Die Memoiren der Glückel von Hameln/Zweites Buch
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Derweil ich dieses und was schon geschrieben und was ich schreiben werde, aus großem, betrübten Herzen tue, geschieht es nach dem Absterben von meinem lieben Mann – er ruhe in Frieden – welcher ist gewesen unser getreuer Hirt. Nun, sicher von unserer Sünden wegen hat ihn Gott – gelobt sei er – zu sich genommen, denn »vor dem Bösen ist der Gerechte hingerafft worden«. Nun, ich will mich hier nicht lang aufhalten, denn ich bin gesinnt, so Gott will, euch dieses in sieben kleinen Büchlein zu lassen, wenn Gott uns leben läßt.
Also vermein ich, daß es sich am besten schicken wird, daß ich solches von meiner Geburt anfange.
Meine Geburt, mein ich, ist gewesen im Jahre [5407] 1647[1] in der heiligen Gemeinde Hamburg, wo mich meine reine, fromme Mutter hat zur Welt gebracht mit Hilfe und Barmherzigkeit des großen Gottes. Ob unsere Weisen seligen Andenkens auch gesagt haben: »Besser nicht geschaffen sein, als geschaffen sein«, weil der Mensch so viel auf der sündigen Welt ausstehen muß – so dank und lob ich doch meinen Erschaffer, daß er mich nach seinem Willen und Wohlgefallen erschaffen hat, und bitte den großen, gütigen Gott, da er mich ja nach seinem heiligen Willen erschaffen hat, mich doch in seinen heiligen Schutz zu nehmen und mich vor den ................ (Hier fehlt ein Blatt im Manuskript.) ........ hungrig ist gewesen, in sein Haus gegangen, ist satt [22] wieder herausgegangen. Seine Kinder, sowohl Söhne als Töchter, hat er lernen lassen himmlische und weltliche Dinge. Ich bin in Hamburg geboren, aber wie ich gehört habe – von meinen lieben Eltern und auch von anderen – bin ich keine drei Jahre alt gewesen, als alle Juden von Hamburg vertrieben worden sind. Alle mußten nach Altona ziehen, welches Seiner Majestät dem König von Dänemark gehört und wo alle Juden gutes Auskommen haben. Das Altona ist kaum eine Viertelstunde von Hamburg.
In Altona haben etliche Familienväter gewohnt, ungefähr fünfundzwanzig Haushaltungen, und dort haben wir Bethaus und Friedhof gehabt. Also haben wir eine Zeitlang in Altona gewohnt. Und endlich ist in Hamburg erreicht worden, daß man den Juden in Altona hat Pässe gegeben, daß sie in die Stadt gehen durften und Handel treiben. Ein jeder Paß hat gehalten auf vier Wochen. Denselben hat man von dem regierenden Bürgermeister von Hamburg bekommen und er hat einen Dukaten gekostet. Und wenn der Paß aus gewesen ist, hat man wieder einen neuen nehmen müssen. Aber aus den vier Wochen sind oft acht Wochen geworden, wenn Leute gute Bekanntschaft mit dem Bürgermeister und der Polizei gehabt haben. Es ist den Leuten nebbich gar schwer gefallen, denn sie haben ihren Handel als müssen in dem Ort Hamburg suchen. Besonders sind nebbich manche Arme und Elende gewesen, die sich oft gewagt haben, ohne Paß in die Stadt zu schleichen. Wenn sie dann von der Polizei ertappt worden sind, hat man sie ins Gefängnis gelegt. Das hat dann viel Geld gekostet und Nöten gemacht, bis man sie wieder freigekriegt hat.
Ganz frühmorgens, sobald sie nebbich aus dem Bethaus gekommen sind, sind sie in die Stadt gegangen und gegen Nacht, wenn man das Tor zumachen wollte, sind sie wieder nach Altona gegangen. Und wenn sie nebbich fortgegangen waren, war ihr Leben oft nicht sicher vor Bosheit von bösen Leuten und Lumpengesindel, so daß jede Frau nebbich Gott gedankt hat, wenn sie ihren Mann wieder in Frieden bei sich gehabt hat. [23] Zur selbigen Zeit sind keine vierzig Hausväter mit denen, die von Hamburg gekommen sind, da gewesen und sind auch zur selbigen Zeit keine großen reichen Leute da gewesen, doch hat sich jeder ehrlich ernährt.
Der reichste Mann in derselben Zeit ist gewesen Chajim Fürst, er ruhe in Frieden. Er ist ein Mann gewesen von zehntausend Reichsthalern.
Mein Vater[2] – das Andenken des Gerechten zum Segen – ist ein Mann gewesen von achttausend Reichsthalern. Andere von sechstausend Reichsthalern und auch von zweitausend. Aber sie haben sich sehr schön geführt und gar in Liebe und Freundschaft miteinander gelebt. Aber in genere haben sie besser gelebt als die sehr Reichen jetzt, und selbst der nur fünfhundert Reichsthaler sein eigen gehabt hat, hat sich ganz wohl sein lassen. Jeder hat sich mit seinem Anteil gefreut, viel mehr als in dem jetzigen Geschlecht, wo die Reichen nicht mehr zu ersättigen sind. Und von ihnen ist gesagt: »Kein Mensch stirbt, der auch nur die Hälfte seiner Wünsche erreicht hat.« Wenigstens erinnere ich mich noch, daß mein Vater so ein Mann von Gottvertrauen war, wie es keinen gleichen gegeben hat.
Und wenn er – er ruhe in Frieden – nicht so gar mit dem Zipperlein behaftet gewesen wäre, hätte er es doch gar weit gebracht und hätte seine Kinder gar wohl und ehrlich ausgestattet.
Dieses ist gewesen in meiner Kindheit, wie ich ungefähr zehn Jahre alt war. Da hat der Schwede Krieg geführt mit dem König von Dänemark – Gott erhöhe seinen Ruhm. Ich kann nicht viel Nachricht davon schreiben, weil solches in meiner Kindheit geschehen ist, als ein Kind, das zu Hause hat sitzen müssen.
Also zu dieser Zeit sind wir in Altona gewesen, in eitel Sorgen, denn es ist gar ein kalter Winter gewesen, wie in fünfzig Jahren kein Winter ist gewesen. Man hat ihn den schwedischen Winter geheißen. [24] Also hat der Schwede allerwegen herüberkommen können, weil es so hart gefroren ist gewesen.
Auf einmal am Sabbath kommt der Lärm: Der Schwed kommt! Es ist noch früh gewesen, wir sind noch im Bett gelegen, da sind nebbich alle aus den Betten gesprungen und sind nackt und bloß mit uns Kindern nach Hamburg gelaufen. Teilweise haben wir uns bei den Sefardim, teilweise bei den Bürgern behelfen müssen.
Dort sind wir kurze Zeit so gesessen, bis endlich mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – es erreicht hat, und er ist der erste Jude gewesen, der sich wieder in Hamburg ansässig gemacht hat. Nachgerade hat man weiter erreicht, daß mehrere Familienväter nach Hamburg ziehen durften. Und so sind fast alle Juden nach Hamburg zu wohnen gezogen. Mit Ausnahme von denen, die vor der Vertreibung in Altona gewohnt haben, die sind in Altona wohnen geblieben.
In jener Zeit hat man gar wenig Steuer an die Regierung gegeben. Ein jeder hat für sich selbst mit denjenigen, die dafür eingesetzt waren, akkordiert. Aber wir haben in Hamburg kein Bethaus gehabt und auch gar kein Wohnrecht. Nur aus Gnade von dem Rat – Gott erhöhe seinen Ruhm – sind sie dort gewesen. Doch sind die Juden zusammengekommen in ihren Wohnungen zum Beten, so gut sie nebbich gekonnt haben. Wenn solches die Räte der Stadt vielleicht schon gewußt haben, haben sie doch gern durch die Finger gesehen. Aber als es Geistliche gewahr worden sind, haben sie es nicht leiden wollen und uns nebbich verjagt, und wie das schüchterne Schaf haben wir müssen nach Altona ins Bethaus gehen. Dieses hat eine Zeitlang gewährt, dann sind wir wieder in unsere heimlichen kleinen Bethäuser gekrochen.
Also ist es gewesen, daß wir zeitweilig Ruhe gehabt und zeitweilig wieder verjagt worden sind – bis zum heutigen Tag. Ich fürchte, daß solches so währen wird, solange wir in Hamburg sind und solange die Bürgerei in Hamburg regiert. Gott – er sei gelobt – in seiner Barmherzigkeit [25] und in seinen vielen Gnaden möge sich unser erbarmen und uns den gerechten Messias schicken, daß wir ihm mit ganzem Herzen dienen können und daß wir möchten unsere Gebete halten können in unserem heiligen Tempel in Jerusalem, unserer heiligen Stadt. Amen!
Also sind sie in Hamburg gesessen und meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – sein Handel war mit Edelsteinen und mit anderen Sachen, wie ein Jude, der von allem was nascht.
Der Krieg zwischen Dänemark und Schweden ist nach und nach größer geworden und der König von Schweden hat großes Glück gehabt, daß er dem König hat alles hinweggenommen. Er ist gekommen vor dem König seine Hauptstadt, wo er seine Residenzstadt drin gehabt hat und hat selbige belagert. Und es hätte nicht viel gefehlt, daß er sie eingenommen hätte, wenn nicht der König getreue Räte und Untertanen gehabt hätte, die Seiner Majestät dem König mit Gut und Blut beigestanden hätten, daß er mit Gottes Hilfe alles erhalten hat. Aber sicher ist alles von Gott – er sei gelobt – der ihn erhalten hat, denn er ist ein gnädiger König, ein gerechter, frommer König gewesen. Und wir Juden sind wohl unter ihm gesessen, denn obgleich wir in Hamburg gewohnt haben, hat jeder Hausvater müssen sechs Reichstaler Steuer zahlen, weiter nichts.
Nach einer Zeit haben Holländer dem König beigestanden. Sie sind mit ihren Schiffen durch den Sund gekommen und haben ein Loch in den Krieg gemacht, so daß Friede geworden ist. Aber Dänemark und Schweden sind sich nimmer gut. Wenn sie auch freundlich miteinander sind und sich verschwägern, picken sie doch allezeit einer auf den anderen.
Zu dieser Zeit ist meine Schwester Hendelche – sie ruhe in Frieden – Braut gewesen mit dem Sohne des vornehmen Reb[3] Gumpel von Cleve und sie hat nachbekommen [26] achtzehnhundert Reichsthaler. Das ist zu derselbigen Zeit gar viel gewesen, und es ist keiner in Hamburg gewesen, der bis zu derselbigen Zeit so viel nachgegeben hätte.
Dagegen ist es auch die prinzipalischeste, vornehmste Heirat in ganz Deutschland gewesen, und die ganze Welt hat sich über die große Mitgift und die gute Heirat sehr gewundert. Aber mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist in seinem Handel gesessen und ein Mann voll Gottvertrauen gewesen, der sich auf Gott verlassen hat, daß er ihm helfen wird, seine anderen Kinder auch in Ehren zu verheiraten. Denn er hat sich in seiner Haushaltung und mit Gästen mit allem besser geführt, als jetzt die Reichen, die dreißigtausend Reichsthaler und mehr ihr eigen haben. Solches hat er bis zu seinem Tode ausgeführt.
Nun soll ich von der Hochzeit schreiben, die er meiner Schwester – sie ruhe in Frieden – gemacht hat, und von den wackeren ehrsamen Leuten, die mit Reb Gumpel, dem Vater des Bräutigams, gekommen sind? Was für ein heiliger Mann er gewesen ist, kann ich gar nicht genug beschreiben. Er hat niemandem von jetzt geglichen, wie ehrlich er geliefert hat. Wie magnifique es auf der Hochzeit zugegangen ist, kann ich nicht beschreiben. Die Hauptsache ist, wie er arme Leute erfreut hat, und mögen wir alle seine Fürbitte genießen.
Mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist nicht so reich gewesen, aber, wie schon gesagt, von großem Gottvertrauen und ist niemandem etwas schuldig gewesen. Also hat er sich ehrlich ernährt und es sich gar sauer werden lassen, daß er Frau und Kinder mit Gottes Hilfe ernährt hat.
Er ist von Schmerzen gequält gewesen und ist schon ein Mann von Jahren gewesen, daher hat er sich sehr geeilt, seine Kinder zu verheiraten. Als er meine Mutter – sie soll leben – genommen hat, ist er ein Witwer gewesen. Wohl fünfzehn Jahre und mehr hat er schon eine Frau gehabt, aber keine Kinder mit ihr. [27] Wie sie – sie ruhe in Frieden – gestorben ist, nach ihrem Tode hat mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – meine Mutter zur Frau genommen. Sie ist nebbich eine verlassene Waise gewesen, und meine liebe fromme Mutter hat mir oft erzählt, wie sie nebbich in ihrem Waisenstand in Not gewesen mit ihrer guten Mutter, der frommen Mate – sie ruhe in Frieden. Die hab ich noch gekannt. Es ist keine frömmere und klügere Frau gewesen als sie.
Mein Elternvater – er ruhe in Frieden – hat geheißen Reb Nathan aus Ellrich. Er hat in Detmold gewohnt und ist ein sehr reicher, wackerer und vornehmer Mann gewesen.
