Die Hoftrauer, oder das Testament
[Ξ] Personen.
Madame Ehrenpreis.
Charlotte, ihre Stieftochter.
Agnete, ihr Mädchen.
Stram, Secretaire.
Reinhard, Galanteriehändler.
Rose, Schneider.
Magnus, Bedienter der Madame Ehrenpreis.
Agnete. (nachdem sie ihr das Leibband umgebunden hat.) Haben Ihre Gnaden noch mehr zu befehlen?
M. Ehrenpr. (sieht sich von allen Seiten im Spiegel.) Nein, du kannst nun gern gehen, Nette!
Agnete. Gnädige Frau!
M. Ehrenpr. Nu, was giebt es?
Agnete. Ihre Gnaden müssen mir meine Dreistigkeit nicht übel nehmen; aber ich heisse Agnete, und Sie nennen mich Nette, und das ist doch ein Hundenahme, habe ich immer gehört.
M. Ehrenpr. Weißt du was, mein Kind? Willst du mir unter dem Namen Nette dienen, so magst du es: und willst du das nicht, so sollst du deinen Lohn haben, und dann magst du dich verdingen, wo du willst, und dich Agnete nennen lassen, wie du willst.
Agnete. Ihre Gnaden müssen nicht böse werden. [312] Aber ehe ich einen guten Dienst verlasse, will ich mir gefallen lassen, wie die gnädige Frau mich zu nennen belieben.
M. Ehrenpr. Gut, so kannst du gehn. (Agnete verneigt sich, und will gehn.) Warte ein wenig! Sind die Schminkdosen alle geleert, die ich voriges Jahr aus Lyon erhielt?
Agnete. Ja, sie sind, gnädige Frau!
M. Ehrenpr. So springe gleich hin, und kaufe mir eine.
Agnete. Den Augenblick – Ich denke, ich kriege welche bey dem Gewürzkrämer hier an der Ecke.
M. Ehrenpr. Warum nicht gar, Nette? Bey Nonseul in der Jägerstrasse mußt du sie kaufen. Meynst du, daß Gewürzkrämer mit solchen Waaren handeln?
Agnete. Da erinnere ich mich doch, daß Ihr seliger Mann damit handelte.
M. Ehrenpr. Du wirst impertinent, Nette, weißt du das? Glaubst du, daß ich nicht mehr weis, womit mein Mann handelte. Willst du nur gehn, und ausrichten, was ich dir befahl? (Agnete verneigt sich, und geht.)
Den verwünschten Gewürzkrämer muß man mir nun bey allen Gelegenheiten auftischen. Sonderbar, [313] daß sie den seeligen Mann nicht ruhig in seinem Grabe können liegen lassen: Kann es nicht gleich viel seyn, ob er Gewürzkrämer oder sonst etwas war. (Man hört Gezänke draussen vor der Thüre.) Was giebt es da für Lärm? (sie klingelt.) Gewiß wieder Monsieur Magnus, der seine gewöhnlichen Possen treibt. (sie klingelt von neuem.)
Magn. Da ist die Zeitung, gnädige Frau. (legt sie auf die Toilette.)
M. Ehrenpr. Was war das für ein Lärm, den Er draussen in der Antichambre verführte, mein lieber Magnus?
Magn. Das war ein Tölpel, ein Ochse, ein Grobian, gnädige Frau! Ich mußte ihn Mores lehren, so mußte ich.
M. Ehrenpr. Wer war es denn?
Magn. Ih! es war — o! ich möchte über einen solchen Esel rasend werden, so möchte ich — es war der Bothe mit der Zeitung. Er brachte zugleich eine Quittung für das vorige Jahr, so that er.
M. Ehrenpr. Nun, die muß ja doch bezahlt werden?
Magn. Ganz recht! Aber sie war nicht für uns, war sie nicht.
[314] M. Ehrenpr. Für wen war sie denn?
Magn. Ja, das mag Gott im Himmel wissen. Er fragte nach einer Frau Ehrenpreis; und ich antwortete ihm, hier wohne keine Frau Ehrenpreis, antwortete ich; sondern hier wohnten Ihre Gnaden die Madame Ehrenpreis, sagte ich. So sagte er, das käme auf eins hinaus, sagte er. Nein, antwortete ich, das ist ein verhenkerter Unterschied, sagte ich. So nahm ich ihm die Quittung aus der Hand, und sah sie an, so that ich. Und so stand da – o! ich will darauf sterben, daß es lauter Bosheit von den Postbedienten ist – so stand da bey meiner Seele! mit reinen und deutlichen Worten: An die Gewürzkrämer-Witwe, Frau Ehrenpreis. Aber, so müssen Ihre Gnaden auch glauben, daß mir der Kopf warm wurde, und so sagte ich zu ihm, er könnte zum Teufel gehen und nach der Frau Ehrenpreis suchen, sagte ich; und so erzählte ich ihm, daß in den letzten zwölf Jahren hier keine Frau Ehrenpreis gewohnt hätte, sagte ich, und daß sie gleich nach dem Tode ihres seligen Mannes ausgezogen wäre, sagte ich, und daß Madame Ehrenpreis wieder eingezogen wäre, sagte ich; und so jagte ich ihn zum Hause hinaus, that ich.
M. Ehrenpr. Er ist ein Tropf, Magnus! Konnte er ihm nicht rein heraus gesagt haben, daß sie ein andermal höflicher seyn möchten? Dann hätte das Lied gleich ein Ende gehabt.
[315] Magn. Nein Ihre Gnaden! die Kerle müssen es meiner Treu! nicht so fein haben, müssen sie nicht; denn so verstehen sie es nicht. Der Teufel mag ihre Gewürzkrämer-Witwe seyn!
M. Ehrenpr. Gut, gut, Magnus! Gehe Er nun seiner Wege!
Magn. Um Vergebung, gnädige Frau! Ich danke Ihre Gnaden, daß Sie mich umgetauft haben, und daß ich den gemeinen Namen Michel quit bin, so thue ich. Aber ich wünschte doch gerne, einen anderen Namen zu haben, so thue ich. Denn den Namen Magnus mag ich ganz und gar nicht leiden.
M. Ehrenpr. Warum denn nicht?
Magn. Ich bin ein halbes Jahr in der lateinischen Schule gewesen, so bin ich, und da hörte ich meine Kammeraden immer sagen, alle die den Beynahmen Magnus gehabt hätten, wären rechte Spitzbuben, Gaudiebe und Räuber gewesen, sagten sie. Und so kenne ich denn auch einen Accisbedienten, thue ich, der Magnus heißt, und diese Accisbedienten kann ich auf den Tod nicht leiden, denn sie betrüben so manchen braven Burgersmann, so thun sie. –
M. Ehrenpr. Wie wollte Er denn wohl heissen, wenn Er einen andern Namen haben sollte?
Magn. Ja, sehn Ihre Gnaden, ich bin so ein wenig curios, bin ich. Nun diente ich ein Paar [316] Jahre lang in der Bude als Bursche bey dem seligen Herrn, so that ich.
M. Ehrenpr. Das gehört ja nicht zur Sache?
Magn. Ih ja doch, gnädige Frau! Könnten Ihre Gnaden mich nun nicht eben so gern Muskat oder Ingwer oder so etwas nennen. Denn so erinnerte der Name mich an meinen vorigen Stand, so thäte er; und ich weiß noch sehr wohl, weiß ich, was der selige Herr immer sagten, daß man sich nie seines vorigen Standes schämen müßte, sagte er.
M. Ehrenpr. Er ist ein Schlingel, Magnus! und thät ich Ihm sein Recht an, so jagte ich ihn weg. Er ist meiner Livrey nicht werth.
