Die Memoiren der Glückel von Hameln/Siebentes Buch

« Sechstes Buch Die Memoiren der Glückel von Hameln Namens- und Orts-Verzeichnis »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
[291]
Siebentes Buch.

Nun will ich mit Gottes Hilfe das siebente Buch anfangen, welches nach menschlicher Natur teils mit Trübsal, teils mit Vergnügen vermischt ist, wie die Weltordnung ist, und ich will wieder anfangen, wo ich aufgehört habe. Hiermit will ich mein siebentes Buch anfangen. Gott soll geben, daß ich doch weiter keinen Kummer mehr an meinen lieben Kindern erlebe und daß ich in den Zeiten meines Alters alle Vergnüglichkeit und ihr Wohlergehen sehen und hören mag.

Nun, ich habe oben erwähnt, wie ich von meinem Sohn Reb Sanwil – er ruhe in Frieden – einen ewigen Abschied genommen habe – Gott soll sich erbarmen, daß so ein wackerer junger Mensch schon die schwarze Erde kaut. Ich bin keine zwei Jahre hier zu Metz gewesen, als ich leider die böse Kunde bekommen habe, daß er das Zeitliche gesegnet hat und in das Ewige gegangen ist. Was mir das für Kummer und Herzeleid gewesen, ist Gott – er sei gepriesen – bekannt. So einen lieben Sohn in solch jungen Jahren zu verlieren! Nun, was soll ich tun, oder viel klagen, oder sagen? Nicht lange nach seinem Absterben ist seine Frau ins Kindbett gekommen und hat eine Tochter bekommen, welche, Gott sei Dank, ein frisches und gesundes und schönes Kind, Gott behüte es, ist. Gott – er sei gelobt – soll geben, daß wir von allen Seiten viel Freude an ihr erleben. Sie wird nun ungefähr dreizehn Jahre alt sein. Sie soll gar ein wackerer Mensch sein und ist bei ihrem Großvater, dem Vorsteher Reb Moses Bamberg. Meine Schwiegertochter, die Frau von Reb Sanwil – sie ruhe in Frieden – hat wieder einen anderen Mann genommen, aber denselben nicht lang gehabt, er ist auch [292] gestorben. Also hat der gute junge Mensch auch ihre Jugend bis allher nebbich miserabel zugebracht. Was soll man sagen? »Wer kann sagen, was tust du?«

Ich mag weiter nichts davon erwähnen, denn es ist mir zu viel Herzeleid. Nun bin ich ungefähr hier ein Jahr gewesen und habe vermeint, daß ich nun vergnüglich leben könnte, wie ich auch nach dem Anschein ein wenig gedacht habe. Wenn mein Mann – sein Andenken sei gesegnet – noch ein paar Jahre sich hätte können halten, so hätte er sich – er ruhe in Frieden – genügend können herausreißen. Denn zwei Jahre nachdem er – er ruhe in Frieden – all das Seine hat müssen seinen Kreditoren geben, ist in Frankreich solcher Handel gewesen, so daß die ganzen Gemeinde reich geworden ist. Er ist ein sehr kluger Mann und ein großer Kaufmann gewesen und gar wohl gelitten bei Juden und Nichtjuden. Aber Gott – er sei gepriesen – hat solches nicht haben wollen. Seine Kreditoren haben gar sehr in ihn gedrungen, so daß er – er ruhe in Frieden – hat müssen zur Seite treten und denselben alles, was sein war, hat überlassen müssen. Wenn sie auch nicht die Hälfte von dem, was er ihnen schuldig war, bekommen haben, so sind sie doch sehr gütig mit ihm gewesen. Obschon ich selbst aus meinen Ehevertrag Ansprüche erhoben habe, so habe ich doch selbst gesehen, daß nichts zu kriegen gewesen ist.

Er – er ruhe in Frieden – hat von meiner Tochter Mirjam, sie lebe, all ihr Geld in Händen gehabt; solches habe ich aber von ihm bekommen in anderen Schuldbriefen auf Glaubensgenossen. Aber wie sauer und schwer es mir geworden ist, das weiß Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt.

Auch hat mein Sohn Nathan einige Tausend zu fordern gehabt, die habe ich auch zu bekommen getrachtet und dadurch nicht an meinen Ehevertrag gedacht und mit allem vorlieb genommen, was mir Gott – er sei gelobt – geschickt und getan als wie der Adler, der seine Kinder auf [293] seine Flügel genommen hat und gesagt hat, es ist besser, daß man auf mich schießt als auf meine Kinder.

Was hab ich mich gequält. Mein Mann, er ruhe in Frieden, hat sich verbergen müssen. Also sind es die Kreditoren gewahr geworden und haben drei Gerichtsdiener in sein Haus geschickt, die eine Inventur gemacht haben und den Nagel an der Wand aufgeschrieben und alles versiegelt haben, so daß sie mir nicht Speise für eine Mahlzeit gelassen haben.

Ich bin mit meiner Jungfer in der Stub gelegen, da sind die drei Gerichtsdiener auch drinnen gelegen und sie sind die Meister gewesen. Keiner durfte aus und ein gehen. Hab ich am Tag einmal weggehen wollen, haben sie mich untersucht, ob ich nicht was bei mir habe. Also haben wir etwa drei Wochen in dem miserablen Zustand gelebt. Endlich hat mein Mann – das Andenken des Gerechten zum Segen – mit seinen Kreditoren einen Akkord gemacht. Sie haben alles, was er gehabt hat, aufgeschrieben und ihm solches in der Hand gelassen, daß er eine Auktion machen soll. Es ist kein zinnerner Löffel im Hause gewesen. Alles ist aufgeschrieben worden, daß er nichts hat verhehlen können. Er wollte auch nichts verhehlen, denn er hat Gott gedankt, daß er mit seinem Leben davongekommen ist. Seine Kreditoren haben gesehen, daß er ihnen alles gegeben, was er gehabt hat; da haben sie selbst Mitleid mit ihm gehabt, denn er hat nicht die Hälfte von dem geben können, was er mit ihnen akkordiert hat. Doch sind sie friedlich mit ihm gewesen und haben ihn nicht scharf gedrängt. Sie hätten ihn wohl gefangennehmen können, aber sie haben gesehen, daß er ein ehrlicher Mann gewesen ist, und daß er ihnen, was er nur gehabt hat, hingegeben hat. Es ist ihm nicht das geringste geblieben. Er ist gar ein wackerer Mann gewesen und war in seinem Wohlstand von allen geliebt und gefürchtet. Er ist Vorsteher und Fürsprecher in der heiligen Gemeinde Metz gewesen an die dreißig Jahre und hat alles gar schön geführt, so daß er sehr beliebt war bei Juden und Nichtjuden. Aber da ihn [294] leider das Unglück getroffen hatte, ist es uns sehr miserabel gegangen, so daß wir wirklich oft kein Brot im Haus gehabt haben. Wie vor einigen Jahren hier so große Teuerung gewesen ist, hab ich noch etwas von meinem Geld gehabt. Da hab ich zeitweise ausgegeben, was für den Haushalt nötig war. Sobald er Geld bekommen hatte, hat er mir solches wieder gegeben.