Endlich ist er von dort vertrieben worden, so daß er mit Weib und Kindern von dort hinweg mußte, und hat sich nach Altona begeben. Zur selbigen Zeit haben keine zehn Familien dort gewohnt und haben erst angefangen, sich dort ansässig zu machen.
In derselbigen Zeit ist Altona eine Grafschaft gewesen, die dem Grafen Schaumburg zugehörig war.
Nathan Spanier – er ruhe in Frieden – ist der erste gewesen, der es erreicht hat, daß Juden in Altona gewohnt haben. Und zu derselbigen Zeit hat Altona und die ganze Grafschaft Pinneberg noch nicht zum Königreich Dänemark gehört, aber nachher ist derselbige Graf sonder Nachkommen gestorben, also ist es dem Königreiche Dänemark anheimgefallen. – So sind sie immer einzelweise dorthin gezogen.
Der Nathan Spanier hat seinen Schwiegersohn Reb Loeb auch nach Altona gesetzt. Der Reb Loeb ist ein Hildesheimer gewesen; er ist zwar kein reicher Mann gewesen, aber doch ein ehrlicher Mann, der seine Kinder ehrlich verheiratet hat, wie es in jener Zeit ist in Ordnung gewesen. Seine Frau Esther – sie ruhe in Frieden – ist eine gar wackere, fromme, ehrliche Frau gewesen. Sie hat sich gar wohl auf den Handel verstanden und hat in Wirklichkeit das ganze Haus ernährt. Allemal ist sie auf die Messe zum Kieler Umschlag gereist mit Waren. Zwar hat sie nicht viel Waren mitgenommen, denn die Leute haben sich damals [28] begnügen lassen. Sie hat gar gut geredet und Gott hat ihr Gunst gegeben in den Augen derer, die sie sahen. Adelige Damen in Holstein haben sie sehr gerne gemocht.
Also haben sie ihren Kindern drei- bis vierhundert Reichsthaler nachgegeben und doch Eidame gehabt, die sehr reich waren. So ist Reb Elias Ballin ein sehr reicher Mann gewesen mit dreißigtausend Reichsthalern. Reb Mausche Goldzieher ist ein reicher Mann gewesen und deren noch mehrere.
Sein Sohn Reb Mausche ist ein sehr reicher, wackerer Mann bis zu seinem Tode gewesen. Sein Sohn Reb Lipmann ist zwar kein so reicher Mann gewesen, hat sich aber doch hübsch ernährt und desgleichen seine übrigen Kinder. Daß ich solches schreibe, ist, daß es eben nicht an der großen Mitgift gelegen ist – wie in denselbigen Zeiten zu ersehen war – sondern daß Leute ihren Kindern wenig nachgegeben haben, und sie sind doch sehr reich geworden.
Nun wieder auf unseren Zweck zu kommen.
Da mein Elternvater, Reb Nathan aus Ellrich, wie schon gesagt, vertrieben worden war, hat er sich in das Haus zu Reb Loeb, dem Schwiegersohn des Nathan Spanier, begeben und große Reichtümer mitgebracht, so daß Esther, die Frau von dem selbigen Reb Loeb mir oft Wunder von den Reichtümern erzählt hat. Ganze Kisten voll goldene Ketten und verschiedene Kleinodien und ganz große Beutel mit Perlen, wie zu derselben Zeit auf hundert Meilen so kein Reichtum gewesen ist, welcher aber leider nicht lange gewährt hat.
Gott bewahre, die Pest ist gekommen und mein Großvater und etliche Kinder sind gestorben.
Meine Großmutter selig hat noch zwei ledige Töchter übrig behalten und ist mit ihnen bloß und ohne alles fortgegangen. Sie hat mir erzählt, wie sie nebbich in Not waren und kein Bett, nichts, gehabt und wie sie auf Holz und Stein ihr Nachtlager haben mußten. Sie hatte zwar schon eine Tochter verheiratet, diese hat ihr aber nebbich nicht zu Hilfe kommen können. Sie hatte auch einen Sohn verheiratet, [29] mit Namen Reb Mordechai. Dem ist es gar wohl ergangen und er war ein sehr reicher Mann. Aber derselbe ist auch zu dieser Zeit, er und seine Frau und sein Kind – Gott bewahre uns – an der Pest gestorben. Also hat sich meine liebe Großmutter mit ihren beiden Waisen in großer Not befunden und hat wirklich von einem Haus zum anderen kriechen müssen, »bis der Zorn vorüber war«.
Wie die Pest aufgehört hat, hat sie ihr Haus wieder bewohnen wollen und ihre Sachen auswettern. Aber da hat sie wenig mehr gefunden. Ihre besten Sachen sind weg gewesen. Nachbarn haben bei ihr gewohnt und die Bretter aus dem Fußboden aufgehoben und alles aufgebrochen und das meiste vom ihrigen weggenommen. Gar wenig ist für sie und ihre Waisen nebbich übrig geblieben.
Nun, was hat sie nebbich tun sollen? Meine fromme Großmutter – sie ruhe in Frieden – hat noch einige wenige Pfänder gehabt, von diesen hat sie sich mit ihren Waisen ernährt. Die beiden Waisen waren die Tante Ulk[4] und meine verehrte Mutter Bele – sie soll leben.
Endlich hat die gute Frau, die Großmutter – sie ruhe in Frieden – so viel zusammengeschrappt und gebracht, daß sie ihre Waise Ulk verheiratet hat und sie hat sich mit Reb David Hanau verschwägert. Er ist ein Großer seines Geschlechtes gewesen, hat den Morenu-Titel gehabt und war, wie mich deucht, Vorsitzender des Rabbinerkollegiums in Friesland. Danach ist er nach Altona gekommen und sie haben ihn dort als Vorsitzenden des Rabbinerkollegiums aufgenommen.
Der Bräutigam hat geheißen Elia Cohen – er ruhe in Frieden. Er hat ihm fünfhundert Reichstaler nachgegeben. Derselbe ist bald zu großem Reichtum gekommen und es ist ihm alles geglückt. Aber er ist leider jung gestorben und ist keine vierzig Jahre alt geworden.
Wenn ihm Gott – er sei gelobt – sein Leben gelassen hätte, wäre ein großer Mensch aus ihm geworden, [30] denn Gott hatte ihm eine glückliche Hand gegeben. Wenn er, mit Verlaub, Mist in seine Hand genommen hat, kann man fast sagen, daß Gold daraus geworden ist.
Aber die Schicksalswendung ist gar zu geschwind gekommen. Diesmal ist es Gezänk gewesen wegen dem Vorsteheramt in der Gemeinde.
Mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist viele Jahre Vorsteher gewesen und der Elia Cohen – er ruhe in Frieden – hat sich dünken lassen, daß er ein junger Mann ist und sein Reichtum hat von Tag zu Tag zugenommen, er war ein kluger Mann und von guten Eltern. Sein Vater war Reb David Hanau gewesen, darum hat er vielmals verlauten lassen: Warum soll ich nicht ebensogut Vorsteher sein als mein Schwager Loeb? Bin ich nicht so klug als mein Schwager Loeb? Bin ich nicht so reich als er ist? Bin ich nicht von ebenso guter Herkunft als er ist?
Aber Gott – er sei gelobt – der Zeit und Ziel vorsetzt und ordiniert, hat ihn damals hinweggenommen.
Damals ist auch die Gemeinde in Streit gekommen, und wie üblich in der Welt, daß der eine zu dieser, der andere zu jener Partei gehalten hat. Es ist damals leider gar übel in unserer Gemeinde ergangen. Zuerst ist gestorben Feibelmann – er ruhe in Frieden – er ist Vorsteher gewesen. Darnach ist gestorben Chajim Fürst – er ruhe in Frieden – er ist der reichste Mann in der Gemeinde gewesen. Auch er war Vorsteher. Darnach hat sich Abraham Schammes niedergelegt und ist gestorben. Bevor er die Seele ausgehaucht hat, hat er gesagt: »Man hat mich berufen, um im Jenseits vor Gericht als Zeuge auszusagen.«
Chajim Fürst – er ruhe in Frieden – hat einen Sohn gehabt, der hat Salomon geheißen, der ist Vorsteher gewesen und auch gestorben. Er ist ein sehr ehrenwerter Mann gewesen und ein großer Gelehrter. Und noch andere Hausväter waren, die ich aber vergessen habe.
So hat Gott – gelobt sei er – den Streit unter den Vorstehern geendet.
[31] Nun wieder zu meiner Großmutter Mate – sie ruhe in Frieden – zurück.
Nachdem sie die Tante Ulk, seligen Andenkens, verheiratet hatte, ist ihr nebbich nichts mehr übriggeblieben. Sie hat noch meine Mutter als Waise gehabt, die ist ein Mädchen von 11 Jahren gewesen, und hat sich mit ihr in das Haus ihrer Tochter Glück – sie ruhe in Frieden – begeben, die den Jakob Ree gehabt hat.
Nun, der Jakob Ree – er ruhe in Frieden – ist zwar kein sehr reicher Mann gewesen, aber doch ein ehrlicher Mann, der seinen Kindern vier- bis fünfhundert Reichsthaler nachgegeben hat. Er hat aber mit seinen Kindern lauter gute Heiraten gemacht und nur feine junge Leute zu Schwiegersöhnen genommen und sich nur mit guten Familien verschwägert.
Als nun meine Großmutter einige Zeit bei ihnen gewesen ist und auch verwaiste Enkel bei sich gehabt hat, sind solche vielleicht manchmal zu viel geworden oder es ist sonst was Widriges vorgefallen, wie es bei Eltern und Kindern zu sein pflegt. So ist sie nebbich dann mit ihrer Waise zur Tante Ulk gegangen und sie haben sich allein ernährt.
Und zwar hat meine Mutter – sie lebe – gar gut klöppeln können, Gold- und Silberspitzen. So hat Gott – er sei gelobt – ihr die Gnade angetan, daß Kaufleute nach Hamburg gekommen sind, die ihr Gold und Silber zum Klöppeln gegeben haben.
Jakob Ree – er ruhe in Frieden – hat das erstemal für sie gebürgt.
Darnach haben die Kaufleute gesehen, daß sie ehrlich Wort hält und den Kaufleuten das Ihrige zur rechten Zeit wieder liefert, und da haben sie ihr allein getraut. Meine Mutter hat auch mehrere Mädchen bei sich gehabt, die für sie geklöppelt haben, und meine Mutter ist ihre Lehrmeisterin gewesen, damit sie gelernt haben, daß sie sich und ihre Mütter endlich davon ernährt haben und sich hübsch und reinlich davon auch kleiden konnten.
[32] Sie haben aber nebbich nicht viel übrig davon gehabt, so daß meine Mutter sich oft hat den ganzen Tag mit einem Stück Brot behelfen müssen und hat auch so fürlieb genommen. Doch hat sie Vertrauen auf Gott – er sei gelobt – gehabt, welcher sie bis jetzt nicht verlassen hat, und dieses Vertrauen hat sie auch bis zum heutigen Tag behalten. Ich wollte, daß ich auch eine solche Notwehr[5] annehmen könnte.
Nun, Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – gibt nicht jedem Menschen das Gleiche.
Nun, wie schon gesagt, mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – hat, zuvor er meine Mutter bekommen hat, eine Frau gehabt, die hat Reize geheißen. Soll ein gar wackerer Mensch und gebieterische Frau gewesen sein, und hat eine große vornehme Haushaltung geführt.
Endlich ist sie gestorben und hat mit meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gelobt – keine Kinder gelassen.
Dieselbe hat aber zuvor eine einzige Tochter gehabt, also hat mein Vater von seiner ersten Frau eine Stieftochter bekommen. Selbe hat nicht ihresgleichen gehabt in ihrer Schönheit und in ihrem Tun. Französisch hat sie wie Wasser gekonnt, was meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – einmal sehr zunutze gekommen ist.
Denn mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – hat von einem Offizier ein Pfand für fünfhundert Reichsthaler gehabt. Also kommt der Offizier nach einer Zeit mit noch zwei Offizieren und will das Pfand auslösen.
Das war meinem Vater recht gewesen, er geht hinauf und holt das Pfand. Seine Stieftochter steht bei dem Klavecymbel und spielt darauf, damit den Offizieren die Zeit nicht lang werden soll. Also stehen die Offiziere bei ihr und bereden sich zusammen, daß, wenn der Jude mit ihrem Pfand kommt, sie es ohne Geld nehmen und davongehen.
Das haben sie auf französisch geredet und nicht gedacht, daß es das Mädchen versteht.
[33] Also ist denn mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – mit dem Pfand gekommen, da hat sie laut hebräisch zu singen angehoben: »Beim Leben, das Pfand nicht geben. Heute ist er hier und morgen ist er geflohen.« In der Hast hat sie nebbich nichts anderes herausbringen können.
Also sagt mein Vater zu dem Offizier: »Mein Herr, wo ist das Geld?«
Sagt der Offizier: »Gebt mir das Pfand.« Sagt mein Vater: »Ich geb kein Pfand; ich muß das Geld erst haben.«
Also sagt der eine Offizier zu dem anderen: »Brüder, wir sind verraten; die Dirne muß Französisch können!« und laufen mit Drohworten zum Haus hinaus.
