweiten Stock hinauf, wo Pooks Zimmer lagen.

Pook war tot. Harst nickte nur, als Garner nun angesichts der Leiche seine Behauptung wiederholte, Pook hätte sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Dann ging der Inspektor [42] nach unten, um den Polizeiarzt telephonisch herbeizurufen.

Wir waren allein. Harsts Eifer, mit dem er jetzt den Toten untersuchte, fiel mir auf. Als er die rechte, tadellos gepflegte Hand besichtigte, hörte ich, wie er ein leises „Ah – also das ist“s!“ ausstieß.

Er richtete[10] sich wieder auf und begann nun hastig, sich im Zimmer umzusehen. Er tat es in einer Weise, die deutlich zeigte, daß er etwas Bestimmtes suchte. Dann öffnete er die Tür nach dem Schlafzimmer und trat ein. Auf dem Bett lag ein grauer Bogen Packpapier, der noch halbwegs die Form des Gegenstandes beibehalten hatte, der darin eingeschlagen gewesen war. Die Tür hatte Harst offen gelassen, und ich konnte daher beobachten, wie er nun vom Nachttischchen einen jener aus Ton gebrannten und scheußlich bemalten Negergötzen aufhob, von allen Seiten besichtigte und dann damit an eins der Fenster trat. Er hielt jetzt den Götzen, der etwa 50 Zentimeter hoch war, an das rechte Ohr, stellte ihn auf das Fensterbrett, klappte sein Taschenmesser auf und hantierte mit der großen Klinge an der Tonstatue herum. Nach einer Weile brachte er den Götzen wieder an seinen Platz und kam in das Wohnzimmer zurück, drückte die Tür hinter sich zu und flüsterte mit jenem mir so wohlbekannten Ausdruck drohender Entschlossenheit:

„Alles hängt davon ab, wie Fitzgerald sich jetzt benimmt. Man kann dieses jähe Ende Pooks sehr leicht als Beweis gegen Jones Fitzgerald auslegen.“

Wir vernahmen im Flur Schritte und Stimmen. Als erster trat Fitzgerald ein. Hinter ihm tauchte Garner auf. Fitzgerald war bleich und sah völlig verstört aus. Er beachtete uns nicht, starrte nur auf den Toten, und seine Lippen bewegten sich dabei zuckend, ohne deutliche Worte zu formen. Dann bemerkte ich, wie seine Augen feucht wurden. Er kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an, sagte nun leise und halb schluchzend:

„Armer – armer Edward! Armer Junge! Ein solcher Unsinn, Dich zu verdächtigen, gerade Dich!“

Dann wandte er den Kopf nach Garner hin.

„Ich habe mir vorhin nicht Zeit gelassen, Ihnen etwas auf Ihre Worte zu erwidern. Mein Neffe ist niemals der Dieb – niemals! Ich kann Ihnen beweisen, daß Edward [43] stets mit Glück gespielt und gewettet hat. Er hat auf der Bank ein Guthaben von 18 000 Pfund. Ich bitte Sie dringend, Garner, nichts von diesem völlig unberechtigten Verdacht in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen – sehr dringend! Die Obduktion der Leiche wird Ihre Annahme eines Selbstmordes sofort wiederlegen. Edward hat sich nie und nimmer vergiftet. Es kann sich nur um einen Herzschlag handeln. Vor drei Jahren hatte er sich beim Rudertraining einen Herzfehler zugezogen. Zuweilen klagte er noch jetzt über Beschwerden. Er war ein tadelloser Charakter, der gute Junge. Sein Andenken darf durch Sie nicht herabgesetzt werden, Garner! Der Ärmelknopf, den Sie gefunden haben, beweist nichts – nichts!“

Er hatte sich in eine gewisse Wärme hineingeredet. Man fühlte, daß alles, was er sagte, ehrlich gemeint war. Jetzt blickte er auf Harst.

„Lieber Herr Harst,“ fuhr er fort und sprach Deutsch in Rücksicht auf uns als seine Gäste, „ich habe zu Ihnen allein genügendes Vertrauen. Sie werden diesen Diebstahl aufklären. Ich weiß genug von Ihnen: Sie dulden nicht, daß dieser Verdacht auf einem Toten sitzen bleibt!“

Harst reichte ihm die Hand. „Ich werde den Dieb finden, Herr Fitzgerald,“ sagte er einfach.

Garner lehnte an der Tür und hatte schon wieder sein überlegenes, halbes Lächeln bereit, als er nun erklärte:

„Ich habe nichts dagegen, daß Master Harst hier Pooks Ehrenrettung versucht. Warten wir das Ergebnis der Obduktion ab.“ Er öffnete die Tür und rief seinen Beamten herein. Sie begannen nun die beiden Zimmer zu durchstöbern, durchwühlten jedes Schubfach, klopfen die Wände ab und die Dielen, gingen auch ins Schlafzimmer und hofften offenbar, irgendwo noch einen Rest des Giftes zu finden, mit dem Pook sich getötet haben sollte. Den Götzen auf dem Nachttisch würdigten sie kaum eines Blickes.

Jetzt trat Fitzgerald in die offene Tür und bemerkte die Tonstatue, stutzte leicht, eilte hin und betrachtete sie, nahm auch das Packpapier auf, kam dann mit dem Götzen in der Hand in das Wohnzimmer und sagte zu Harst mit bewegter Stimme:

„Da, Herr Harst, – dieser Basuto Götze sollte zweifele los ein Geburtstagsgeschenk für mich sein. Edward wußte, [44] daß ich gerade auf eine solche Statue längst fahndete. Sie sind sehr selten. Ein Händler hier in Kapstadt bot mir letztens genau dieselbe Statue an. Sie war mir aber zu teuer. Der gute Junge wollte mich übermorgen damit sicherlich überraschen. Ich werde 51 Jahre. Und nun – nun wird mich dieser Basuto-Götze nur immer an diesen furchtbaren Tag erinnern.“

Er drehte die Tonstatue um. „Sie ist beschädigt. Man hat sie gekittet. Und hier dies kleine Loch auf dem Rücken habe ich noch bei keiner einzigen dieser Raritäten bemerkt.“

Harst griff nach der Statue. Die Bewegung war seltsam hastig. – „Darf ich sie mir mal ansehen?“ meinte er.

Wir wurden dann durch den Eintritt des Polizeiarztes abgelenkt. Dieser erklärte nach kurzer Untersuchung der Leiche, daß äußere Verletzungen nicht vorhanden seien. Eine Vergiftung sei möglich.

Fitzgerald, Harst und ich standen beieinander am Fenster. Ich hörte, wie Harst Fitzgerald zuraunte:

„Untersagen Sie eine Obduktion, selbst auf die Gefahr hin, daß Garner daraus für Pook ungünstige Schlüsse zieht. Weigern Sie sich auf jeden Fall. Der Tote darf nicht aus dem Hause.“

Fitzgerald verharrte einen Moment regungslos. Inzwischen hatte der Polizeiarzt sehr bestimmt gesagt: „Eine Obduktion ist unbedingt nötig. Inspektor Garner hält hier einen –“

Da rief Fitzgerald schon: „Ich verbiete eine Leichenöffnung. Mein Neffe ist meiner Überzeugung nach kein Dieb. Das genügt mir.“

Garner kam schnell aus dem Schlafzimmer herbei.

„Ich verlange eine Obduktion,“ erklärte er beinahe grob. „Willigen Sie nicht ein, Master Fitzgerald, so weiß ich Bescheid. Ich denke aber, es liegt Ihnen daran, meinen Verdacht zu zerstreuen.“

„Das wird Herr Harst tun!“ erwiderte Fitzgerald scharfen Tones. „Es bleibt dabei: Edwards Leiche wird so beerdigt, wie sie ist.“

„Ich protestiere!“ fuhr Garner auf. „Das Gesetz –“ Er stockte. Und Fitzgerald beendete schnell den begonnenen Satz:

„– entzieht den Angehörigen eine Leiche nur, wenn [45] Mord- oder Totschlagverdacht vorliegt. Hiervon ist bei Pook wohl keine Rede. – Jedenfalls würde ich sofort Beschwerde beim Gouverneur einlegen, falls Sie die Herausgabe der Leiche erzwingen wollten, Garner.“

Der Inspektor drehte sich achselzuckend um und ging ins Schlafzimmer zurück.