Mein Schwiegersohn, der reiche Vorsteher Moses Krumbach, hat ihm viel Gutes getan, wenn er auch mit mehr als zweitausend Reichstaler an ihm zu kurz gekommen ist.

Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – hat solches meinen Schwiegersohn auch genießen lassen, so daß er, Gott sei Dank, wirklich der reichste Mann in der Gemeinde gewesen ist, ein rechtschaffener Mann, und er hat ein »neues Herz« bekommen, so daß er viel Gutes tut an seinen Verwandten, sei es von seiner Seite, sei es seitens meiner Tochter Esther, und sein Haus ist weit offen für die Armen. Jetzt ist er Vorsteher, und alle vornehmen Fremden, die von allen vier Enden der Welt kommen, sind seine Gäste. Er tut an jedem Zucht und Ehr und desgleichen seine Frau, meine Tochter Esther. Kurz, beide haben gute Herzen und es geschieht gar viel Gutes aus ihrem Haus. Gott – er sei gelobt – vergelte es ihnen und lasse sie mit ihren Kinderchen bis zu hundert Jahren in Wohlstand und Ehre gesund bleiben.

Ungefähr 1712, am 1. Siwan, ist mein Enkel Elia, er lebe, zu Gutem ein Bräutigam geworden und die Hochzeit ist für den Siwan 1716, er komme zu Gutem, bestimmt worden, weil Bräutigam und Braut beide noch zart an Jahren sind. Gott verlängere ihre Tage und Jahre. Sie bringen mit Geschenken nicht mehr zusammen als ungefähr dreißigtausend Reichstaler. Gott – er sei gelobt – soll ihnen Glück und Segen geben.

Nun, wieder von meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – zu schreiben, welcher sich in sein Elend nicht gar wohl hat schicken können, denn seine Kinder sind zumal noch nicht imstande gewesen, daß sie [295] ihrem Vater hätten vollkommlich helfen können. Doch haben sie getan, was sie gekonnt haben. Der Sohn meines seligen Mannes mit Namen Rabbi Samuel ist ein großer Schriftgelehrter gewesen und ein in jeder Beziehung tüchtiger und gar weiser Mann. Er ist lange in Polen gewesen und hat gelernt, so daß er den Morenu-Titel bekommen hat. Und wie er aus Polen gekommen ist, zu der Zeit bin ich noch nicht in der heiligen Gemeinde Metz gewesen, sondern bin erst einige Jahre danach hierher gekommen. Da hab ich den Rabbi Samuel hier in seinem eigenen Haus gefunden.

Mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – wie auch der reiche Vorsteher Reb Abraham Krumbach, der Schwiegervater des erwähnten Rabbi Samuel, haben ihm große Guttaten erwiesen, so daß er hat das Lernen fortsetzen können. Sie haben ihm auch soweit fort geholfen und kurze Zeit darauf, wie mir scheint, haben beide Eltern ihre Autorität geltend gemacht, so daß man meinen Stiefsohn Rabbi Samuel als Vorsitzenden des Rabbinerkollegiums im Elsaß aufgenommen hat, welches Amt er gemäß seiner Klugheit gar schön geführt hat, und ist auch von allen Menschen gar sehr geliebt worden. Aber eine Handvoll sättigt den Löwen nicht, so daß seine Bestallung nicht ausgereicht hat für das, was er im Hause nötig gehabt hat. Denn der Oberrabbiner Rabbi Samuel und seine Frau, die Rabbinerin Genendel, sie lebe, sind beide aus großen Häusern gewesen, die sich gar prächtig geführt und gar viel Gutes getan haben. Sie wären solches gerne imstande gewesen, aber das Rabbineramt hat das nicht tragen können. Also hat der Oberrabbiner Rabbi Samuel sich bei dem Herzog von Lothringen engagiert, welcher damals seine Hofhaltung in Luneville gehabt hat. Denn damals hat der Krieg angefangen zwischen Seiner Majestät dem König von Frankreich und Seiner Majestät dem Kaiser und seinen Alliierten, welche nicht nötig sind, daß ich sie beim Namen nenne, da es allbekannt ist, wer sie gewesen sind.

Zu dieser Zeit hat der Oberrabbiner Samuel die Münze von Seiner Majestät dem erwähnten Herzog übernommen, [296] welches Geschäft ein großes Kapital Geld erfordert, so daß der Oberrabbiner Samuel es nicht hat allein tun können. Ein halbes Jahr bevor Rabbi Samuel die Münze übernommen hat, hatte er einen Kram angefangen, zu dem er auch ein großes Kapital hat haben müssen, denn der Herzog und die ganze Hofhaltung haben alles bei ihm gekauft, denn er war bei Seiner Hoheit dem Herzog sehr beliebt und auch bei allen Räten, wie er auch denn in Wahrheit so ein Mensch ist, der Wohlgefallen findet in den Augen von Gott und den Menschen. Aber Rabbi Samuel hat den Kram auch nicht allein gehörig führen können, so hat er seine beiden Schwäger, welche hier in Metz gewohnt haben, zu sich genommen. Der eine heißt Reb Isai Willstatt und ist ein bekannter Familienvater gewesen, welcher die Schwester von Rabbi Samuel gehabt hat; der andere heißt Jakob Krumbach und die Frau des Rabbi Samuel ist die Schwester des erwähnten Jakob gewesen. Derselbe ist auch ein großer und wackerer Mann und ist der Bruder meines Schwiegersohnes Moses Krumbach.

Die drei erwähnten Männer haben ihre drei vornehmen Häuser in der Judengasse gehabt und haben selbe stehen lassen und sind nach Luneville gezogen. Sie haben mit Rabbi Samuel Kompagnie gemacht und haben in ihrem Kram große Stücke Ware gehabt, die gut abgegangen sind. Sie haben auch anderen Handel gehabt, so daß sie dort gar gut gesessen sind. Danach hat der erwähnte Rabbi Samuel die Münze bekommen, woran zwar kein großer Verdienst gewesen, nur die Menge hat es ausgemacht, daß doch schöner Verdienst daran gewesen ist. Damals als sie das Geschäft mit der Münze übernommen haben, hat Rabbi Samuel solches seinem Vater – das Andenken des Gerechten gesegnet – geschrieben, aber das Geschäft hat meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – nicht angestanden, denn er – er ruhe in Frieden – ist sehr klug gewesen und hat die Natur dieses Geschäftes gekannt, daß dieses nicht gut tun kann, und besonders, daß Seine Majestät der König von Frankreich selbes nicht wohl leiden kann. [297] Denn hier, Metz ist dicht bei Luneville, nicht mehr als eine Tagreise von dort, und all das gemünzte Geld muß hier konsumiert werden. Also hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – alles bedacht wie ein alter erfahrener Handelsmann und seinem Sohn Rabbi Samuel für alle Fälle alles geschrieben, was dazu für ein Kapital gehört und was daraus entstehen kann. Aber alle die drei Erwähnten sind junge Leute gewesen, die gar hitzig auf den Handel gewesen sind, und haben endlich mit Seiner Hoheit dem Herzog abgeschlossen, große Summen in Silber zu liefern und die Bezahlung aus der Münze in unterschiedlichen Münzen zu erhalten.