Den anderen Tag kommt der Offizier allein zu uns und gibt meinem Vater das Geld mit den Zinsen für das Pfand und sagt: »Ihr habt es gut zu genießen gehabt und euer Geld gut angelegt, daß ihr eure Tochter habt Französisch lernen lassen«, und geht damit seines Weges.
Nun, mein Vater – sein Andenken sei geehrt – hat die Stieftochter bei sich gehabt und sie nicht anders als sein leibliches Kind gehalten. Er hat sie auch verheiratet und gar eine gute Heirat für sie gemacht.
Sie hat gekriegt aus Aurich den Sohn von Reb Kalman Aurich. Aber sie ist beim ersten Kind gestorben – sie ruhe in Frieden – und etliche Tage danach hat man sie beraubt und ihr die Sterbekleider ausgezogen. Dann ist sie im Traum erschienen und hat die Sache erzählt. Man hat sie ausgegraben und hat solches gefunden.
Da sind die Weiber flugs gegangen und haben ihr andere Sterbekleider genäht. Wie sie sitzen und nähen, kommt die Magd in die Stube und sagt: »Um Gottes willen, eilt euch mit eurem Nähen. Seht ihr nicht, daß die Tote zwischen euch sitzt?« Aber die Weiber haben nichts gesehen. Wie sie fertig gewesen sind, haben sie der Toten ihre Sterbekleider gegeben. So ist sie ihr Lebtag nicht wieder gekommen und in ihrer Ruhe geblieben.
[34] Nun hab ich schon gesagt, wie mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – die Mutter genommen hat und auch etwas, wie es ihnen gegangen ist.
Sobald mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – mit der Mutter Hochzeit gehabt hat, hat er bald meine Großmutter Mate – sie ruhe in Frieden – zu sich genommen und oben an seinen Tisch gesetzt. Er hat sie ihr ganzes Leben bei sich gehalten und ihr alle Ehre der Welt angetan, wie wenn es seine eigene Mutter gewesen wäre. Die Betthemden, die meine Großmutter nebbich meiner Mutter gegeben hat, dieselbigen hat ihr meine Mutter alle wieder gegeben, und alles mit Wissen von meinem Vater – er ruhe in Frieden. – Kurz, sie ist so wohl gehalten worden, als wenn sie in ihrem eigenen Haus gewesen wäre. Der liebe Gott soll dieses Verdienst uns und unsere Kinder genießen lassen. Sie ist mehr als siebzehn Jahre bei ihm gewesen in allen Ehren.
Nachher war es, daß die Wilnaer aus Polen fortgelaufen sind und viele sind nach Hamburg gekommen. Sie haben eine ansteckende Krankheit an sich gehabt. Zur selben Zeit hat man kein Spital oder sonst Häuser gehabt, in die man hätte kranke Leute legen können. Also haben wir wohl zehn kranke Leute auf unserem Boden liegen gehabt, die mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – alle hat aushalten lassen. Einige von ihnen sind gesund geworden, einige sind gestorben.
Ich und meine Schwester Elkele[6] sind diesmal auch krank geworden und zehn Tage gelegen. Meine fromme Großmutter – sie ruhe in Frieden – ist bei all den Kranken gewesen, ist hin und her gegangen und hat gesehen, daß keiner Mangel gehabt hat. Wenn auch Vater und Mutter es nicht gerne leiden wollten, hat sie sich doch nicht wehren lassen wollen und ist alle Tage drei-, viermal auf den Boden gegangen zu den Kranken. Endlich ist sie auch krank geworden und zehn Tage gelegen. Danach ist sie mit gutem Namen und [35] in gutem Alter gestorben. Sie ist 74 Jahre alt gewesen, aber noch so frisch gewesen, als wenn sie eine Frau von 40 Jahren wäre.
Das Reden und die Sündenbekenntnisse, die sie gesagt hat vor ihrem Tod, sind nicht wiederzugeben. Und das Lob, das sie meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – gegeben hat und die Danksagung, die sie gegen ihn getan hat, ist nicht zu beschreiben. Vater und Mutter hatten ihr alle Woche gegeben abwechselnd einmal einen halben Reichstaler und das nächstemal zwei Schock Heller, daß sie sich dafür etwas zugute tun soll und dafür kaufen, was sie will.
Auch ist mein Vater auf keine Messe gereist oder wieder heimgekommen – jedesmal hat er ihr etwas mitgebracht. Dasselbe hat sie – sie ruhe in Frieden – zwar alles gespart und auf kleine Pfänder verlehnt.
Da sie nun hat sterben sollen, hat sie zu meinem Vater gesagt: »Mein Sohn, ich gehe jetzunder den Weg von allen Menschen. Ich bin so lang in eurem Haus gewesen, ihr habt mich gehalten, als wär ich eure leibliche Mutter gewesen. Nicht allein, daß ihr mir das beste Essen und Trinken gegeben und mich anständig gekleidet habt, ihr habt mir noch Geld dazu gegeben. Was hab ich mit dem Geld getan? Das hab ich mir zusammengehegt und gespart, daß ich nichts davon genommen und hab es nachgerade auf kleine Pfänder verlehnt, so daß ich ungefähr zweihundert Reichstaler werde beisammen haben. Nun, wem soll das billig gehören als meinem lieben Eidam, denn es ist alles von dem seinigen. Aber wenn mein lieber Eidam darauf verzichten wollte und es meinen zwei armen Enkeln, den Waisen von meinem Sohn Reb Mordechai lassen – stell ich es in sein Belieben – wie er will.«
Und es haben müssen Reb Jehuda und Reb Anschel und ihre Kinder und Eidame dabei sein.
Da hat ihr mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – geantwortet: »Meine liebe Schwieger und Mutter, ich [36] bitt euch, seid ruhig. Gott wird geben, daß ihr noch lange bei uns bleiben werdet und daß ihr dann das Geld selbst austeilen werdet, an wen ihr wollt. Ich verzichte von Herzen gern darauf. Gott – er sei gelobt – wird euch aushelfen, und dann will ich euch noch hundert Reichsthaler dazu schenken, damit ihr mehr Zinsen davon kriegen könnt und damit machen könnt, was euch beliebt.«
Als meine Großmutter dieses von meinem Vater – sein Andenken sei gesegnet – gehört hat, ist sie nebbich voll Freude gewesen und hat angefangen ihn und meine Mutter und ihre Kinder mit allen Segnungen der Welt zu segnen und hat allen Leuten sein Lob erzählt. Am andern Tag ist sie ruhig und sanft eingeschlafen und mit großen Ehren zu Grabe gekommen, als wie sie es wohl wert gewesen. Ihre Fürbitte sollen wir und unsere Kinder und Kindeskinder genießen.
Wieder zu meinem Vater – sein Andenken sei gesegnet – zurück. Daß er meine Schwester Hendele – sie ruhe in Frieden – verheiratet hat, dessen hab ich schon in Kürze gedacht, was soll ich mich dabei lang aufhalten. Es sei nur kurz geschrieben, wie meine Mutter nebbich so eine arme verlassene Waise gewesen und ihr Vertrauen auf Gott – sein Name sei gelobt – gehabt, der ihr so herrlich und reichlich geholfen, wie folgende Geschichte aufweist. Wenn es auch ihren Kindern nicht allen gleich wohl ergeht, so geht es doch – Gott sei Dank – den meisten gut und sie haben ihr Brot. Darum, wer sich mit ganzem Herzen auf Gott – er sei gelobt – verläßt, den wird der Höchste nicht verlassen. »Verlasset euch auf Gott, und Gott wird eure Stütze sein.« Gelobt sei er immer und ewig.
Dieses ist gar eine schöne Geschichte und ein Trost für alle betrübten und besorgten Herzen, daß man niemals verzweifeln soll an der Hilfe Gottes – er sei gelobt – gleichwie diesem frommen Mann geschehen ist. Obschon er arm war, Widerwärtigkeiten und vielerlei Nöten auf ihn gekommen waren, hat er alles mit Geduld angenommen und ist nicht von seinem Gott gewichen, welcher ihm auch [37] so gnädiglich beigestanden und geholfen hat, wie ihr folgendes lesen werdet:
Es war einmal ein frommer Mann, derselbe hatte zwei kleine Söhne und ein frommes Weib. Er hatte auch etwas Geld, davon er zehrte, aber er wußte keinen Handel zu treiben, nichts anderes als Talmud zu lernen. Und der fromme Mann wollte sich mit Gewalt gern ernähren, damit er sein Weib und seine Kinder ohne anderer Leute Gift und Gabe ernähren könnte. Aber das Glück wollte ihm nicht wohl, er war nebbich in Schulden gekommen, daß er die Leute nicht bezahlen konnte. Er hatte auch keinen, der für ihn hätte Bürge sein wollen, und die Leute, denen er schuldig war, verklagten ihn vor dem Richter. Also sprach der Richter das Urteil aus, daß, weil er nicht bezahlen konnte und er auch keinen Bürgen habe, soll man ihn ins Gefängnis legen, welches auch geschah. Nun, sein frommes Weib weinte eine große Weinung und sie wußte sich nicht mit ihren zwei kleinen Kindern zu ernähren. Und besonders, daß ihr armer Mann im Gefängnis saß und sie nebbich auch noch für ihn sorgen mußte.
Als sie nun in ihrem Jammern und Weinen war, kam ein alter Mann zu ihr und fragte sie, warum sie so weinet. Und sie sah, daß es ein so anständiger, ehrbarer alter Mann war, da erzählte sie ihm all ihre Not. Da sagte der alte Mann: »Hör auf zu weinen, denn Gott wird dir wieder helfen. Derweil dein Mann die Thora lernet, wird Gott deiner nicht vergessen, denn Gott läßt keinen Schriftgelehrten verfallen. Hilft er ihm nicht in der Jugend, so hilft er ihm im Alter. Ich weiß, daß Du dich viel plagen wirst, und wird dir und deinem Mann und deinen Kindern viel Wind unter die Augen gehen. Aber Gott wird euch alles zu gutem tun, wenn ihr es in Geduld tragen werdet.«
Und er tröstet sie noch mehr und gibt ihr einen Rat, daß sie eine Wäscherin werden sollte und den Leuten im Lohn ihre Hemden waschen. »So wirst du dich mit deinem Mann und Kindern ernähren können, wenn du dich nur nicht schämst, einen jeden anzugehen, daß man dir was zu waschen gibt.«
[38] Nun, die Frau läßt sich trösten von dem alten Mann und sie dankt ihm freundlich und sagt, sie wollte ihm folgen. Der alte Mann ging seines Weges und sie sah ihn nicht mehr. Und sie ging in ihr Haus und macht ihrem Mann etwas Essen auf die Nacht. Sie tröstet ihren Mann, er sollte nicht ungeduldig werden und nur bei seinem Talmudlernen bleiben, sie wolle Tag und Nacht arbeiten, daß sie ihn und ihre Kinder ernährt. Da hub der fromme Mann erst recht an bitterlich zu weinen und sein frommes Weib mit ihm, daß es wohl Gott im Himmel mochte erbarmen. Aber die kluge, fromme Frau ermannte sich zuerst wieder und sprach: »Mein lieber Mann, das Schreien und Heulen wird uns und unseren Kindern kein Brot bringen. Ich will gehen und sehen, was Gott mir zu arbeiten bescheren wird, daß ich was verdiene und dich mit den Kindern ernähren kann.« So sagt der fromme Mann: »Nun geh hin, mein lieb Weib, Gott wird in unserer Hilfe sein.«
Also ist sie heimgegangen bei ihren Kindern zu schlafen. Am Morgen ist sie gar früh aufgestanden, dieweil ihre Kinder noch schliefen, und ging in die Stadt in die Häuser und bat, man soll ihr zu waschen geben. Und die Stadtleute erbarmten sich über sie und gaben ihr zu waschen und sie war nebbich eine Wäscherin.
Die Stadt war am Ufer des Meeres und sie ging alle Tage mit ihren zwei Kindern hinaus ans Meer. Sie wäscht dort und spreitet die Wäsche auf das Gras zum Trocknen.
Nun war es einmal, daß sie so wäscht, da fährt ein Schiff vorbei und der Schiffmann fährt auf sie zu zum Land. Er sah die Frau an und daß sie so hübsch war und er verwundert sich über die Schönheit. So spricht die Frau: »Mein Herr, was wundert ihr euch so sehr über mich?« Antwortet ihr der Schiffer: »Meine liebe Frau, ich erbarme mich sehr über euch. Sagt mir, was gibt man euch Lohn für ein Hemd zu waschen?« So sagt die Frau: »Herr, man gibt mir für ein Manneshemd zu waschen zwei Groschen, denn ich muß es sauber waschen.« So sagt der Schiffmann: »Meine liebe Frau, ich wollt euch gern vier Groschen geben, [39] so ihr mir mein Hemd hübsch sauber waschen wollt.« Da spricht sie: »Herr, gar gern will ich es waschen.« Und sie nahm das Hemd, wäscht es gar sauber und spreitet es auf das Gras zum Trocknen, und der Schiffmann wartet allda auf sein Hemd und er sah ihr zu waschen und sie trocknet das Hemd und legt es gar hübsch zu. Der Schiffmann konnte mit seinem Schiff nicht an das Ufer fahren und er hielt das Schiff eine Elle weit vom Ufer. Er warf ihr die vier Groschen, in ein Papier gewickelt, hinüber. Sie nahm sie und er sprach: »Langt mir mein Hemd hierher.« Und sie brachte es und langte ihm das Hemd in das Schiff. Er ertappt sie an ihrer Hand, zieht sie in einem Zug in sein Schiff hinein und fährt stracks fort. Sie schreit eine große Schreiung aus dem Innern des Schiffes und die zwei kleinen Kinder von außen.