Magn. Und mich dünkt, Ihre Gnaden, die Livrey ist Meiner nicht werth, denn sie ist so alt, so ist sie. Sonst habe ich meiner Treu! nicht ein Sterbenswort gesagt, um Ihre Gnaden Ihren vorigen Stand hören zu lassen, habe ich nicht –
M. Ehrenpr. Fort hinaus Tölpel! (Magnus ab.)
Wieder ein unverschämter Naseweiser! Ich glaube, die ganze Welt hat sich wider mich verschworen; und meine lange Stieftochter ist wohl das Haupt dieses gemeinen Complotts.
[317]
Magn. Herr Sikkertär Stram wollten gern ihre Aufwartung machen, wollten Sie –
M. Ehrenpr. Mache Er auf, und bitte Er ihn, näher zu kommen! (Magnus öfnet dem Secretaire die Thüre, und geht.)
Stram. Unterthänigster Diener, meine Gnädige!
M. Ehrenpr. Ihre Dienerinn, lieber Stram! Allein was giebt es? Es sind ja schon über vierzehn Tage her, daß Sie die Trauer für Ihre selige Frau ablegten. Warum sind Sie denn nun so schwarz?
Stram. Aus zwey Ursachen. – Fürs erste hat man heute tiefe Hoftrauer auf drey Wochen angelegt.
M. Ehrenpr. Was sagen Sie?
Stram. Nichts anders, als was die Zeitung sagt.
M. Ehrenpr. (nimmt die Zeitung und liest.) Mein Gott! und wir sollen heute zum Commerzrath zum Diner. (Sie klingelt aus allen Kräften.)
[318]
M. Ehrenpr. Höre Er, Magnus! laufe Er geschwind hin zu meinem Schneider hier nahe bey, und bitte Er ihn, den Augenblick her zu kommen. Er muß sich durchaus nicht aufhalten. Hört Er? Hurtig, laufe Er, alles was Er kann. (Magnus ab, während Agnete hereintritt.)
Agnete. Hier habe ich, was Ihre Gnaden mir zu kaufen befahlen.
M. Ehrenpr. Gut, Nette! Komme geschwind, nimm mir dies Leibband ab, und gieb mir das schwarze wieder. Um Verzeyhung, Herr Secretaire, daß ich in Ihrer Gegenwart so frey bin.
Stram. Ich bitte Sie, brauchen Sie alle Ihre Freyheit. Wie Viele würden mir das Glück beneiden, zu der Toilette einer schönen Dame den Zutritt zu haben.
M. Ehrenpr. Sie schmeicheln, Herr Secretaire! (zu Agnete, die ihr den schwarzen Gürtel bringt.) Ich will mir schon selber helfen, Nette! Gehe gleich hinauf zu Charlotte, und sage ihr, es ist Hoftrauer, sie muß sich darnach einrichten. Und hole mir dann unsre beyden schwarzen seidnen Kleider aus der Garderobe. (Agnete ab.)
[319]Stram. Wollen Sie mir erlauben, die Stelle Ihres Kammermädchens zu vertreten?
M. Ehrenpr. Ich danke Ihnen, lieber Stram! Sie sind so gewohnt, mir zu helfen, daß ich Ihr Anerbieten nicht abschlagen darf.
Stram. (bindet ihr das schwarze Leibband um.) Welch eine Taille! Die Gratien selbst können sie nicht feiner haben!
M. Ehrenpr. Immer derselbe scherzhafte flüchtige Corydon, wie vor zwanzig Jahren. Wer sollte Ihnen sechzig Jahre zutrauen?
Stram. Und von Ihnen, meine Reizende, glaubt man, daß Sie kaum Ihr dreyßigstes Jahr erreicht haben?
M. Ehrenpr. Indeß kommen wir von Ihrer vorigen Materie ab. Fürs Erste, sagten Sie, die Hoftrauer –
Stram. Und fürs zweyte habe ich Ihnen traurige Nachrichten zu bringen.
M. Ehrenpr. So? Und welche?
Stram. Unser Plan mit Charlotte wird zu Wasser. Hören Sie einmal, was der verwünschte gewissenhafte Pastor in Treuenbriezen schreibt: (nimmt einen Brief aus der Tasche und liest.) „Hiebey sende ich den verlangten Taufschein für Demoiselle [320] Charlotte Ehrenpreis. Allein da mein Gewissen mir nicht erlaubt, sie zwey Jahre jünger zu machen, als sie wirklich ist, so sende ich die mir zugedachten fünfzig Dukaten zugleich mit zurück“. Der Teufel hole ein Gewissen, das sich durch fünfzig Dukaten nicht bewegen läßt!
M. Ehrenpr. Allein sollte der Plan nicht dem ohngeachtet glücken können?
Stram. Schwerlich, meine Reizende! Demoiselle Charlotte ist so verwünscht eckel in ihrer Wahl. Hätten wir den verfluchten Taufschein erhalten, so hätten wir wenigstens zwey Jahre Vormundschaft gewonnen. In der Zeit hätte man doch wohl irgend einen Gecken ausgewittert, der Gnade vor ihren Augen gefunden, und zugleich wegen ihres Erbtheils sich hätte handeln lassen. Bis itzt hat es ja nicht glücken wollen.
M. Ehrenpr. Giebt es denn keinen Ausweg mehr, lieber Stram?
Stram. Einen noch, aber einen gefährlichen! – Das Codicill, oder die Beylage zu Ihres seligen Mannes Testament zu unterdrücken. Als Vormund der Demoiselle Charlotte, und als Vertrauter ihres seligen Vaters habe ich es in Händen. Allein vielleicht dürfte Einer oder Andrer etwas vom Innhalte wissen.
M. Ehrenpr. Und Sie bedenken sich, es zu [321] verbrennen, bedenken sich aus blosser Furcht vor Nachrede?
Stram. Secretaire Stram hat üble Nachrede nie gefürchtet. Doch möchte er gern wissen, welche Vergeltung ihm dafür wird; ich muß Sie daher fragen, meine Reizende! wird Ihre Hand und Ihr Herz meine Belohnung für dies kleine Wagestück?
M. Ehrenpr. Loser Schelm! Du weißt, wie grosse Ansprüche du auf beyde hast. Mein Herz besitzest du schon; die Hand geht gern in den Kauf.
Stram. (reicht ihr ein Papier.) Wohlan denn! Sehn Sie hier ein Opfer auf dem Altar der Liebe.
M. Ehrenpr. (betrachtet es, und zerreißt es in kleine Stücke.) Und hiemit sichere ich dann Ihnen und mir eine jährliche Einnahme von zweytausend Reichsthalern; die behalten wird doch wenigstens, sollte auch Charlottens künftiger Bräutigam sich nicht handeln lassen, und von dem Kapitale etwas abstehen wollen.
Stram. Hätten wir ihr nur erst einen Bräutigam aufgetrieben. Dem jungen Reinhard geben Sie doch wohl nimmer Ihre Einwilligung?
M. Ehrenpr. Könnten Sie das glauben? Einem Manne von so unbändigem Stolz, daß er auf die ganze Welt herab zu sehen scheint? Nein, [322] Charlotten gebührt eine bessere Parthie, als ein simpler Galanteriehändler.
Stram. Ohne Zweifel. Mancher Vornehme hat sich schon vergebens um ihre Hand beworben; und doch ist es grade eine solche Parthie, die sie machen müßte. Denn damit schaft man sich im Nothfalle eine Stütze.
M. Ehrenpr. Und erhält das Recht, eine wichtige Miene annehmen zu dürfen; ein Umstand von Bedeutung! Erst, wenn man durch seinen Einfluß bey Hofe zuweilen etwas bewürken, dem Einen eine kleine Bedienung verschaffen, oder dem andern Steine des Anstosses in den Weg legen kann; erst dann bekömmt man Gewicht und Ansehen in der Welt.
Stram. Sie sind fein, wie die Göttin Politick, meine Reizende!
M. Ehrenpr. Vergessen Sie sich selbst nicht, lieber Stram! Sie sind ja schlau, wie der Genius der Kabale.
Stram. So wird dann unsere Verbindung keine Mesalliance. Der Genius der Kabale und die Göttin Politick sind ja von jeher Eheleute gewesen.