Zehn Minuten später hatte die Polizei die Villa verlassen.


Fitzgerald, der Garner und den Arzt höflich nach unten begleitet hatte, kehrte zu uns zurück. Wir hatten den Toten schon vorher auf sein Bett getragen. Harst saß dann die ganze Zeit schweigend in der Ecke des Ledersofas in Pooks Wohnzimmer. Er hatte sich eine seiner Mirakulum angezündet, als wir allein waren, und schien angestrengt nachzudenken. Ich fragte ihn leise, weshalb die Obduktion unterbleiben solle. Er gab keine Antwort. Er blickte unverwandt auf das Muster der indischen Tischdecke. Wahrscheinlich hatte er meine Frage überhört. Er entschuldigte sich nun bei Fitzgerald, daß er sich die Freiheit genommen hätte, hier zu rauchen.

„Für mich ist eine Zigarette dasselbe wie für andere ein Glas Sekt,“ meinte er. „Sie beschleunigt die Gedanken. Wir müssen hier ja auch bald zu einem Ergebnis kommen, Herr Fitzgerald. Vielleicht nehmen Sie gleichfalls Platz.“

Fitzgerald setzte sich in den zweiten Klubsessel mir gegenüber. Er sah jetzt ganz erschöpft und mutlos aus. Auch der Ton seiner Stimme verriet seine Gemütsverfassung, als er Harst nun fragte: „Zu einem Ergebnis kommen? – wie meinen Sie das?“

Harst hatte nach der Uhr gesehen, steckte sie wieder weg.

„Es ist jetzt 1/23. Um 6 Uhr geht der Dampfer nach Sansibar ab. Schraut und ich haben beschlossen, abzureisen. – Natürlich nur zum Schein,“ fügte er hinzu. „So lange alle Welt weiß, daß ich mich Ihrer Sache angenommen habe, werde ich hier nichts ausrichten. Können Sie ein Motorboot mit verschwiegener Bedienung besorgen, das uns aufnimmt, sobald der Dampfer „Shurrfield“ das Kap der guten Hoffnung passiert hat? Dann könnten wir meiner Berechnung nach um drei Uhr morgens wieder hier sein.“

Fitzgerald war zunächst ganz sprachlos, erklärte dann [46] aber: „Ein Freund von mir besitzt einen Motorkutter. Ich kann mich auf ihn und seinen Bootsmann unbedingt verlassen.“

„Gut. – Niemand darf ahnen, daß der Kutter uns von Bord holen soll. Wenn wir Ihre Villa verlassen haben, werden Sie nach der Stadt fahren und unauffällig verbreiten, daß ich es plötzlich abgelehnt hätte, mich mit dieser Angelegenheit weiter zu befassen. Tun Sie so, als ob Sie sehr empört darüber wären. Dann müssen Sie Pooks Leiche bewachen lassen. Ich halte Ihre schwarzen Diener für zuverlässig. Gestatten Sie außer diesen niemandem, Pooks Schlafzimmer zu betreten. Wenn Ihre beiden weiblichen Dienstboten, der Gärtner oder Bekannte von Ihnen den Toten sehen wollen, genügt es, wenn sie dort bis an die Tür gehen.“

Fitzgerald schaute Harst abermals ganz verwirrt an.

„So erklären Sie mir doch nur, was all dies für einen Zweck hat?“ meinte er bittend. „Meine Nerven sind bereits durch diese schrecklichen Ereignisse so mitgenommen, daß ich nur den einen Wunsch habe –“ Er brach mitten im Satz ab, stöhnte leise auf und fuhr fort: „Ich wollte sagen: daß ich nur den Wunsch habe, alles schnell wieder zu vergessen. Aber das darf ich nicht, nein, – das wäre mein – Verderben, wenn ich den Edelstein nicht zurückerhalte!“ Er geriet plötzlich in eine geradezu krankhafte Erregung, reckte die Arme hoch und rief: „Mein Gott, wodurch habe ich diese Heimsuchungen verdient! Ich war stets ein ehrlicher Kerl, ich habe gearbeitet wie selten einer, unermüdlich, ohne Scheu, was es auch für eine Arbeit war! Herr Harst. Herr Harst, schaffen Sie mir den Edelstein zurück! Alles können Sie von mir verlangen, alles! Aber ich weiß ja. Sie sind Millionär, Sie sind Detektiv nur aus Liebhaberei.“

Der kräftige, stattliche Mann wirkte in dieser Verzweiflung wirklich mitleiderregend. Aber ich fühlte auch klar heraus, daß es sich hier nicht lediglich bei ihm um den Verlust eines Kleinods im Werte von ein paar Millionen handelte. Hier gab es – was ja auch Harst vermutete – noch ein Geheimnis besonderer Art, das mit der „Rose von Rondebosch“ zusammenhing. – Stand nun auch Pooks jähes Ende dazu in Beziehung? Und – was hatte Harst vorhin nur mit dem Götzen am Fenster vorgehabt? – Es waren viele, viele [47] Fragen, die noch genau so dunkel waren wie der Diebstahl selbst.

Harst beobachtete Jones Fitzgerald mit besonderen Blicken. Fitzgerald hatte jetzt die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände gestützt.

„Übermorgen wollte der Minister Lord Pergrave sich meine Sammlungen ansehen.“ sagte er nun. „Der Diebstahl des Steines wird durch diesen Besuch Mylords noch mehr in der Presse breitgetreten werden. Es ist ein wahres Verhängnis, daß der Stein gerade jetzt gestohlen wurde! – Und – wer, wer stahl ihn, wer?! Wer konnte in dieses so gut gesicherte Museum eindringen?! – Herr Harst so reden Sie doch!“ Er richtete sich mit einem Ruck auf. „Wozu soll Pooks Leiche –“

„Bitte leiser!“ fiel ihm Harst ins Wort. „Ich bin stets und überall argwöhnisch. – Sie fragten vorhin, was ich unter „Ergebnis“ verstehe, wie ich diese Redensart meine. Die Antwort lautet: ich muß hier ganz klar sehen, Herr Fitzgerald! Ganz klar! Sie müssen mir gegenüber offen sein wie zu sich selbst. Nur so kann ich zum Ziele kommen. – Befanden Sie sich vor einem halben Jahr in finanziellen Schwierigkeiten?“

Die Wirkung dieser unvermittelten Frage war auffallend genug. Fitzgerald wurde blaß, dann flammend rot. Sein Blicke irrte unstät umher.

„Herr Harst, – bitte – erlassen Sie mir eine Erwiderung,“ sagte er dann in flehendem Ton. „Zwingen Sie mich nicht zum Lügen. Schonen Sie mich. Ich – ich habe böse Zeiten hinter mir.“

Es war unbegreiflich, weshalb er nach diesem halben Eingeständnis nicht mit einem unumwundenen Ja antwortete. Was in aller Welt konnte hier nur vorliegen, das ihn zwang. dieses Ja zu unterdrücken?!