Es wollte aber alles nichts helfen. Sie war schon weit im Meer und man konnte sie nicht mehr schreien hören. Nun, wie die Kinder von ihrer Mutter nichts mehr hörten, noch sahen, so liefen sie zu ihrem Vater ins Gefängnis. Sie weinten bitterlich und sagten ihm alle Geschehnisse von ihrer Mutter. Als ihr Vater nun diese Reden hörte, erhebt er auch seine Stimme und weint eine große Weinung, er schreit und spricht: »Gott, mein Gott, warum verlässest du mich in solchem Elend? Ich habe ja jetzunder keinen mehr auf Erden, der mich in meinem Gefängnis ernährt.« In solchem großen Weinen und Jammer ist er eingeschlafen. Da träumt ihm ein Traum, wie da war eine große Wüstenei. Die Wüstenei war voll mit wilden Tieren und sie stunden über ihm und wollten ihn zerreißen und wollten sein Fleisch essen. Er zittert vor Furcht und Angst, und in seinem großen Elend sieht er hin und her und sieht, wie da ein großer Hirte mit Schafen und Rindern kommt. Und wie die wilden Tiere dieselben sehen, lassen sie ihn stehen und laufen dem Vieh nach. Er entlief und kam zu einem Schloß, das bei einem Wasser war. Darinnen waren viele Schiffe und er kam in das Schloß und man setzt ihn auf einen Königsstuhl und er freut sich sehr mit seinen Schiffsleuten. [40] Und nun erwacht er von seinem Schlaf und bedenket den Traum und sagt zu sich selber: »Der Traum weist aus, daß nun mein Elend vorbei sein wird und Gott wird mir wieder helfen und er wird mich durch Schiffleute wieder erfreuen, weil ich durch Schiffleute beleidigt worden bin.«
Nun, in derselbigen Zeit war der König in der Stadt gestorben und die Landleute setzten seinen Sohn an seiner statt zum König ein. Der junge König macht die Stadt auf drei Jahre frei von Steuern, damit er unter seinem Volk einen guten Namen bekommt. Er macht auch los alle gefangenen Leute. So ward auch losgemacht der gute Schriftgelehrte mit seinen zwei Söhnen.
Er ging auf dem Markte hin und her und wußte nicht einen Pfennig zu verdienen, um den Kindern Brot zu kaufen. Er erhebt seine Augen und sieht ein Schiff stehen, das nach Ostindien fahren wollte.
So sagt er zu seinen Kindern: »Kommt nun. Weil eure Mutter von den Schiffleuten hinweggeführt worden ist, so wollen wir auch in ein Schiff gehen; vielleicht möchten wir eure Mutter erkennen und Gott möchte uns wieder zueinander helfen.«
Er geht zum Schiffer und bittet ihn, er solle ihn mit seinen zwei Kindern in seinem Schiffe mitnehmen.
Dieweil er aber so arm ist, daß er keinen Bissen Brot kaufen kann, und er dem Schiffer erzählt, wie es ihm ergangen war, erbarmt sich der Schiffer über ihn, nimmt ihn mit seinen zwei Kindern in sein Schiff und gibt ihnen zu essen und zu trinken nach ihrem Belieben. Als sie nun mitten in das Meer kommen, ließ Gott einen großen Sturmwind wehen; er zerschmettert das Schiff, und sie ersaufen alle, die auf dem Schiffe waren, bis auf den Schriftgelehrten mit seinen zwei Kindern und den Schiffer, der sie in dem Schiffe gespeist hatte. Die waren nicht ertrunken. Sie hatten jeder ein Brett vom Schiffe ergriffen und hielten sich daran. Die zwei Kinder hielten sich miteinander an einem Brette vom Schiffe und das Meer wirft sie aus in andere Länder. Der Schriftgelehrte wird in eine große Wüstenei ausgeworfen, [41] an einem Orte, wo sich dorten die wilden Leute aufhalten. Die Tochter des Königs der Wilden ersah ihn, denn sie weidete die Schafe und Rinder in der Wüstenei. Sie war ganz nackt, mit Haar verwachsen und umgürtet mit Feigenblättern, ihre Schande zu bedecken. Und sie ging zu ihm und beweist ihm Liebschaft, als sollt er sie zum Weibe nehmen, und aus großer Furcht erweist er ihr auch Liebschaft und gab ihr zu verstehen, daß er sie nehmen wollte. Das sahen die anderen Wilden und sie pfeiften, da kamen die Wilden, alte und junge, aus den Löchern zu springen, wo sie ihre Wohnung haben in dem Gebirge. Sie laufen alle auf ihn, sein Blut zu trinken und sein Fleisch zu essen, und ihr König war auch dabei. Der Schriftgelehrte erschrickt eine große Erschrecknis und es wäre bald kein Atem in ihm. Das sah des Königs Tochter und sie bedeutet ihm, daß er sich nicht fürchten sollt. Sie ging zu dem König, ihrem Vater, und bat ihn gar sehr, daß er den Menschen sollt leben lassen, denn sie wollte ihn zum Manne nehmen.
Also folgt er ihr und ließ ihn leben, und der Schriftgelehrte mußte sich in der Nacht zu ihr legen und er war nun ihr Mann und sie war sein Weib, wiewohl er oftmals in sich selber an sein hübsch fromm Weib gedacht, das so elendiglich von ihm gekommen war. Doch war das alles nicht zu ändern. Er nahm alles mit Geduld an und hatte immer noch die Hoffnung, daß Gott – sein Name sei gelobt – ihm zu seinem frommen Weibe und zu seinen lieben Kindern helfen werde. Als er nun eine Zeitlang mit ihr gehaust, wurde sie von ihm schwanger und gebar ein Knäblein, ein wildes.
Nun hütet er von Tag zu Tag das Vieh in der Wüstenei. Er war schon zwei Jahre bei ihnen. Er mußte mit ihnen das Fleisch von den wilden Mauleseln und Tieren essen. Er lag in den Löchern in dem Gebirge mit seinem wilden Weibe. Er und das Weib waren ganz mit Haaren bewachsen und er sieht einem wilden Manne gleich. Nun stand er einmal in der Wüste auf einem kleinen Berglein, nicht weit von dem Meere, und er bedenkt all das Leid, das ihm sein [42] Lebtag zugekommen ist, und wie er sein kluges, frommes Weib und seine Kinder verloren hat. Und das allerschwerste ist, daß er seine übrigen Jahre unter unverständigen, wilden Tieren verbringen soll, und daß sie doch endlich mit der Zeit, wenn sie seiner müde sein werden, sein Fleisch essen und sein Gebein zerbrechen werden, und er werde auch nicht bei anderen guten Juden beerdigt werden, wie es einem frommen Juden gebührt.
»Also gibt es nichts Besseres, als daß ich mir ein Zulauf nehm von dem Berglein, auf dem ich steh, und laufe bis in das Meer und ertränke mich, so wie meine lieben zwei Kinder auch ertrunken sein werden.« Denn er wußte nicht, daß das Meer sie ausgeworfen hatte, und dachte, zu ihnen zu kommen und sich im Jenseits mit ihnen zu freuen.
Also bekennt er seine Sünden vor Gott mit heißen, bitteren Tränen, und als er seine Bekenntnisse zu Ende hat, fängt er an zum Meer zu laufen, um sich zu ertränken.
Da kam eine Stimme zu ihm, die ruft ihn bei seinem Namen und sagt zu ihm: »Du verzweifelter Mensch, warum willst du verzweifeln und deine Seele verderben? So geh man wieder auf das Berglein zurück, von dem du aufgestanden bist, und grab darauf, so wirst du einen Kasten mit Gold und Edelsteinen finden, einen sehr großen Reichtum. Zeuch den Kasten bis zum Ufer des Meeres, bleib eine Weile stehen, und es wird ein Schiff kommen mit Menschen deinesgleichen, die nach Antiochia fahren. Dann schrei auf sie, daß sie dich mitnehmen sollen und dich mit dem Kasten in ihr Schiff retten. Dann wirst du endlich ein König werden, es wird dir wohlergehen, du wirst das Ende deiner Leiden sehen und deine Freuden werden anfangen.«
Als der Schriftgelehrte solches gehört, ist er auf das Berglein zurückgegangen und hat zu graben angefangen, wie ihm die Stimme befohlen hatte. Da findet er den Kasten mit Gold und Edelsteinen und schleppt ihn an das Ufer des Meeres und erhebt seine Augen. Da sah er ein Schiff mit Leuten im Meer gehen. Da schreit er auf sie mit großer Stimme, sie sollten doch hierher fahren und ihn mitnehmen, [43] denn er wäre auch ein Mensch wie sie. Und sie hörten seine Stimme und daß er redete wie sie, und da fuhren sie auf ihn zu. Er erzählt, wie es ihm ergangen ist, und sie nahmen ihn geschwind mit seinem Kasten in das Schiff. Als er nun in dem Schiffe war, da hörte sein wildes Weib sein Geschrei und sie erkennt seine Stimme. Sie hat das wilde Kind auf dem Arm und läuft schnell auf ihn zu. Da sieht sie ihn in dem Schiffe und sie ruft ihm zu, er sollt sie doch auch mitnehmen. Aber er spottet sie aus und sagt: »Was hab ich mit den wilden Tieren zu schicken? Ich hab schon ein besseres Weib als du bist.« Und er redet noch viel mehr zu ihr als diese Worte. Wie sie seine Worte hört, daß er nicht mehr zu ihr kommen wollte, da ergrimmt in ihr der Zorn, sie nimmt das wilde Knäblein bei den Füßen und zerreißt es in zwei Hälften. Die eine Hälfte wirft sie ihm in das Schiff, und die andere Hälfte frißt sie im Zorn in sich hinein und läuft davon. Der Schriftgelehrte fährt mit seinen Leuten davon.
Nun kam er an ein Land, da war eine Insel im Meer und sie stiegen aus. Er nahm den Kasten und machte ihn auf und er war voll mit Gold und Edelsteinen, die unschätzbar sind. Er gab dem Schiffmann mit Freuden seinen Lohn und ließ sich den Kasten in die Herberge tragen. In der Nacht, wie er auf seiner Streu liegt, denkt er: »Wenn ich die Insel von dem Könige kaufen könnte, wollt ich ein Schloß und eine Stadt daher bauen. So hätt ich mein Einkommen und dürfte nicht fürchten, daß mir mein Geld gestohlen würde.« Und es war zu Morgen früh, da ging er zu dem König und kaufte die Insel in dem Meer, welche etliche Meilen lang war, und baute sich ein Schloß und eine Stadt, und es ward endlich ein ganzes Land auf der Insel gebaut. Die Leute auf der Insel nahmen ihn als ihren Fürsten an.
Als er so ein König war, gedachte er an sein Weib und an seine Kinder, und daß er sie so jämmerlich verlassen hat. Da kam es ihm in den Sinn, daß, weil sein Weib durch einen Schiffer hinweggenommen war, und weil nun alle Schiffleute an dem Schloß, das er hier gebaut hatte, vorbeifahren [44] müssen, so will er in seinem Land ausrufen lassen, daß kein Schiff vorbeifahren soll, sondern es soll sich erst bei mir anmelden – bei Verlust seines ganzen Schiffes und Gutes. Und er tat also. Und es geschah also, daß sich alle Schiffleute bei ihm anmeldeten und speisten mit ihm. Nun war es eine Zeitlang und er konnte von seinem Weib und seinen Kindern nichts erfahren.
