Die Pest in Pforzheim
Welch Lärmen, welch Gedränge
Stört Pforzheim’s Morgenruh’?
Was treibt in bunter Menge
Das Volk dem Rathhaus zu?
Das schauervolle Wort:
„Die Pest ist ausgebrochen!“
So tönts von Ort zu Ort.
Heute roth,
Hilf uns Herr, in der letzten Noth!
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht!
O Leid! in jedem Hause
Die Würgerin, die grause,
Verschont nicht Groß und Klein;
Das Kind, den kräft’gen Gatten,
Das Weib im Schönheitsglanz,
Die Braut im Myrthenkranz.
Heute roth,
Morgen todt –
Hilf uns, Herr, in der letzten Noth!
Gedenke des Todes, der Christenpflicht!
Verödet stehn die Straßen,
Es schweigt der Arbeit Schall,
Des Hirten muntres Blasen,
Die Sterbglock’ hört man hallen,
Der Nonnen Klagepsalm,
Viel hundert Opfer fallen
Jach wie des Grases Halm.
Morgen todt –
Hilf uns Herr, in der letzten Noth!
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht!
Er sträubt sich mehr und mehr,
Der Todten schwere Menge
Zu fassen nach Begehr;
Am Wege, vor den Thüren
Kein Mensch will sie berühren,
Es steigt die Angst und Qual.
Heute roth,
Morgen todt –
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht!
Der Bruder flieht die Schwester,
Den Hausherrn das Gesind,
Die Mutter selbst ihr Kind.
Gesprengt sind alle Bande
Der Sitte, der Natur;
Wer übt noch Macht im Lande?
Heute roth,
Morgen todt –
Hilf uns, Herr, in der letzten Noth!
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Derweil nun pestgepeinigt
Die Stadt voll Jammers war,
Hat Rathes sich vereinigt
Von Bürgern eine Schaar,
Den edlen Singerbund;
Viel wakre Gildgenossen
Gelobten sich’s zur Stund’:
„Was euch droht,
Laßt uns lindern der Kranken Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Er üb’ an dem Todten die Christenpflicht!“
So führten sie mit Singen
So Hohen als Geringen
Ward Hülf’ und Trost zu Theil;
Die Lieb’ und Treue kehrte
Zurück ins Thal der Enz,
Dem Grimm der Pestilenz.
Heute roth,
Morgen todt –
Hilf dem Nächsten nach Gottes Gebot!
Gedenke des Todes, der Christenpflicht!
Obiges Gedicht lehnt sich im Wesentlichen an die Geschichte an. Im Iahr 1501, als die Pest in Pforzheim Grauen und Jammer verbreitete, trat eine Anzahl hochherziger Männer als Todtengesellschaft (Singergesellschaft) zusammen, um Jedem in Noth und Tod beizustehen, dem Erkrankten unentgeldlich Hülfe, dem Entschlafenen Ruhe im Grabe zu verschaffen. Den Namen Singer erhielten die Theilnehmer wahrscheinlich deßhalb, weil sie die Todten mit Sang und Klang zu Grab geleiteten. Noch besteht die löbliche Singergesellschaft, freilich nach den Zeitumständen verändert.