Da fragte Harst bereits aufs neue: „Haben Sie sich mit Ihrer Gattin entzweit? Ist nicht die Augenkrankheit lediglich für die klatschsüchtige Welt erfunden?“

Fitzgerald stöhnte auf. „Ihnen scheint nichts verborgen zu bleiben, Herr Harst. Ja – Lizzie konnte ohne Luxus und große Feste nicht leben. Sie war von Hause aus so sehr verwöhnt. Und dann noch der Altersunterschied zwischen uns [48] – über zwanzig Jahre! – Ich hoffe ja, daß sie zur Einsicht kommen wird. Ich – vermisse sie unendlich!“

Harst erhob sich. „Wir müssen jetzt aufbrechen, Herr Fitzgerald. Wundern Sie sich nicht, wenn ich unten in Hörweite eines Ihrer Bediensteten beinahe unhöflich erkläre, nicht zu Tisch bleiben zu wollen. Es ist immer ratsam, sich des Personals in solchen Fällen als Sprachrohr zu bedienen. Durch die Dienstboten wird eine Meinungsverschiedenheit und Ähnliches am schnellsten verbreitet. – Noch eins: schließen Sie den Basuto-Götzen in Ihren Stahlschrank ein. Nehmen Sie ihn sofort mit.“

Die Statue stand auf einem Rauchtischchen. Harst reichte sie Fitzgerald. „Halten Sie sie mal ans Ohr. Hören Sie etwas?“

„Ah – mir war’s doch schon vorhin so, als ob aus dem Innern ein Geräusch hervordringe! – Wirklich – in der Statue bewegt sich etwas!“

„Ganz recht, Herr Fitzgerald. Lassen Sie jedoch die Statue vorläufig so, wie sie ist. Untersuchen Sie sie nicht näher. – Gehen wir. Ich habe ja in Kapstadt noch einiges zu erledigen.“ –

Zehn Minuten drauf fuhren wir mit einem Vorortzuge nach Kapstadt zurück. Nachdem wir in unserem Hotel Mittag gegessen und Bescheid gegeben hatten, daß wir mit dem Dampfer der Sansibarlinie abreisen würden, suchten wir Inspektor Garner im Polizeigebäude auf. Er war sehr überrascht, als Harst erklärte, wir wollten uns von ihm verabschieden.

Dann setzte Garner wieder sein überlegen-verständnisvolles Lächeln auf.

„Aha – ich begreife. Master Harst! Fitzgeralds Weigerung, Pook obduzieren zu lassen, hat Ihnen die Augen geöffnet. Ja – ja, man ändert ja des öfteren seine Meinung!“

„Mag sein!“ erklärte Harst diplomatisch. „Leben Sie wohl. Master Garner. Vielleicht führt uns ein Zufall wieder zusammen.“

Wir hatten bis zur Abfahrt des Dampfers noch eine Stunde Zeit. Harst hatte bisher sowohl beim Mittagessen als auch nachher über alles mögliche gesprochen, nur nicht über das, was mich am meisten interessierte. Auch jetzt, als wir durch den prächtigen Regierungspark schritten, wollte [49] er diese Taktik beibehalten. Meine Geduld war jedoch zu Ende. Als er vor dem architektonisch geradezu wundervollen Gebäude der Staatsbibliothek stehen blieb und mich auf den gefälligen Gesamteindruck der ausgedehnten Anlagen vor dem Gebäude aufmerksam machte, spielte ich beharrlich den Stummen, bis er lachend meinen Arm nahm, mich weiterzog und meinte:

„Aha, mein treuer Gehilfe ist arg verschnupft, weil ich ihn dursten lasse! – Bitte, lieber Alter, frage! Ich beantworte Dir alles, was Du wissen willst.“

„Ich denke, ich habe auch ein Anrecht darauf, besser eingeweiht zu sein als etwa Fitzgerald,“ sagte ich kurz. „Bisher tappe ich ja völlig im Dunkeln. Was hat es mit dem Götzen zum Beispiel auf sich? Der hängt doch mit dem Diebstahl oder dem Tode Pooks irgendwie zusammen. Du hast Dir Pooks rechte Hand so genau angesehen. Die Statue hatte ein Loch, in dem hohlen Tongötzen bewegte sich etwas. Vermutest Du darin eine kleine Giftschlange, die vielleicht Pook gebissen hat? Ist er an den Folgen dieses Bisses gestorben?“

„Nein. In der Statue dürfte sich ein sehr harmloser Käfer der Gattung Cervus atrox befinden, afrikanischer Hirschkäfer genannt. Diese bis zu 6 Zentimeter großen Gesellen sind im Dunkeln sehr lebhaft. Bekanntlich besitzen sie eine Art Geweih, mit dem das in die Statue eingesperrte Tierchen an den Wandungen entlangschrammte. – Du brauchst mich nicht so zweifelnd anzuschaun! Es ist so! Von einer Giftschlange ist keine Rede.“

Ich war arg enttäuscht. Ich hatte mir ja eine so wunderschöne Theorie zurechtgelegt. Damit war es nun nichts. Das kühlte meine Neugier gewaltig ab. Immerhin fragte ich aber noch, um wenigstens den Hauptpunkt zu klären:

„Wer ist der Dieb?“

Harsts Antwort entsprach so recht seiner Manie, erst ganz zum Schluß bei der Entwirrung eines schwierigen Falles all seine Trümpfe aufzudecken.

„Wenn Du vor dem Bibliotheksgebäude Deiner Augen Dich so bedient hättest, wie es der Freund und Mitarbeiter Harald Harsts stets tun müßte, dann würdest Du ihn gesehen haben. Da Du jedoch trotz meiner häufigen Hinweise auf die Notwendigkeit eines Sehens mit dem geistigen Auge wiederum aus Bequemlichkeit mir die ganze Arbeit, unsere Umgebung [50] scharf zu beobachten, überlassen hast, kannst Du billigerweise von mir nicht verlangen, Deine gemütsruhige Trägheit noch zu unterstützen.“ All das sagte er halb scherzend. Aber ich merkte die Absicht: er wollte mir den Dieb nicht näher bezeichnen! – Da fuhr er auch schon fort, indem er meinen Arm drückte: „glaube mir, wenn Du heute in Fitzgeralds Villa genau auf das achtgegeben hättest, was ich tat und sprach, würdest Du fraglos mit Leichtigkeit das Richtige kombinieren können. Aber Du – nicht mal das merktest Du, daß ich in Pooks Schlafzimmer mir die Joppe anschaute! Genau so gleichgültig war Dir mein Gespräch mit dem Stubenmädchen, das uns durch die Räume führte. Dabei enthielt gerade dies Gespräch Antworten vonseiten des Mädchens, die Dich ganz sicher auf eine bestimmte Person hingewiesen hätten.“

Ich grübelte jetzt darüber nach, was denn eigentlich zwischen Harst und dem Mädchen gesprochen worden war. Ich besann mich nur darauf, daß einmal das Mädchen gesagt hatte: „Ach – Master Pook ist etwas jähzornig und mit der Reitpeitsche schnell bei der Hand. Aber er ist auch sehr gerecht. Wer es mit ihm zu tun bekommt, hat’s auch verdient.“ – Mehr wollte mir nicht einfallen.

Jedenfalls war meine Neugier jetzt vollkommen geschwunden. Ich mußte ja zugeben, daß Harald nicht ganz unrecht gehabt hatte, als er meine Bequemlichkeit rügte. – Ich begann nun selbst ein gleichgültiges Gespräch, auf das Harst harmlos und lebhaft einging.

Um halb sechs begaben[11] wir uns an Bord des Dampfers, wo wir durch den Hoteldiener eine Kabine mit zwei Betten bis Sansibar hatten belegen lassen. Pünktlich 6 Uhr stach der „Shurrfield“ in See. Wir standen auf dem Promenadendeck. Harst hatte eine Zigarette im Mundwinkel und warf den Negerkindern auf dem Kai kleine Münzen hin, lachte herzlich über die Balgereien, die dadurch hervorgerufen wurden. Langsam setzte sich der Dampfer in Bewegung. Als die Hafenanlagen allmählich undeutlicher wurden, als der Steamer in Fahrt kam, sagte Harst ruhig:

„Er war wieder da!“

„Wer?“ fragte ich, fügte aber sofort hinzu: „Natürlich der Dieb!“

„Ja – James Palperlon!“

[51] Ich brachte vor Überraschung kein Wort heraus. Auf alles war ich vorbereitet auf diesen Namen nicht!