M. Ehrenpr. Wenigstens haben sie von jeher als Eheleute mit einander gelebt.
[323]Magn. Meister Rose ließ seinen Respekt vermelden, ließ er –
M. Ehrenpr. In aller Welt, wie hat Er sich ausstaffirt?
Magn. Was befehlen Ihre Gnaden? Dergleichen verstehe ich ganz und gar nicht.
Stram. Was bedeutet der Flor um den Arm?
Magn. Hoftrauer, Herr Sikkertär.
M. Ehrenpr. Er ist ein Narr! Wie kommt Er zur Hoftrauer?
Magn. Sehr natürlich! Weil ich eines Bürgers Sohn bin, so bin ich, und mein Vater war ein angesessener Bürger hier in Berlin, war er, und wohnte in der Bärenstraße; so that er, und handelte mit allerley Liqueurs. Und dann band ich mir auch den Flor um, meiner Herrschaft zu Ehren; so that ich.
M. Ehrenpr. Und seiner Herrschaft zu Ehren ist Er so gut, und reißt die Narrenpossen gleich wieder herunter?
Magn. (nimmt den Flor ab.) O Herr Jemine! Wenn die Herrschaft es trägt, so ist es vornehm; und wenn ein armer Schelm von Bedienten es umhat, so heißt es Tand und Narrenspossen, heißt [324] es, gleich als ob ein Bedienter ein Vieh wäre, und für den seligen Herzog nicht eben so viel empfinden könnte, als die Herrschaft.
M. Ehrenpr. Monsieur Magnus wird die Güte haben, seine Reflexionen für sich zu behalten, und sein Gewerbe zu bestellen.
Magn. Das ist wahr! Meister Rose ließ seinen Respeckt vermelden. Er wollte freylich gleich hier gewesen seyn. Aber ich gab es nie zu.
Stram. Das nenne ich sein Gewerbe bestellen!
M. Ehrenpr. Warum gab Er es nicht zu? Dummkopf! Befahl ich Ihm nicht, ihn so viel wie möglich anzutreiben?
Magn. Das will ich der gnädigen Frau sagen, will ich; das geschah um Ihrer eignen Honneur willen, geschah es. Ich komme hinein zum Schneider, thue ich, und so bestellte ich ihm mein Gewerbe? und so steht er auf, und will seine Stiefeln anziehn, will er. Aber in selbem Augenblicke sehe ich zu allem Glücke, mit Permission zu sagen, daß er gelbe Hosen anhatte. Mir ward der Kopf warm, so ward er; und so schrie ich: Halt, Meister, ist Er nicht recht gescheut, will Er in gelben Hosen zu einer vornehmen Dame gehen, wenn es Hoftrauer ist? sagte ich. Hm! antwortete er, und lachte in den Bart hinein, zu einer vornehmen Dame! Daran dachte ich wahrhaftig nicht, sagte er. Ja, lache Er nur nicht, mein lieber Meister, [325] sagte ich; ich wette meinen Hals darauf, daß Er nicht die Gnade erhält, meine gnädige Frau mit einem einzigen Finger anzurühren, so lange Er die gelben Hosen anhat, sagte ich. Und so gieng er hin, und kleidete sich nach seinem Stande, that er.
Stram. So? Ein Schneider nach seinem Stande! Das muß brillant ausfallen.
M. Ehrenpr. Er ist ein Tölpel! Magnus! Wie ich es auch mit Ihm anfange, so wird Er es doch wohl nie lernen, sein Gewerbe geradeweges zu bestellen, ohne sich um etwas anderes zu bekümmern. Soll ich denn nun auf den Schneider warten, bis er sich umgekleidet hat?
Magn. Ihre Gnaden brauchen nicht auf ihn zu warten, sondern er wartet auf Ihre Gnaden. Denn er steht hier draussen in der Vorderstube, thut er.
M. Ehrenpr. Und da hält mich der Dummkopf mit allem seinem Geplauder noch auf.
Magn. Oh Herr Jemine! Ich mußte doch alle Ihre Fragen beantworten, mußte ich.
M. Ehrenpr. Fort, laß Er ihn hereinkommen, und laufe Er dann hinauf zu Nette, und frage Er sie, wo sie – Nu da kommt sie! (Agnete hängt die Kleider über einen Stuhl, und geht wieder. Magnus geht hinaus und öfnet dem Schneider die Thüre.)
[326]M. Ehrenpr. Besser wäre es gewesen, Er wäre gekommen, wie er war, Meister, als daß er mich mit dem Umkleiden aufhält.
Rose. Gnädige Frau, ich fürchtete, mich an der Etiquette zu versündigen.
Stram. Ha, ha, ha! So ist die Etiquette also auch für Schneider?
M. Ehrenpr. (lacht.) Vortreflich gesagt, lieber Stram! (Sie lachen beyde.)
Rose. Sie haben vollkommen Recht zu lachen. Ich lache selbst so oft über diese Faschingsstreiche.
Stram. So? Sie lachen selbst darüber. Nun, das ist bey Gott herrlich. (lacht.) Lachen Sie doch mit, meine Reizende! (Sie lachen beyde.)
Rose. Ja, ich lache freylich darüber. Sehn Sie, ich denke ungefehr so: Wenn der König und seine Familie Trauer anlegt, so thun Sie das für einen Bekannten oder Verwandten, oder auch aus andern Gründen; und die Leute ihrer täglichen Aufwartung oder ihres Umganges müssen denn auch schwarz gehen, das alles kann ich begreifen. Aber, was zum Henker geht dieß die Leute in der Stadt an? denke ich. Sehen Sie, da ich meine erste selige Frau verlor, gab ich meinem Gesinde nach löblicher alter Sitte Trauerkleider. Nun wohnen noch drey Familien ausser mich [327] in meinem Hause, und hätten diese nun auch Trauer angelegt, so würde ich sie für Narren gehalten haben.
M. Ehrenpr. Um Verzeihung, Meister! warum kleidet Er sich dann selbst als ein Narr? (lacht.)
Stram. Allerliebst, meine Gnädige! (lacht.)
Rose. Ich erwartete diese witzige Frage – – Ich thue es, weil Leute von meiner Profession von den Thorheiten der Welt leben müssen; und wollten alle Leute auf einmal klug werden, so müßten wir zu Tode hungern. Darum mache ich denn diese Narrenspossen mit.
Stram. Meister Rose versteht sich wohl besser darauf, Kleider zuzuschneiden, als die Lebensart der feinen Welt zu beurtheilen.
Rose. Aus einer verschnittenen Arbeit läßt sich schwerlich etwas Gutes herausbringen; und die Lebensart der feinen Welt ist ja so verschnitten, daß ich den Meister sehen will, der daraus etwas vernünftiges machen könnte.
M. Ehrenpr. Ja, hier giebt es etwas Anderes zu thun, als ins Gelage hinein zu raisonniren. Hier ist Hastarbeit, Meister! Meine Tochter und ich sollen heute Mittag zu meinem Schwager, dem Commerzrath Reinhard; und unsre schwarzen Kleider sind nicht in dem Zustande, daß wir sie brauchen können. Sieht Er? (zeigt ihm die Kleider.)
Rose. Hier ist die Zeit so kurz; nur ein Paar [328] Stunden! In einem solchen Augenbliecke lassen sich unmöglich zwey Kleider ändern. (betrachtet sie.) Ja ich sehe schon, was daran fehlt, und ich will mein möglichstes thun, der Demoiselle das ihrige zu schaffen. Aber Ihre Gnaden könnten Ihr Kleid wohl dieß einemal tragen: Sie sind ja doch eine alte Dame.
