Die Keuschheit
[84] Die Keuschheit
Schimmernd fülle sich der Teller,
Schimmernd bis zum Rand hinan;
Jeder spende seinen Heller
Gern dem alten Leiermann.
Das euch tief ins Herz gedrungen;
Doch ein Lied wie dieses hier
Hörtet ihr noch nicht von mir.
Eines Abends in der Messe
Mit erzwungner Totenblässe
Bat er sie um ihre Huld.
Von Madrid bis Kopenhagen
Hat er sich herumgeschlagen,
Kujoniert und angeschmiert.
[85] Und sie bat, daß Gott ihr helfe,
Doch sein Odem war so warm,
Und dieselbe Nacht um elfe
Weidlich hat er sie belogen,
Hat das Hemd ihr ausgezogen;
Sie ward rot für ihr Geschlecht,
Doch das war ihm grade recht.
Ward dem Ungeheuer klar,
Daß sie engelrein von Sitten
Und ihm zu gefühlvoll war.
Freilich konnt’ es ihn beglücken,
Für sein weiteres Pläsier
Fehlte die Verderbnis ihr.
Und er war wie umgewandelt,
Als ihr nun die Liebe kam;
Daß sie schier verging vor Scham;
Stieß sie aus den warmen Kissen,
Hat sie nackt hinausgeschmissen,
Warf ihr ihre Kleider nach,
[86] Auf dem Vorplatz unter Tränen
Zog sie sich die Strümpfe an,
Fluchte ihres Herzens Sehnen
Und verzieh dem rohen Mann;
Dort sank sie aufs Bett vor Jammer,
Schlug mit beiden Fäusten sich
Wund und weinte bitterlich.
Ist’s nicht wirklich ein Entsetzen,
Die sich nicht mal mehr ergötzen,
Wo ein Andrer kindlich liebt.
Weil sie ihre Liebe suchten
Bei den H-, den verfluchten,
Ihr Empfinden abgestumpft.
In dem nächtlich stillen Garten
Sitzt die keusche Maid voll Gram,
Liebelechzend zu erwarten
Ach, sie meint, er müsse kommen,
Doch die Sterne sind verglommen
Und der sanfte Mond verblich,
Ohne daß ihr Kummer wich.
Immer toller jeden Tag,
Und sie lief ihm auf das Zimmer,
Als er noch zu Bette lag;
Sagt ihm gleich, wozu sie käme,
Wenn sie seiner Lust zu schlecht,
Alles, alles sei ihr recht.
Aber dieser Fürchterliche
Hatte keinen Trost für sie
Voll gesalzner Ironie;
Sich an ihrer Scham zu weiden
Zwang er sie, ihn anzukleiden,
Macht sie dabei, ohne Not,
Als den Schlips sie ihm gebunden,
Gab der Mensch ihr einen Tritt
Und ein Schimpfwort ihrer wunden
Seele auf den Heimweg mit.
Spielt er plötzlich dann den Frommen,
Sah sie an und sagte: Du,
Heute abend Rendez-vous!
[88] Und sie trat am selben Abend
Einen Strauß am Busen habend,
Denn sie wollte lieblich sein.
Gleich riß er ihn ihr vom Kleide,
Überreicht’ ihn voller Freude
Die geschminkt im Lehnstuhl hockt.
Drauf tät er sie zärtlich bitten,
Aufzulösen sich ihr Haar;
Jene hat’s ihr abgeschnitten,
Dann mußt’ sie das Kleid ablegen,
Ging einher, zum Herzbewegen:
Schuhe, Strümpfe, Höschen, Hemd,
Und der Scheitel links gekämmt.
Dekolletierte Schandperson,
Schlecht verbergend, daß sie hinkte,
Denn sie trieb es lange schon:
Komm, mein Page, und enthülle
Diesem schönen jungen Herrn;
Ach, er hat mich gar zu gern!
[89] Und sie tat es ohne Zucken,
Zog ihr selbst die Strümpfe ab,
Die das Scheusal von sich gab;
Mehrmals, bis das Werk vollendet,
Hat sie stumm den Kopf gewendet,
Hustete aus tiefster Brust,
Alsdann kam an ihn die Reihe,
Was ihr nicht so gräßlich war;
Leise wimmernd macht das treue
Kind ihn aller Kleidung bar;
Doch er hat sich losgerissen.
Und nun gab der edle Wicht
Ihr in jede Hand ein Licht.
So mußt’ sie sich aufrecht stellen,
Um das Schauspiel zu erhellen,
Das vor ihr in Szene ging.
Durch die Bosheit angefeuert,
Hat er mehrmals es erneuert,
Bohrend in des Kindes Herz.
[90] Treulich tät sich ihm vereinen
Das entmenschte Schauerweib,
Fand am Jammerblick der Kleinen
Heuchelt, ihr ins Herz zu schneiden,
Außerordentliche Freuden,
Fraß mit Schluchzen und Geschrei
Einen Apfel auch dabei.
Keinen neuen Reiz mehr bot,
Ließ man sich die Kleider reichen,
Stellte sich dabei halb tot.
Nichts als Püffe, nichts als Tritte
Drauf löscht er die Lichter aus,
Führt die Schandperson nach Haus.
Kommt zurück nach langer Pause,
Und das Mädchen ist noch da,
Weil sie so verändert sah;
Bat ihn, daß sie bleiben könnte,
Was er ihr denn auch vergönnte;
Ach, sie dachte nicht daran,
[91] Nachdem er zu Bett gegangen,
Winkt er sie vom Diwan her,
Überreicht ihr einen langen
Scharfgeladenen Revolver,
Ihn sich vor den Kopf zu knallen,
Denn die Wirkung sei famos,
Und er sei sie endlich los.
Ohne etwas zu entgegnen,
Tät noch ihren Mörder segnen
Und durchschoß sich das Gehirn.
Lächelnd schmaucht er die Zigarre
Zum Entstehn der Totenstarre,
Nach dem Polizeibureau!
Und nun hat sie ausgelitten,
Diese Maid, die treu geliebt,
Dabei engelrein von Sitten,
Alle möge Gott verfluchen,
Wenn sie seine Gnade suchen,
Denn sie liebten nur das Fleisch;
Diese starb im Herzen keusch.