Harst sprach einen englischen Offizier an. Er tat’s wohl nur, um meinen Fragen zu entgehen.

Das Kap der guten Hoffnung, die Südspitze der großen Halbinsel, an deren Nordseite Kapstadt liegt, ist etwa 60 Kilometer lang. Sie bildet mit dem Festland nach Osten zu die Falsche Bai, einen sehr unruhigen Meeresteil, dem die Schiffe gern ausweichen. Gegen neun Uhr abends, umrundete unser Dampfer das Kap. Wir konnten nun jeden Augenblick damit rechnen, daß das Motorboot auftauchte. Es war jetzt völlig dunkel. Harst hatte inzwischen bereits den Kapitän davon verständigt, daß wir wieder von Bord wollten. Harsts Name hatte genügt, den Kapitän sehr entgegenkommend zu machen. Abermals standen wir an der Reling des Promenadendecks und waren nun endlich wieder allein.

„Es ist ja geradezu unglaublich, daß Palperlon schon wieder unseren Weg kreuzt,“ sagte ich zu Harst, der mit seinem Fernglas nach dem Motorkutter ausspähte.

„Diesmal ist’s ein reiner Zufall, mein Alter. Es wird Palperlon wenig lieb gewesen sein, daß Fitzgerald uns zu Hilfe holte. Er gab sich alle Mühe, beim Einbuddeln der Blumenstauden in das Beet sein Gesicht möglichst wenig sehen zu lassen. Hätte er dies weniger auffällig getan, dann wäre ich wohl achtlos an ihm vorübergegangen.“

„Der Gärtner Fitzgeralds!“ rief ich leise. „Unmöglich! Fitzgerald sagte doch, daß er Simpson schon jahrelang beschäftige.“

„Da hast Du falsch gehört. – „Jahrelang kenne“, sagte er. – Er sagte aber auch noch etwas von Simpsons Abenteurernatur. Daher wollte ich nachher das Stubenmädchen, das schon acht Jahre bei Fitzgeralds im Dienst ist, über Simpson aushorchen. Und ich erfuhr so, daß Simpson erst seit neun Tagen wieder den Gärtnerposten innehätte, daß er aber schon einmal vor drei Jahren ein paar Monate bei Fitzgeralds diese Stellung bekleidete, die er jedoch aufgab, weil er sich mit Edward Pook nicht vertrug. Pook hatte Simpson sogar einmal beschuldigt, sich nachts heimlich in der Villa herumzudrücken und dann überraschte er ihn wirklich ein andres Mal und jagte ihn mit der Reitpeitsche von dannen. Nach diesem Vorfall kündigte Simpson und verließ Rondebosch, [52] obwohl Fitzgerald große Stücke auf ihn hielt. – Du weißt nun also, daß Palperlon gleich nach dem mißglückten Streich an der Rätselbrücke im Sululande, wo er freilich unsichtbar blieb, sich hier nach Kapstadt gewandt hat. Die „Rose von Rondebosch“ stach ihm in die Augen. Kein Wunder – ein solcher Edelstein! – Fitzgerald nahm ihn gern auf, ahnte nicht, wen er als „Gärtner“ einstellte. Hier trifft die Redensart „den Bock zum Gärtner machen“ beinahe zu. Für Palperlon war es nicht schwer, den Stein zu stehlen, da er ja fraglos in der Villa von früher her gut Bescheid wußte, als er sich mit demselben Plane beschäftigt hatte. Edward Pook wird damals durch seine Wachsamkeit alle Anschläge Palperlons auf den Edelstein vereitelt haben. Deshalb auch Palperlons Haß gegen ihn, deshalb jetzt der Knopf hinter dem Glaskasten und – Pooks jäher Tod.“

Ich hatte mit atemloser Spannung gelauscht.

„Also ist der arme Mensch wirklich ermordet worden!“ meinte ich erregt.

„Nein. Nicht ermordet.“

„Ja, – aber wie soll ich dann Deine Bemerkung verstehen, daß als Folge von Palperlons Haß –“

„Dort – der Motorkutter!“ rief Harst. „Vorwärts! Der Steward soll unsere Koffer an das Fallreep schaffen. Der Kapitän läßt schon beidrehen.“


Der Kutter konnte bei der ruhigen See bequem längsseit kommen. Wir stiegen hinüber, winkten dem Kapitän des „Shurrfield“ noch einen letzten Gruß zu und wurden nun von Fitzgeralds Freund Treebram begrüßt, der uns in die kleine Kajüte führte, wo wir es sehr behaglich hatten. Treebram war Ingenieur beim Hafenamt in Kapstadt und wußte uns manches Interessante über die Kapkolonie zu erzählen, wo er nun bereits zwanzig Jahre weilte.

Ich war sehr müde und nickte bald in der Ecke des Wandsofas ein. Hin und wieder erwachte ich wohl, konnte aber vor Zigarettenrauch Harst und Treebram kaum noch erkennen, so dick hatten die beiden die Kajüte vollgequalmt.

Der Kutter fuhr die Ostküste der Kaphalbinsel entlang und legte dann kurz nach 2 Uhr morgens am Nordufer des Muizenberg-Salzsees an, der mit der Falschen Bai durch einen Kanal in Verbindung steht. Hier am Ufer des Salzsees [53] wartete ein von Treebram besorgtes Auto auf uns, das uns auf der tadellos gepflegten Fahrstraße nach Rondebosch brachte. Wir stiegen schon vor dem Villenorte aus. Der Kraftwagen setzte den Weg nach Kapstadt fort.

Ich war jetzt ganz frisch. Der Schlaf in der Kutterkajüte war mir gut bekommen. Wir fanden uns in Rondebosch unschwer zurecht. Genau um 3 Uhr morgens kletterten wir über die Parkmauer der Villa Fitzgeralds und schlichen nun mit größter Vorsicht auf das Gärtnerhäuschen zu.

Dieses stand neben dem Parktor, war ein sauberer kleiner Ziegelbau mit flachem Pappdach und sah ganz wie ein nettes Sommerhaus aus. Zwei der Fenster nach dem Parke hin waren matt erleuchtet. Da sie kaum 11/4 Meter über dem Erdboden lagen, konnten wir durch das eine, dessen Vorhänge nur halb geschlossen waren, bequem in die Stube hineinlugen, in der auf dem Nachttischchen neben einem einfachen Bett eine kleine elektrische Stehlampe mit gelbem Stoffschirm brannte.

Ein einziger Blick genügte: in dem Bett lag, nur mit einer Decke zugedeckt, ein Mann – Palperlon in der Maske, die er hier als Gärtner Simpson trug. Vor dem Bett wieder bemerkte ich eine Zeitung, die offenbar Palperlons Händen beim Einschlafen entfallen war.

Harst schwang sich schon auf die Fensterbrüstung. Die oberen Fensterflügel waren weit offen. Ganz geräuschlos schob er auch den Riegel der unteren auf, mit dem Arm hindurchlangend.

Der Weg war frei.

„Wir packen ihn sofort,“ flüsterte Harst. „Du nimmst Dich der Beine an. – Da – er schnarcht! Er kann uns nicht entgehen!“

Ich war derselben Überzeugung. Ich dachte: diesmal habt ihr ihn sicher. Und – hatten wir ihn, dann würde endlich eine angenehmere Zeit für mich beginnen, denn dieser Kampf gegen Freund James kostete Nerven.

Harst kletterte als erster hinein, trat sofort zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich packte das Fensterkreuz, saß nun auf dem Fensterbrett, wollte mich langsam auf die Zimmerdielen hinablassen.