M. Ehrenpr. In der That, sehr verbindlich, Meister Rose!
Stram. Ist er nicht recht gescheut, Meister? Können Ihre Gnaden mit einem Kleide gehn, das hinten zugeschnürt wird? Fehlen hier nicht garnirte Falbelas? Und wer, zum Henker! braucht gegenwärtig Robe-Aermel, ausgenommen zur Cour? Weißt er denn nicht, daß es lange Aermel seyn müssen? [1]
M. Ehrenpr. Sie haben Recht, Herr Secretaire. Man fährt sehr übel mit diesen Handwerksleuten; sie haben keinen Geschmack, keine Ueberlegung. Weiß Er was, Meister? Die Kleider müssen zurecht gemacht werden, wie Er es auch angreift.
Rose. Mehr als Eines kann ich unmöglich schaffen. Denn ein Paar meiner beßten Gesellen sind krank; und die Hoftrauer giebt mir alle Hände voll zu thun.
[329] Stram. Nun, so helfe Er zuerst der gnädigen Frau. Wissen Sie was Sie thun könnten, meine Reizende? Sie könnten für Ihre Tochter ein schwarzes Kleid bey der Madame hier droben leyhen?
Rose. Wie würde das der Demoiselle stehen! Sie erinnern sich doch wohl, daß die Madame ein kleines Gebrechen am Rücken hat, und daß das Kleid darnach gemacht ist.
M. Ehrenpr. Laß Er das meine Sache seyn, Meister! Das dehnt sich schon, wenn es auf den Leib kömmt.
Rose. Ueberdieß ist die Madame gar zu corpulent. Ihre Kleider würden eher der gnädigen Frau als der Demoiselle passen.
Stram. Ist er nicht recht gescheut, Meister? Soll die gnädige Frau wie ein Scheusal gehn?
M. Ehrenpr. Will Er nur belieben, sich nach meiner Bestellung zu richten. Also, in zwey Stunden schaft er mir mein Kleid?
Rose. Ja, gnädige Frau! Allein ehe Demoiselle Charlotte wie ein Scheusal gehen soll, ehe will ich ihr ein Kleid schaffen, das allenfalls passen kann. Das erlauben Sie doch wohl?
M. Ehrenpr. O ja, recht gern, Meister! Nun nur geschwind. Adieu!
Rose. (nimmt die Kleider auf den Arm.) Könnte Ihr Bedienter mir nicht die Kleider bringen?
[330] Stram. Die würde ich selber tragen, wäre ich Schneider.
M. Ehrenpr. Die Welt ist verkehrt. Ja dann, mein Lakay soll sie hintragen. Adieu Meister!
Rose. Ich kann freylich sonst meinen Lehrburschen herschicken, wenn es incommodirt. Adieu, gnädige Frau! (ab.)
M. Ehrenpr. Ich kann denn doch wohl ruhig seyn, lieber Stram; kann mich gewiß darauf verlassen, die halben Zinsen von meines Mannes hinterlassenem Kapitale zu ziehen?
Stram. Ohne Zweifel. Das Testament lautet ausdrücklich, daß die Zinsen, so lange Sie leben, zwischen Ihnen und Ihrer Tochter gleich getheilt werden sollen. Nur die verwünschte Beylage zu Ihres Mannes Testament beschnitt Ihnen Ihre Einkünfte so sehr. Wenn ich es sagen darf, so war es eben auch nicht klug von Ihnen gehandelt, daß Sie ihn ohne Gemeinschaft des Vermögens heyratheten.
M. Ehrenpr. Freylich wahr! Indeß gewann ich doch bald so viel über ihn, daß er nicht lange nach unsrer Verbindung dieß günstige Testament machte. Welche Wespen ihn in zwey Jahre nachher gestochen haben, es zu verändern, begreife ich nicht.
[331] Stram. Ich eben so wenig, meine Reizende! Doch ist es merkwürdig, daß es zur selben Zeit geschah, als er dem Capitain sein Haus verbot. Gut, daß wir jezt das gefährliche Codicill zerrissen haben? Das Gerede der Welt bedeutet nichts, wo Beweise fehlen. Diese Sache hätten wir jezt ins Reine gebracht; und mit einer Stieftochter braucht man ja überdieß nicht so delicat zu handeln.
Magn. Galanteriehändler Reinhard ist hier draussen, und wollte mit Frau Ehrenpreis sprechen, wollte er. Aber ich sagte, er meynte wohl Madame Ehrenpreis, sagte ich.
M. Ehrenpr. Er hat nun immer seine eigne Weise sich auszudrücken.
Stram. Er hat nicht einmal so viel Ambition, sich als Bürger um eine Stadtbedienung zu bewerben.
Magn. Ich sagte auch zu ihm, es wäre unanständig von einer vornehmen Dame so zu reden, sagte ich. Aber er lachte nur drüber, und bat mich, den Mund zu halten, that er, und fragte mich, ob es eine Schande wäre, eine Frau zu seyn? sagte er, und, ob eine Frau, die trockne Pflaumen verkaufte, nicht eben so brav seyn könnte, als die Gemahlin eines Etatsministers? sagte er; und [332] so sagte ich, er könnte sich ein Unglück an den Hals reden, wenn Ihre Gnaden es hörten, sagte ich.
M. Ehrenpr. Und Er konnte sich wohl auch ein Unglück an den Hals reden, mein lieber Magnus! Warum raisonnirt Er über Dinge, die ihn nicht angehen?
Stram. Sie erlauben mir zu gehn, meine Reizende! Allein Sie müssen ihm würklich eine bestimmte Antwort geben.
M. Ehrenpr. Versteht sich! Adieu, lieber Stram!
Stram. Ihr Diener, meine Zauberin! Um eine halbe Stunde haben Sie mich hier wieder. Ich muß doch hören, wie Reinhard Ihre abschlägige Antwort aufnimmt.
M. Ehrenpr. Sie sind mir immer willkommen. Adieu! (zu Magnus.) Bitte Er Monsieur Reinhard, näher zu kommen! (Stram geht, und Magnus gleichfalls, nachdem er Reinharden die Thüre geöfnet hat.)
Reinh. Ergebner Diener! Wie befinden Sie sich, meine liebe Frau Ehrenpreis?
M. Ehrenpr. Ihre Dienerin, Monsieur Reinhard! Vermuthlich haben Sie mir neue Proben von Stahlarbeit zu zeigen. Englisch muß es seyn, das sage ich Ihnen.
[333] Reinh. Diesmal habe ich eine wichtigere Verrichtung.
M. Ehrenpr. Apropos! Sie haben wohl die heutige Zeitung nicht gelesen?
Reinh. Oa ja! Sie enthält nichts Neues.
M. Ehrenpr. Nicht? Sie kommen also vermuthlich heute Mittag nicht zu Ihrem Herrn Vater?
Reinh. O freylich! Und ich hoffe die Ehre zu haben, Sie und Ihre Demoiselle Tochter dort zu sehen.
M. Ehrenpr. Sie werden sich also vermuthlich vor Tische noch umkleiden?
Reinh. Ich glaube so anständig gekleidet zu seyn, daß es dessen nicht bedarf.
M. Ehrenpr. Also wissen Sie wohl nicht, daß man heute Hoftrauer angelegt hat?
Reinh. Ich weiß es recht gut. Allein ich weiß auch, daß ich ein Bürger und kein Hofmann bin, und daß meine Kleidung bloß von meiner Laune abhängt.
M. Ehrenpr. Allein ein angesessener Bürger in Berlin ist ein Mann von Stand.
Reinh. Mein Stand ist der Stand eines ehrlichen Mannes; und der bin ich nicht, wenn ich mir einen Rang erlüge, den ich nicht wirklich besitze, der mir keine wahre Achtung verschaft. Der eingebildeten Ehre bedarf ich nicht.
M. Ehrenpr. Sehen Sie denn eine Ehre darin, sich vor allen andern Menschen auszuzeichnen? Und [334] wie viele Einwendungen könnte ich Ihnen nicht sonst noch machen?
