Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Martinsgans
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 695–696
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[693]

Die Martinsgans in Schwaben. Originalzeichnung von C. Offterdinger.

[695]
Die Martinsgans.
Mit Abbildung.

Es ist ein frostiger Novembermorgen. Die Berge haben die grauen Nebelkappen tief über die Ohren gezogen; still wie im Vorschlummer auf den Winter ruht mit bleichem Lächeln die Flur. Durch den entlaubten Hag huscht der muntere, anmuthige Gnom der deutschen Vogelwelt, der Zaunkönig, während der Edelfink auf blätterlosem Zweige klagend trauert um Frühling, Minne und um die entflohene Gattin, welche der Wanderzug nach milderen Gefilden getrieben.

Im ländlichen Gehöft dort ist es schon lange lebendig. Jetzt tritt der Hausherr aus der Thür, doch nur mit flüchtigem Blick späht er heute nach Wind und Wetter. Wichtigeres beschäftigt ihn. Er schreitet über den Hof, öffnet einen verschlossenen Raum, und alsbald verkündet fröhliches Geschnatter, welchen Gefangenen er die Kerkerthür geöffnet. Wohlgefällig ruht das Auge des Landmanns auf den feisten Gänsen, und ehe die Aermsten sich dessen versehen, ergreift seine rauhe Hand zwei der Arglosen an den schönen gebogenen Hälsen, und er trägt, ungeachtet ihres Sträubens, die kläglich Trompetenden dem Hause zu, von wo ihm die Bäuerin entgegenkommt und sein ältester flachshaariger Junge mit einem mächtigen Butterbrod in der Hand. Auch der Knecht und die Magd eilen herbei, das ehrwürdige Antlitz Großmütterchens zeigt sich am Fenster, und Allen läuft das Wasser im Munde zusammen; denn bald wird lieblicher Duft das Haus erfüllen, heute ist der elfte November, den Tisch ziert Mittags die mit köstlicher brauner Kruste überkleidete, fettglänzende Martinsgans. Und Großmütterchen, das Fenster öffnend, mahnt, doch ja die Borsdorfer Aepfel und den Beifuß nicht zu vergessen.

Die Martinsgans ist das Festgericht des elften November. An keinem andern Tage werden unter den „geflügelten Schweinen“ in germanischen Landen so arge Verheerungen angerichtet. Nur in wenigen Gegenden entzieht man sich der allgemeinen Sitte, z. B. am Niederrhein, wo frische Wurst mit Reisbrei, oder an der Ahr, wo „kalte Milch und Wecksupp“ an die Stelle der Gans treten.

Welchen Ursprung aber mag ein Gebrauch haben, der fast über das ganze germanische Europa verbreitet und deshalb wohl geeignet ist, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen?

Der elfte November ist der Tag des heiligen Martin; doch weder dessen Lebensbeschreibung noch der Auszug daraus in der Aurea Legenda geben Aufschluß über die wunderliche Verbindung zwischen dem ehrwürdigen Bischof von Tours und einem ganz gewöhnlichen Gänsebraten. Der Heilige wird hoch zu Roß abgebildet; die Gans aber ist ein „Cavalerist zu Fuß“, wie sie Masius wegen ihres watschelnden Ganges treffend nennt. Erst spätere Sagen melden, der Heilige sei durch Gänse im Predigen gestört worden, oder, wie Andere wollen, er habe sich, als er sehr jung zum Bischof gewählt werden sollte, aus Bescheidenheit im Gänsestalle versteckt, sei jedoch durch das Geschnatter der befiederten Inwohner verrathen worden. Hierauf spielt die „Einladung zur Martinsgans“ in „Des Knaben Wunderhorn“ an:

„Wann der heil’ge Sanct Martin
Will der Bischofsehr’ entflieh’n,
Sitzt er in dem Gänsestall,
Niemand find’t ihn überall,
Bis der Gänse groß Geschrei
Seine Sucher führt herbei.