Da – links von mir ein dumpfer Krach und gleich darauf ein Ächzen. Ich schaute hin; ich sah, wie Harst wie ein Klotz umfiel; sah einen Mann irgend eine Waffe schwingen, [54] erhielt einen furchtbaren Schlag gegen die Schläfe, flog vornüber und verlor das Bewußtsein. –

Mein Erwachen war seltsam genug. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß man mir mit kleinen Hämmern ununterbrochen gegen den Schädel klopfe, mein Kopf selbst aber gar nicht mehr zu meinem Körper gehöre. Daß ich noch einen Leib besaß, spürte ich in keiner Weise. Als ich dann die Augen zu öffnen versuchte, fuhren mir glühende Stangen durch das Hirn. Ich ließ die Lider also geschlossen. Ganz – ganz allmählich gewann ich die Empfindung dafür zurück, daß an meinem schmerzgepeinigten Kopf auch noch ein Leib hing. Und dann wurde mir ebenso langsam klar, daß ich nicht etwa irgendwo ausgestreut lag sondern schwebte. Ich gab mir alle Mühe zu ergründen, wie dieses Schweben zustande kam. Nun hatte ich es ergründet: unter meinen auf dem Rücken gefesselten Armen war ein Strick durchgezogen. An diesem Strick hing ich.

Wieder nach einer geraumen Zeit gelang es mir, die Lider zu heben. Aber es war zwecklos gewesen. Um mich her lauerte schwärzeste Finsternis – Den Knebel im Munde fühlte ich jetzt auch, ebenso den Bindfaden, der den Knebel festhielt und meine Wangen und die Haut des Genicks einschnürte. Als letztes stellte ich nun Fesseln an den Fußgelenken fest, von denen offenbar ein Strick nach unten lief, der meinen Körper gestreckt hielt.

Dann kehrte auch die Erinnerung an unsere Überrumpelung zurück. Palperlon hatte im Bett gelegen, und einer seiner Genossen mußte uns niedergeschlagen haben. Kaum hatte ich mir dies klar gemacht, als ich ein Geräusch hörte: das Kreischen eines Türschlosses. Nun vernahm ich auch ein leises, vergnügtes Pfeifen. Der, der das Schloß geöffnet hatte, pfiff das gefühlvolle Lied: „Heimat, süße Heimat –“

Plötzlich wurde es blendend hell ringsum. Ich starrte in den Lichtkegel einer großen Laterne hinein.

Das Pfeifen verstummte. Dafür sagte eine Stimme mit ironischer Liebenswürdigkeit:

„Guten Morgen, meine Herren. Wünsche wohlgeruht zu haben.“

Ah – kaum drei Schritt vor mir hing ja Harst in derselben Stellung wie ich! Und nun sah ich auch den Laternenträger: es war der bucklige Simpson-Palperlon!

[55] Er stellte die Laterne auf ein Faß, setzte sich auf ein anderes und rauchte ein paar Züge einer gut riechenden Zigarre, wobei er abwechselnd mich und Harst angrinste. Wir kehrten ihm halb die Gesichter zu und brauchten die Köpfe nur wenig zu drehen, um ihn voll vor uns zu haben.

Sein höhnisches, gemeines Grinsen entsprach ganz seinem Maske als Gärtner. Daß dieser Mensch ein vorzüglicher Schauspieler und Verkleidungskünstler war, wußten wir ja längst.

„Eine ganz nette Überraschung für Sie!“ begann er dann in etwas hartem, aber fehlerfreiem deutsch. „Ja – so ein bißchen schlauer als Harald Harst bin ich doch noch zuweilen. Ihre Abreise kam mir gleich verdächtig vor. Der gute Fitzgerald hat es auch etwas ungeschickt angestellt, als er mit seinem Freunde Treebram des Motorkutters wegen verhandelte. Da erst merkte ich, daß man den braven, alten Simpson durchschaut hatte und daß es für ihn ratsam war, für Harsts und Schrauts Empfang so einige Zurüstungen zu treffen. Daß Sie beide nicht mit der Polizei gemeinsam arbeiten würden, wußte ich. Ich brauchte also eine Umstellung meines Häuschens nicht zu fürchten. Die Puppe im Bett mit dem aus Lehm gekneteten Kopf und das Schnarchen taten das ihrige. Und ein Sandsack besorgte den Rest als beste Schlagwaffe. Nun hängen Sie hier im Sämereikeller meines Häuschens. Was fange ich mit Ihnen an? Ich habe allen Grund, Ihnen erneut zu zürnen. Die Geschichte mit der Muwuru-Mine haben Sie mir ja gründlich verdorben! Recht geheuer kam mir die ganze Sache dort von vornherein nicht vor. Ich ließ daher auch den braven Morrisson die Kastanien aus dem Feuer holen. Jetzt wollten Sie mir hier wieder Schwierigkeiten machen, nachträgliche Schwierigkeiten, denn die „Rose von Rondebosch“ habe ich ja bereits. Im Vertrauen: die Nachschlüssel hatte ich mir schon vor drei Jahren hier angefertigt. Doch damals klappte die Sache nicht. Wissen Sie, warum, Herr Harst?“

Harst schüttelte den Kopf. Auch er hatte einen Knebel im Munde.

„Ich kann es Ihnen ruhig sagen,“ grinste Palperlon. „Die Schlüssel paßten damals nicht ganz. Ich mußte sie noch ausprobieren und nachfeilen.“

Dann faßte er in die Tasche und – holte den Stein hervor, [56] ließ ihn im Lichte der Laterne funkeln und sprühen und meinte: „Ich werde ihn zerschneiden, denn in seinem jetzigen Form ist er unverkäuflich. Eine Million schlage ich dabei bestimmt heraus. Nun kann ich mich bald zur Ruhe setzen, Herr Harst. Dort –“ er zeigte auf einen bestimmten Mauerstein der Wand – „liegt mein Vermögen verborgen. Es sind jetzt alles in allem vier Millionen einschließlich der Rose von Rondebosch. Eine Million fehlt mir noch. Dann mache ich Schluß, kaufe mich irgendwo an und spiele den ehrenwerten Rentner. – Wie wär’s, wenn Sie mir zu dieser Million verhelfen wollten, Herr Harst? Ich habe Sie beide in meiner Gewalt. Daß Sie diesen Keller lebend nicht mehr verlassen, können Sie sich selbst sagen. Wenn Sie mir aber auf Ihr Ehrenwort versprechen, mir eine Million auszuhändigen und mich fernerhin nicht zu behelligen, dann sind Sie beide frei.“

Harst schüttelte sehr energisch den Kopf.

„Das dachte ich mir!“ höhnte Palperlon. „Sie hoffen, Sie werden mir wieder entwischen wie schon so oft! Diesmal gelingt es Ihnen nicht. Sie beide werden spurlos verschwinden, und kein Mensch wird wissen, wo Sie geblieben sind. Es ist jetzt acht Uhr morgens. Um acht Uhr abends ist von Ihnen nichts mehr übrig. Dieses Häuschen wird niederbrennen, nachdem ich diesen Keller entsprechend durch Holz, Stroh und Petroleum hergerichtet habe. – Schade, daß Sie so kläglich enden müssen, Herr Harst! Überlegen Sie sich’s: eine Million! Was macht Ihnen das aus!“

Harst hatte die Augen jetzt geschlossen, regte sich nicht.