Reinh. Ich zweifle fast, daß Sie mir noch irgend eine andere Einwendung von einigem Scheine machen könnten, als grade diese. Wollen Sie meine Antwort darauf? Ich bemühe mich auf das möglichste, mich nicht durch etwas Böses auszuzeichnen: Ob ich mich durch etwas Gutes auszeichne, geziemt mir nicht, selbst zu entscheiden. Diese Auszeichnung aber ist höchstens eine Eigenheit, die ich aus wichtigen Gründen beybehalte.
M. Ehrenpr. Ich habe doch immer gehört, man müsse sich in die Zeiten schicken und sich nach den Leuten richten, worunter man lebt.
Reinh. Ganz recht! Allein nicht nach ihren Thorheiten.
M. Ehrenpr. Sie müssen sehr melancholischer Laune seyn, wenn Sie eine so gleichgültige Handlung eine Thorheit nennen.
Reinh. Sie ist wahrlich nicht gleichgültig. Wer sich ein wenig in der Welt umsieht, bemerkt leicht, daß die allgemein herrschende Armuth vorzüglich eine Tochter jener thörichten Eitelkeit ist, womit Bürgerliche den Hof nachäffen, den Grossen sich zu nähern, und auf einem grossen Fusse zu leben suchen. Aus derselben Quelle entspringt auch die verdorbene Stimmung unsers Zeitalters, das weibische Wesen der Männer, das Schlaraffenleben [335] der Weiber, und das allgemeine schändliche Vorurtheil, das einen Gecken aus dem Staatscalender, wäre er auch obendrein ein Schurke, in allen öffentlichen Gesellschaften zu mehrern Achtungsbeweisen berechtigt, als den rechtschaffenen, verständigen Bürger. Ein Mann von Amt und Titeln, der zugleich wahre Verdienste besitzt, ist eine goldene Münze; und, selbst ohne Verdienste, wenigstens eine authorisirte Banknote, die man für den Werth annehmen muß, den man ihr aufgedrückt hat. Allein, wer sich Rang und Ansehn anmaaßt, die ihm nicht zukommen, steht in gleicher Klasse mit falscher Münze, die man confisciren muß, wo man sie findet.
M. Ehrenpr. Ich fürchte, Sie verirren sich so tief in die Moral, daß Sie sich nicht wieder herausfinden. Darüber verliere ich indeß das Vergnügen, Ihr eigentliches Gewerbe zu erfahren.
Reinh. Um Verzeyhung! Sie haben mich selbst zu dieser Abschweifung verleitet. Mein Geschäft ist sonst zu wichtig für mich, als daß ich es vergessen sollte. Ich komme, Sie um Ihre endliche entscheidende Antwort auf meinen Antrag zu bitten.
M. Ehrenpr. Vermuthlich, meine Stieftochter betreffend?
Reinh. Ganz recht!
M. Ehrenpr. Ich muß Ihnen grade heraussagen, [336] Monsieur Reinhard! Ihre Denkungsart stimmt schlechterdings mit der meinigen nicht überein.
Reinh. Allein desto mehr mit der Denkungsart Ihrer Tochter; und das scheint mir hier das Wichtigste.
M. Ehrenpr. Wenigstens schmeicheln Sie nicht. Meine Tochter hat überdies andere Aussichten.
Reinh. Ihre Tochter gewiß nicht. Daß sie mich liebt, davon bin ich überzeugt. Was Sie selbst für Aussichten haben mögen, ist mir unbekannt, und gleichgültig.
M. Ehrenpr. Immer besser! Kurz und gut, ich muss Ihnen geradezu sagen, dies ist keine anständige Parthie für Charlotte.
Reinh. Das sollte ich doch denken. Demoiselle Charlotte hat Vermögen; und Sie wissen, auch ich habe noch von meinem Vater Vermögen zu erwarten. Ueberdies sitze ich in einer solchen Nahrung, daß ich sie unterhalten könnte, wenn sie auch keinen Heller im Vermögen hätte.
M. Ehrenpr. Von Ihrem Vermögen rede ich auch nicht.
Reinh. Nicht? Und dennoch sollte die Parthie nicht anständig seyn? Aha, ich verstehe Sie! Allein, daß eines Krämers Tochter keine anständige Parthie für einen Krämer seyn sollte, erwartete ich am wenigsten von einer Krämerwitwe zu hören.
[337] M. Ehrenpr. Sie werden impertinent, Monsieur Reinhard!
Reinh. Falls es impertinent ist, die Wahrheit zu sagen, wo man dazu genöthigt wird, so haben Sie Recht, Frau Ehrenpreis.
M. Ehrenpr. Frau Ehrenpreis! – Sie wissen von keiner Lebensart, Monsieur Reinhard!
Reinh. Worauf ich stolz bin. Was man heutiges Tages Lebensart nennt, heißt im Grunde, sich Gedanken, Empfindungen, Stand, Vermögen und dergleichen mehr, was man nicht besitzt, andichten, und solche Lebensart scheue ich, wie die Pest.
M. Ehrenpr. Man sieht es Ihnen an, daß Sie die feine Lebensart, wie eine Pest scheuen.
Reinh. Die Begriffe von fein und grob sind verschieden. Hinter einer feinen Gallatracht steckt zuweilen ein grober Bengel; und man hat mir von dem feinen Benehmen mancher Höflinge bey Redouten erzählt, daß man hier in der Altstadt grob nennen würde.
M. Ehrenpr. Verlangen Sie noch sonst etwas von mir?
Reinh. Ihre entscheidende Antwort, Frau Ehrenpreis.
M. Ehrenpr. Die haben Sie gehört, Monsieur Reinhard.
Reinh. Also eine abschlägige Antwort?
[338] M. Ehrenpr. Wie Sie es zu nennen belieben. Meine Tochter bekommen Sie nicht.
Reinh. Und die Ursache, wenn ich fragen darf?
M. Ehrenpr. Habe ich Ihnen gesagt. Ueberdies soll meine Tochter nicht durch die Grillen ihres zukünftigen Mannes prostituirt werden; Sie soll Hoftrauer tragen, wenn andere es thun.
Reinh. Das können Sie füglich ihr und mir zur Entscheidung überlassen.
M. Ehrenpr. Grossen Dank! Das will ich schon selber entscheiden. Ueberhaupt, Sie wissen meinen Entschluss, von dem ich kein Haarbreit abweiche. Noch einmal erkläre ich Ihnen: Charlotte erhalten Sie nicht. Die Welt ist ja groß genug.
Reinh. Das weiß ich. Allein – bedenken Sie sich! Ich bitte Sie recht sehr darum, nicht um meinent, sondern um Ihrer Selbst willen, Frau Ehrenpreis.
M. Ehrenpr. Sie hegen viele Güte für mich, Monsieur Reinhard? Aber dennoch erkläre ich Ihnen einmal für allemal, nimmermehr sollen Sie Charlotte besitzen.
Reinh. Wohlan denn! Ich habe gethan, was ich konnte und mußte. Ich habe von Ihrer freywilligen Güte zu erhalten gesucht, was ich Sie allenfalls zwingen kann, mir zu überlassen. Wir werden sehn, ob ich nicht Mittel in Händen haben sollte, die Sie zur Aenderung Ihres Entschlusses nöthigen könnten. (ab.)
[339]
Was in aller Welt will er mit diesen Drohnungen? Welche Mittel kann er wohl in Händen haben, mich zu zwingen? Mein ganzes Blut geräth in Wallung! (klingelt.)
M. Ehrenpr. Höre Er, Magnus, laufe Er geschwind zum Secretaire Stram, und bitte Er ihn, her zu kommen.
Magn. Wenn aber der Sikkertär nicht zu Hause ist, gnädige Frau, was soll ich ihm denn sagen, wie?
M. Ehrenpr. Dummkopf! so soll Er fragen, wo er ist, und ihn aufsuchen.
Magn. Nun begreife ich es. (geht, kehrt aber wieder um.) Gändige Frau, ich habe eine unterthänige Bitte an Sie.