Es war einmal an Ostern und der Schriftgelehrte sitzt und ißt zu Mittag und war gar lustig. Da kam sein Knecht und meldet ihm einen wackeren reichen Schiffherrn, der ließ bitten, man sollt ihn nicht lang aufhalten. So sagt der Schriftgelehrte: »Heute ist Feiertag, ich darf ihn nicht fragen, was er führt. Er muß warten bis nach dem Feiertag. Er soll heraufkommen und mit mir speisen.«
Er sendet nach ihm, und da er kam, empfing er ihn und ließ ihn sitzen. Aber der Schiffer bittet, daß man ihn sollt passieren lassen. Es wollte aber nichts helfen, er mußte dableiben und mit ihm speisen. Also fragt er ihn, von wannen er ist und ob er auch Weib und Kinder habe. Da sagt ihm der Schiffmann, von wo er ist und daß er zwei Weiber hat. Die eine ist zu Hause. Mit derselbigen hat er drei Kinder, die halte ich als Hauswirtin. Die andere aber ist gar zart, taugt nicht zu der Hausarbeit, aber sie ist gar verständig. So führ ich sie allzeit mit mir, um auf das Schiff zu achten. Sie nimmt von den Leuten mein Geld ein und schreibt es auf; sie verwahrt mir all meine Sachen, und ich hab sie all die Zeit her nicht berührt. Da fragt der Schriftgelehrte: »Mein lieber Schiffer, sagt mir doch, warum ihr sie nicht berührt habt?« Da antwortet der Schiffer: »Die Frau hat früher einen Mann gehabt, welcher gar sehr verständig gewesen ist. Sie hat von ihm ein Rätsel gelernt. ,Wer das Rätsel trifft, der gleicht meinem Manne an Verstand und ich laß ihn bei mir schlafen. Wenn aber nicht, laß ich mich erschlagen, ehe daß ich ließe einen bei mir schlafen, oder brächte mich selbst ums Leben. Denn es ist nicht billig, daß der Bauernflegel auf des Königs Pferd sollt reiten.‘« So spricht der Schriftgelehrte: »Lieber Schiffer, ich bitt euch, erzählt mir, was das Rätsel ist.« So sagt der [45] Schiffer: »Die Frau gibt an, wie ein Vogel war vom Himmel auf die Erde geflogen, ohne Flügel, und setzt sich auf ein kleines Bäumlein, gar hübsch und gar fein. Er wendet und kehrt das Bäumlein hin und her, man sieht den Vogel nimmermehr. Er kräftigt das Bäumlein, bis es tut blühen die schönsten Blumen. Es zieht an sich alle Kräfte, die es nur kann bekommen. Unversehens dorrt das Bäumlein und wird ganz vergiftet. Der Vogel fliegt von ihm in die Luft, hebt an zu singen und zu brummen und schreit: ,Ei du betrübtes Bäumlein, wer hat dir deine Kräfte genommen? Da du sie gern gehabt hast, kannst du sie nicht bekommen – nun hast du sie durch mich bekommen, so verdorrst du.‘ Was hilft es dir nun, mein König? Das ist ihr Rätsel, welches mir nicht möglich ist zu treffen.«
Und als der Schriftgelehrte das Rätsel hört, entsetzt er sich gar sehr, denn er wußte, daß es sein Rätsel war, und merkte, daß dies sein Weib sein müßte.
Und der Schiffmann sah, daß der Schriftgelehrte so erschrak; da spricht er zu ihm: »Lieber Herr, warum erschreckt ihr also?« Und er anwortet und sagt: »Ich verwundere mich über das herrliche, vernünftige Rätsel. Ich möcht es von der Frau selber gerne hören. Vielleicht habt ihr was vergessen oder mehr zugesetzt. Wenn sie es auch so erzählt, dann will ich darüber nachdenken, vielleicht möcht ich es erraten.« Und es sendet der Schriftgelehrte einen seiner Knechte als Boten zu ihr, und der Knecht läuft gar geschwind und sagt zu ihr: »Bereitet euch vor, ihr sollt mit zum Fürsten gehen und sollt mit ihm essen und trinken und mit eurem Manne.« Als die gute Frau das hörte, klopfte ihr das Herz, denn sie wußte nicht, warum sie dahin geführt wird, und besorgte, ob sie nicht von einem Unglück in ein größeres kommen sollte. Was sollte die gute Frau aber tun? Sie mußte gehen, wohin man sie führte. Nun, sie bekleidete sich und zierte sich wie eine, die vor einen König gehen soll. Als sie in das Schloß kam, sagt man sie beim König an und er spricht, man solle sie hereinlassen. Also ward sie hineingeführt, man gibt ihr einen [46] Stuhl, darauf zu sitzen, am Tische neben dem Schiffer, und der Schriftgelehrte empfängt sie. Er zweifelt etwas an ihrem Gesichte und erkennt sie nicht recht. Sie erkennt ihn gar nicht, denn es war schon viele Jahre, daß sie von sammen waren, und sie waren in ihrem Angesicht und in ihrer Kleidung ganz verändert. Der Schriftgelehrte schwieg still, und sie aßen und tranken und waren lustig. Aber der Schriftgelehrte konnte nicht lustig sein und er saß da wie einer, der in großem Nachdenken sitzt. Da spricht der Schiffer zu dem Schriftgelehrten: »Mein Herr, warum seid ihr nicht lustig und sitzt so in schweren Gedanken? Ist es euch leid, daß wir so lange essen und trinken? So wollen wir aufhören, uns bedanken und unseren Weg weitergehen.« So spricht der Schriftgelehrte: »Nein, ihr seid meine lieben Gäste, und ich denke nur an das Rätsel. Ich möchte es von der Frau selbst gern hören.« Und es gebeut der Schiffmann seiner Frau, daß sie dem Fürsten das Rätsel selbst erzählt. Und sie erzählt das Rätsel, wie oben gesagt, und er sagt zu ihr: »Von wem habt ihr das Rätsel?« Sie spricht: »Herr, ich hab einen frommen Mann gehabt, einen großen, jüdischen Rabbiner, der erzählte mir allzeit solche alte Geschichten und Rätsel. Und von diesem Rätsel weiß kein Mensch, was die Auflösung ist.« So antwortet der Schriftgelehrte: »Und wenn nun einer die Lösung sagen möchte, wolltet ihr die Wahrheit bekennen?«
Sie antwortet ihm: »Mein lieber Herr, es ist keiner auf der Welt, der dieses Rätsel mit der Wahrheit bescheiden kann, außer mein voriger Mann.« Und der Schriftgelehrte antwortet: »Nun bin ich der Bescheider, der es bescheiden kann. Der Vogel, der da fliegt vom Himmel bis auf die Erde, das ist die Seele des Menschen. Sie setzt sich auf ein Bäumlein, das ist der Körper des Menschen. Der ist verglichen mit einem Baum, der aufwächst, hübsch grün und zweighaftig. Das ist die Jugend, die ist verglichen mit einem hübschen Lustgarten, in den der Vogel kommt und wendet den Baum. Das ist die Seele, die regiert, kehrt und wendet, macht gelenkig alle Glieder; aber keiner sieht den Vogel, [47] denn die Seele ist im Körper verborgen. Daß der Baum alle Kräfte in sich zieht und dadurch verdorrt, das ist, weil sich der Mensch an dem Seinigen nicht begnügen läßt und alles an sich ziehen will, und verliert oft das Seinige darüber. Das Unrechte frißt das Rechte. Unversehens stirbt der Mensch und läßt alles hinter sich. So fliegt der Vogel in die Luft. Das ist die Seele, die den Körper anklagt. Sie sagt: ‚Solange du gelebt hast, war alles nicht genug. Du hast nicht geruht noch geschlafen, bis ich dir hab erjagt einen Reichtum. Jetzunder verdorrest du mir und lässest alles hinter dir. Nun stirbst du, was hilft es mir oder dir? Hättest du von deinem Reichtum lieber Gutes getan, es wäre mir wohl bekommen.‘ Und nun, das ist die Lösung von dem Rätsel mit der Wahrheit. Wollt ihr mir die Wahrheit bekennen, so werd ich dich auch wieder annehmen.«
Und sie erhebt ihre Augen und sieht den Schriftgelehrten recht an, und sie erkennt, daß er ihr Mann ist. Sie springt auf, fällt ihm um den Hals und weint mit ihm eine große Weinung. Sie waren sehr erfreut und machten eine große Mahlzeit. Der Schiffmann fiel vor Schrecken auf seine Knie und bat für sein Leben. Und es sagte der Schriftgelehrte: »Weil du mein Weib nicht berührt hast, schenk ich dir dein Leben. Aber weil du genommen hast, was nicht dein ist, so nehm ich dir das Deinige wieder.« Und er nahm ihm all seinen Reichtum und ließ ihn laufen.
Und sie verblieben in ihrer Frömmigkeit in großen Freuden mit großem Reichtum.
Nun erzählten sie eines dem andern, wie es ihnen gegangen war, und sie grämten sich sehr über ihre Kinder, denn sie meinten, sie wären ertrunken.
Nun war einmal eine so große Hitze, daß man in der Nacht nicht schlafen konnte. Es waren viele Schiffe da, und es gingen all die Knechte aus den Schiffen in die Luft, um miteinander zu reden, um sich in der Nacht die Zeit zu vertreiben.
Die zwei Söhne waren auch unter ihnen und wußten nicht, daß ihr Vater und ihre Mutter auch da waren. Und [48] es sagten die zwei Knaben: »Wir wollen einander was zu raten aufgeben, damit wir die Nacht verbringen.« Damit waren alle zufrieden und sie machten zwischen sich aus, daß, wenn einer auf das Rätsel des anderen den Bescheid trifft, der sollte zehn Gulden haben, und wenn kein Bescheider auf sein Rätsel wäre, dann sollte der Erzähler zehn Gulden haben. Und sie sagten: »Laßt die zwei Knaben uns zu raten geben, weil sie verständiger sind als wir.« Und die Knaben fingen an und sagten: »Wir haben eine gar köstliche schöne Jungfrau gesehen und sie sieht nicht mit ihren Augen. Sie weist einen hübschen zarten Leib, aber er ist nicht vorhanden. Die Jungfrau steht alle Morgen früh auf, aber sie zeigt sich den ganzen Tag nicht. Nachts kommt die Jungfrau wieder, geziert mit großer Zierung, welche Zierung aber gar nicht geschaffen und gar nicht auf der Welt ist. Mit zugemachten Augen sieht man sie, mit offenen Augen verschwindet sie. Nun, das ist das Rätsel, bescheidet ihr jetzunder die Bescheidung.«
Und sie verwunderten sich alle über das Rätsel und sagten, es wäre so schwer, daß es nicht möglich sei, es zu bescheiden. Unter ihnen war ein alter Kaufmann, der wollte es mit Gewalt bescheiden. Aber die Knaben wollten den Bescheid nicht annehmen, denn sie sagten, es wäre nicht die Wahrheit, und sie zankten derentwegen, bis es Tag wurde, und man wußte nicht, wem man die zehn Gulden geben sollte. Da spricht der Schiffmann: »Hört mir zu. Ihr sollt alle auf das Schloß gehen zum Fürsten, er wird zwischen euch das Recht erkennen.« Sie waren zufrieden und gingen zum Fürsten. So sprach der Fürst zu ihnen: »Was wollt ihr Gutes so frühe?« Und sie erzählten alles, was zwischen ihnen vorgegangen war, ihr künstliches Rätsel und die Bescheidung von dem alten Kaufmann.
Da nun der Fürst das Rätsel hört, da erschrak er eine große Erschrecknis. Er sieht die Knaben an und erkennt sie, denn sie waren nicht sehr groß gewachsen. Und er sagt zu ihnen: »Wieso wißt ihr, daß die Bescheidung von dem alten Kaufmann nicht wahr ist?« Sie erzählten: »Lieber [49] Herr, unser Vater war ein wohlgelehrter Mann, der hat das Rätsel erdacht und die Bescheidung darauf gestellt. Also kann es keiner recht bescheiden, als wir oder unser Vater.« So spricht der Fürst: »Wenn ich es nun recht bescheiden sollte, wäre ich dann darum euer Vater?« Sie antworteten ihm: »Wenn einer das Rätsel mit der Wahrheit bescheidet, so muß es unser Vater sein, denn er hat das Rätsel sein Tag keinem Menschen gesagt, als uns Knaben, und wir haben es nicht ausgegeben bis jetzunder.«
So spricht der Fürst: »Nun vernehmt doch einmal meine Bescheidung, vielleicht möchte ich die Wahrheit sprechen.« Und es sprach der König sodann: »Nach meinem Verstand ist die schöne Jungfrau die Jugend von den Knaben. Sie denken den ganzen Tag nichts anderes als an die schönen Jungfrauen, also sehen sie bei Nacht im Traum auch, als wäre vor ihnen eine schöne Jungfrau. Aber sie sieht nicht mit ihren Augen, weil sie sich nur in finsterer Nacht im Traum gezeigt hat. So helfen die Augen nichts, denn wenn schon die Augen offen sind, so sieht man nichts. Darum kann die schöne Jungfrau mit ihren Augen nichts sehen. Sie geht gegen morgen hinweg – wenn der Mensch morgens aufwacht, so geht der Traum hinweg – und bleibt den ganzen Tag fort, bis sie sich nachts wieder zeigt mit hübscher Zierung, die nicht vorhanden ist in der Welt. Das ist gut zu verstehen, denn da er alles nur im Traum gesehen hat, so ist die Zierung auch nicht vorhanden. Da habt ihr nun die Bescheidung. Wollt ihr die Wahrheit bekennen, so will ich euch als meine Kinder annehmen.« Und die Knaben wunderten sich über die Bescheidung und sie lugten einer auf den andern. Sie erkannten, daß dieses ihr Vater ist, und huben vor großer Freude an zu weinen eine Weinung eine große und sie konnten vor großem Schrecken nicht reden.
