Die Offenbarung Johannis/Die Anbahnung der richtigen Auffassung der Apk

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Die Offenbarung Johannis
Moderne Vertreter veralteter Auslegungsmethoden »
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18. Die Anbahnung der richtigen Auffassung der Apk.

Gegen Wetstein wandte schon Semler[1] ein, daß er dem Gesichtskreis der Apk zu enge Grenzen stecke. Er betonte, daß die Apk durchaus von dem Boden des Judentums aus und als ein Buch mit hervorragend judaisierendem Charakter zu verstehen sei. Daneben aber stellte er den durchaus richtigen Grundsatz auf: mala autem illa quae portenduntur, in gentes et Romanos idololatiae tutores praecipue valent. Er hat aber die Apk mehr bekämpft, als zur Deutung derselben im einzelnen beigetragen. In Corrodis kritischer Geschichte des Chiliasmus liegt ein verhältnismäßig vorsichtiger Versuch vor, die Apk nach den jüdisch-rabbinischen Schriften zu deuten, ferner eine ausführliche Verteidigung der Beziehung des Antichrist auf Nero. Auch die Deutung der zehn Könige auf die Parther vertritt er bereits (über Nero vgl. namentlich II 307ff.).

J. Sam. Herrenschneider[2] stellte endlich die Auslegung der Apk auf den Boden, den sie mit Alcasar fast schon erreicht hatte. An Herrenschneider lehnte sich dann Eichhorn[3] an. In bestimmtester Weise wird hier die Beziehung der Weissagung auf das römische Reich festgehalten. Nach dem Vorgang Corrodis wird das verwundete Haupt mit aller Bestimmtheit auf Nero redivivus bezogen. Auch die richtige Deutung von Apk 17, die Beziehung[105] der zehn Hörner auf die mit Nero wiederkehrenden Parther, wird hier ausführlich vorgetragen. Nur zögernd allerdings betritt E. diesen Weg der Deutung; er meint, daß die Apk — nach ihm ein dramatisches Gedicht — diese Bilder nur poetisch verwerte, ohne daß der Verfasser im Ernst den Aberglauben seiner Zeit teile. Das tausendjährige Reich mißdeutet E. noch in alter Weise.

An Eichhorn schließen sich an: F. W. Hagen, Sieg des Christentums über Judentum und Heidentum, oder die Offenbarung Joh. übersetzt und erklärt 1795; S. G. Lange, die Schriften Joh. übersetzt und erklärt I. 1795; F. H. Lindemann, Joh. Offenbarung übers. u. m. e. Kommentar versehen nach dem Lateinischen des Herrn Eichhorn 1816; Fr. A. L. Matthaei, die Offenb. Joh. übersetzt und mit einer vollständigen Erklärung begleitet, 2 Thle. 1828; J. H. Heinrich, Apocalypsis perpetua annotatione illustrata 2. Vol. 1818. 21. (Band X von Koppes NT)[4]

Diejenigen Schriften, in denen dann endlich die Erklärung der Apk einen gewissen Abschluß fand, sind: Bleek, Beiträge zur Kritik und Deutung der Offenbarung Johannes, Berlin. theol. Ztschr. II. 1820, 240-315; Beiträge zur Evangelienkritik 1846; Vorlesungen über die Apk von Hoßbach herausgegeben, Berlin 1862; Ewald, commentarius in apoc. Joannis 1828; die johanneischen Schriften B. II. Göttingen 1862. de Wette, kurze Erklärung der Offenbarung Joh. 1848¹, 1854², 1862³; Lücke, Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung Joh. 1832¹, 1852²; Volkmar, Kommentar zur Offenbarung Joh. Zürich 1862. — Alle diese Kommentatoren gehen von der entscheidenden Beobachtung aus, daß Apk 11 von der Erhaltung des Tempels die Rede ist[5]. Demgemäß muß die Apk, von deren Einheit man überzeugt ist (s. u.), vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben sein. Man erkennt richtig, daß die Apk im wesentlichen sich gegen Rom richtet, man hält an der Nerodeutung fest und geht mit der Zählung der sechs Häupter entweder bis Galba, oder mit Überspringung des Interregnums bis Vespasian. Auch die Beziehung von Apk 16 auf die Parther hat man meistens erkannt. Daß Apk 11 und 20 richtig gedeutet werden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Man hat endlich den Boden erreicht, auf dem man die Apk verstehen kann. Die vorzüglichste Darstellung der Gesamtauffassung gibt de Wette³ p. 7. „Als den Hauptfeind der christlichen Kirche sah er (der Apokalyptiker) das von der römischen Weltmacht unterstützte, von Priester- und Gaukler-Künsten aufrecht erhaltene Götzentum an, während ihm die Feindschaft der Juden als eine untergeordnete und leicht zu überwindende schien. Der Eindruck der neronischen Verfolgung ist bei ihm noch ziemlich frisch und in Verbindung mit dem Volksglauben, daß dieser Christenverfolger noch lebe und bald als vollendeter Widerchrist wiederkehren werde, die Haupttriebfeder seiner prophetischen Hervorbringung“.