M. Ehrenpr. Kann das nicht warten, bis Er wieder kömmt?
Magn. Ne, es kann meiner Seele nicht! – Nu, Ihre Gnaden, um des Himmels Willen, darf ich denn nicht den Flor wieder um den Arm binden? Darf ich?
M. Ehrenpr. Ich glaube, Er ist nicht klug.
[340] Magn. O! es sieht doch so gut aus, so thut es, wenn man zu einer Standesperson soll, und für die vornehme Witwe eines simpeln Bürgers Gewerbe ausrichtet.
M. Ehrenpr. Unverschämter Bursche! Will Er gehn, wie ich Ihm sage?
Magn. Um Vergebung, ich gehe schon, so thue ich. (will gehn, begegnet aber dem Secretaire in der Thür.)
Stram. Nehmen Sie es nicht ungütig, meine Zauberin, daß ich geradezu gehe; ich fand Niemanden im Vorgemache.
M. Ehrenpr. Sie sind willkommen, lieber Stram! (zu Magnus.) Gehe Er hinauf zu meiner Tochter, und bitte Er sie, herunter zu kommen. (Magnus ab.)
M. Ehrenpr. Ich wollte grade zu Ihnen schicken, als Sie kamen.
Stram. Und ich sah Reinhard weggehn – darum eilte ich hieher. Nun, wie hat er den Korb angenommen?
M. Ehrenpr. Er drohte mir, mich zur Einwilligung zu zwingen. Ich bin überaus bange, [341] wenn ich daran denke, daß Charlotte grade heute ihr zwanzigstes Jahr erreicht; ihr Onkel giebt ja deswegen das Diner.
Stram. Diese Drohungen fallen mir ebenfalls auf. Doch hoffe ich, sie werden nicht gefährlich seyn.
M. Ehrenpr. Ich hoffe es auch. Allein gesetzt, er hätte in Händen, womit er mir drohte: Was hätten wir dann zu thun?
Stram. Ja, dann ist wahrlich guter Rath theuer.
M. Ehrenpr. Hören Sie, da kömmt mir ein Einfall. Freylich ein harter Schritt für mich! Allein das will nicht helfen. Ich erlasse Ihnen alle meine Ansprüche auf Sie. Heyrathen Sie selber Charlotte, so kömmt das Vermögen doch in gute Hände.
Stram. Mein Engel, bedenken Sie, was Sie vorschlagen! Vergessen Sie einen zehnjährigen Zeugen unsrer Vertraulichkeit?
M. Ehrenpr. Ha, auch dieß schlägt fehl. Hören Sie dann! Reden Sie selber mit ihr, sie kömmt gleich herunter; als Vormund haben Sie eine Art Vorrecht ihr Rath zu geben. Bitten Sie sie um ihrent- um meinent- um aller Welt willen, sich noch heute unter Allen, die wir ihr vorgeschlagen haben, einen Bräutigam zu wählen; und können Sie noch ein Paar Narren finden, so [342] schlagen Sie ihr sie ohne Umstände vor! Allein vor allen Dingen mahlen Sie ihr Reinhard mit dem schwärzesten Pinsel. Ich trete in dies Kabinet, wo ich Alles hören kann. Kommen Sie zu mir, sobald Sie fertig sind. Adieu, lieber Stram! Viel Glück zu unserm Unternehmen! (ab.)
Wenn es darauf ankömmt, ins Schwarze zu mahlen, so möchte ich wohl die Hofschlange oder den politischen Kabalenschmid sehen, der einen bessern Pinsel führte, als Secretaire Stram.
Charl. Ich glaubte, meine Mutter hier zu finden. Sie hat mich zu sprechen verlangt.
Stram. Sie hat mir als Ihrem Vormunde den Auftrag gegeben. Sie wissen, daß ich Sie liebe.
Charl. Das haben Sie mir hundertmal gesagt, grade wenn Sie mich am meisten marterten.
Stram. Mich dünkt, ich habe es Ihnen durch die That bewiesen. Ich war Ihres Vaters vertrautester Freund. Nur ein einziges Mal in seinem Leben beleidigte er meine Freundschaft, als er in seinem Testament die Einrichtung traf, daß [343] sein hinterlassenes Kapital in die königliche Kasse niedergelegt, und die halben Zinsen Ihrer Mutter zu Ihrer beyder Unterhalt ausgezahlt werden sollten. Für Sie hätte es unaussprechlich vortheilhaft seyn sollen, wenn er mir die Verwaltung Ihres Vermögens überlassen hätte.
Charl. Mein Vater muß doch seine gültigen Gründe gehabt haben, warum er diese Einrichtung traf.
Stram. Gründe hat er nun wohl gehabt, wiewohl ich ihre Gültigkeit nicht untersuchen mag. Damals war ich doch ein reicher Mann, wiewohl ich in der Folge durch unerwartetes Unglück mein Vermögen und meine Lage einbüßte, so, daß ich itzt von einer Pension leben muß, die ich nach vieljährigen treuen Diensten Mühe genug hatte zu erhalten.
Charl. Ich habe doch gehört, Sie verloren Amt und Vermögen durch einen Prozeß, worin Sie des Wuchers überführt wurden.
Stram. (hustet.) Böse Menschen! Um des Himmels willen, glauben Sie dergleichen nicht! – Ah, die Locke da ist ein wenig in Unordnung gerathen; erlauben Sie, daß ich ihr nachhelfe! (nimmt ein Futeral aus der Tasche, mit Kamm, Pomade und Puderquast.) Belieben Sie, sich zu setzen, so will ich sie gleich verbessern. (setzt einen Stuhl hin.)
Charl. Um Verzeyhung, Herr Secretaire! das [344] werde ich besorgen, sobald ich auf mein Zimmer komme.
Stram. Auch müssen Sie mir eine Anmerkung erlauben. Das rothe Band in Ihrem Haar sitzt nicht gut, und schickt sich heute nicht. Es ist Hoftrauer.
Charl. Ich werde es nachher ändern, und – geschähe es nicht meiner Stiefmutter zu Gefallen, so würde ich wahrlich keine Hoftrauer anlegen. Mich dünkt, der Tochter eines Bürgers geziemt es nicht, die Hofdame zu spielen.
Stram. Sie denken doch auch gar zu bürgerlich, mein schönes Mündel.
Charl. Dieß, dächte ich, macht mir keine Schande, wenn Sie sonst nicht Bürger und Pöbel miteinander verwechseln. Bürger ist ein Ehrentitel, Pöbel ein Scheltwort; und von beyden Klassen haben die höchsten, wie die niedrigsten Stände, Mitglieder aufzuweisen.
Stram. Wohl möglich! Auch hat man Sie niemals überreden können, Ihre Talente in unsrer dramatischen Societät zu zeigen, wo Ihre Mutter mit so vielem Ruhme spielt.
Charl. Ich habe weder die Talente noch die Dreistigkeit meiner Stiefmutter. Auch halte ich es nicht für meinen Beruf, meine Zeit zu vertändeln. Allein, darf ich fragen, hat mein Vormund sonst nichts mit mir zu reden?
[345] Stram. O freylich. Fast hätte ich es vergessen. Sie erreichen heute Ihr zwanzigstes Jahr. Ich gratulire.
Charl. Ich danke, Herr Secretaire!
Stram. Ein Mädchen von Ihrem Alter und Vermögen und übrigen Vorzügen darf nicht länger unverheyrathet hinsitzen.
Charl. Mit mir hat es keine Eile. Sollten Sie es für ein Versehen halten, daß ich noch nicht verheyrathet bin, so liegt die Schuld bloß an Ihnen und meiner Stiefmutter.
Stram. Sie irren sich, meine Beßte! Wir haben Ihnen ja Freyer genug zu Ihrer eigenen Wahl vorgeschlagen.