Solches alles ist eine Zeitlang glücklich gegangen, aber, wie weiter folgen wird, es ist einigen von ihnen nicht gut ausgeschlagen. Aber für den erwähnten Rabbi Samuel ist es gar sein Untergang gewesen, wie folgen wird.

Ein halbes Jahr lang haben die drei Gesellschafter ihr Geschäft mit Waren geführt und anderen Handel mit Wechseln und sonstigem, wie es bei Juden Brauch ist. Es hat hier ein Familienvater mit Namen Moses Rothschild gewohnt. Er ist auch ein sehr reicher Mann gewesen, hat viele Jahre nach Lothringen gehandelt, so daß er dort bei den einflußreichen Männern und Kaufleuten gar bekannt gewesen ist und weil er gehört hat, daß sie so gute Geschäfte machen, hat er sich auch dorthin gesetzt mit seinem Sohn, welcher der Schwiegersohn des Rabbi Samuel gewesen ist. Solches hat er durch die Räte Seiner Hoheit des Herzogs ermöglicht und hat sich nicht weit von Luneville angesiedelt. Er war auch gar beliebt bei Seiner Hoheit dem Herzog und seinen Räten. Nun kurz, der erwähnte Reb Moses hat sich auch engagiert und an die Münze Silber geliefert, welches so im allgemeinen einige Zeit gewährt hat, und sie sind mit ihrem Geschäft vergnügt gewesen. Der Rabbi Samuel hat auch an seinem Vater, meinem Mann – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – in jeder Art viel Gutes getan, so daß er keinen Mangel gehabt hat. Sie haben die Münzen von dort hierher geschickt. Zeitweise ist es angehalten [298] worden, zeitweise haben sie es wieder bekommen, zeitweise auch nicht wieder bekommen. Zwischendessen ist mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – immer in Sorgen gewesen, denn er hat gesehen, daß im Hintergrunde große Gefahr dabei ist. Obschon er solches seinem Sohn Rabbi Samuel vielemale geschrieben hat, hat solches nicht helfen können, denn geschehene Dinge sind nicht zu ändern.

Wie nun der Krieg mit Seiner Majestät dem König der Franzosen und dem Kaiser stark fortgegangen ist, ist von Seiner Majestät dem König ein Verbot gekommen, kein Lothringer Geld ein- oder aus Frankreich herauszuführen. Zudem hat Seine Majestät der König durch seinen großen Minister einen Brief hierher schreiben lassen, an Herrn Lathandy hierher; derselbe sollte ihn an die Gemeinde schicken und in der Gemeinde soll der Brief verlesen werden. Darin hat gestanden und sind genannt gewesen die fünf Juden, die eine Gesellschaft gemacht hatten und hier gewohnt haben und von hier nach Lothringen gezogen sind; wenn sie dort in Lothringen bleiben wollen, gut, so sollen sie all ihr Lebtag keinen Fuß mehr nach Frankreich setzen bei unterschiedlichen Bannsprüchen. Und also haben sie die Wahl, ob sie wieder hierher nach Metz zu wohnen kommen wollen oder ob sie in Lothringen bleiben wollen. Dafür sollen sie einige Monate Bedenkzeit haben.

Wie nun solches sämtlichen Gesellschaften zu wissen gemacht war, sind sie darüber sehr erschrocken gewesen, denn sie haben nicht gewußt, was sie wählen sollten, weil sie hier ein jeder vornehme Häuser stehn gehabt haben und weil sie ihr Wohnrecht nicht gerne aufgeben wollten. Zudem haben sie sich im Geschäft mit der Münze bei Seiner Hoheit dem Herzog bei großer Strafe sehr stark verschrieben gehabt. Sie sind also gar übel dran gewesen. Der König hat auch geschrieben, wenn die oberwähnten Juden in Lothringen bleiben wollen, so soll die Gemeinde – Gott beschütze sie – in ihr Gemeindebuch schreiben, daß sie kein Wohnrecht mehr in Metz haben sollen. Kurz, sie sind gar übel dran gewesen. Endlich ist die Zeit herangekommen, [299] daß sie Antwort sagen sollten. Also hat Reb Isai Willstatt zuerst die Wahl getroffen, hierher zu kommen. Desgleichen hat Jakob Krumbach auch getan, und ich weiß nicht, wie sie mit Seiner Hoheit dem Herzog gefahren sind. Was sie an Waren in ihrem Kram gehabt, haben sie zusammen geteilt und sind mit Frau und Kindern und all dem Ihrigen hierher gekommen, und ein jeder hat sich wieder in sein Haus begeben. Aber Rabbi Samuel und Reb Moses Rothschild und sein Sohn haben sich resolviert, dort zu bleiben, welches meinen Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – sehr gekränkt hat und was er sich so sehr zu Herzen genommen hat, daß er den Kummer und die Beschwerde nicht hat aushalten können, denn er ist ohnedies ein schwacher Mann gewesen und von der Krankheit Zipperlein gar sehr geplagt gewesen, und wie das dazugekommen ist, hat es ihn gar sehr niedergeschlagen.