Nun dieweil das Gickgackslied
Diesen heil’gen Mann verrieth,
Dafür thut am Martinstag
Man den Gänsen diese Plag’,
Daß ein strenges Todesrecht
Geh’n muß über ihr Geschlecht.“

Eine weitere Erklärung versucht die Verbindung des Bischofs mit der Gans davon herzuleiten, daß bei der Beerdigung desselben, am 11. November 402, die stattliche Anzahl von zweitausend Mönchen zugegen gewesen und bei dieser Gelegenheit eine ungeheure Menge von Gänsen aufgezehrt worden sei. Noch Andere meinen, die Zeit der fetten Gänse treffe gerade mit Martini zusammen, der Bischof stehe aber in keiner nähern Beziehung zu ihnen, außer daß früher an dem ihm geweihten Tage Gänse in die Klöster geschenkt worden seien. Letzterer Deutung schließen sich bereits alte Priameln an: „Iß gens Martini, wurst in kesto Nicolai!“ Nicht weniger ist der biedere kaiserlich gekrönte Poet und Pfarrer zu Effelder und Meschenbach[WS 1], Büttner, der Meinung, man gehe den Gänsen deshalb um Martini an den Kragen,

„Weil sie alsdenn recht flück’ im vollen Fleische steh’n,
Auch von der Weide ab- und in die Ställe geh’n,“

wozu der Most komme, der den Gänsebraten vorzüglich hinunterspüle.

Doch alle diese Erklärungen können nicht genügen. Der Sitte Ursprung ist ein ganz anderer; nicht christlichem Boden ist sie entwachsen, sondern wurzelt, um es sogleich zu sagen, im Götterglauben unserer Voreltern. Dahin deutet schon eine flüchtige Zusammenstellung dessen, was der Brauch am Martinstage zu beobachten gebietet. Merkwürdige Züge treten uns in diesen Gebräuchen entgegen. Im Böhmerwalde z. B. trinkt das Landvolk sich am Martinstage Schönheit und Stärke zu. War aber nicht ganz dieselbe Sitte bereits an den Wuotansfesten der heidnischen Deutschen üblich? In Schlesien, Böhmen, Sachsen und Schwaben bäckt man zu Martini die sogenannten „Märtenshörnchen“. Hat man aber in diesen gleich den Brezeln der Fastenzeit nicht schon längst einen Rest uralter Opferspeisen nachgewiesen? Am Niederrhein loderten noch zu Anfang dieses Jahrhunderts am Vorabend des Martinstages riesige Feuer auf allen Höhen zum nächtlichen winterlichen Himmel empor, und noch jetzt entzündet man hin und wieder an jenem Abend gewaltige Scheiterhaufen. Zu diesem „Martinsfeuer“ bettelt die Jugend singend Holz und Stroh; als dankenswerthe Zugabe sieht man Aepfel, Kuchen, Würste, Speck und Rauchfleisch an und heischt sie ohne Ziererei. Dem Gewährenden wird ein Danklied gesungen, dem Geizigen dagegen Uebles gewünscht in einem Reime, welcher schließt:

„Und eine Eule fliegt um’s Haus,
Die kratzt ihm noch die Augen aus.“

Sobald das Martinsfeuer entweder im Dorfe oder auf einer nahen Anhöhe mit seinen rothen Flammen die Umgebung beleuchtet, erhebt sich um dasselbe wildjubelnder Reigen, und „Sanct Märten“, ein in Stroh gehüllter Bursch, umreitet auf seltsamem Rosse – einem vorn mit einem Pferdekopf gezierten Stecken – den glühenden Scheiterhaufen. Wunderkräftig ist, nach dem Volksglauben, die Asche, die vor Schneckenfraß schützen soll und deshalb über die mit Winterkorn besäeten Felder gestreut wird. Rechnet man hinzu, daß der heilige Martin auf alten Bildern als Ritter zu Roß und angethan mit einem langen, weißen Mantel dargestellt wird, und daß die im Herbst ziehenden Raben und Krähen nicht blos Martinsheerden oder Martinsvögel, sondern sogar Godes-, d. h. Wodes oder Wuotanshühner genannt werden, so bleibt kaum ein berechtigter Zweifel übrig, daß wir in dem frommen Rittersmanne Martin keinen anderen, als den gewaltigen Himmelsriesen und Göttervater Wuotan selbst, und in der Rolle, die er dabei spielt, Anklänge an die Vorfeier des altdeutschen Mittwinterfestes vor uns haben. Man vergegenwärtige sich zum bessern Verständniß Folgendes.