Palperlon schien enttäuscht, weil seine Drohungen nichts fruchteten. Er saß eine Weile still da und schaute vor sich hin. Dann änderte er seine Taktik. Er wurde Weltmann; sein Ton war der des wohlmeinenden Freundes, als er sagte: „Herr Harst, Sie können überzeugt sein, daß ich Sie tatsächlich gern schonen möchte. Ich habe Ihnen bereits bei anderer Gelegenheit erklärt, daß ich zu Ihren begeistertsten Bewunderern gehöre. Das ist keine leere Redensart! Gerade ich als Ihr Gegenpol sozusagen vermag am besten Ihre eminenten Fähigkeiten als Detektiv zu beurteilen. Sie haben das Stubenmädchen nach mir ausgefragt, nachdem Sie mich schon im Park bei meiner gärtnerischen Arbeit mit einem Blick gemustert hatten, der für mich ein Warnungssignal war. Sie werden auch den abgerissenen Knopf richtig eingeschätzt [57] haben. Ich mußte den Verdacht notwendig auf irgend jemand lenken. Daß Edward Pook sich dann den Argwohn Garners so sehr zu Herzen nehmen würde, konnte ich nicht voraussehen. Jedenfalls halte ich hier einen Selbstmord für das wahrscheinlichste. Daß Sie niemand mitgeteilt haben, wer ich in Wahrheit bin, steht für mich fest. Ich kenne Ihre Arbeitsmethode. Es ist fast eine Schwäche von Ihnen, mit Ihrem Belastungsmaterial erst im letzten Moment hervorzutreten. Ich brauche also nicht zu fürchten, daß ich irgendwie bereits in Gefahr bin. – Herr Harst, geben Sie mir Ihr Ehrenwort! Opfern Sie die Million! Sie haben dann Ruhe vor mir, und die Welt auch!“

War das nun alles lediglich Komödie? War es ein ganz raffinierter Versuch, Harst zur Nachgiebigkeit zu bewegen? Wirklich – aus diesem Palperlon war schwer klug zu werden. Der Mensch blieb stets ein besonderer Verbrechertyp!

Harst verhielt sich weiter regungslos. Palperlon schaute ihn forschend an. Harsts Augen waren nach wie vor geschlossen.

„Schade!“ meinte Palperlon. Das war alles, was er noch zu sagen hatte. Dann verließ er den Keller, schloß die dicke Bohlentür ab und schritt mit knarrenden Stiefeln eine Treppe hinan.

Stille nun; Totenstille und undurchdringliche Finsternis.

Plötzlich fühlte ich, wie stark die Schmerzen bereits waren, die mir der unter den Armen durchgezogene Strick verursachte, an dem ich hing. Bisher hatte ich für diese Schmerzen keine Gedanken gehabt. Und – wie lange sollte ich wohl noch in dieser gestreckten Haltung hängen?! Wie lange würde ich die Schmerzen, die sich notwendig steigern mußten, noch ertragen?! Und – was würde überhaupt aus Harst und mir werden?! Würden wir hier unten wirklich lebend verbrannt werden?! Ach – wie gern hätte ich wenigstens ein paar Worte mit Harst gewechselt! Welche Beruhigung wäre es für mich gewesen, wenn ich seine Stimme vernommen hätte, wenn er so herzlich vertraut gesagt hätte: „Lieber Alter –“

Hier riß mein Gedankenfaden jäh ab. – Täuschte ich mich?! War das nicht wirklich –

„Hast Du sehr böse Schmerzen, mein armer Alter?“ raunte Harst aus der Dunkelheit mir zu, – wirklich – Harst. [58] – „Nun – ertrage sie nur geduldig. Palperlon sagte, es sei jetzt acht Uhr. Dann erfreut er sich gerade noch einer Stunde seiner Freiheit. Sieh mal – er hat sich nämlich gerade diesmal verrechnet. Ich habe Treebram, als Du in der Kutterkajüte so schön schliefst, genaue Verhaltungsmaßregeln für den Fall gegeben, wenn ich ihn heute früh 8 Uhr telephonisch nicht anrufen sollte. Dann wird er zu Garner eilen und diesen veranlassen, Fitzgeralds Villa zu umstellen und das ganze Personal zu verhaften, uns aber zu suchen, da wir dann eben in einen Hinterhalt geraten seien. – Du magst Dich wundern, daß ich gerade hier meiner „Schwäche“ untreu geworden bin und einen Dritten so halb und halb ins Vertrauen gezogen habe. Der Grund hierfür ist der Tod Pooks. Du wirst das nachher schon verstehen, ebenso wie Du noch auf allerlei Überraschungen rechnen darfst. – Falls Du gern gleichfalls freier atmen möchtest, rate ich Dir, es ebenso zu machen wie ich, das heißt, den Knebel mit den Zähnen langsam zu zerkauen und die Stücke hinunterzuwürgen. Von meinem Knebel ist nur noch gerade so viel übrig, um Palperlon vorzutäuschen, ich hätte noch die ganze Leinwandkugel im Munde. – Übrigens dürfte Palperlon seinen Vorschlag hinsichtlich der Million völlig ernst gemeint haben. Ich glaube, so langsam beginnt er doch einzusehen, daß seine Verbrecherlaufbahn ein böses Ende durch mich nehmen könnte. Er möchte wohl in der Tat sich zur Ruhe setzen. Nun – das wird auch geschehen. Nur in anderer Weise, als er denkt. Sollte er hier gefaßt werden, dann sorge ich dafür, daß er in eine der Mörderzellen des neuen Gefängnisses in Kapstadt kommt. Dort ist ein Ausbrechen unmöglich. – So, nun wollen wir abwarten. Ich rechne damit, daß gegen 9 Uhr Garner die Villa umzingelt haben kann. Harre also die eine Stunde schon noch aus, mein Alter.“

Ach – wie leicht ließen sich jetzt die Schmerzen ertragen! Aber auch – ach, wie furchtbar war dann die Enttäuschung und das Entsetzliche, was wir in bangen Sekunden erlebten.


Ich war vor Erschöpfung, Schmerzen und Abspannung in eine Art Halbschlaf versunken. Mit einem Male schreckte ich auf. Die Kellertür war mit leisem Krach ins Schloß gefallen. Ich öffnete die Augen, sah Palperlon mit der Laterne, [59] der gerade den Schlüssel im Schloß umdrehte. Dann trat er auf Harst zu, leuchtete ihm ins Gesicht.

„Haben Sie die Polizei herbestellt?“ fragte er mit unheimlicher Ruhe.

Ich beobachtete, wie Harst nickte.

„Ah! – Also haben Sie damit selbst Ihr Todesurteil unterzeichnet!“ rief Palperlon leise. „In demselben Moment, wo die Häscher an die Tür donnern, gibt es hier zwei Tote!“

Er stellte die Laterne auf das eine Faß.

Mir trat eisiger Schweiß auf die Stirn. Garner mußte die Umzingelung geradezu lächerlich ungeschickt vorgenommen haben! – Ich hatte nur einen Wunsch, daß man uns hier unten nicht suchen möchte! Aber das war ein ziemlich zweckloses Wünschen! – Ich schaute nach Harst hin Er – hatte die Augen mit den Lidern bedeckt! Sein Gesicht verriet auch nicht eine Spur von Aufregung.

Minuten verstrichen. Palperlon hatte jetzt in der Rechten einen Revolver, lehnte am Türrahmen und starrte vor sich hin.

Dann – Harst hatte den Rest des Knebels mit der Zunge wieder herausgestoßen, begann zu sprechen.

„Palperlon, ich würde Sie hier vielleicht schonen!“ sagte er gelassen.

Der Verbrecher fuhr hoch. Er mußte mit seinen Gedanken in weiten Fernen gewesen sein.

„Hören Sie mich ruhig an, Palperlon. – Niemand hier weiß, daß Sie Palperlon sind. Mein Wort darauf. Ebenso wenig weiß jemand bisher, wer der Dieb ist. Ich hatte nur Anweisung gegeben, das ganze Dienstpersonal Fitzgeralds zu verhaften, falls wir bis heute 8 Uhr morgens den Ingenieur Treebram nicht angeläutet haben sollten. Das ist die volle Wahrheit.“

Palperlon trat einen Schritt vor. Man merkte, daß er erleichtert aufatmete.

