Die Heinrich und der Zivilist

Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Die Heinrich und der Zivilist
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aus: Das Lächeln der Mona Lisa, S. 42–43
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Weltbühne, 13. Dezember 1927
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Die Heinrich und der Zivilist

Neulich hat ein Reichswehrsoldat, der in Altdamm bei Stettin Posten schob, einen Arbeiter erschossen, den er in der Dunkelheit für einen Einbrecher gehalten hat. Die Waffen gehen immer noch reichlich schnell los in Deutschland – die niederträchtigen Schießerlasse aus den Jahren schlimmster Verkommenheit der Sozialdemokratie sind noch nicht alle beseitigt, und ein Menschenleben ist noch genau so billig zu haben wie im Kriege. Während im Reichstag beschämend niveaulose Debatten über die Todesstrafe geführt werden, kann diese Todesstrafe leicht und gefahrlos von einem Kriminalbeamten, von einem Schutzpolizisten, von einem Reichswehrsoldaten verhängt werden, unter Umständen, die seine vorgesetzte Behörde prüft, was sehr objektiv vor sich geht. Also: jener Posten, der da Traindepots bewachte, mußte schießen. Auf wen –? Der Bericht sagts.

Auf einen „Zivilisten“.

Diese geistesschwache Terminologie stammt noch aus der Zeit Wilhelms von Abfundien; ein „Zivilist“ ist einer, der merkwürdigerweise keine Uniform trägt – was es nicht alles gibt auf der Welt! Die Vokabel geht von der richtigen Vorstellung aus, daß der Mensch zunächst einmal eine Uniform zu tragen habe – und erst, wenn er diese primäre Voraussetzung nicht erfüllt, dann ist er ein „Zivilist“. Wobei zu bemerken ist, daß auf diesem Gebiet Übergänge vorkommen: so war zum Beispiel der Kriegsminister Geßler ein militärischer Zivilist. Der Fall ist äußerst selten.

In die gleiche Kategorie dieser Kasernenwelt gehört die ständige Beflegelung von Zeugen und Angeklagten durch die deutschen Richter. Bei diesen Juristen gibt es das Prädikat „Herr“ und „Frau“ nicht. Beispiel:

[43] Ein Hypnotiseur wird verurteilt, weil er sich an einem Stubenmädchen vergangen haben soll. Der Prozeß wird von der Staatsanwaltschaft geführt, um das Rechtsgut einer Verletzten zu schützen – also für die Hauptzeugin. Was aber die gesamte Besatzung nicht hindert, diese zu schützende Zeugin dauernd „die Heinrich“ zu nennen.

„Gegen einen vollendeten Beischlaf spricht die vorhandene Intaktheit der Heinrich.“

Nun sagt man wohl „die Justitia“, und das mit Recht – aber man muß sich doch fragen, ob denn keine Aufsichtsbehörde da ist, die diesen Richtern, diesen Staatsanwälten und Untersuchungsrichtern die einfachsten Formen des Anstands beibringt. Für den Herrn Landgerichtsdirektor ist die Zeugin allemal Fräulein Heinrich – und weiter nichts. Kein Talar berechtigt zu Umgangsformen, die einfach eine Ungezogenheit sind und eine Nichtachtung derer, die durch ihren Lohnabzug zum Gehalt der beamteten Juristen beitragen.