Charl. Freyer genug, allein lauter Gecken. Den einzigen vernünftigen Mann, der sich um mich beworben, und den auch mein Herz gewählt hat, versagen Sie mir.
Stram. Liebe Charlotte, nennen Sie ihn einen vernünftigen Mann? Ihn, der nichts geringeres im Sinne führt, als die ganze Welt umzuschaffen, und Gottes Werke zu mäkeln.
Charl. Verzeihen Sie! Nicht die Welt, sondern die Thorheiten und Laster der Welt möchte er gern verändern und umschaffen; und diese nennen Sie doch wohl nicht Gottes Werke?
Stram. Einen Mann, der im geringsten nicht daran denkt, sich aus dem Staube empor zu arbeiten, [346] worein er sich selbst geschleudert hat; einen Mann der sogar darüber lacht, daß sein Vater Commerzrath geworden.
Charl. Darin hat er Recht, da sein Vater vernünftig genug ist, selbst mit zu lachen.
Stram. Einen Mann, dessen Umstände so schlecht sind, daß er Ihrer Mittel bedarf, um sich von Untergang und Gefängniß zu retten.
Charl. Wäre dieß auch der Fall, woran ich doch zweifle, so würde ich nie wünschen, mein Vermögen zu einem edleren Zwecke zu verwenden.
Stram. Einen Mann von so bestimmter Hartherzigkeit, der keinem Bettler auf der Straße einen Heller giebt.
Charl. Der aber im Geheimen vielleicht mehr Gutes thut, als Sie und Ihres gleichen am hellen lichten Tage.
Stram. Ja, was seine guten Handlungen im Geheimen betrift, so kann ich freylich von einem halben Dutzend hübscher Mädchen Beweis darüber schaffen.
Charl. Herr Stram, bezahle man Sie, um ehrliche Leute zu verläumden, so muß ich gestehn, Sie thun genug für Ihr Geld.
Stram. Wahrheit ist keine Verläumdung; und was ich gesagt habe, ist die lautere Wahrheit.
Charl. Die schwärzeste Wahrheit, Herr Stram, und die schändlichste Lüge.
[347] Stram. Kurz, Sie können sich einen Mann wählen, und Sie müssen ihn noch heute wählen. Die Wahl steht Ihnen frey. Nur Reinhard nicht! Das müssen Sie wissen.
Charl. Kurz, Herr Stram, ich habe gewählt. Reinhard und keinen sonst. Das müssen Sie wissen.
Stram. Ist dieß Ihr letzter Entschluß?
Charl. Unveränderlich!
Stram. Gut! Wir werden sehn, ob dieser stolze Nacken sich nicht beugen läßt.
Charl. Schwerlich mein Herr!
Stram. Wir werden sehn! wir werden sehn! (will gehn.)
Charl. Noch Eins, Herr Stram. Nehmen Sie Ihre Narren, und reisen Sie damit zu Markte, wo es Ihnen beliebt. Doch mir, bitte ich, machen Sie keine Vorschläge weiter! Denn ein Vorschlag von Ihnen wird mir Beweis genug seyn, daß der Vorgeschlagene ein schlechter Mann ist.
Stram. Sehr gut, meine Schöne! Doch noch sind wir nicht am Ende. (geht hinein zu Mad. Ehrenpreis.)
Wahrlich, ein allerliebster Vormund! Wie die Schlange sich bey meinem Vater hat einschmeicheln können, begreife ich nicht.
[348]
Magn. (mit seinem Flor in der Hand.) Liebe, gute Mamsell! Sie sind doch immer so herzensgut, sind Sie; wollen Sie mir nicht erlauben, Sie um Rath zu fragen? Wollen Sie?
Charl. Sehr gern.
Magn. Sehn Sie, liebe Mamsell, Sie wissen doch, daß es Hoftrauer ist, wissen Sie? Und ich sage immer so, sage ich: Ein armer Lakay ist auch kein unvernünftiges Vieh, so wenig als Andre, sage ich. Und so binde ich vorhin diesen schwarzen Flor um meinen rechten Arm, thue ich, und komme mit einem Gewerbe herein zu der gnädigen Frau, thue ich. Aber so schalt sie mich einen Narren, schalt sie, und sagte, ich sollte den Flor wieder abnehmen, sagte sie; und nun will ich Sie denn fragen, meine liebe, gute Mamsell, ob dieß wohl so närrisch ist, da ich doch so viele mit Flor um den Arm herumlaufen sehe, thue ich.
Charl. Freylich ist es, mein guter Magnus! Dergleichen paßt sich gar nicht zu einer Livrey.
Magn. Ja, wenn Sie es sagen, so glaube ich es, thue ich; und so will ich es denn auch nicht tragen. Aber sehn Sie, so dachte ich, etwas muß ich doch haben, eben sowohl als andre Burgerleute, dachte ich; und so sagte ich bey mir selber, [349] du kannst schwarzes Band in deine Schuhe binden, sagte ich. Nein! dachte ich, das sieht aus, als wenn du deine Schnallen in das Lombard hingetragen hättest, dachte ich; und so lief ich hin zum Galanteriehändler Reinhard, und kriegte mir diese schwarze Schnallen in die Schuhe, that ich; und das kann doch wohl angehn, weiß ich.
Charl. Er ist ein gutes Aeffchen, Magnus! Er sollte solche Possen überall lassen, denn sie schicken sich nicht für ihn. Doch wenn Eins von beyden seyn soll, so mag er lieber die Schnallen als den Flor tragen.
Magn. Nu, so will ich sie denn behalten, will ich. Ich muß ja doch die Trauer mitmachen, muß ich, weil meine gnädige Herrschaft trauert; sonst wäre es ja eine Schande für sie, wäre es. (will gehn, kehrt aber wieder um.) Das ist wahr, beynahe hätte ich vergessen, was ich bestellen sollte, hätte ich. Herr Reinhard ist hier draussen.
Charl. Warum ließ Er ihn nicht hereinkommen?
Magn. Sehn Sie, ich dachte bey mir selber; Gott weiß, ob du ihn hereinlassen darfst, dachte ich; denn er hat keine Hoftrauer an, dachte ich.
Charl. Die Hoftrauer hat ihm ja ganz den Kopf verrückt. Laß Er ihn gleich hereinkommen. (Magnus öfnet Reinharden die Thür und geht.)
[350]
Charl. Verzeihen Sie, daß der Bediente Sie so lange warten ließ.
Reinh. Thut nichts, beßte Charlotte! Ich weiß, ich sehe Sie heute Mittag bey meinem Vater. Allein ich habe hier im Hause ein wichtiges Geschäft, das ich so lange nicht aussetzen konnte.
Charl. Und worin besteht dies?
Reinh. Erst muß ich Sie fragen, lieben Sie mich?
Charl. Können Sie daran zweifeln?
Reinh. Um Gottes willen, sagen sie mir, haben Sie die Wichtigkeit des Schrittes, sich mit einem Mann auf Lebenslang zu verbinden, reiflich genug erwogen?
Charl. Glauben Sie, ich könnte leichtsinnig genug seyn, über dergleichen Betrachtungen hinzuschlüpfen?
Reinh. Nein, dieß nicht. Allein sollte nicht vielleicht diese Rotte von schlechten Freyern, mit denen Ihr Vormund und Ihre Stiefmutter Sie haben verbinden wollen, mir einen Werth in Ihren Augen gegeben haben, dessen ich mich sonst nicht hätte rühmen dürfen?
Charl. Mein Herz hat Sie gewählt. Wäre dieß nicht Antwort genug?
[351] Reinh. Hat denn nicht Bosheit und Verläumdung Zweifel gegen meine Rechtschaffenheit bey Ihnen erregt?
Charl. Zu erregen gesucht, ja. Allein ich liebe Sie, dieß habe ich Ihnen erklärt; und wahre Liebe kennt kein Mißtrauen.