„Ich glaube Ihnen, Herr Harst,“ sagte er hastig. „Was weiter?“

„Nun – unter diesen Umständen wäre es doch ein Unsinn, wenn Sie uns hier erschießen wollten. Sie haben die „Rose von Rondebosch“ gestohlen. Händigen Sie sie mir aus, und Ihnen wird dieses Diebstahls wegen nichts geschehen. Ich werde dann weiter verschweigen, wer Sie sind und wer [60] der Dieb gewesen ist. Ich könnte Ihnen diese Schonung aber nur dann angedeihen lassen, wenn Sie mir versichern, daß Sie hier nicht etwa noch andere Schandtaten begangen haben oder begehen wollen. Geben Sie diese Versicherung ab, die natürlich auch auf Wahrheit beruhen muß, dann bewillige ich Ihnen eine Woche, um von hier zu verschwinden. Nach diesen acht Tagen sind wir Feinde wie bisher. – Schnell – entscheiden Sie sich! Sie müssen uns losgebunden haben, bevor man hier eindringt. Nur dann kann ich alles harmlos erklären.“

„Und die Millionen dort in dem Mauerversteck?“ fragte Palperlon schnell.

„Die gehen Ihnen allerdings verloren. Aber was besagt das gegenüber der Aussicht, als freier Mann Kapstadt zu verlassen!“

Palperlon hatte die Lippen aufeinander gepreßt. Er kämpfte mit sich. Dann rief er:

„Gut – es sei! Ich versichere, daß ich hier lediglich den Edelstein gestohlen habe!“

„Und ich,“ erklärte Harst nun, „gebe Ihnen mein Wort, meine Zusagen zu halten, falls diese Versicherung richtig ist. – So. Simpson nun schnell! Schneiden Sie uns los. Es ist höchste Zeit. Ich höre oben im Hause bereits Schritte.“

Palperlon gehorchte, reichte dann Harst den Edelstein und meinte: „Ein schlechtes Geschäft für mich! Nun kann ich von vorn anfangen. All mein sauer verdientes Geld bin ich los!“

Nichts bewies die geradezu ungeheuerliche Abgebrühtheit dieses Verbrechers besser als dieser Ausspruch!

Wir gingen jetzt nach oben. Die Kellertreppe mündete im Hausflur. Kaum waren wir hier angelangt, als links eine Tür aufgerissen wurde. Inspektor Garner stand vor uns, prallte sofort zurück, rief:

„Ah – da sind Sie ja!“ Dann runzelte er ärgerlich die Stirn. „Herr Harst, was soll dies alles bedeuten? Wozu mußte ich –“

Hinter ihm tauchten Fitzgerald und Treebram auf.

„Gott sei Dank!“ meinte Fitzgerald. „Ich war Ihretwegen schon in ernstester Sorge, meine Herren!“

„Das war unnötig,“ erklärte Harst mit liebenswürdigem Lächeln. „Der wackere Simpson hatte uns bei sich versteckt, unten im Keller. Wir haben leider die Zeit verschlafen. [61] Bitte, Master Garner, falls die beiden weiblichen Dienstboten und die Diener bereits verhaftet sein sollten, geben Sie sie wieder frei. Der Edelstein hat sich schon gefunden. – Treten wir doch hier in Simpsons Wohnzimmer ein. Oder besser, gehen wir in die Villa hinüber. Ich wäre für ein Glas Wein dankbar, Master Fitzgerald, und auch der brave Simpson hat eine Herzstärkung verdient.“

Harst schauspielerte so glänzend, spielte so sehr den harmlos Vergnügten, daß er selbst mich täuschte.

Fitzgerald rief jetzt sofort: „Der Stein gefunden? Wo – wo ist er?! Wo?!“

„Hier – bitte!“ lachte Harst und hielt dem Überglücklichen die prachtvolle Rose von Rondebosch hin.

Fitzgerald griff danach „Sekt trinken wir, Sekt!“ meinte er strahlend. „Kommen Sie – kommen Sie. Auch Simpson soll ein Glas haben – meinetwegen!“

Gleich darauf waren wir sechs im Salon versammelt. Simpson-Palperlon war bescheiden neben der Tür stehen geblieben. Fitzgerald reichte Zigarren, meinte: „Hier Simpson, – bitte! Bedienen Sie sich auch.“

Harst war plötzlich mit einem Satz hinter Simpson gesprungen, umschlang ihn, rief Garner zu: „Handschellen her, Inspektor!“

Palperlon war so überrascht, daß er sich zu spät zur Wehr setzte. Die Fesseln schnappten ins Schloß. Er war gefangen.

Die Salontür ging auf. Die beiden Schwarzen trugen die Leiche Pooks auf einer Matratze herein. Auf einen Wink Harsts setzten die Neger die Matratze in der Mitte des Zimmers ab und entfernten sich dann wieder.

Dann begann Harst in knappen Worten zu schildern, wie sein Verdacht sich auf Simpson, den Mann mit dem künstlichen Buckel, mit falschem Bart und Perücke, gelenkt habe. Er erwähnte, daß Pook derjenige gewesen, der Simpson-Palperlon vor drei Jahren den Diebstahl des Steines unmöglich gemacht hätte, und daß Pook Simpson auch mit der Reitpeitsche geschlagen hätte.

„Palperlon!“ fuhr er dann fort, „Sie wollten nicht nur diese eine Rache haben, daß Pook als Dieb der „Rose von Rondebosch“ vor der Öffentlichkeit galt. Nein – Sie hatten [62] noch eine andere Rache vorbereitet! Sie haben Pook in Kapstadt gestern vormittag in einer Verkleidung einen Basuto-Götzen verkauft, den Sie in ganz besonderer Weise hergerichtet hatten. Sie schlugen den Unterteil der Tonstatue ab, brachten im Innern eine Nadel so an, daß der, der durch das Loch im Rücken des Götzen mit dem Finger hineinfühlte, sich stechen mußte. Um nun Pook zu verleiten, dies zu tun, sperrten Sie in die Statue einen großen Käfer ein. Dann leimten Sie den Unterteil[12] wieder fest. Als Pook mit diesem für seinen Oheim bestimmten Geburtstagsgeschenk hier in der Villa anlangte, wird er das Geräusch, das der Käfer verursachte, gehört haben. Er fühlte dann tatsächlich mit dem rechten Zeigefinger in das Loch hinein, stach sich an der – vergifteten Nadel, beachtete diese kleine Wunde nicht weiter, sank dann aber sehr bald bewußtlos um. Bewußtlos! Nicht tot. Denn er lebt noch. – Ich bemerkte die winzige Blutmenge unter dem Nagel des Zeigefingers. Ich habe auch mit meiner Messerklinge die Nadel im Innern der Statue festgestellt und abgebrochen, damit sie nicht noch weiteres Unheil anrichte. – Sie, Palperlon, wollten nichts andres, als daß Pook – lebend seziert würde, daß er unter den Messern der Ärzte erst wirklich sterben sollte. Damit Sie nun nicht etwa, als Fitzgerald eine Obduktion untersagte, Pook auf andere Weise hinschlachteten, ließ ich die „Leiche“ scharf bewachen. Daß Pook nur im Starrkrampf dalag, erkannte ich auf Grund meiner Vertrautheit mit indischen Nervengiften und ihren Wirkungen. Pooks Haut hatte, obwohl er doch erst kurze Zeit tot sein sollte, als ich ihn sah, jede Spannkraft verloren. Eine Hautfalte, die man hervorrief, behielt ihre Lage bei. Das genügte mir. – Palperlon, die Nadel in der Statue war mit Varparoa vergiftet! Aber – Sie wissen am besten, daß es für dieses höllische Zeug ein Gegenmittel gibt: Strychnin! Und nur dieses! – Master Treebram, haben Sie die Injektionsspritze mitgebracht, wie ich es wünschte, und auch die genaue Menge Strychnin?“

Der Ingenieur reichte Harst beides.

Gleich darauf hatte Harst dem Opfer Palperlonscher Tücke das Gift unter die Haut gespritzt. Die Wirkung war blitzartig. Durch Pooks Leib ging ein Zucken. Dann richtete Pook sich mit einem Ruck auf, schaute wild um sich. Harst drückte ihn wieder zurück.