Ihr Vater und ihre Mutter sprangen auf von ihren Stühlen, darauf sie saßen, und sie halsten und küßten die Kinder und weinten miteinander eine große Stimme, daß man es so weit gehört hat, bis man hörte, daß die Knaben ihre Kinder waren. Erst lange danach ermannten sich die [50] Knaben, sie fingen an mit ihnen zu reden und erzählten sich einer dem andern, wie es ihnen ergangen, und sie waren alle zugleich erfreut. Der König machte eine große Mahlzeit für alle seine Leute und sie freuten sich mit ihnen eine Freudung eine große.
Und er war nun ein Fürst und seine Kinder Fürsten, und er gebietet seinen Kindern, sie sollen fromm sein und Gott fleißig dienen, so werd er ihnen allezeit helfen.
Wenn Gott einem Übles tun will, dann werden seine Freunde schweigen still. Sie werden ihm nicht helfen noch raten, sie werden abweichen von ihm und werden sagen, er ist übel geraten; so bleibt derselbige Mensch allein, unter Tausenden sagt keiner, du bist mein. So aber Gott einem Menschen wohl will, so werden seine Feinde schweigen still, und wären der Feinde noch so viel.
Als die Schiffleute all diese Sachen sahen und diese Reden hörten, da bekehrten sich viele von ihnen und es ward dort eine stattliche Gemeinde. Also folgt daraus, daß man alles mit Geduld und für gut annehmen soll und daß man doch den Armen trösten soll, wenn man ihm schon nichts geben kann. Dann wird Gott auch zum Guten sein gedenken und ihn vor allem Bösen behüten, uns aus unserer langen schweren Verbannung erlösen und in das heilige Land hineinbringen. So werden alle traurigen Herzen erfreut sein, solches tu ich Schreiber begehren. Ich hoffe, Gott – sein Name sei gelobt – wird sich erbarmen und einmal unsere Bitte gewähren. – Wenn wir fromm wären, wie wir sollten, so täte Gott, wie wir wollten. Aber dieweil unsere Sünden sind noch zu groß und uns noch nicht recht leid, so müssen wir wohl warten die von Gott gesetzte Zeit. Diese Geschichte habe ich in einem Buche geschrieben gefunden, welches ein ehrenwerter Mann hat gemacht, ein Prager mit Namen …
Nun, wieder auf unseren Zweck zu kommen und um weiter von meinem Vater – sein Andenken sei gesegnet – zu schreiben, so wären mir zwanzig Bogen nicht zu viel. Er hat stets getrachtet, seine Kinder an ehrliche Leute zu [51] verheiraten, und dafür mehr als nach seinem Vermögen getan. Er hat auch zur damaligen Zeit die vornehmsten Heiraten getan, wie teilweise schon in meinem ersten Buche kurz erwähnt ist. Er ist lange Zeit Vorsteher in der Gemeinde gewesen und es ist unter seiner Vorsteherschaft gar glücklich zugegangen. Die Gemeinde ist in jeder Hinsicht in gutem Zustande gewesen, so daß sie fast »jeder unter seinem Weinstock und jeder unter seinem Feigenbaum« gesessen sind. Die Gemeinde ist keinen Groschen schuldig gewesen.
Dennoch gedenkt mich aus meiner Jugend, daß sie große Anstöße gehabt haben, wie es leider Gottes gemeiniglich in Gemeinden ist, daß es boshafte Leute gibt. Also war es auch zur Zeit, da mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – Vorsteher ist gewesen. Neben Gleichgesinnten waren auch viel Boshafte gegen ihn, die viel Böses über die Gemeinde bringen. Ihrer zwei haben es sogar durch Schriften von Seiner Majestät dem König erwirkt, daß sie Vorsteher sein sollten, und zwar des Königs Vorsteher. Weil sie alle tot sind und von dem Höchsten ihr Urteil ausstehen müssen, so will ich sie nicht nennen. Es ist in unserer Gemeinde genugsam bekannt, wer sie gewesen sind. »Aber Gott zerstörte die Pläne der Bösen und der Höchste steht in Gottes Gemeinde.« Also haben die Herren Vorsteher und Führer alles mit Gottes Hilfe gedämpft und sind zu dem König – Gott erhöhe seine Herrlichkeit – nach Kopenhagen gezogen und haben ihm alles berichtet. Der König – Gott erhöhe seine Herrlichkeit – ist ein sehr frommer Mann gewesen, ein Freund der Rechtschaffenen, so daß Gott sei Dank alles gut gerichtet worden ist. Gott – er sei gepriesen – hat die Bösen erniedrigt, und es hat sogar nicht viel Geld gekostet, denn sie haben die Gemeinde und auch die Einzelnen geschont wie ihren Augapfel, damit sie nicht in Schulden gekommen sind. Haben sie einige hundert Reichstaler nötig gehabt, hat sie der Vorsteher ausgelegt und hat sie nach und nach wieder bekommen, damit es der Gemeinde nicht beschwerlich gefallen ist.
[52] Mein Gott, wenn ich mich recht bedenke, so ist das selbigesmal doch ein glückseliges Leben gewesen gegen die jetzigen Zustände, wenn die Leutchen auch damals nicht die Hälfte gehabt haben, was sie – Gott gönn es ihnen – jetzt haben. Gott soll es ihnen mehren und nicht mindern, »zu ihren Tagen und zu unsern soll Juda und Israel geholfen werden und Gott möge uns erlösen«.
Zu jener Zeit bin ich ein Mädchen, noch nicht zwölf Jahre alt, gewesen, da hat mich mein Vater – das Andenken des Gerechten zum Segen – verlobt und ich bin ungefähr zwei Jahre verlobt gewesen. Meine Hochzeit ist in Hameln gewesen. Mein Vater und meine Mutter sind mit mir zur Hochzeit gezogen. Wir sind an die zwanzig Menschen gewesen. Damals ist es noch nicht so mit den Postwagen gewesen. Also haben wir müssen auf den Dörfern Wagen mieten bis gegen Hannover.
Sobald wir nach Hannover gekommen sind, haben wir nach Hameln geschrieben, sie sollen uns nach Hannover Wagen schicken. Meine Mutter meinte, daß man in Hameln so Kutschen haben könnte wie in Hamburg. Wenigstens hat meine Mutter gedacht, daß der Schwiegervater eine Kutsche schicken würde, damit die Braut mit ihren Leuten darinnen fahren könnte. Aber am dritten Tage sind drei, vier Bauernwagen gekommen, die haben Pferde gehabt, daß es nötig gewesen wäre, man hätte sie auf den Wagen gelegt.
Nun, wenn meine Mutter darüber auch etwas beleidigt war, hat sie es doch nicht ändern können. Also haben wir uns im Namen des Gottes Israel auf die Bauernwägelchen gesetzt und sind nach Hameln gekommen. Am Abend haben wir ein ganzes Festmahl gehabt.
Mein Schwiegervater und meine Schwiegermutter waren wackere Leute und er, Reb Josef Hameln, hat wenige seinesgleichen gehabt.
Also hat mein seliger Schwiegervater ein großes Glas mit Wein genommen und meiner Mutter zugetrunken. Meine Mutter hat noch einen kleinen Zorn gehabt, daß man keine [53] Kutsche entgegengeschickt hat. Mein Schwiegervater – sein Andenken sei gesegnet – hat von dem Zorn gewußt, und da er, seligen Andenkens, ein lieber, wackerer Mann und ein großer Witzling war, also sagt er zu meiner Mutter: »Hört zu, meine liebe Gevatterin, ich bitt euch, seid nicht böse. Hameln ist nicht Hamburg. Wir haben hier keine Kutschen und wir sind schlichte Landleute. Ich will euch erzählen, wie es mir ergangen ist, als ich ein Bräutigam war und auf meine Hochzeit gezogen bin.
Mein Vater hat Samuel Stuckert[7] geheißen und ist Vorsteher in ganz Hessen gewesen, und ich bin ein Bräutigam mit meiner Freudchen, Nathan Spaniers Tochter, gewesen. Ich habe zweitausend Reichstaler als Mitgift bekommen und mein Vater hatte mir fünfzehnhundert Reichstaler versprochen. Das ist zur selbigen Zeit eine große Mitgift gewesen. Als es gegen die Hochzeit gegangen war, hat mein seliger Vater einen Boten gedungen, den hat man den Fisch geheißen, und dem hat mein Vater meine Mitgift auf den Buckel geladen, um sie nach Stadthagen zu tragen. Dort hat mein Schwiegervater Nathan Spanier – der Friede sei mit ihm – gewohnt. Ich und mein Bote Fisch haben uns auf die Füße gemacht und sind nach Stadthagen gegangen. Damals ist Reb Loeb« – dessen ich in meinem ersten Buch gedacht habe – »in Stadthagen gewesen, denn er ist auch der Schwiegersohn meines Schwiegervaters gewesen. Wie ich unweit von Stadthagen gekommen bin, ist ein Lärm geworden, daß der Bräutigam nicht weit wäre, und Reb Loeb – er ruhe in Frieden – ist mit seiner Gesellschaft hinausgeritten, dem Bräutigam entgegen. Reb Loeb ist von Hildesheim gewesen, von Leuten, die sich allezeit gar prächtig gehalten haben. Wie er nun zum Bräutigam kommt, trifft er ihn mit seinem Boten, dem Fisch, beide zu Fuß. Also ist Reb Loeb – er ruhe in Frieden – wieder hineingeritten und sagt der Braut das Botenbrod[8]: [54] ,Dem Freudchen sein Bräutigam kommt auf einem Fisch geritten‘. Da ich jetzt wohl kann auf einem guten Pferde reiten, bitt ich euch, darüber nicht ungeduldig zu sein.« Darauf ist dieser Zorn in eitel Gelächter und Freundschaft abgelaufen und die Hochzeit ist in Lust und Freude beendet worden.
Nach meiner Hochzeit ist mein Vater und meine Mutter wieder heimgezogen und ich habe, ein Kind von noch nicht vierzehn Jahren alt, ohne Vater und Mutter in fremdem Land bei fremden Leuten sein müssen. Aber es ist mir alles nicht schwer angekommen, da ich sogar große Seelenfreude von meinem frommen Schwiegervater und Schwiegermutter gehabt habe. Sie sind gar so fromme, brave Leute gewesen, die mich so gut gehalten haben, mehr als ich es wohl wert gewesen bin. Was kann oder soll ich viel schreiben von der Frömmigkeit und Gerechtigkeit meines Schwiegervaters und meiner Schwiegermutter, und was er für ein wackerer Mann – er ruhe in Frieden – gewesen ist, wie ein Engel Gottes.
Es ist allbekannt, was Hameln gegen Hamburg gewesen ist. Ich bin ein junges Kind gewesen, das in allem Wohlbehagen auferzogen war, von meinen Eltern sowohl, als von Freunden und Bekannten. Von einem Ort wie Hamburg dann nach einem Platz, wo nur zwei jüdische Familien gewohnt haben! Und Hameln an sich selbst ist ein lumpiger, unlustiger Ort. Aber das alles habe ich nicht geachtet. Welches Behagen habe ich bei meinem Schwiegervater gehabt, wenn er morgens Glock drei aufgestanden ist und in seinem Schulrock gesessen ist und gebrummt hat. Das ist dicht an meiner Schlafkammer gewesen. Da habe ich ganz Hamburg vergessen. Was ist das für ein heiliger Mann gewesen! Möchten wir alle sein Andenken genießen und möchte er sich vor Gott bemühen, daß er uns weiter keinen Gram zuschickt und daß wir nicht Sünde und Schande erleben.
Das ist auch an seinen frommen, ehrenwerten Kindern zu sehen gewesen, die er – er ruhe in Frieden – gehabt hat. Sein ältester Sohn ist ein ehrbarer Jüngling gewesen; [55] er hat Reb Mausche geheißen. Er ist Bräutigam gewesen; also ist er mit Reb Mausche, einem ehrbaren Manne, und mit einem Diener, der der geschossene Jakob geheißen hat, zu seiner Hochzeit gezogen und haben ihre Mitgift mitgenommen. Wie sie so bei Bremervörde gehen, sind Räuber über sie gekommen, haben sie beraubt und alle drei lebensgefährlich verwundet. Man hat sie in den Ort hineingebracht und schnell Doktores und Balbiere holen lassen. Dann haben die Aerzte den Bräutigam und Reb Mausche für lebendig angenommen und den Diener, den geschossenen Jakob, für totgefährlich gehalten. Aber nach zwei Tagen sind sie beide gestorben und der geschossene Jakob ist davongekommen, wovon er den Namen bekommen hat und man ihn den geschossenen Jakob geheißen hat.
Was für Schmerz und Elend nun bei den betrübten Eltern war, ist leicht zu denken. Und obgleich man sich an vielen Plätzen bemüht hat und gemeint hat, eine Vergeltung zu finden, so ist doch alles umsonst gewesen und es ist keine Rache geschehen. Gott wird ihr Blut rächen.
