Die Lüge (Vierte Sammlung)
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Die Lüge.
In Unmuth hieß ein König Augenblicks
den Sklaven tödten, der ihm mißgefiel.
Beraubet aller Hoffnung, stieß verzweifelnd
der Arme Lästrung aus. So greifet Der,
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der nicht entfliehn kann, selbst ins scharfe Schwert.
„Was spricht er?“ fragt der König. „Herr, er spricht:
(antwortet ein verständiger Mann am Thron.)
Das Paradies ist Derer, die den Zorn
bezähmen, und dem Sterblichen verzeihn!“
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„So sei ihm dann verziehen!“ sprach der Fürst.„Nicht also!“ fiel ein Höfling ein. „Monarchen
muß man die Wahrheit sagen. Herr! er schalt!“
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„Und hätt’ er auch gescholten! sprach der König.
Die Lüge dieses guten Mannes war
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mir nützlicher, als deine Wahrheit. Siebesänftigte mein Herz; du bringst es auf.“
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Des Menschenfreundes Lüge in der Noth
Ist edler, als des Menschenhassers Wahrheit.