Wenn auch sein Sohn Rabbi Samuel ihn keinen Mangel hat leiden lassen und ihm alles, was nötig war, geschickt hat, und auch seinem Korrespondenten Ordre gegeben hat, daß man meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – geben soll, was er verlangt, es hat aber alles nicht helfen wollen. Rabbi Samuel hat seinem Vater auch einen erfahrenen Arzt geschickt, damit er einige Kuren mit ihm mache; er ist auch etliche Tage bei ihm geblieben und hat auch einige Kuren gebraucht, er hat aber gleich gesagt, daß er ein Kind des Todes sei. Was sich auch erwiesen hat, indem Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – ihn in das Ewige zu sich genommen hat, und er ist sicher ein Sohn des Jenseits geworden, denn er ist viele Jahre Vorsteher gewesen und die Gemeinde war gar wohl mit ihm zufrieden und er hat wirklich sein Leben dabei gewagt, wovon gar viel zu schreiben wäre, aber ich finde solches nicht für nötig. Er ist in seine Ruhe gegangen und hat mich in Elend und Trübsal sitzen lassen. Ich habe wenig Geld auf meinen Ehevertrag bekommen, nicht ein Drittel von dem, was mir gebührt hätte. Dennoch, was soll man tun? Ich habe alles Gott – er sei gelobt – anheimgestellt. [300] Damals bin ich noch im Hause von Reb Isai Willstatt gewesen, welches Haus meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – gehört hatte, und ich vermeinte, daß ich in seinem Hause werde bleiben können, so lange ich lebte, was mir auch Reb Isai zugesagt hat. Aber als mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – gestorben ist und Reb Isai mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Möbeln hierher gekommen ist, habe ich gleich aus seinem Haus müssen und nicht gewußt, wohin ich soll. Bei meinem Schwiegersohn, dem Vorsteher Moses Krumbach, hab ich auch nicht sein können, weil er noch nicht gebaut hatte, wie er es jetzt mit Gottes Hilfe getan hat. Also bin ich übel dran gewesen. Endlich hat ein Familienvater mit Namen Jakob Marburg mir ein kleines Kämmerchen bauen lassen, worin ich keinen Ofen oder Schornstein gehabt hab, doch hab ich ausgemacht, daß ich in seiner Küche kochen darf und daß ich auch in seiner Winterstube sein darf. Aber wenn ich zu Bett gehen wollte oder sonst in meine Kammer gehn, hab ich müssen 22 Treppen hinaufsteigen, welches mir gar schwer angekommen ist, so daß ich die meiste Zeit – es bleibe fern von euch – unpäßlich gewesen bin. Mein erwähnter Schwiegersohn Moses ist bei mir gewesen und hat mir einen Krankenbesuch gemacht. Solches ist ungefähr im Monat Tebeth 1715 gewesen. Da hat er mir gesagt, ich sollte in sein Haus kommen, er wollte mir ein Zimmer geben, das an der Erde wäre, daß ich nicht die hohen Stiegen zu steigen brauchte. Aber ich habe mich dessen auch geweigert, denn ich habe aus verschiedenen Gründen niemals gern bei meinen Kindern sein wollen. Aber auf die Länge habe ich es nicht länger aushalten können. Es ist ein Jahr großer Teuerung gewesen und ich hab müssen eine Jungfer halten. Ich habe die Gemeinde Geld gekostet, so daß ich endlich angenommen habe, was ich mich so lange geweigert hab, und bin zu meinem Schwiegersohn, dem Vorsteher Moses Krumbach, gegangen. Solches ist ungefähr im Monat Ijar 1715 gewesen und dieses schreibe ich im Monat Tamus 1715. [301] Mein Schwiegersohn und meine Tochter – sie sollen leben – und die Kinder – Gott behüte sie – sind wohl mit mir zufrieden gewesen. Soll ich nun schreiben, wie mich mein Schwiegersohn und meine Tochter halten – sie sollen leben – ich kann nicht genug davon schreiben. Gott – gelobt sei er – soll es ihnen bezahlen! Sie tun mir in allem alle Ehre der Welt an. Das Beste aus der Schüssel wird mir vorgelegt – mehr als ich mir wünsche und begehre. Ich besorge, daß mir das an meinem Verdienst – wenn ich ein ganz klein wenig habe – Gott behüte, abgezogen werde. Wenn ich zu Mittag zum Essen nicht da bin, man ißt präzise um Glock zwölf – und man sagt zu der Zeit im Bethaus Psalmen für die Seele seiner frommen Mutter Jachet, was gar lang kontinuiert, und vielleicht dauert es bis der Erlöser kommt und es währt eine ganze Stunde lang – komm ich dann aus dem Bethaus heim, dann find ich mein Essen, drei oder vier Gerichte, lauter Leckerbissen, was mir zwar nicht gebührt, so daß ich oft zu meiner Tochter sag: »Laß mir nur ein wenig stehn.« Da antwortet meine Tochter: »Ich kann nicht mehr, noch weniger für Dich tun.« Wie auch die Wahrheit ist, ich bin weit und in vielen Gemeinden gewesen, hab aber nie so eine Haushaltung führen sehn. Jedem wird alles freundlich und in Ehren gegeben, sowohl den Plettengästen als den richtigen Gästen. Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – wolle sie nur dabei erhalten, daß sie solches bis zu hundert Jahren in Gesundheit und Frieden, in Reichtum und Ehre ausführen mögen!

Soll ich viel schreiben, was sonst hier passiert oder ob sich die Gemeinde im rechten Weg führt? Also kann ich nichts anderes schreiben als daß, wie ich hierher gekommen bin, es gar eine schöne Gemeinde gewesen ist und gar fromm, und gar eine schöne Gemeindestube ist dagewesen. Und alle Vorsteher wirklich lauter Greise, welche die Gemeindestube wirklich geziert haben. Damals ist in der Gemeindestube keiner gewesen, welcher eine Perrücke aufgehabt hat. Damals hat man nichts davon gewußt, daß man aus der Judengasse vor das öffentliche [302] Gericht prozessieren geht. Und sind schon zeitweise kleine Streitigkeiten gewesen, wie das leider bei Juden oft vorkommt, so sind dieselben doch alle entweder beim Gemeindevorstand oder bei den Rabbinern geschlichtet worden. Und man ist auch nicht so hochmütig gewesen wie jetzt. Man war auch nicht so vornehmes Essen gewohnt wie jetzt. Ihre Kinder haben sie sehr zum Lernen angehalten und wiederholt die tüchtigsten Rabbiner angestellt.

Zu meiner Zeit ist der fromme Gaon Reb Gabriel – sein Licht leuchte – Oberrabbiner und Landesvorsteher gewesen. Wenn ich von demselben seiner Frömmigkeit und Gerechtigkeit schreiben sollte, sollte es mir zu viel werden. Aber weil dieses weltkundig ist, so steht es mir nicht an, von seinen Eigenschaften zu schreiben, von denen ich nicht die Hälfte oder den zehnten Teil beschreiben könnte. Kurz, der erwähnte Oberrabbiner hat sich mit dem reichen Rabbi Samson aus Wien verschwägert: der Sohn des Gaon Rabbi Gabriel hat die Tochter des erwähnten Rabbi Samson genommen. Die Mitgift mit Geschenken ist dreißigtausend Reichstaler gewesen. Also sind der Oberrabbiner Reb Gabriel mit der Rabbinerin und sein Sohn Reb Löb – er ruhe in Frieden – und der Bräutigam Rabbi Berisch nach Wien gezogen und haben dort die Hochzeit in so großen Ehren gemacht, wie es unter Juden noch nie so prächtig zugegangen ist. Aber was soll ich mich bei dieser Materie lange aufhalten? Da ich doch nicht alles vollkommlich schreiben kann, ist es besser, es bei dem wenigen bleiben zu lassen und weil solches doch weltkundig genug gewesen ist.