Den anderen Sohn[9] habe ich gekannt, ist an Wissen voll gewesen wie ein Stück Granatapfel. Mein Schwiegervater — das Andenken des Gerechten sei gesegnet — hat ihn als jungen Menschen nach Polen geschickt, er hat dort gelernt und einen mächtigen Namen gehabt. Dort hat er sich verlobt und eine vornehme Heirat nach Posen getan mit Reb Chajim Boas' Tochter aus Posen. Nach der Hochzeit hat er gar fleißig gelernt und ist nach und nach immer größer geworden, bis er ein großer und angesehener Mann in Posen war. Aber nach einigen Jahren, als der Krieg mit Chmielnicky war und ganz Polen und alle jüdischen Gemeinden in großer Not waren, ist er und seine Frau und eine Tochter nackt und bloß und ohne irgend etwas, heraus zu meinem Schwiegervater gekommen. Die Tochter, die er gehabt hat, ist fast durch ein Wunder geboren, denn er war siebzehn Jahre verheiratet gewesen und hatte keine Kinder. Da ist seine Schwiegermutter krank [56] geworden und sollte sterben. Da hat sie ihre Tochter, die Frau meines Schwagers Abraham, zu sich holen lassen und hat gesagt: »Meine liebe Tochter, ich lieg in Gottes Gewalt und werde sterben. Wenn ich ein Verdienst vor Gott haben werde, so werde ich bei ihm ausbitten, daß du Kinder kriegen wirst.«
Also ist sie gestorben und ist gar eine brave, fromme Frau gewesen. Nach ihrem Tode ist meine Schwägerin Sulke, die Frau des Reb Abraham, schwanger geworden, hat zur rechten Zeit eine Tochter gewonnen und hat solche nach ihrer Mutter Sara nennen lassen. Sieben Jahre danach hat sie einen Sohn gekriegt, welcher Samuel geheißen hat. Es wäre viel von dem Manne zu schreiben. Mein Schwiegervater – sein Andenken sei gesegnet – hat ihn nach Hannover gesetzt und er ist dort gar wohl gesessen. Er ist aber von Hannover weggenarrt worden und nach Hameln gekommen, wovon leider sein und seiner Kinder Verderben gekommen ist. Man hat ihm viel zugesagt und Kompagnie mit ihnen gemacht, es ist ihnen aber nicht gehalten worden. Gott soll es denjenigen verzeihen.
Mein Schwager Reb Abraham – er ruhe in Frieden – ist ein großer Schriftgelehrter gewesen und sehr klug. Er hat gar wenig geredet, aber wenn er geredet hat, dann ist der Hauch aus seinem Munde lauter Weisheit gewesen. Man hat gern zugehört, wenn er geredet hat. Ich werde vielleicht noch mehr von ihm erzählen.
Danach hat er[10] eine Tochter gehabt, die hat Jente geheißen. Mein Schwiegervater hat sie in ihrer Jugend mit dem Sohne des Reb Sußmann Gans verlobt, welcher in Minden an der Weser gewohnt hat. Damals hat selbiger Reb Sußmann den Namen gehabt, daß er Hunderttausend reich gewesen ist. Mein Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – und der Sußmann Gans sind über der Zeche gesessen und haben in der Trunkenheit die Heirat verabredet. Am anderen Tage, als der Reb Sußmann Gans wieder nüchtern war, hat er Reue gehabt. Aber mein [57] Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist so gar ein wackerer Mann gewesen. Was geschehen ist, ist nicht zu ändern, also hat es sein Verbleiben dabei gehabt. Bräutigam und Braut sind noch gar jung gewesen. So hat der Reb Sußmann Gans seinen Sohn zum Lernen nach Polen geschickt. Kurz darauf ist Reb Sußmann Gans – er ruhe in Frieden – gestorben, und er hat keine Freunde gehabt, die sich um seinen Nachlaß gekümmert haben. Also ist sein Reichtum zu Schall und Nicht geworden. Dem Reb Sußmann – er ruhe in Frieden – seine Witwe hat einen anderen Mann genommen, der hat Reb Feibisch geheißen. Nun nach einigen Jahren ist der Bräutigam aus Polen wieder gekommen. Anstatt daß er, wie seine Schwiegermutter und sein Schwiegervater gemeint hatten, viele Tausende gehabt hat, hat er kaum etliche Hundert gehabt. Nun hat mein Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – die Heirat wollen abgehen lassen, aber meine Schwiegermutter hat es nicht leiden wollen und hat die Waise nicht beschämen wollen. Also ist Hochzeit gemacht worden und sie haben einige Jahre in Minden gewohnt.
Danach hat dem Reb Feibisch seine Frau einen Sohn verheiratet, den sie mit Reb Feibisch gehabt hat. Also sind sie auf dem Spinnholz[11] gewesen und es sind mächtige Geräte auf dem Tische gestanden und großer Reichtum zu sehen gewesen. Reb Salman Gans, der Schwiegersohn meines Schwiegervaters, hat den großen Reichtum gesehen und vielleicht auch manche von den Geräten gekannt, die seinem Vater Reb Sußmann Gans gehört hatten. Und er hatte von dem Reichtum seines Vaters nur wenig bekommen. Also ist er in das Kontor gegangen und hat gesehen, daß er ein Kistchen mit handschriftlichen Schuldscheinen bekommen hat, denn er hat gemeint, daß er ein Recht dazu hat. Aber was soll ich mich dabei aufhalten. Zwanzig Bogen Papier wären mir nicht genug, wenn ich alles schreiben wollte, was hierin vorgegangen ist.
[58] Reb Feibisch hat morgens sein Kistchen mit Schriften vermißt und bald auf seinen Stiefsohn Verdacht gehabt. Also haben sie angefangen, sich zu zanken, und mein Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist mit in den Zank gekommen und es hat meinem Schwiegervater und auch Reb Feibisch einem jeden mehr als zweitausend Reichstaler gekostet. Denn sie haben viele Jahre gezankt, alles vor Gericht, und es ist einer dem anderen fast ans Leben gegangen. Einmal hat Reb Feibisch meinen Schwiegervater ins Gefängnis bekommen; oft hat mein Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – den Reb Feibisch ins Gefängnis bekommen. Das hat so lang gedauert, bis sie beide kein Geld mehr gehabt haben. Doch hat es mein Schwiegervater – das Andenken des Gerechten sei gepriesen – besser aushalten können. Endlich haben sich Leute dazwischen gelegt und haben Rabbiner und Richter von Frankfurt kommen lassen, die sollten die Sache ausmachen. Nun, die sind gekommen und haben lange Zeit da zugebracht, haben aber doch nichts ausgerichtet, sondern nur viel Geld davongetragen.
Einer von den Richtern ist einer von den Gelnhäusern gewesen; der hat sich von dem Geld, das er davon mitgebracht hat, ein schönes Zimmer machen lassen und darin eine Gans malen. Und bei der Gans sind wohl drei oder vier Rabbiner mit Harzkappen[12] gestanden und ein jeder hat der Gans eine Feder ausgerissen.
Danach hat mein Schwiegervater seinen Schwiegersohn Reb Salman Gans und seine Tochter Jente von Minden weggenommen und sie nach Hannover gesetzt und ihnen auch noch für ein Kind zu leben gegeben.
Das Hannover ist ein mächtiger Ort gewesen, so daß Reb Salman Gans sich sehr gefreut hat und dort in großen Reichtum gekommen ist. Aber die Freude hat nicht lange gewährt. Er ist in seinen besten jungen Jahren gestorben. Jente ist einige Jahre Witwe geblieben und hat keinen [59] Mann wieder nehmen wollen, weil sie eine junge wackere Frau gewesen ist.
Für meinen reichen, vornehmen Schwager Reb Lipmann war es ein glückliches Schicksal, daß Reb Salman Gans hat vor ihm weichen müssen, und als er meine Schwägerin Jente gekriegt hat, ist er noch nicht der Mann gewesen, der er jetzunder ist. Aber der große Gott, der erhöht und erniedrigt, hat alles in seiner Gewalt.
Und mein Schwiegervater, den der Aufenthalt in Hannover viele Hundert gekostet hat und Mühe gehabt hat, ihn zuwegen zu bringen, hat gemeint, daß solches für seine Kinder und Kindeskinder auf ewig sein wird. Aber für wen hat der gute Mann so viel Mühe gehabt? Für Fremde. Wie es heißt: »Sie hinterlassen Fremden ihren Besitz«. Nun wozu soll ich schreiben? Es ist alles, wie es dem lieben Gott gefällig ist. Nun genug davon.
Meinem Schwiegervater sein drittes Kind hat Rabbi Samuel geheißen. Er hat auch in Polen gelernt. Er hat auch eine Frau von guter Herkunft genommen, die Tochter von einem großen Rabbiner. Ihr Vater hat Reb Scholem geheißen und war Oberrabbiner in Lemberg. Kurz, er ist auch in Polen gewesen und im Krieg auch heruntergekommen und hat auch nichts mitgebracht. So hat mein Schwiegervater – sein Andenken sei gesegnet – ihn mit Frau und Kindern einige Zeit ausgehalten. Danach ist er als Oberrabbiner in Hildesheim aufgenommen worden. Was soll ich da viel schreiben? Was das für ein frommer Mann und ein heiliger Mann gewesen ist, kann ich nicht beschreiben. Er hat fast die Stunde seines Todes vorausgewußt; da weiß nun ganz Hildesheim davon zu sagen.
Danach ist sein viertes Kind der vornehme Reb Itzig – das Andenken des Gerechten gesegnet – gewesen, welchen ich nicht gekannt habe und der in Frankfurt gewohnt hat. Was das für eine reine Seele und ein gelehrter Mann war, davon sollen die judizieren, die ihn gekannt haben. Nach ihm war seinesgleichen nicht und er ist auch nicht alt geworden, nicht über fünfzig Jahre. Er ist in Ehren und [60] Reichtum und mit gutem Namen gestorben. Er hat fast Tag und Nacht gelernt und hat das Gebot erfüllt: »Du sollst darin lernen Tag und Nacht«.
Sein fünftes Kind war seine Tochter Esther[13] – sie ruhe in Frieden. Was das für eine brave und ehrbare Frau gewesen ist, ist nicht zu beschreiben, und auch, was sie gelitten, ohne zu murren, und alles mit Geduld ertragen hat, bis sie ihre reine Seele ausgehaucht hat. Es wäre wohl von dieser frommen Frau, ihren Werken und ihrer Geduld viel zu schreiben, aber mein Schweigen ist schöner als meine Rede. Genug, daß es weltkundig ist, was für eine brave und fromme Frau sie war.
Sein sechstes Kind ist gewesen Reb Loeb Bonn, ein rechtschaffener Mann, der zwar selbst kein großer Gelehrter war, der aber ein schöner Kenner gelehrter Werke gewesen ist. Ein wackerer Mann, der lange Zeit in der kölnischen Provinz Vorsteher gewesen ist. Er hat in Bonn gewohnt, ist aber gar jung gestorben in Reichtum und Ehre.
Sein siebentes Kind[14] ist seine Tochter Channa gewesen – sie ruhe in Frieden. Sie ist wohl mit »Channa« zu vergleichen gewesen. Sie ist gar ein wackerer, frommer Mensch gewesen und leider auch jung gestorben, hat aber keinen Reichtum hinterlassen.
Das achte Kind ist euer lieber, getreuer Vater – sein Andenken sei gesegnet – gewesen. Ich will mich hier nicht viel mit ihm aufhalten, ihr werdet das schon finden, wo es hingehört. Meine lieben Kinder, ich schreib euch dieses, damit wenn heut oder morgen eure lieben Kinder und Enkel kommen und sie ihre Familie nicht kennen, ich dieses in Kürze aufgestellt habe, damit ihr wißt, von was für Leuten ihr her seid.
Nun, nach meiner Hochzeit bin ich mit meinem Mann – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ein Jahr in Hameln gewesen und haben dort wenig Geschäft gehabt, denn Hameln war kein Ort von Handelschaft. Wir haben [61] Geschäft gehabt mit Bauern und Pfändern, wobei es mein Mann – das Andenken des Gerechten zum Segen – nicht hat lassen wollen. Seine Gedanken waren von der ersten Stunde nach unserer Hochzeit nicht anders gewesen, als daß wir nach Hamburg ziehen und dort wohnen sollten. Wie es heißt: »Auf den Weg, den der Mensch wandeln will, wird er geführt.« Der große gütige Gott hat uns auch recht und wohl geführt. Wenn wir nur die Krone unseres Hauptes behalten hätten! Nun, »der Herr gibt und der Herr nimmt«. Was nicht zu ändern ist, muß man erdulden.
Als das Jahr nach unserer Hochzeit um war, hat mein seliger Mann nicht länger in Hameln bleiben wollen, wenn auch mein Schwiegervater und meine Schwiegermutter – ihr Andenken sei gesegnet – alle beide gern gesehen hätten, daß wir in Hameln geblieben wären und uns ihr Haus und Hof, wie es dastand, anpräsentiert haben. Aber mein Mann – sein Andenken zum Segen – hat nicht gewollt, also sind wir in guter Zustimmung von meinem Schwiegervater und meiner Schwiegermutter – ihr Andenken sei gesegnet – hierher nach Hamburg gezogen. Wir sind beide noch junge unerfahrene Kinder gewesen, die wenig oder nichts vom Handel gewußt, wie es in Hamburg dienlich gewesen wäre. Aber der große barmherzige Gott, der meinen Mann – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – aus seinem Vaterhaus und von seiner Geburtsstätte geführt hat, ist ihm allezeit treulich beigestanden und hat geholfen. Gelobt seist du, Herr, für alle Güte, die du uns erwiesen hast.