Als die alten Götter noch nicht vor den siegreichen Strahlen des andringenden Christenthums erbleicht waren, bestand ein großer Theil des Cultus in dramatischen Darstellungen, welche Götterthaten verherrlichten. Wenn daher, nach Bestellung der Wintersaat, um Martini eine Art Vorfeier zum Jul-Fest begann, „da zogen die Götter zu Wagen und zu Roß durch die Gauen, empfingen Opfergaben und spendeten Segen dem keimenden Getreide. Es war ein frommer Mummenschanz, bei welchem das menschliche Wesen Derer, die ihn aufführten, dadurch angedeutet war, daß sie sich in weiße Gewänder, in die Farbe des Lichts kleideten.“ Unter den Opferspenden nahm, wie bei den Opfern überhaupt, die Gans, deren Zucht frühzeitig in Deutschland betrieben wurde, eine hervorragende Stelle ein. An die Gotterumzüge und Opfer schlossen sich Schmausereien an, bei welchen das Fleisch der Opferthiere verzehrt und deren vom Priester aufgefangenes Blut dem Meth beigemischt getrunken wurde. Mit Einführung des Christenthums verwandelten sich die Götter in Teufel und grauenvolle Spukgestalten oder in Heilige, und so wurde auch frühzeitig Odhin’s Walten auf Sanct Martin übertragen, wobei das Odhin dargebrachte Opfer, die Gans, folgerichtig als Martinsgans sich vererbte und [696] das ehemalige Opfer der gehörnten Thiere durch die Martinshörner angedeutet wurde, während die gewaltigen Feuer, welche einst dein Anfang einer neuen Jahreszeit entgegen loderten, vom Volk den Namen „Martinsfeuer“ erhielten.

Die Gans ist also ein Opferthier, und wenn sich in Frankreich lange die Sitte erhielt, an der Kirchweih auf dem Lande eine Gans aufzuhängen und langsam zu Tode zu martern, so wiederholte hier christlicher Brauch nur grausam, was der heidnische Cultus in minder qualvoller Ausführung vollzog. Auch bei den Römern war die Gans Opferthier und wurde der als Nebenbuhlerin von der Juno verfolgten Io (Isis) dargebracht. Möglich ist es immerhin, daß dieser Cultus von Rom nach Germanien sich verpflanzte, und da man in Rom vorzugsweise die Leber opferte, wird, als in Deutschland die Opfer zu Mahlzeiten wurden, wohl auch dieser Leckerbissen den Beiwohnenden trefflich gemundet haben. Bei solchen Opfermahlzeiten, später auch bei häuslichen Gelagen, war es nun Brauch, der Götter „Minne“, d. h. ihr Gedächtniß zu trinken. Diesen Brauch, den „Minnetrunk“, wollte man auch in christlicher Zeit nicht aufgeben, nur traten auch hier Heilige an die Stelle der Götter, so Sanct Martin, dessen Trunk, der „Martinstrunk“ oder „Martinswein“, hier und da als Sitte bis zur Gegenwart gekommen ist. Man veranstaltete nun auch Lustbarkeiten und Schmausereien zu Ehren des an Odhin’s Stelle getretenen heiligen Martin, doch zu dessen Nachtheil; denn diese mit Ausschweifungen aller Art verbundenen Gelage brachten den Bischof allmählich in den wenig beneidenswerthen Ruf eines Schlemmers, so daß in der Folge Jeder, der sein Hab und Gut verpraßt hatte, ein „Martinsmann“ genannt wurde. Im Französischen erinnern an sie noch die Ausdrücke martiner und faire la St.-Martin, d. i. schmausen, und mal de St.-Martin, d. i. verdorbener Magen. Zu seinem Gedächtniß entstanden besondere Brüderschaften, „Martinsgilden“, die sich bei ihren geselligen Zusammenkünften eigener Lieder bedienten, um das Fest und das Mahl zu verherrlichen. So sang man:

„O Marten, o Marten!
Der Korb muß verbrannt sein,
Das Geld aus den Taschen,
Der Wein in die Flaschen,
Die Gans vom Spieß!“ u. s. f.

So erniedrigte rohe Völlerei den Heiligen zum Schutzpatron der Trinker. Dabei galt Sanct Martin zugleich als Patron der Freigebigkeit, und namentlich in den Niederlanden tritt er als Beschenker der Kinder auf. Die Legende erzählt, daß er einem ihm begegnenden Bettler, um ihn gegen Kälte zu schützen, die Hälfte seines Mantels gegeben habe. In den Ländern, welche Weinbau treiben, herrschte früher der Brauch, an Martini den ersten Wein zu kosten, weshalb es sprüchwörtlich heißt: „Heb’ an Martini, trink Wein per circulum anni!“ Der Volksglaube behauptet nun, der heilige Martin verwandele den Most in Wein, ja die Kinder der Halloren in Halle rangiren ihn noch höher, indem sie ihn das Wunder Christi bei der Hochzeit zu Kana nachahmen und Wasser in Wein verwandeln lassen. Sie stellen daher am Martinstage Krüge mit Wasser in die Saline, welches die Eltern heimlich ausgießen und die Gefäße dafür mit Most füllen. Auf jedes wird ein Martinshörnchen gelegt und Alles wieder sorgsam versteckt. Die Kinder bitten, auf das Geheiß der Eltern, den „lieben Martin“, daß er das Wasser in Wein verwandele, worauf sie sich Abends in die Saline begeben und die Krüge suchen, indem sie rufen:

„Marteine, Marteine,
Mach das Wasser zu Weine.“

Zu der Sitte tritt noch die blaue Wunderblume der Sage, welche vielfach Spuren der Beziehung der Gans zu Whotan trägt. Als weissagendes Thier galt die Gans schon den alten Briten, welche Flug und Geschrei unsers Vogel deuteten. Der Volksglaube des Mittelalters erblickte in der Mißgestalt junger Gänse, etwa einer solchen mit drei Füßen, ein Unheil verkündendes Vorzeichen; noch heute aber wird das Brustbein der Martinsgans benutzt, um die Witterung des bevorstehenden Winters zu erfahren: ist es weiß, wird es strenge Kälte, ist es dunkel, viel Schnee und laues Wetter geben.

Alles dies deutet auf ein hohes Alter der damit zusammenhängenden Sitte, am Martinstage eine Gans zu essen, d. h. zu opfern. Urkundlich wird die Sitte 1171 zum ersten Mal erwähnt, wo Othelrich von Swalenberg (Ulrich von Schwalenberg) der Abtei von Corvei am Tage St. Martini eine silberne Gans widmete „für die Fraternität“, d. h. dafür, daß ihn Mönche ihrer bruderschaftlichen Gebete theilhaftig gemacht hatten, ganz wie es noch heutzutage an einigen Orten in Schwaben üblich ist, den Lehrern ein Geschenk für die Martinsgans, die ihnen sonst in natura geliefert wurde, zu machen; doch wird auch die Gans selbst dargebracht.