Der fromme und berühmte Gelehrte Oberrabbiner Reb Gabriel – sein Licht leuchte – hat von der Gemeinde – sie lebe ewig – die Erlaubnis gehabt, ein Jahr lang auszubleiben, aber man hat hier nicht gemeint, daß er ein Jahr ausbleiben wird. Aus dem einen Jahr sind beinahe drei geworden. Wie das Jahr vorbei gewesen ist, hat ihm die Gemeinde – sie lebe ewig – in aller Ehre der Welt geschrieben, er möchte doch wieder in Frieden heimkommen, hierher in sein Rabbinat Metz, denn die Gemeinde wäre [303] hier wie Schafe ohne Hirten, denn so eine Gemeinde kann nicht gut ohne Oberrabbiner sein, wenn hier auch wackere Leute, große Schriftgelehrte, kluge und weise Männer waren und unter ihnen besonders der alte Gaon Rabbi Ahron. Dieser ist ein großer Gelehrter und war etliche Jahre Oberrabbiner in Mannheim und Umgebung und auch im Elsaß.

Der erwähnte alte Rabbi Ahron hatte sich mit dem Schwiegersohn des erwähnten Rabbi Gabriel verschwägert. Dessen Tochter hat den Sohn des Rabbi Ahron, Oberrabbiner im Elsaß, genommen. Also hat Rabbi Ahron die Partei von dem Oberrabbiner Gabriel gehalten und wiederholt vorgewendet, daß sein Gevatter, der erwähnte Rabbi Gabriel, kommen werde. So hat denn der erwähnte Gaon Rabbi Ahron, der sehr klug ist und dessen Worte sehr geachtet werden, denn er war sehr tüchtig und klug in religiösen wie in weltlichen Dingen, die Gemeinde für einige Zeit beruhigt. Endlich hat die Gemeinde – sie lebe ewig – erfahren, daß der Gaon Rabbi Gabriel wirklich von der Gemeinde Nikolsburg als Oberrabbiner aufgenommen worden ist. Es wäre viel davon zu schreiben, was daraus für viele Streitigkeiten entstanden sind. Der Sohn des Rabbi Gabriel ist hierher gekommen und hat gemeint, die Gemeinde – sie lebe ewig – zu überreden, daß sie noch länger warten solle. Aber weil man gehört hatte, daß der gelehrte Rabbi Gabriel sich in der obengenannten Gemeinde hat aufnehmen lassen, hat die Gemeinde – sie lebe ewig – in einer Versammlung des größten Teiles der Gemeindemitglieder beschlossen, einen anderen Oberrabbiner aufzunehmen, wodurch sie große Streitigkeiten erregt haben. Denn die Partei von dem erwähnten Rabbi Gabriel und Rabbi Ahron mit seiner Partei haben gar viel getan, und es ist großer Streit gewesen, denn sie hätten gern verwehrt, daß man einen Oberrabbiner aufnehmen soll, nur um auf den frommen Rabbi Gabriel zu warten. Aber da solches nicht geschehen ist, sind große Streitigkeiten entstanden, welches nicht nützlich zu schreiben ist. Endlich hat sich die Gemeinde – sie lebe ewig – in einer großen [304] Versammlung der Mitglieder bei großer Strafe fest verschrieben, daß, wenn der erwähnte fromme Oberrabbiner nicht kommt, man einen anderen Oberrabbiner wählen sollte, welches auch geschehen ist, und sie haben einen Berufungsbrief in allen Ehren – wie es sich gehört an so einen Schriftgelehrten – geschrieben an den Gaon Oberrabbiner Rabbi Abraham – sein Licht leuchte. Rabbi Abraham war zu der erwähnten Zeit Landesrabbiner in Prag und man hat den Brief mit einem besonderen Boten geschickt.

Nach einiger Zeit sind einige Bedingungen gestellt worden, welche die Gemeinde hier – sie lebe ewig – dem obengenannten Oberrabbiner im allgemeinen bewilligt hat. Also hat der erwähnte Oberrabbiner an die Gemeinde – sie lebe ewig – geschrieben, daß er kommen wolle. Ob nun solches der Gaon, der Oberrabbiner Gabriel, zu wissen gekriegt hat, oder ob er wirklich wieder in sein Rabbinat kommen wollte – er ist wieder hierhergekommen und hat gemeint, er werde die Rabbinerwürde mit Hilfe seiner Partei behalten – aber ich mag nicht schreiben, wie es hier zugegangen ist. Es sind viele Streitigkeiten gewesen. Gott – er sei gelobt – soll einem jeden seine Sünde verzeihen. Mir als einer einfachen, schlichten Frau gebührt nicht, »zwischen großen Bergen« zu schreiben. Gott – er sei gelobt – soll es jedem verzeihen, der in seiner Partei etwas Widerliches getan hat. Es wären ganze Bücher davon zu schreiben, was eine jede Partei getan hat, um sich durchzusetzen. Gott – er sei gelobt – soll uns die Fürsprache von allen beiden Schriftgelehrten genießen lassen. Nun, als der Gaon, der Oberrabbiner Reb Gabriel, eine zeitlang hier gewesen ist und er gesehen hat, daß nichts zu behalten ist, weil die Gemeinde hier nicht hat zurück können, also ist der erwähnte fromme Reb Gabriel wieder in großen Ehren seinen Weg gegangen. Denn die ganze Gemeinde sind nicht seine Feinde gewesen, im allgemeinen sind sie seine Freunde gewesen. Die Ursache, daß sie nicht haben zurück können, war, weil sie den erwähnten Berufungsbrief geschickt hatten und der [305] große Oberrabbiner Reb Abraham auch geschrieben hatte, daß er kommen will.

Also will ich meine Feder einziehen und nur schreiben, daß der große Rabbiner, der erwähnte Reb Abraham, in Frieden hierher gekommen ist.

Ich kann nicht erschreiben, mit welchen Ehren man ihn hier eingeholt hat, was wohl weltkundig sein wird, so daß ich es für unnötig erachte, es zu schreiben. Man hat ihm wirklich ein neues Haus bauen lassen mit seinem Lehrzimmer und mit seinem Lehrstuhl, daß ich mit meinem kleinen Verstande dafür halte, daß selbe nirgends so sind. Und unsere ganze Gemeinde, wenn sie auch, bevor er gekommen war, seine Partei nicht gehalten haben, so haben sie doch alle mit dem Gaon in aller Freundschaft gelebt. Denn von seiner Person, seiner Gelehrsamkeit und seinen guten Taten wäre viel zu schreiben, was der ganzen Welt genugsam bekannt ist; auch was für eine Gelehrsamkeit der erwähnte Gaon in die Gemeinde gebracht hat, und wie er nichts begehrte als Tag und Nacht in seinem Lernen fortzufahren und die Lehre unter Israel zu verbreiten. Kinder, die wirklich nichts gelernt hatten, hat er genommen und mit ihnen gelernt, daß sie tüchtig geworden sind. Nun, was soll ich mich viel aufhalten, seine Gelehrsamkeit ist überall bekannt!