[63] „Bleiben Sie noch eine Weile ruhig liegen, Master Pook. Sie dürften zu schwach sein, aufzustehen. – Eine Frage: hat Ihnen gestern mittag jemand den Basuto-Götzen zum Kauf angeboten?“

„Ja. Ein alter Matrose,“ erklärte Pook matt.

„So stimmt also auch diese meine Vermutung,“ nickte Harst. „Palperlon, geben Sie zu, dieser Matrose gewesen zu sein?“

„Leugnen hätte kaum Zweck, Herr Harst,“ sagte der große Verbrecher mit einer weltmännischen Verbeugung. „Ich kann nur abermals erklären: Sie leisten stets mehr, als ich in Rechnung ziehe. Daß Sie auch hinter das Geheimnis des Götzen gekommen seien, ahnte ich nicht. Meine Versicherung, lediglich den Stein gestohlen zu haben, war falsch. Sie haben mich also mit gutem Recht festgenommen.“

Dann ließ Garner Palperlon nach Kapstadt schaffen, fuhr selbst im Polizeiauto mit. Auch Treebram brach sehr bald auf. Wir begleiteten ihn bis ans Parktor. Als wir nun, Fitzgerald in der Mitte zwischen uns, der Villa wieder zuschritten, sprach dieser Harst nochmals seinen Dank für die Wiederherbeischaffung der Rose von Rondebosch in geradezu überschwenglichen Worten aus.

Harst blieb plötzlich stehen.

„Herr Fitzgerald,“ sagte er mit einem seinen Lächeln, „Sie danken mir da für etwas, was kaum 1000 Mark Wert haben dürfte.“

Fitzgerald erbleichte.

„Wie – wie meinen Sie das?“ stammelte er.

„So, wie ich es sage. Die Rose von Rondebosch existiert nicht mehr, Herr Fitzgerald! Sie waren vor einem halben Jahr in bösen Geldkalamitäten infolge der Verschwendungssucht Ihrer Frau. Da haben Sie heimlich den Stein in vier Steine zerlegt, diese selbst geschliffen und durch Edward Pook in Amsterdam verkaufen lassen. Als diese vier prächtigen, so seltenen rosa Diamanten dann in den Handel kamen, berichteten die Zeitungen darüber, und in diesen Artikeln war auch erwähnt, daß ein Fremder, der einen falschen Namen angegeben hätte, die Steine veräußert habe, die in der Farbe genau mit der berühmten Rose von Rondebosch übereinstimmten. – Dieser Fremde war eben Ihr Neffe, Herr Fitzgerald, den Sie ins Vertrauen gezogen hatten. Hier hinter kam ich [64] gestern, als ich mit Treebram mich über den Diebstahl unterhielt. Da erzählte er mir, daß vor etwa sechs Monaten vier Steine in Amsterdam aufgetaucht seien, die Ihrer „Rose“ in der Farbe völlig glichen. Und ich wieder holte dann aus ihm heraus, daß kurz vorher Pook einige Zeit in Europa gewesen war. Als ich mir nun weiter vergegenwärtigte, was alles mir an Ihrem Benehmen und Wesen aufgefallen war, sagte ich mir sehr bald das richtige: daß Sie den Stein verkauft hätten, dies aber verschweigen wollten, daß der jetzt gestohlene Stein eine Imitation sei und Sie nun fürchteten, durch den Diebstahl könnte herauskommen, wie es mit Ihren Finanzen bestellt gewesen und auf welche Weise Sie diese wieder in Ordnung gebracht hatten! Sie sind ein sehr angesehener Mann, und die Öffentlichkeit hätte von Ihnen ein anderes Bild erhalten, wenn bekannt geworden wäre, daß Sie alle Welt in dem Glauben belassen hatten, die echte Rose von Rondebosch lagere noch in Ihrem Museum. Daher Ihre Angst, daher Ihr Bestreben, Ihre damalige schlechte pekuniäre Lage abzuleugnen!“

Fitzgerald holte tief Atem. Dann streckte er Harst die Hand hin: „Sie haben recht! Ich werde jetzt aber die Wahrheit nicht länger verheimlichen.“ –

Wir blieben noch eine Woche als Gäste in Fitzgeralds Villa. Wir lernten auch noch Frau Lizzie Fitzgerald kennen, die ganz unerwartet zu ihrem Gatten zurückkehrte.

Dann geriet ganz Kapstadt über Palperlons Flucht aus dem Gefängnis in helle Aufregung. Und diese Flucht unseres alten Feindes führte uns an die Gestade eines weltfernen Eilandes. Hierüber im nächsten Band unter dem Titel „Der Einsiedler von Tristan da Cunha“ näheres.




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Weitere Ausgaben
unserer Harst-Abenteuer

098. Das geheimnisvolle Fenster. 137. Baron Tissanders Schaukel.
099. Anita Armands Verhängnis. 138. Das Erbbegräbnis.
100. Unser 100. Abenteuer. 139. Das Gestade der Vergessenheit.
101. Die Piraten der Havelseen. 140. Die Wachspuppe des Trödlers.
102. Der Napoleon aus Wachs. 141. Der Maskenball der Toten.
103. Der dritte Schuß. 142. Die Villa mit den vier Schornsteinen.
104. Das Zimmer ohne Fenster. 143. Das Gespenst von Jan Mayen.
105. Das Paket im Urbanhafen. 144. Das geheimnisvolle Floß.
106. Der unheimliche Mieter. 145. Die Familientruhe der Darlingtons.
107. Das Känguruh der Miß Dolling. 146. Die drei Finger Ben Bensons.
108. Die Motoryacht ohne Namen. 147. Die Fürstin der Gwala-Berge.
109. Der Kampf gegen Lionel Barring. 148. Der Fakir ohne Arme.
110. Das Geheimnis der Tokkara-Fälle. 149. Joe Billwakers Verbrechen.
111. Die große Null. 150. Das Geheimnis des Perlentauchers.
112. Das Geheimnis des Bosporus. 151. Burg Totenhall.
113. Anna Karstens Amulett. 152. Das Untergrundbahngespenst.
114. Der Mann mit dem Glasauge. 153. Der Geisterberg Schara Schaka.
115. Der Kopf des Maharadscha. 154. Die rote Rakete.
116. Die Treppe des Todes. 155. Der Traum der Lady Gulbranor.
117. Doktor Groupys Verhängnis. 156. Der Geheimbund der zwölf Schlüssel.
118. Das Geisterschiff. 157. Das Geheimnis des Sanatoriums
119. Der Tennisschläger der Rani. 157. Waldesruh.
120. Der Mann im Monde. 158. Die Insel der Verstorbenen.
121. Tama Barru, der Verrückte. 159. Miß Wells seltsames Abenteuer.
122. Das Piratendorf. 160. Das Haupt der Shinta.
123. Die Hexenküche. 161. Der Spiritistenklub.
124. Das Geheimnis von H. O. III. 162. Der Mann aus Eisen.
125. Die Gräfin mit den Kormoranen. 163. Das Geheimnis der Pagode.
126. Der Bouillonkeller Nr. 143. 164.Der Gentlemen-Pirat.
127. Der tote Tümmler. 165. Das Rätsel der drei Schlüssel.
128. Das Erbe des Verschollenen. 166. Miß Grandells letzte Nacht.
129. Das Geheimnis der Drabu-Fälle. 167. Das Geheimnis des Inselforts.
130. Die Faktorei auf der Toteninsel. 168. Das Wespennest von Potanur.
131. Das gestohlene Auto. 169. Der Blinde vom Engelsriff.
132. Das Rätsel der Spielkarten. 170. Der tote Radscha.
133. Die Diamanten des Bettlers. 171. Ein seltsames Hochzeitsgeschenk.
134. Die Photographien d. Sennor Trimaldo.000 172. Der Abreißkalender des Kapitäns.
135. Der Kokain-Klub. 173. Der rätselhafte Gast.
136. Harald Harsts zweite Liebe. 174. Die grün-rote Schnur.
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