Überdies wurde durch die übereinstimmend von C. F. A. Fritzsche[6], [106] F. Benary[7], F. Hitzig[8], E. Reuß (vgl. Hltzm.² 297)[9] erkannte Deutung der Zahl 666 auf קֵסָר נֵרוֹן‎ die Beziehung der Apk auf Nero endgültig sichergestellt. Bleek und de Wette blieben freilich bei der Deutung Λατεῖνος, Ewald³ gab in I die Deutung קֵיסָר רוֹם= 616 bekannte sich aber in II zu der Deutung auf Nero unter Verweisung auf die syrische Schreibweise קְסָר‎.

Somit ist diejenige Deutung erreicht, welche man, die Einheitlichkeit der Apk vorausgesetzt, eine abschließende nennen kann.

Auch Düsterdieck 1. bis 4. Auflage (1859-1887) dieses Werkes schließt sich im großen und ganzen an die genannten Forscher an. Nur wehrt er die ganze Beziehung auf Nero redivivus als eine der Apokalypse unwürdige Phantasie ab, greift in der Deutung des Kap. 13 auf Grotius zurück und bezieht Kap. 17 teils auf die Herstellung des Reiches durch Vespasian, teils als eine Weissagung auf Titus und Domitian. Hier sind ferner[10] noch etwa zu nennen: Rinck, apokalyptische Forschungen, Zürich 1853; H. Böhmer, die Offenbarung Johannes, Breslau 1866 (B. lehnt sich durchweg an Grotius an); E. Böhmer, de apoc. Joannea ex rebus vatis aetate gestis explicanda. Dissert. Hal. 1854; Kienlen, commentaire historique et critque sur l’Apoc. de Jean 1870; vgl. ferner die populären Darstellungen: E. O. Schellenberg, d. Offenb. Joh. 1867; Manchot d. Offenb. Joh. 1869; W. Beyschlag, d. Offenb. 1876; Lindenbein, die Offenbarung Johannis 2. Aufl. 1895 (populäre Auslegung in Anlehnung an Düsterdieck). Von katholischen Gelehrten ist hier etwa noch zu nennen der Deutsche d’Allioli (in französischer Übersetzung erschienen Paris 1868), der Italiener Antonio Cerese, l’apocalisse o Revelatione dei destini et del corso storico del genere 1869-71, der Franzose Rohrbacher (vgl. über diese Chauffard). Unter den englischen Gelehrten hält, soweit ich sehe, F. D. Maurice (Lectures on the apocalypse. Cambridge 1861) bei größter Abschwächung derselben doch an der geschichtlichen Methode fest. Alford nennt in seinem Kommentarwerk (p. 246; s. u.) nur Moses Stuart (a commentary on the apocalypse. Andover 1845), Davidson und Desprez (England) als Vertreter dieser Auslegungsmethode. Im allgemeinen herrscht gerade in der englischen Literatur noch die phantastische wilde Exegese vergangener Zeit. — Löhr, die Offenbarung Johannes 1890, ist eine Vermischung zeitgeschichtlicher und kirchengeschichtlich-spiritualisierender Auslegung. P. Langer, die Offenbarung d. Ap. Johannes. Trier 1897, sieht in der Apk die Überwindung des Judentums und des Heidentums geweissagt.


  1. In der Herausgabe von W.s Werk s. o. 103,2.
  2. Tentamen apocalypseos a capite 4 usque ad finem illustrandae, akademische Inauguraldissertation, Argent. 1786 (mir nicht zugänglich).
  3. Commentarius in apoc. Jo. Göttingen 1791. 2 vol.
  4. Nach de Wette³ 24. Von Eichhorn ist auch Hallenberger, Historiske Anmärkinger öfver Uppenbarelse Boken, Bandet 1-3, Stockholm 1800, abhängig. Mit den im vorigen Abschnitt genannten Auslegern hat er die Heranziehung reichen jüdischen Materials zur Erkl. der Apk gemein.
  5. So Bleek nach dem Vorgang von Storr, Oeder, Semler, Corrodi.
  6. Annalen d. gesamten theol. Lit. 1831. III 1, 42-64.
  7. B. Bauers Ztschr. f. spekul. Theol. I 1836. 205f.
  8. Ostern u. Pfingsten 1837 S. 3. Hitzig sprach Benary die Priorität ab, dagegen Benary, Haller allgem. Literaturzeit.: Intelligenzblatt. Aug. 1837. 428. — Vgl. Reuß ebenda Sept. 520.
  9. Ewald behauptet, die Nerodeutung schon 1828 gekannt zu haben. (Johanneische Schriften II 263).
  10. Vgl. zu der folgenden Literatur den Handkommentar von Holtzmann, ferner L’apocalypse et son interprétation par A. Chauffard 1888-90. B. I. examen critique. (Hier liegt nur ein Überblick über moderne katholische Literatur vor). Wer sich für englische Literatur interessiert, den verweise ich auf Elliotts Horae apocalypticae, Bd. IV 276-528.
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