Aber unsere Freude hat leider nicht lang gewährt, denn der erwähnte Gaon und Oberrabbiner hat sich in der heiligen Gemeinde Frankfurt aufnehmen lassen. Obschon die Gemeinde – sie lebe ewig – gar sehr in ihn gedrängt hat, daß er bleiben soll, und ihm geben wollte, was sein Herz begehrte, so hat er doch mit keinem Gedanken gewollt. Wir haben, seit der Gaon von hier fort ist, gar schlechte Zeiten gehabt mit Körper und Geld, wie ich noch kurz schreiben werde. Viele wackere junge Weiber sind leider gestorben, von denen man nichts Böses gehört hatte; es ist ein großes Elend gewesen. Gott soll sich doch weiter erbarmen und seinen Zorn von uns und ganz Israel abwenden. Amen. Amen.

Ich kann mich nicht enthalten, die Geschichte zu schreiben, die in unserer Gemeinde Metz geschehen ist am [306] Sabbat und Wochenfeste im Jahre 1715, als wir waren im Bethaus, Männer und Frauen und der Vorbeter, der große Sänger Jokel aus Rzeszow in Polen hat angefangen zu beten das Morgengebet, dort wo die Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte vorkommt, und sang mit seiner schönen Stimme von der Stelle, die beginnt: »O Gott, mit deiner großen Kraft« bis zu dem Segensspruch: »Der die Lichter erschafft« und bevor er diesen Segensspruch begonnen hat, haben die meisten Männer und Frauen Geräusche gehört, als wenn etwas einbrechen würde und es ist gar sehr ein Gerumpel gewesen. Die Weiber oben in der Synagoge haben gemeint, das ganze Gewölbe wird einbrechen und auf sie fallen. Infolge dieses großen Schreckens und dieser Furcht, die über alle Männer und Frauen gekommen war, wegen dem großen Lärm und Gerumpel wie von Steinen, als wenn ein großes Gebäude zusammenbricht, ist der Schreck gar groß gewesen. Darum haben sich die Weiber oben in der Synagoge geeilt und wollten heruntergehn. Eine jede wollte gern die erste sein, um ihr Leben zu retten. Die einen sagen so, die andern so – Männer und Weiber! Als die Weiber das große Getümmel in der Männersynagoge hörten, sind sie erschrocken und bestürzt hinausgelaufen und die Weiber meinten, es seien – Gott bewahre – Feinde über uns gekommen und damit sich jede einzelne ihr Leben retten kann und das Leben ihres Mannes, sind alle Frauen mit Gewalt aus der Weibersynagoge hinausgelaufen bis auf die Treppe und dadurch, daß eine jede der andern gern vorgehen wollte, sind sie – Gott bewahre uns – eine über die andere gefallen und eine hat die andere mit den Sohlen, die sie an den Füßen gehabt hat, ums Leben gebracht. In der Zeit von einer halben Stunde sind sechs Frauen getötet worden und mehr als dreißig Frauen waren blessiert worden, zum Teil bis auf den Tod, so daß sie mehr als ein Vierteljahr unter den Händen von Balbierern gewesen sind.

Wenn sie in der Ordnung heruntergegangen wären, wäre keiner etwas geschehen. Eine alte blinde Jüdin ist nebbich [307] auch oben in der Synagoge gesessen, die hat nicht laufen können, da ist sie sitzen geblieben, »bis der Zorn vorüber war«. Ihr ist nichts geschehen und sie ist wohlbehalten nach Hause gekommen. Aber wegen dem großen Lärm, den sie gehört haben, haben sie den Schreck auf sich gehabt, daß das Gewölbe vom Bethaus auf sie fallen wird. Was das nun für ein elender Zustand war, ist nicht zu sagen oder zu schreiben. Die Weiber, welche gerettet worden sind, sind aus dem Gedränge meistens mit bloßem Kopf heruntergekommen und die Kleider vom Leibe gerissen. Eine Frau und noch deren mehr, die doch oben in der Synagoge gesessen waren, haben mir gesagt, daß sie auch herunterlaufen wollten; es ist ihnen aber unmöglich gewesen fortzukommen. Da sie nicht fortkommen konnten, sind sie wieder in die Synagoge zurückgegangen und haben gesagt: »Wenn wir schon sterben sollen, so wollen wir lieber in der Synagoge bleiben und da sterben, als daß wir auf den Treppen zerquetscht werden sollten.« Denn es sind mehr als fünfzig Frauen auf der Treppe gelegen und sind so miteinander verworren gewesen, als wenn sie übereinander gepicht wären, und Lebendige und Tote – es sei unterschieden zwischen tot und lebendig! – sind als untereinander gelegen. Die Männer sind alle zu laufen gekommen, ein jeder hat gern die Seinige retten wollen. Aber es war eine gar schwere Arbeit, daß man die Frauen, die auf der Treppe gelegen sind, voneinandergebracht hat. Das alles hat wirklich nicht länger als eine große halbe Stunde gewährt. Die Männer haben große Hilfe getan. Es sind viele Leute, Bürger von der Gasse, in die Judengasse gekommen mit Leitern und Haken, und wollten gern die Weiber von der obersten Synagoge heruntertun, denn man hat nicht gewußt, wie es oben in der Weibersynagoge bestellt ist. Die Männer im Bethaus haben den Krach auch gehört und auch gemeint, daß das Gewölbe auf sie fallen wird. Daher haben sie den Weibern zugerufen, sie sollten geschwind hinuntergehn. Daher haben sie sich auch noch mehr geeilt und sind leider eine über die andere gefallen und haben nicht fortgekonnt und sind als auf den Treppen liegen geblieben. Ihr könnt denken, was das für ein Jammer gewesen [308] ist, daß man sechs Tote unter den Lebendigen herausgezogen hat, welche noch vor einer Stunde frisch und gesund gewesen sind. Gott soll sich weiter erbarmen und seinen Zorn von uns und ganz Israel abtun.

