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Titel: Die Haselstaude Libussa’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 328
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[328] Die Haselstaude Libussa’s. Jedermann kennt die Geschichte der Königin Libussa von Böhmen, der Tochter Krog’s, die sich den Gatten Premisl vom Pfluge erwählte und so die Stammmutter des großen Herrschergeschlechtes der Premisliden ward. Manche Geschichtsforscher wollen sie ganz in das Reich der Sage verweisen, aber ihnen zum Trotz setzt ihr der Böhme ein herrliches Denkmal und zeigte vor Kurzem noch die tausendjährige Haselstaude als ein lebendes Denkmal jener Begebenheit, welche die Nüchternheit der Gegenwart vielleicht nur darum aus der Geschichte verbannen will, weil sie zugleich poetisch schön ist.

Es ist das Schicksal jenes Haselstrauches, das ich erzählen will, ehe auch dieser selbst zur Mythe wird. – Der Schauplatz ist eine der herrlichsten Gegenden des reich gesegneten Böhmens. Etwa anderthalb Stunde von der an der Elbe malerisch gelegenen industriellen Stadt Aussig befindet sich nahe an der Landstraße, unweit des Dorfes Czochau, ein vor einigen Jahren von Graf Erwin von Nostitz, Herrn der Herrschaft Czochau, errichtetes Denkmal. Mitten im Felde ist ein kleiner freier Platz mit Bäumen umpflanzt, etwas höher als die Straße gelegen, geebnet und mit Sand bestreut, in dessen Mitte sich auf einigen granitnen Stufen das Denkmal in Altarform erhebt. Ein kolossaler, von Eisen gegossener und vergoldeter Pflug ruht darauf. Die deutsche und böhmische Inschrift, wie die in den Stein gehauenen Basreliefs erzählen von Libussa und Premisl und geben als Zeit der Handlung das Jahr 831 an. Wie Libussa dem Drängen ihres Volkes sich zu vermählen, nachzugeben beschloß, sandte sie einen Schimmel aus und gelobte, demjenigen ihre Hand zu reichen, den das Pferd aufsuchen und mit Wiehern begrüßen würde. Das edle Roß eilte unaufhaltsam weit davon aus der alten Königsburg und stand erst hier auf dieser Stelle bei einem jungen Landmanne still, der sein Feld mit dem Pfluge bestellte. Darauf kamen Libussa’s Diener zu diesem Landmanne, Namens Premisl, brachten ihm Krone und Purpur und begrüßten ihn als den Erwählten ihrer Herrin. Diese Scene ist auf der einen Seite des Denkmals dargestellt, die andere zeigt den Empfang Premisls bei Libussa.

Als Premisl, von den Gesandten begrüßt, den Pflug verlassen mußte, erschien ihm ihre Botschaft so unglaublich, daß, als er zuvor in seine Wohnung nach dem nahen Staditz ging, er den alten Haselstecken aus seinem Pfluge zog, in seinen Garten in die Erde steckte und sagte:

„So wenig ich glaube, daß dies dürre Reis Wurzeln und Blätter treiben kann, so wenig glaube ich Euere Mär’.“

Aber der Haselstock wurzelte und ward grün und gedieh, wie das Geschlecht der Premisliden. Ja, er überdauerte es weit. Im Garten der Mühle von Staditz stand der riesenhafte Haselstrauch, der seines Gleichen nicht hat im Lande Böhmen und dessen Früchte Jahrhunderte hindurch, noch bis in dies Jahrhundert hinein, an die kaiserliche Tafel in Wien, wie zuvor an die königliche Tafel in Prag abgeliefert werden mußten. Der alte Haselstrauch war zwar abgestorben, aber der alte Stamm stand noch und war platt abgesägt in Form eines runden Tisches von wohl drei bis vier Ellen Durchmesser. Ringsum hatte er aus den alten Wurzeln neue Schößlinge getrieben. Leider ereignete es sich im vorletzten Winter, daß die Biela, an welcher die Mühle liegt, aus ihrem Bett trat, den Garten überschwemmte und auch das Spalier desselben, wie dasjenige mit wegriß, welches der vorsorgliche Besitzer der Mühle um die ehrwürdigen Haselsträuche gezogen. Ein paar Arbeiter, welche nach der Verwüstung den Auftrag erhalten hatten, wieder Ordnung im Garten herzustellen, verstanden den Auftrag falsch und machten auch mit ungeheuerer Anstrengung den alten Haselklotz mit aus! Was nützt es nun, daß der Besitzer, der zu spät das Geschehene erfuhr, auch wieder Haselsträuche pflanzte – der alte ehrwürdige Haselstrauch ist nicht mehr und mit doppelt ungläubigem Lächeln wird nun der Wanderer hier die Geschichte seiner früheren Existenz vernehmen. Was man von demselben auch denken mag, fabeln oder spötteln, eins ist doch gewiß – nämlich, daß hier wirklich ein solcher Strauch stand, der durch die Thatsache, daß seine Früchte an das Herrscherhaus geliefert werden mußten, einen geheimen Zusammenhang mit demselben bekundet, und daß ein Haselstamm von diesem Durchmesser, wenn man auch sein tausendjähriges Alter bezweifeln mag, doch nur in Jahrhunderten eine solche Größe erreichen konnte. Darum wollt’ ich, ehe man seine Existenz ganz bezweifelt, jetzt noch an dieselbe erinnern, wo Jedermann in der Aussiger Gegend davon zu erzählen weiß, auch wenn die Touristenschaar der Teplitzer Gegend jene sagenreichen und wundervollen Punkte vernachlässigt. Das Letztere ist überhaupt zu verwundern.

Die Umgegend von Aussig ist nach allen Seiten hin ein Paradies, und die böhmische Schweiz verdient den Vorzug vor der sächsischen; gleichwohl wird jene wenig durchstrichen, weil es in ihr an bequemen Wegen fehlt, an Führern und an dem Comfort; selbst die kleinsten wirthschaftlichen Etablissements in Sachsen sind dem Schmutz einer böhmischen Dorfschenke freilich vorzuziehen. Die Teplitzer Badereisenden besuchen bei Aussig höchstens den „Schreckenstein“, die prachtvolle Elbruine, und eilen dann weiter, um nur von Teplitz aus bequeme Partieen zu machen, deren Gipfelpunkt der Milleschauer ist. Unweit von ihm, aber dennoch nicht mit besucht, liegen Czochau und Staditz und zwischen beiden das vorhin beschriebene Denkmal. Majestätisch grüßen der große und kleine Milleschauer zu ihm herüber, und all die andern Kuppen des Mittelgebirges scheinen es einzuschließen. Eine üppige Vegetation ringsum auf den Feldern, nach allen Seiten hin Alleen prachtvoller Nuß- und Kastanienbäume, im Hintergrund düstere Wälder, in denen noch kräftiges Hochwild haust – so scheint diese Stelle, in welcher der goldene Pflug auf erhabenem Piedestal weithin in der Sonne funkelt, recht eigentlich dazu gemacht, an die Vorzeit eines Landes zu mahnen, dessen weise Herrscherin den Gemahl sich nicht aus stolzen Königsgeschlechtern, sondern aus den geringsten Arbeitern des eigenen Volkes wählte. Immerhin ist die Pietät zu ehren, mit welcher der Böhme an den alten Erinnerungen seines Landes hängt.