Die Karte für den Pfirsich Melba

Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Die Karte für den Pfirsich Melba
Untertitel:
aus: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 290-292
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1932 (EA 1931)
Verlag: Ernst Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Vossische Zeitung, 12. Oktober 1930
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[290]
Die Karte für den Pfirsich Melba

Wir haben es mit den Schildern, Jakopp hat es außerdem noch mit dem Wasserwerk in Hamburg, Karlchen hat es mit den Mädchen, und ich sehe zu. Aber sonst haben wir es mit den Schildern. Am liebsten hätten wir den Kosmos so, daß an jedem Ding dransteht, was es ist, damit man es weiß. Wir freuen uns immer furchtbar, wenn wir sehn, wie an einem Spucknapf ein Schild hängt: SPUCKNAPF, damit niemand glaube, es sei ein Alligator. Hans Reimann, ein geübter Hausdieb, pflegt solche Schilder zu klauen, seine Wohnung ist voll davon, und er hat sehr schöne. Und es ist auch praktisch und gibt ein beruhigendes Gefühl, gleich überall gedruckt vor sich zu haben, worum es sich handelt.

Wenn also Karlchen zu mir zu Besuch kommt, dann hänge ich ihm eine Zimmer-Ordnung ins Zimmer – immer hübsch ordentlich. Etwa so:

ZIMMER-ORDNUNG

1. Dieses ist ein Zimmer.

2. Das Benutzen dieses Zimmers ist nur zu Wohn- bzw. Schlafzwecken gestattet.

3. Das Mitbringen von fremden Weibspersonen ist fast gar nicht gestattet. Dieselben sind vorher dem Ortskommandanten vorzulegen, der sie überprüft.

4. Das Lärmen, Musizieren, das Handeln mit Apfelsinenkernen sowie das Abbrennen von Feuerwerks- und andern Körpern ist auf dieser Wiese strengstens verboten –

und so fort. Den Vogel aber hat Jakopp abgeschossen.

*

[291] Jakopp hat einen entfernten Bekannten, der sich als seinen Freund ausgibt, der heißt Arthur. Ein lieber, netter Junge; er baut seit etwa anderthalb Jahren seinen juristischen Doktor, aber wir sagen schon immer „Herr Doktor“ zu ihm – weil es ihn freut. Und dieser Arthur nun ißt für sein Leben gern Pfirsich-Melba. Gut.

Du weißt doch, wie Pfirsich-Melba serviert wird? In einer hohen Metallschale … ganz richtig, sie steht auf einem schlanken Fuß, und wenn man nicht furchtbar geschickt damit balanciert, dann glitscht einem immer der Pfirsich aus der gelben Sauce heraus, oder die ganze Geschichte läuft fettig-langsam den schlanken Metallfuß hinunter … ich möchte das nicht bei hohem Seegang essen müssen.

Arthur muß sich sehr darüber ärgern. Und weil er die Welt nicht so zu verlassen wünscht, wie er sie angetroffen hat, so hat er sich zur Aufgabe gemacht, die Lokale, in denen er etwas zu essen bekommt, dazu zu erziehen, ihm den Pfirsich-Melba in einer flachen Glasschale aufzutragen. Das mögen die Leute aber nicht. Ihr wißt ja, wie ein Fachmann ist –: hat er eine Sache zwanzig Jahre falsch gemacht, dann wird sie ein heiliges Ritual, und wir andern haben da nichts dreinzureden. Pfirsich-Melba wird in hohen Schalen serviert, basta. Wems nicht paßt, der bestelle sich Harzer Käse. Den ißt man parterre. Pfirsich-Melba aber erste Etage.

Reden half nicht; bitten half nicht; Trinkgeldversprechungen manchmal. Aber es war wirklich nicht mehr auszuhalten: wo immer man hinkam, da sagte Arthurchen seinen Spruch auf, bevor er sich den Pfirsich-Melba bestellte, und wir konnten es schon alle gar nicht mehr ertragen. Wir lachten – er blieb unerschütterlich. Und er sagte noch dazu immer das gleiche auf, wenn er diese Geschichte anrührte …

Und da hatte er Geburtstag.

[292] Auf seinem Geburtstagstisch lag ein kleiner Karton. Er öffnete ihn, neugierig – der Karton kam von Jakopp.

Darinnen lagen, fein säuberlich zusammengebunden 50 (fünfzig) weiße Kärtchen, und auf jeder stand, hübsch gedruckt, folgendes zu lesen:

Herr Ober! Haben Sie noch einen Pfirsich-Melba? Schön, dann bringen Sie mir den – aber nicht in hohem Kelch, weils da immer so runterkleckert Ich will das lieber in einer flachen Schale haben, wo es nicht überläuft!

… Daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde: Ich habe bei Ehmke in Hamburg gesehen, wie der Doktor Arthur diesen Zettel beim Kellner abgegeben hat. Das Gesicht des Kellners werde ich vor mir sehn, solange ich lebe. Er sah erst den Doktor an, dann den Zettel, dann nochmal diesen Gast … Dann las er. Dann sah er auf – mit einem in die Weite traumverlorenen Blick – gleich, dachte ich, wird er die Arme in die Höhe werfen und den großen Liebesschrei der Eskimos ausstoßen. Nein. Er grinste. Er faltet den Mund auseinander und grinste. Der Doktor bekam seine flache Schale. Der Kellner hat sich die Karte hoffentlich einrahmen lassen.

Jetzt erhebt sich die Frage:

Wie wäre es, und wir ließen dem Arthur für sein Doktorexamen kleine Antwortzettel drucken –?