Die „Märtesgans“ ist in Schwaben ein Fest für sämmtliche Volksschulen. Schon ungefähr acht Tage vor Martini regt es sich geheimnißvoll unter dem jungen Völkchen in den Schulstuben, Knaben und Mädchen wispern heimlich miteinander, und ebenso heimlich werden Liebesspenden gesammelt; der Lehrer darf es aber beileibe nicht merken, denn es gilt, ihm eine Freude zu machen. Einige größere Schüler und Schülerinnen nehmen die Sache in die Hand und besorgen die Einkäufe. So sieht Alles voll Erwartung dem Martinstage entgegen. Ist dieser endlich erschienen, so werden dem Lehrer im Beisein der ganzen Schule und im Namen sämmtlicher Schüler und Schülerinnen die für ihn bestimmten Geschenke überreicht: vor Allen eine prächtig aufgeputzte Gans und der zum Mästen derselben erforderliche Mais, ferner Wein, Trauben und ein möglichst großer Kuchen oder „Heffenkranz“. Laut und lauter wird alsbald die Freude – die Kinder hängen sich an Hand und Arm des geliebten Lehrers, und schnattert einmal die Gans, gleichsam theilnehmend an der allgemeinen Lust, dazwischen, so erhebt sich allenthalben fröhliches Gelächter. Zum Schluß werden sämmtliche Gaben in des Lehrers Wohnung abgeliefert. So sehen wir den uralt heidnischen Gebrauch in der christlichen Volksschule der Gegenwart in geläuterter Gestalt sich fortspinnen – ein sinniges „Opfer“ mit dem ganzen unaussprechlichen wohlthuenden Reize kindlichfröhlichen Gebens. Im Mittelalter lieferte frommer Glaube fette Gänse an noch fettere Mönche; den hin und wieder noch sehr mager besoldeten Volksschullehrern sind sie unstreitig weit dienlicher.

Wenn wir uns heute an den Tisch setzen, um der Martinsgans ihr Recht widerfahren zu lassen, fühlen wir uns in unserm protestantischen Gewissen durchaus nicht beunruhigt. Ehemals glaubte man hierbei mit größerer Vorsicht zu Werke gehen zu müssen. Thomas Neageorgius und Andere verurtheilen mit heiligem Ingrimm das Essen der Martinsgans als „papistischen Unfug“, ja, Martinus Schockius wirft im Ernste die Frage auf, ob es erlaubt sei, am Martinstage eine Gans zu speisen. Milder urtheilen die Lutheraner, weil der große Reformator den Namen des Heiligen von Tours trägt.

Bedeutsamer als der Gegenwart mußte die Sitte früher erscheinen, zu einer Zeit, wo dem Vogel des heiligen Martin auch medicinische Eigenchaften zugeschrieben wurden. Der biedere Büttner reimt in seinem „Lobgedicht auf die Gänse“:

„Man pflegt auch von der Gans Arzneyen zu bereiten,
Mit Gänse Schmalz und Blut hilft man gar vielen Leuten.
Die Gall’, der Koth, die Zung’, die Leber und die Nier’n,
Die Fußhaut, Eingeweid’ sind gut sammt dem Gehirn.“

Für besonders heilkräftig wurden namentlich die „Platschen“ angesehen. Das Fett sollte gegen den Krampf, das Blut wider Gift dienlich sein, Gänsekoth gegen Gelb und Wassersucht sowie gegen den Scharbock helfen! Heutzutage glaubt Niemand mehr an solche Heilmittel; höchstens nimmt der Volksglaube zur Gans seine Zuflucht, wenn ein Kind von einer solchen gebissen worden und heftig erschrocken ist – die üblen Folgen abzuwehren, wird der Uebelthäterin eine Feder ausgezogen, zu Asche gebrannt und das Pulver dem Kinde eingegeben. Aber ist auch der Nimbus der Heilkräftigkeit längst dem Vogel des heiligen Martin entzogen: noch immer wird das zarte Fleisch einer jugendlichen Gans geschätzt und ihre Leber bildet das Entzücken aller Feinschmecker.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Meschebach