Die Hand, die aus dem Grabe gewachsen

Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Beneke
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Hand, die aus dem Grabe gewachsen
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 158–161
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[158]
64. Die Hand, die aus dem Grabe gewachsen.
(Um 1500.)

Es waren einmal, so erzählt die Sage, ein Paar schlichte ehrliche Eheleute in Hamburg, Dietrich und Geseke Voß, die nährten sich rechtschaffen und erzogen ihre Kinder zur Gottesfurcht und Arbeit. Die Kinder schlugen auch alle gut ein, bis auf einen Buben, Hans, der war schon von Kindesbeinen [159] an ein Taugenichts und so unbändig und versessen auf dumme Streiche aller Art, daß keine Vermahnung mit Furcht und Zittern mehr bei ihm verfing, sondern der Junge täglich bösartiger wurde. Und in der ganzen Nachbarschaft war er so verrufen, daß alle Naberkinder ihm aus dem Wege gingen, und der Schulmeister keinen fand, der bei ihm sitzen wollte. Und dabei fing er schon früh an, erst zu naschen, dann zu prassen, und jeden Schilling, der in seine Hände fiel, den verjubelte er. Und die Gassenjungen sangen von ihm den Spottreim:

„Hans Voß heet he,
Schelmstück weet he,
De he nich weet, de will he lehren,
Huus und Hof will he vertehren.“

Und die ehrlichen Eltern wurmte das, und sie gedachten den Jungen noch schärfer ins Gebet zu nehmen, um zu versuchen, ob sie ihm nicht noch die Liebe zum Guten, zu seinen Eltern und Mitmenschen einbläuen könnten. Und nun droschen sie rechtschaffen auf den Buben; der aber ward immer verstockter und herzenshärter, und lachte der Schläge, die Vater und Mutter weher thaten als ihm, und endlich vergaß er sich so sehr, daß er in seiner Bosheit der Mutter die Zuchtruthe wegnahm und ihr damit einen argen Streich versetzte.

Da aber that der liebe Gott ein Einsehen. Vielleicht wollte er den guten Eltern die Schmach und Schande ersparen, ihren Sohn später am lichten Galgen hängen zu sehen, denn so hoch wollte er hinaus, das war klar. Gott schickte Krankheit, daran verstarb der böse Bube. Und als er begraben war auf dem Doms-Kirchhof, draußen am Reventer, da bemerkte am Abend darnach der Todtengräber, daß etwas wie ein Finger aus dem Grabe hervorragte; am dritten Abend war schon die ganze Hand heraus gewachsen, und es war die rechte Hand. Der Kuhlengräber schüttete ein paar Schaufeln [160] voll Erde darüber und trat sie fest, – aber nach dreien Tagen war die Hand wieder da. Und die Eltern des Knaben kamen, und bei Nachtzeit gruben sie das Grab um 2 Ellen tiefer, und deckten Rasen darauf, und beteten für die Ruhe der armen Seele in mancher lieben Morgen- und Abendstunde, und ließen Seelenbäder und Messen im Dom lesen für den verdorbenen gestorbenen Sohn, daß er Ruhe im Grabe fände, es half aber alles nichts, die rechte Hand, mit der er seine leibliche Mutter geschlagen hatte, stand immer lang aus dem Grabe hervor, zu Jedermanns Entsetzen und Grausen.

Da war ein Canonicus am Dom, ein weiser frommer Herr, der wußte endlich Rath, und ließ durch des Domvogtes Schwert, das zuvor geweiht war, die Hand abhauen und in den Dom tragen, woselbst er sie auf ein Mauer-Gesimse, dem hohen Chor gegenüber, hinlegte. Damit hatte die arme Seele für begangene Missethat die gerechte Strafe, die im Leben ausgeblieben war, noch nachträglich an dem verbrecherischen Gliede des Körpers empfangen, denn es stehet geschrieben: „Auge um Auge, Zahn um Zahn, und womit du gesündiget, daran wirst du gestraft werden.“ Und von Stund’ an blieb das Grab ruhig, und keine Todtenhand langte wieder heraus ins Leben.

Die abgehauene Hand aber blieb auf ihrer Stelle im Dom und verdorrte und wurde steinhart, verging aber nicht; und alljährlich zur Adventszeit, wenn die Kreuzgänge und Vorhallen voll Krambuden, Verkäufer und Käufer und zumal voll Kinder waren (denn der Weihnachtsmarkt wurde hier gehalten, bis man den Dom abbrach, seit welcher Zeit der Christmarkt auf andere freie Plätze verlegt ist, die man dann auch Dom nennt, was kein Fremder versteht und begreifen kann, und viele Hamburger wissen auch nicht, woher der Ausdruck kommt); also in jener Zeit wurde von des Domküsters [161] Knecht diese verfluchte Hand den Kindern zu ihrem gerechten Staunen und Grausen gezeigt, und dann wurden sie dabei scharf vermahnt, wie billig, zu Gehorsam und Elternliebe; und zur festeren Einprägung solcher nützlichen Lehre theilte der Küsterknecht dann wohl rechts und links mit der verdorrten Hand Ohrfeigen aus, daß die Kinder erschrocken und schreiend von dannen liefen.

Und der Domherr Dr. Meyer, der letzte Canonicus des tausendjährigen Stiftes, der im Jahre 1844 gestorben ist, der hat die Hand noch gesehen. Wo sie aber später geblieben ist, das weiß man nicht. Vielleicht wär’s gut, wenn sie noch jetzt vorhanden wäre und alljährlich einmal den Kindern eine kleine Lection ertheilen könnte.

Anmerkungen

[381] Meyer, Domkirche S. 69, erzählt der Sage Kern sehr kurz; umständlicher spricht er S. 51 über den Christmarkt im Dom. Der Vers im Anfange dieser Geschichte ist ein volksthümlicher: Schütz, Holstein. Idioticon. III. 165.