Reinh. Kennen Sie also keinen Mann, den Sie mir vorziehen möchten?
Charl. Nur durch mehrere solche Fragen können Sie mich beleidigen.
Reinh. Bey Gott! Das ist nicht meine Absicht. Allein ich will, ich muß Sie glücklich sehn, sollte es auch mit Aufopferung meines eignen Glückes geschehn.
Charl. Ich hoffe, das eine braucht nicht ein Opfer des andern zu werden.
Reinh. Wohlan denn! So sind Sie mein vor Gott und Menschen, und ich will die Macht sehn, die uns trennen soll.
M. Ehrenpr. Hier sehen Sie die Macht, die Sie von einander trennen soll.
Stram. Wir werden sehn! wir werden sehn!
Reinh. Frau Ehrenpreis! Herr Secretaire! ich frage Sie noch einmal: Geben Sie Ihre Einwilligung [352] zu meiner Verbindung mit Demoiselle Charlotte?
M. Ehrenpr. Nimmermehr, in alle Ewigkeit nicht, Monsieur!
Stram. Man hat gute Gründe, sich diesem Antrage zu widersetzen.
Reinh. Dieß ist also Ihr unumstößlicher Entschluß?
M. Ehrenpr. und Stram. (beyde auf einmal.) Ja!
Charl. Liebe Mutter! bedenken Sie sich.
M. Ehrenpr. Schweigen Sie, Jüngferchen!
Reinh. Wohlan denn! Ich wollte Ihnen eine Demüthigung ersparen; allein Sie zwingen sie mir ab. Belieben Sie also zu hören. (Er nimmt ein Papier aus der Tasche.) Ihr seliger Mann, Frau Ehrenpreis, der Vater meiner Charlotte, hat durch ein Codicill sein Testament verändert, wie Ihnen bekannt seyn muß.
Stram. Nichts als Unwahrheit; als ihr Vormund muß ich dieß am beßten wissen.
Reinh. Geduld, wenn ich bitten darf! Kurz vor seinem Ende vertraute er meinem Vater, meiner Charlotte leiblichen Onkel, wie Sie wissen, einen versiegelten Brief, mit der Aufschrift: Zu öfnen an dem zwanzigsten Geburtstage meiner Tochter. Das Datum trift grade heute ein. Belieben Sie den Brief zu hören. (liest.) „Ungeachtet ich eben nicht an der Redlichkeit meines Freundes Stram [353] zweifle“ – von Ihnen, Herr Secretaire, ist die Rede – „so vertraue ich gleichwohl, da der Menschen Gesinnungen wandelbar sind, beyliegendes Document meinem Schwager Reinhard, ihm zur Nachricht und Gebrauch im etwanigen Nothfalle. Ein gleichlautendes Document hat mein Freund Stram in Händen.“
M. Ehrenpr. Sie spielen wohl Comödie?
Reinh. Es kömmt auf mich an, es für gewisse Personen zu einer Tragödie zu machen. Hören Sie nun das Document selber: (liest.) „Falls meine einzige Tochter Charlotte ihr zwanzigstes Jahr erreicht, ohne verheyrathet zu seyn, oder sich einen Bräutigam gewählt zu haben, wobey kein Zwang statt finden darf, sondern ihre eigene Neigung einzig und allein befolgt werden muß, so soll sie bey einem braven Manne in Kost und Logis gethan werden. In diesem Falle, wie auch, wenn sie wider ihren Willen zu einer Heyrath sollte genöthigt seyn, genießt meine hinterlassene Frau nicht mehr als vierhundert Reichsthaler jährlich, anstatt der Hälfte von allen Zinsen, die ihr laut dem Testamente zugestanden sind, und die sie ferner bis zu Charlottens zwanzigstem Jahre zu ziehen hat. Sollte Charlotte hingegen um diese Zeit entweder gut verheyrathet seyn, oder eine angemessene Wahl getroffen haben, wobey weder auf Reichthum noch Rang gesehen werden muß, [354] so genießt vorerwähnte meine Frau tausend Reichsthaler jährlich, so lange sie lebt; sie mag nun aufs neue verheyrathet oder Witwe seyn.“
Stram. Das Document ist untergeschoben, behaupte ich.
Reinh. Indeß ist es doch von Zeugen unterschrieben, die noch leben.
M. Ehrenpr. Wie hängt das zusammen? Gewiß lauter Betrug.
Stram. (in Verlegenheit.) Meine Zauberin, die Schleife an Ihrer Schärpe ist aufgegangen. Erlauben Sie, daß ich sie fest binde. (bindet die Schleife fest.)
Reinh. Nun hängt es von Ihnen ab, ob Sie jährlich vierhundert oder tausend Reichsthaler haben wollen.
M. Ehrenpr. Was ist hierbey zu thun, lieber Stram?
Reinh. Allenfalls könnte es auf meine Charlotte ankommen. Sie braucht nur ihr Ja bis Morgen auszusetzen. Dabey gewinnt sie sechshundert Reichsthaler jährlich.
Charl. Das ist nicht Ihr Ernst, Reinhard.
Reinh. Nein, bey Gott! war es nicht. (zu Mad. Ehrenpreis.) Sie müssen Ihr Schicksal selber bestimmen, Frau Ehrenpreis.
M. Ehrenpr. Sich widersetzen hilft hier nicht; Sie haben meine Einwilligung.
[355] Stram. Und die meinige ebenfalls. Man muß aus der Noth eine Tugend machen.
M. Ehrenpr. Lieber Stram, hier haben Sie meine Hand. Sie haben sie redlich verdient, wiewohl wir dießmal unglücklich waren.
Stram. Dank, Dank! mein Engel! Tausend Reichsthaler sind doch besser als gar nichts. (küßt ihr die Hand.)
Reinh. Ich gratulire.
Charl. Ich gleichfalls.
M. Ehrenpr. Sie werden künftig also so gütig seyn, mich Madame zu tituliren, Monsieur Reinhard.
Reinh. Von Ihrem Hochzeitstage an, Frau Ehrenpreis.
Stram. Und die Hofetiquette zu folgen, wenn Sie unser Haus besuchen.
Reinh. Das verspreche ich nicht. Ich bleibe lieber weg, und folge meinen eignen Grillen.
M. Ehrenpr. Wie ein gemeiner Galanteriehändler.
Reinh. Der eben auch keine anständige Gesellschaft für eine Dame von Ihrem künftigen Stande ist.
Magn. Hier ist ein Lehrbursche von Meister Rose draussen, so ist er. Darf ich ihn hereinkommen lassen, er hat schwarze Unterkleider an, hat er.
[356] M. Ehrenpr. Was will er?
Magn. Er bringt ein schwarzes Kleid, bringt er, und sagt, die Mamsell möchte zusehn, ob sie es brauchen könnte, sagt er. Darf sie es anprobiren?
M. Ehrenpr. Darum frage Er ihren künftigen Mann Monsieur Reinhard.
Magn. Ist Herr Reinhard ihr zukünftiger Mann, ist er? Nu, so mag der Henker schwarze Schnallen tragen! So ist hier ja Herrlichkeit und Freude im Hause. (schnallt die Schnallen aus den Schuhen.)
Charl. Der Bursche soll dem Meister danken. Ich brauche das schwarze Kleid nicht, weil ich heute keine Hoftrauer trage.
Reinh. Bravo meine Beßte! Laß uns an den Leiden und Freuden des Königs und seiner Familie mit redlichem Herzen Antheil nehmen. Allein laß uns niemals glauben, er könne es uns übel nehmen, wenn wir eine Etiquette versäumen, die bey Hofe eine Nothwendigkeit seyn mag, hier in der Stadt aber blosse Alfanzerery ist.
Stram. Pöbelgeschwätz! Und Pöbelgesinnung!
- ↑ Es versteht sich, daß Stellen dieser Art nach den Umständen und jedesmaligen Moden verändert werden müssen.