Wie wir nun nach Hamburg gekommen sind, hat uns mein seliger Vater für zwei Jahre Kost verschrieben und wir sind bei ihm gewesen.
Nun, mein Mann – das Andenken des Gerechten zum Segen – als ein fremder Mann, der in einen Ort kommt und von gar nichts weiß, hat sich dort umgesehen, was passiert.
In dieser Zeit ist der Handel mit Juwelen nicht so stark fortgegangen als jetzunder und die Bürger und die [62] Bräutigame bei Nichtjuden haben wenige oder gar keine Juwelen getragen. Es ist die Mode gekommen, daß sie eitel goldene Ketten getragen haben; wenn sie etwas schenken wollten, so ist solches in Gold gewesen. Obzwar solches nicht von solchem Vorteil gewesen ist, wie bei Juwelen, so ist dieses doch das erste Geschäft von meinem Manne gewesen – sein Andenken sei gesegnet – daß er mit Gold gehandelt hat. Er ist herumgelaufen und hat Gold aufgekauft und hat es danach wieder an Goldarbeiter gegeben oder an Kaufleute, die verlobt waren, wieder verkauft und es ist schöner Nutzen daran gewesen.
Und wiewohl meinem Mann – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – Wind und Weh geworden ist und er fast den ganzen Tag seinem Geschäfte nachgelaufen ist, hat er doch nicht verfehlt, jeden Tag seinen Abschnitt zu lernen.
Er hat auch die liebe lange Zeit an den Tagen der Thoravorlesung gefastet, bis daß er angefangen hat, große Reisen zu tun und leider auch sich abzumartern, und in seinen jungen Tagen gar kränklich geworden ist und viel gedoktert hat.
Er hat sich in nichts geschont und große Travaillen getan, damit er Frau und Kinder ehrlich ernährt, und ist ein solch lieber und getreuer Vater für Frau und Kinder gewesen, wie man seinesgleichen wenig findet. Er hat seine Frau und seine Kinder so ungewöhnlich geliebt, daß davon viel zu schreiben wäre, und sein guter Charakter hat keinesgleichen gehabt.
Er hat sein ganzes Leben nicht nach Ehrung gestrebt, sich im Gegenteil ihrer ganz geweigert und die ganze Welt ausgelacht, wenn er gesehen hat, welche Leute es waren, die so sehr nach solchen Sachen gestanden sind. Kurz, er ist ein rechter Ausbund von einem frommen Juden gewesen, wie sein Vater und seine Brüder auch gewesen sind. Ich weiß wenige, wenn sie auch schon große Rabbiner gewesen sind, die ihr Gebet mit solcher Andacht getan gleich ihm. Auch weiß ich wohl, daß, wenn er – er ruhe [63] in Frieden – in seinem Zimmer gewesen ist und sein Gebet getan hat und jemand gekommen ist und ihn wegrufen wollte, daß irgendwo ein billiger Kauf gewesen wäre, dann hätte weder ich noch mein ganzes Hausgesinde das Herz haben können, zu ihm zu gehen und ihm davon zu sagen. Dadurch hat er in Wahrheit einmal etwas versäumt, was einige Hundert Verlust gewesen ist. Aber er – er ruhe in Frieden – hat das alles nicht geachtet und seinem Gott so treu gedient und ihn so fleißig angerufen, daß er ihm alles zwei- und vierfach wieder eingebracht hat. Wie es heißt: »Vertraut auf Gott und Gott sei eure Zuversicht.«
Wie der liebe Mann bescheiden und duldsam war so findet man seinesgleichen nicht. Was ihm auch oft von Freunden und Fremden geschehen und angestellt worden ist, er hat alles mit Geduld angenommen, so daß ich leider oft meine menschliche Schwachheit habe darüber gehen lassen. Wenn ich oft darüber ungeduldig gewesen bin, hat er mich ausgelacht und gesagt: »Du bist eine Närrin. Ich vertraue auf Gott und achte der Menschen Rede wenig.«
Sein Andenken soll uns im Diesseits und im Jenseits beistehen.
Wie wir nach Hamburg gekommen sind, bin ich stracks schwanger geworden und meine Mutter mit mir zugleich; Gott – er sei gepriesen – hat mir zur rechten Zeit gnädiglich mit einer jungen Tochter geholfen.
Ich bin ein junges Kind gewesen und, obschon mir solch ungewohnte Sachen schwer angekommen sind, so bin ich doch höchlich erfreut gewesen, daß mir der Höchste ein hübsches, gesundes Kind gegeben.
Meine getreue, fromme, liebe Mutter ist auch auf die Zeit gegangen und hat ausgerechnet eine große Freude gehabt, daß ich zuerst ins Kindbett gekommen bin, damit sie auf mich junges Kind konnte noch ein wenig Achtung geben.
Acht Tage danach ist meine Mutter auch mit einer jungen Tochter ins Kindbett gekommen. Also ist kein Neid [64] und kein Vorwurf zwischen uns gewesen und wir sind beieinander in einer Stube gelegen. Wir haben keine Ruhe gehabt von Leuten, die sind gelaufen gekommen und wollten das Wunder sehen, daß Mutter und Tochter in einem Zimmer im Kindbett liegen.
Für die Langeweile muß ich einen hübschen Spaß schreiben, was uns geschehen ist, um das Buch damit ein bißelchen zu verlängern.
Wie meine Mutter und ich zugleich im Kindbett gelegen sind, ist es eine kleine Stube und Winterstag gewesen. Mein seliger Vater hat großes Hausgesinde gehabt, so daß es uns in der Stube gar eng geworden ist, wenn auch Eltern und Kinder gern einer mit dem anderen vorliebnehmen.
Ich bin acht Tage eher aus dem Kindbett gegangen als meine Mutter. Also um die Stube ein wenig geräumiger zu machen, bin ich in meine Kammer hinauf zu liegen gegangen. Aber da ich noch gar jung gewesen bin, hat meine Mutter nicht leiden wollen, daß ich in der Nacht mein Kind sollte mit mir nehmen; also habe ich das Kind in der Stube gelassen, in der sie gelegen ist, und sie hat die Magd bei sich liegen lassen.
Meine Mutter hat zu mir gesagt, ich sollte mich nicht um mein Kind bekümmern; wenn es heulen würde, sollte es mir die Magd heraufbringen, damit ich es säuge. Dann sollte sie es wieder von mir nehmen und in die Wiege legen. Das bin ich wohl zufrieden gewesen.
Also bin ich etliche Nächte gelegen, daß mir die Magd das Kind so vor Mitternacht gebracht hat, es zu säugen. Einmal in der Nacht wach ich auf ungefähr um die Glock drei. Sag ich zu meinem Mann: »Was mag das bedeuten, daß mir die Magd das Kind noch nicht gebracht hat?« Sagt mein Mann – er ruhe in Frieden – : »Das Kind wird gewiß noch schlafen«. Ich hab mich aber damit nicht zufrieden gegeben und bin herab in die Stube gelaufen und hab nach meinem Kind sehen wollen. Ich gehe an die Wiege und [65] finde mein Kind nicht darin. Ich bin sehr erschrocken, hab aber doch keinen Lärm zu machen angefangen, damit meine Mutter nicht aufwachen und sich erschrecken sollte. Also hab ich angefangen, die Magd zu schütteln, und hätte sie gern im stillen aufgeweckt, aber die Magd ist sehr verschlafen gewesen. Ich hab müssen anfangen, laut zu schreien, ehe ich sie aus dem Schlaf kriegen konnte. Dann frag ich sie: »Wo hast du mein Kind?« Die Magd weiß nicht, was sie aus dem Schlaf spricht. Meine Mutter erwacht auch darüber und sagt zu der Magd: »Wo hast du Glückelchens Kind?« Aber die Magd ist so verschlafen gewesen, daß sie keine Antwort geben konnte.
Also sag ich zu meiner Mutter: »Mamme, vielleicht hast du mein Kind bei dir im Bett?« So sagt sie: »Nein, ich hab mein Kind bei mir,« und hält es so fest an sich, wie wenn man ihr das Kind wegnehmen wollte. Da fällt mir ein und ich bin über ihre Wiege gegangen und hab nach ihrem Kind gesehen – da ist ihr Kind in der Wiege gelegen und hat sanft geschlafen. Sag ich: »Mamme, gib mir mein Kind her, dein Kind liegt in der Wiege.«
Hat sie es doch nicht glauben wollen und ich hab ihr ein Licht bringen müssen, daß sie es recht besehen hat. Also hab ich meiner Mutter ihr Kind gegeben und meines genommen. Das ganze Haus ist derweil wach geworden und in Schrecken gekommen. Aber danach hat sich die Schrecknis in Gelächter verkehrt und man hat gesagt, bald hätte man den König Salomo – er ruhe in Frieden – nötig gehabt.
Also sind wir ein Jahr bei Vater und Mutter – sie ruhen in Frieden – gewesen.
Zwar hatten wir zwei Jahre Kost versprochen bekommen, da es uns aber in dem Haus meines Vaters – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – gar sehr eng gefallen ist, hat mein Mann nicht länger bleiben wollen und wir haben von den Eltern keinen Heller annehmen wollen für das zweite Jahr Kost.
[66] Also haben wir uns ein schönes Haus gemietet und fünfzig Reichstaler Miete das Jahr gegeben und sind zu gutem mit Magd und Knecht in unser Haus gezogen, wo uns auch der Höchste so gnädiglich bis dato erhalten, wenn er uns nicht den Schlag geschickt hätte, daß er die Krone von meinem Haupte genommen hätte. Ich halte dafür, daß es liebere, glücklichere Eheleute in der Welt nicht gegeben hat als uns.
Man muß alles mit Geduld tragen und nur Gott bitten, er soll sich wieder erbarmen und uns mit Gnade und Barmherzigkeit strafen, denn seine göttliche Gnade ist gar groß. Also haben wir in unserem Eigenen gewohnt und uns als junge Leute etwas karg und genau beholfen, doch alles recht zu seiner Zeit, und haben eine hübsche, ehrliche Haushaltung geführt.
Unser erster Diener, den wir bei uns gehabt haben, ist Abraham Kantor aus Hildesheim gewesen, welchen wir vorerst bei uns hatten, die Kinder zu bewahren. Einige Jahre später ist er auf einige Jahre von uns weggegangen und hat ein wenig für sich gehandelt. Danach ist hier eine Witwe gewesen, die hat er genommen; er hat sie nicht lange gehabt, sie ist gestorben. Dann hat er ein Mädchen von Amsterdam genommen und in Hamburg gewohnt. Wir haben ihm Geld vorgeschossen und ihn nach Kopenhagen geschickt. Kurz, er ist heute ein Mann, wie man sagt, von zehntausend Reichstalern und mehr.
Wie meine Tochter Zipora zwei Jahre alt gewesen ist, bin ich wieder ins Kindbett gekommen mit meinem Nathan. Was für eine Freude da mein Mann – sein Andenken sei gesegnet – gehabt hat, ist nicht zu beschreiben. Gott soll geben, daß wir viel Freuden an unseren Kindern erleben. Und was für eine schöne Beschneidungsfeier mein Mann gemacht hat, ist nicht zu beschreiben.
Und weil ich nunmehr keine andere Hilfe und keinen Trost mehr habe, als das, was ich von meinen Kindern zu erleben hoffe, so bitte ich den großen Gott, er soll seine Gnade und Barmherzigkeit dazu geben.
[67] Hiermit will ich nun auch mein zweites Buch beschließen und bitte doch alle, die es lesen, mir meine Dummheiten gut auszulegen. – Wie schon gesagt, es ist in Nöten und Sorgen geschehen, nur mit der Hilfe des großen Gottes, der mir noch bei all meiner großen Sorge Kraft gibt, daß ich es kann ausstehen. »Gelobt sei, der dem Müden Kraft gibt.« Also will ich mit Hilfe des Höchsten mein drittes Buch anfangen.
- ↑ (407 + 1240 = 1647.) Da Glückel später berichtet, sie sei zur Zeit der Vertreibung aus Hamburg (1648) nicht ganz drei Jahre gewesen, scheint sie tatsächlich 1645 geboren zu sein. Nach Kaufmann's Titelblatt hat er diese Annahme für richtig gehalten.
- ↑ Löb Pinkerle.
- ↑ »Reb« bedeutet hier und im folgenden nicht etwa »Rabbiner«, sondern ist ein so allgemeiner Titel, daß er beinahe nur das Wort »Herr« ersetzt.
- ↑ Ulk = Elke (Ulrike).
- ↑ Bei Kaufmann: Natur.
- ↑ Elkele = Ulk (Ulrike) vergl. oben.
- ↑ Stuttgart.
- ↑ Das Botenbrot, der Lohn für die Botschaft, ist hier statt des Wortes Botschaft selbst gebraucht.
- ↑ Abraham Hameln.
- ↑ Josef Hameln.
- ↑ Eine Art Polterabend, am Freitag Abend vor der Hochzeit.
- ↑ Priesterkleider.
- ↑ Verheiratet mit Loeb Hannover.
- ↑ Verheiratet mit Jakob Speyer.
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