Die Weiber aus der untersten Weibersynagoge sind auch in großem Gedränge gelegen. Ich, Mutter, bin auf meinem Platz in der untersten Synagoge gesessen und habe mein Gebet getan. Indem hör ich ein Gelaufe von den Weibern, da frag ich: »Was bedeutet dieses Gelaufe?« Sagt meine Nachbarin: »Was wird es bedeuten? Es wird einer tragenden Frau übel geworden sein.« Also hab ich mich gar sehr erschreckt, weil meine Tochter Esther, sie lebe, auch schwanger gewesen ist, welche wohl acht Stände von mir entfernt gesessen ist. Also komme ich in dem großen Gedränge zu ihr, wie sie sich auch hinausdrängen will. Also sag ich zu meiner Tochter: »Wo willst du denn hin?« Antwortet sie mir: »Um Gottes willen, das Gewölbe will einfallen!« Also nehme ich meine Tochter vor mich und mache mit meinen Händen, daß ich Platz bekomme, daß ich meine Tochter, sie lebe, als fortbringe. Da muß man aus der Weibersynagoge fünf oder sechs Treppchen steigen. Wie ich mit meiner Tochter auf die unterste Treppe komm, fall ich nieder und hab gar von nichts gewußt, auch mich gar nicht bewegt oder um Hilfe gerufen. Und über den Platz, wo ich gelegen bin, haben alle Männer gehen müssen, die zu den Weibern auf der Treppe von der obersten Synagoge wollten. Und wenn es wirklich noch einen Augenblick gewährt hätte, wäre ich zertreten gewesen. Aber endlich haben mich die Männer gesehen und mir aufgeholfen, daß ich auf die Gasse gekommen bin. Da hab ich zu schreien angefangen, weil ich nicht gewußt hab, wo meine Tochter Esther hingekommen war. Da hat man mir gesagt, sie wär in ihrem Haus. Da hab ich jemanden hingeschickt, um zu sehen, ob sie dort ist, aber die Antwort bekommen, daß sie nicht in ihrem Hause ist. Ich bin herumgelaufen wirklich wie einer, der, Gott bewahre, von Sinnen ist. Da kommt meine Tochter Mirjam, sie lebe, zu mir zu laufen und freut sich nebbich, daß sie mich sieht. Sag ich zu ihr: »Wo ist [309] meine Tochter Esther?« Sagt sie zu mir: »Im Hause ihres Schwagers Reb Ruben«, welches nicht weit von dem Bethaus gewesen ist. Lauf ich flugs nach dem Haus des erwähnten Ruben. Da find ich meine Tochter Esther sitzen, wirklich ohne Kleider und Schleier, und es stehen einige Männer und Weiber bei ihr, die sie in ihrer Ohnmacht laben.

Nun, was soll ich mich dabei aufhalten. Gott sei Dank, daß er ihr mit Gesundheit geholfen hat, daß es, Gott sei Dank, ihr und ihrem Kind keinen Schaden getan hat. Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – wolle weiter seinen Zorn von uns und von ganz Israel abtun und uns vor solchen bösen Ereignissen weiter behüten.

Danach ist man oben in die Weibersynagoge gegangen und hat untersucht, ob etwas von dem Gewölbe oder dem Gebäude heruntergefallen ist, sei es von der Weibersynagoge oder der Männersynagoge. Man hat aber gar nichts gefunden und wir können auch nicht wissen, wo die böse Ursache hergekommen ist. Wir können solches nicht anders erklären als durch unsere Sünden. Wehe uns, daß es uns in unseren Tagen so erging. »Von dem, was unsere Ohren hören, tut uns die Seele weh«, daß sich an uns der Satz erfüllt: »Ich werde Feigheit in ihr Herz legen, die Stimme eines rauschenden Blattes wird sie verfolgen und sie werden fliehen wie man das Schwert flieht, und fallen, da sie niemand verfolgt. Einer soll über den anderen stürzen, als wenn das Schwert hinter ihm wäre und fallen, da sie niemand verfolgt.« Und darüber tut das Herz weh und die Augen verdunkeln sich über die Entweihung des Sabbats und des Feiertages und über die Andachtslosigkeit im Gebete. Wie der Prophet sagt: »Wer verlangt das von euch ...«

An diesem heiligen Tage, an dem die heilige Thora gegeben worden ist und an dem wir auserwählt wurden von allen Völkern und Sprachen! Und wenn wir die Gunst gefunden hätten, hätten wir uns gefreut mit der Freude der Verleihung der Thora, der heiligen Schrift Gottes. Und jetzt sind wir vor unseren Nachbarn zur Schande, Spott und Hohn vor unserer Umgebung, als ob der Tempel in unseren Tagen [310] zerstört worden wäre. Und über die Metzelei der armen und der bedürftigen Frauen fließen Ströme aus unseren Augen.

Die meisten von den getöteten Frauen waren leider Wöchnerinnen und eine von ihnen war schwanger. Sie haben Ruhe, aber wir haben Not, Kummer und Seufzen.

Am nächsten Morgen nach dem erwähnten Feiertag ging gleich früh am Morgen die Beerdigungsbruderschaft auf den Friedhof und es wurden die erwähnten sechs Toten eine neben der anderen in einer Reihe begraben.

Und jetzt ist ein jeder verpflichtet, seine Handlungen zu untersuchen, ein jeder nach seinem Lebenswandel und der Frucht seiner Werke, um zu verkünden, daß der Ewige gerecht ist, ein Gott der Treue und ohne Fehl. Und er, der Barmherzige, wird die Sünden vergeben und uns nicht verderben und seinen Zorn und Grimm nicht entbrennen lassen. Und er wird dem Engel der Verderbnis sagen: »Halt deine Hand ein« u. s. w. Und der Herr der Barmherzigkeit wird unsere Wünsche erfüllen und wird unseren Ausgang und unseren Eingang behüten, zum Leben und zum Frieden von nun an bis in Ewigkeit. Und es soll kein Mauerriß und kein Trauergeschrei in unseren Gassen sein und in der aller Brüder des Hauses Israel, in allen ihren Orten und Wohnstätten. Amen.

Es wird nun viel und viel geredet, aber wer kann alles schreiben oder alles glauben. Dennoch will ich, Mutter, ein wenig davon schreiben.

Eine Frau namens Esther, deren Mann mit Namen Reb Jakob war – er ist hier ein Hausvater und Lehrer gewesen – also hat die Frau mit ihrem Kind, einem Sohn von ungefähr fünf Jahren, auf der obersten Treppe der Weibersynagoge gesessen, zur Zeit als die Geschichte angefangen hat. Also hat sie gesehen sechs Weiber mit kleinen Schleierchen auf, welche gar lang von Positur gewesen; diese erwähnten Weiber sind gegangen und haben die erwähnte Frau Esther etliche Stiegen heruntergestoßen. Die erwähnte Frau hat geschrien: »Wollt ihr mich mit meinem Kind töten?« Da haben sie das Kind in einen Winkel gesetzt und sind hinweggegangen. [311] Die Frau mit ihrem Kind ist gerettet worden. In diesem Augenblick hat Lärm und Schreck so angefangen, daß alle die Weiber aus der obersten Synagoge heruntergelaufen sind, eine ist auf die andere gefallen und sie haben sich nicht regen können. Also hat leider eine die andere zerquetscht und sie sind auf der Treppe gelegen, als wenn sie zusammengeklebt wären. Mein Schwiegersohn der Vorsteher Reb Moses Krumbach hat auch gehen wollen und hat zu den Weibern gesagt, warum sie nicht von der Stiege heruntergehn. Da haben sie nebbich geschrien, sie könnten nicht heruntergehn, die Treppe werde unter ihnen zerbrechen, wenn auch nichts in der Welt an den Treppen gebrochen gewesen ist. Nur Angst und Furcht hat ihnen leider alles vorgespiegelt. Die Frau Esther mit ihrem Kind ist gerettet worden. Mit großer Mühe und Anstrengung hat man sie mit ihrem Kind unter den anderen heruntergekriegt, wenn auch die erwähnte Frau mehr tot als lebendig gewesen ist, wie es sich auch gezeigt hat, daß sie eine Fehlgeburt getan hat. Sie hat so viele Stöße bekommen, daß die Aerzte und Balbierer über drei Monate zu ihr gegangen sind. Mit dieser Frau hab ich, Mutter, selbst geredet und sie hat mir geschworen, es wäre nicht anders als wie sie mir erzählt. Ihr Mann war auch Zeuge dafür und ebenso ihr Vater und ihre Mutter, daß sie also sofort gleich erzählt hat. Auch sind vornehme Leute und Schriftgelehrte zu ihr gegangen und sie hat solches bei ihrem Eide ausgesagt, und sie und ihr Mann wie auch ihr Vater und ihre Mutter sind fromme, ehrliche Leute, von denen man hier in der Gemeinde keine Lüge oder Widerwärtigkeiten gehört hat.

Wiederum war es ungefähr zur Zeit dieser Geschichte in der Nacht. Ein vornehmer Hausvater hier, namens Jakob Krumbach, der hat sein Haus dicht bei dem Bethaus gehabt. Also hat seine Frau im Bethaus einen großen Lärm gehört, als wenn Diebe im Bethaus wären und alles herausnehmen, und als wenn im Bethaus Leuchter gefallen wären. Da hat die Frau ihren Mann aufgeweckt und gesagt: »Um Gottes willen, hörst du nicht, wie ein Lärm im Bethaus [312] ist? Es müssen Diebe drinnen sein, die alles heraustragen.« Da haben sie nach dem Tempeldiener geschickt und die Synagoge aufmachen lassen. »Keine Stimme und keine Antwort.« Man hat nicht gefunden, daß ein Stückchen von seinem Ort verrückt war, so daß man leider Gottes nicht weiß, um wessen willen dieses Unglück geschehen ist.

Es ist leider eine große Vertaumelung gewesen, die Weiber haben gemeint, die Männersynagoge fällt ein, und die Männer haben gemeint, die Weibersynagoge fällt ein. Daher haben die Männer den Weibern zugeschrien, sie sollten sich aus der Synagoge machen. Kurz, man kann es nicht reden oder schreiben, wie der Schlag leider gewesen ist. Die meisten Männer und Frauen haben einen großen starken Schlag gehört, als wie ein Donnerschlag und als wenn man ein Gestück losschießt. Die meisten haben solches gehört, viele haben gar nichts gehört, so wie auch ich, Mutter, auch nichts gehört habe.

Nun haben wir den heiligen Tag in Kummer und Nöten verbracht, da wir uns billig an dem heiligen Tag, da die Thora begeben ward, freuen sollten, ist nur Kummer und Sorge und Stöhnen gewesen. Der Vorbeter Reb Jokel ist aus dem größten Gebet aus der Synagoge heimgegangen und ein anderer Vorbeter hat sich hingestellt und gebetet, hat aber wenig oder gar nicht gesungen. Einige fromme Weiber haben einen Verein gemacht und haben zehn Schriftgelehrte gedungen, die alle Tage morgens um 9 Uhr ins Bethaus gehen sollten und Psalmen sagen, auch sollten sie eine Stunde lernen, damit die, welche Waisen geworden sind, Seelengebete sagen konnten. Gott soll ihre Seelen mit Wohlgefallen aufnehmen und soll ihren Tod, welcher so absonderlich gewesen ist, als eine Sühne für ihre Sünden aufnehmen, und ihre Seelen sollen eingebunden sein im Bündel der Lebenden im Garten Eden. Und sie sollen allen verzeihen, die ihnen so nahe gekommen sind, daß sie leider um ihr Leben gekommen sind. Und sie sollen auch zu Gott – er sei gelobt – beten, daß er alles verzeiht. [313] Ich hätte solches nicht in mein Buch geschrieben, nur weil solches so eine unerhörte Sache ist, die nicht geschehen und nimmermehr geschehen soll. Daß sich solches ein jeder, sei es Mann oder Weib, Jüngling oder Jungfrau, zu Herzen nehmen soll und Gott – gelobt sei er – bitten soll, daß er solche Strafe nimmermehr einem Judenkind zuschicken soll. Und Gott – er sei gelobt – soll sich erbarmen und uns aus dieser langen Verbannung erlösen. Amen und Amen.

Ich kann es leider nicht anders auslegen als durch unsere Sünden, die am Freudenfeste der Thora 1714 geschehen sind. Als, wie es Sitte ist, alle Thorarollen aus der heiligen Lade genommen waren und gleich danach die sieben Thorarollen auf dem Tisch gestanden sind, da hat eine Schlägerei zwischen den Weibern angefangen, und leider hat eine der anderen die Schleier vom Kopf gerissen, so daß sie barhäuptig in der Weibersynagoge gestanden sind. Daher haben dann auch die Männer in der Männersynagoge zusammen angefangen sich zu zanken und zu schlagen. Wenn auch der Gaon, der große Rabbiner Abraham, mit lauter Stimme geschrien und mit dem Bann gedroht hat, daß man still sein soll und den Feiertag nicht weiter entweihen, aber das hat alles nichts geholfen. Also sind der erwähnte Oberrabbiner und die reichen Vorsteher in der Eile aus der Synagoge gegangen und haben ausgemacht, was eines jeden Strafe sein solle.

Im Monate Nissan 1719 ist eine Frau an der Mosel gestanden und hat Geräte gesäubert, in der Nacht ungefähr um 10 Uhr. Da ist es hell wie bei Tag geworden und die Frau hat in den Himmel gesehn. Der Himmel ist offen gewesen als wie ein ........ und Funken sind davongesprungen, und danach ist der Himmel wieder zugegangen, als wenn einer einen Vorhang zugezogen hätte und es ist wieder ganz finster geworden.

Gott – er sei gelobt – soll geben, daß es zum Guten sein soll. Amen.

Ende vom siebenten Buch.
« Sechstes Buch Die Memoiren der Glückel von Hameln Namens- und Orts-Verzeichnis »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).